Der Brander: Admiral Bolitho im Kampf um die Karibik - Kent Alexander


Alexander Kent

Der Brander

Fur Winifred in Liebe, bis wir uns wiedersehen

I Die Flagge im Fockmast

Richard Bolitho stand am offenen Fenster und starrte hinaus in den Hof, hinter dessen Mauer das Meer blinkte.

Es hatte ein wunderschoner Maientag sein konnen; in diesem Licht wirkte selbst der gedrungene Umri? von Pendennis Castle, der alten Burg, die den Schiffahrtsweg nach Falmouth und den Zugang zur Reede von Carrick beherrschte, weniger bedrohlich. England geno? den Frieden — nach neun Jahren Krieg mit Frankreich und seinen Verbundeten. Trotzdem, so schnell konnte man sich nicht umgewohnen. In Falmouth mu?ten die jungen Manner nicht mehr nach ihren Waffen greifen, wenn ein fremdes Segel vor der Kuste auftauchte und damit ein Uberfall des Feindes drohte; sie liefen auch nicht mehr erschrocken davon, wenn sich der Ankommling als britisches Kriegsschiff entpuppte. Letzteres hatte bedeutet, da? bald die verha?ten Pre?patrouillen die Hauser durchsuchen wurden, um Manner unter Zwang fur den Dienst auf See anzuwerben, vielleicht auf Nimmerwiedersehen. Kaum zu glauben, da? dies alles jetzt der Vergangenheit angehorte.

Bolitho sah die Kutsche im Schatten neben der Remise warten. Nun war es bald soweit. Gleich mu?ten die Pferde herausgefuhrt und vorgespannt werden. Jetzt hie? es nicht mehr: nachste Woche — oder wenigstens morgen. Der Augenblick war gekommen.

Er wandte sich vom Fenster ab und wartete, bis seine von der Sonne geblendeten Augen sich an das schattige Zimmer gewohnt hatten. Das gro?e graue Steinhaus, das seine Familie seit Generationen bewohnte, war so still, als hielte es den Atem an, um das Unausweichliche noch etwas hinauszuschieben.

Sieben Monate waren nun vergangen, seit Bolitho heimgekehrt war nach der Schlacht, die alle feindlichen Invasionsplane durchkreuzt und die franzosische Position bei den Friedensverhandlungen so geschwacht hatte. Sieben Monate, seit er Belinda geheiratet hatte und zu einem glucklichen Mann geworden war.

Er schritt zum Fu? der breiten Innentreppe und blickte zu den Portrats seiner Vorfahren auf, die da im Halbdunkel hingen. Auch sie mu?ten solche Augenblicke gekannt haben, dachte er. Mu?ten sich gefragt haben, wann und ob sie dieses Haus je wieder betreten wurden. Sein Ururgro?vater, Kapitan Daniel Bolitho, stand auf dem Bild an Deck seines brennenden Schiffes; er war im Krieg der protestantischen Allianz gegen Spanien gefallen. Sein Gesicht trug deutlich die Familienzuge der Bolithos, ebenso das von Bolithos Vater und seines Bruders Hugh; alle waren sie tot.

Und nun mu?te auch er wieder hinaus auf See. Die letzten Monate waren wie im Flug vergangen. Als man ihn zur Admiralitat nach London beordert hatte, ahnte er nicht, was ihn erwartete. Seit dem Friedensschlu? von Amiens[1] schien es ihm, als ob alle teuer erkauften Erfahrungen beiseitegeschoben wurden. Der Gro?teil der Flotte war au?er Dienst gestellt, Tausende von Offizieren und Mannschaften waren entlassen worden und fristeten ihren Lebensunterhalt, so gut sie konnten.

Fur Flaggoffiziere niedrigeren Dienstgrades waren die Posten selten geworden und wurden von den Lords der Admiralitat je nach Gunst verteilt. So hatte es Bolitho erstaunt, als er den Befehl erhielt, ohne Verzug zunachst nach Amerika und dann in die Karibik zu segeln. Zumal ihm nicht ein neues Geschwader, sondern ein kleiner Zweidek-ker unterstellt wurde, dazu lediglich eine Fregatte als Geleit und Kurier.

Sein Empfang durch Admiral Sir Hayward Sheaffe, den Nachfolger des alten Admirals Beauchamp, war hoflich, aber formell gewesen. Sir Hayward schien Bolitho ganz die neue Zeit zu verkorpern. Der von schwerer Krankheit gezeichnete Beauchamp war an seinem Schreibtisch gestorben, ohne je zu erfahren, da? sein letzter Schlachtplan zur Vernichtung der franzosischen Invasionsflotte von Bolitho siegreich ausgefuhrt worden war. Sheaffe dagegen war ein kuhler Kopf, ein pragmatischer, perfekter Verwaltungsmensch. Bolitho konnte sich kaum vorstellen, da? sich dieser Mann von einem kleinen Seekadetten zu seinem jetzigen hohen Rang hinaufgedient hatte.

In der Stille des Hauses horte Bolitho wieder Sheaffes Worte, als seien sie eben erst gefallen.

«Ich wei?, da? Ihnen diese Entscheidung ungebuhrlich hart erscheinen mu?, Bolitho. Nach Ihrer Flucht aus franzosischer Gefangenschaft und Ihrem anschlie?enden Sieg uber Admiral Remond haben Sie wahrscheinlich — mit Recht, wurden viele sagen — eine gesicherte Bestallung erwartet. Jedoch…«, er dehnte das letzte Wort bedeutungsvoll,»ein Krieg endet nicht mit dem letzten Schu?. Ihre Lordschaften benotigen fur diese Aufgabe einen Mann, der ebenso taktvoll wie tapfer handeln kann. Au?erdem hat sie auch ihre guten Seiten: Sie werden hiermit zum Vizeadmiral befordert. «Sein Blick forschte in Bolithos Gesicht nach einer Reaktion.»Damit sind Sie dem Dienstalter nach der jungste Vizeadmiral in der Navy. «Trocken fugte er hinzu:»Abgesehen naturlich von Nelson, dem Liebling der Nation.»

So war das also, dachte Bolitho. Sheaffe war eifersuchtig auf jene Manner, die sich die Bewunderung von Freund und Feind errungen hatten. Trotz seines Rangs und seiner Befugnisse beneidete er sie immer noch.

Vielleicht hatte ihm Bolitho deshalb verschwiegen, da? der wirkliche Grund fur sein Zogern die Sorge um Belinda gewesen war, die in wenigen Wochen ihr erstes Kind erwartete. Sheaffe mu?te es ohnedies wissen, denn sogar in Londoner Zeitungen waren Artikel erschienen uber ihre Hochzeit im Oktober 1801, bei der Bolithos Kameraden die kleine Kirche in Falmouth bis zum Bersten gefullt hatten. Aber vielleicht war Sheaffe auch darauf neidisch?

So hatte Bolitho geschwiegen. Wenn Sheaffe von ihm erwartete, da? er ihn beschwor, um einen Aufschub bat, dann hatte er den Mann vor sich noch immer nicht begriffen.

Bolitho horte ihre Schritte auf dem gefliesten Boden drau?en und straffte die Schultern.

Sie stand im Gegenlicht, das Gesicht uberschattet, aber trotzdem war ihre Schonheit nicht zu ubersehen. Niemals wurde er sich sattsehen konnen an ihr, nie die Sehnsucht nach ihr verlieren. Sonnenschein setzte rotliche Lichter in ihr kastanienbraunes Haar und streichelte den schlanken, gebogenen Nacken.

«Es wird Zeit«, sagte Belinda.

Ihre Stimme war leise und beherrscht, aber Bolitho wu?te, wie schwer ihr dieser Ton fiel.

Fast wie Hohn wirkten dagegen das muntere Pferdegetrappel drau?en auf den Pflastersteinen, die sorglosen Stimmen der Reitknechte. Belinda trat zu ihm und legte ihm beide Hande auf die Schultern.»Ich bin so stolz auf dich, Liebster«, sagte sie.»Mein Mann, der Vizeadmiral. «Ihre Lippen zitterten, ein feuchter Glanz in ihren Augen strafte ihre Worte Lugen.

Er druckte ihren einst schlanken Korper sanft an sich und spurte das Kind, als sei es schon bei ihnen.

«Gib gut auf dich acht, wenn ich weg bin, Belinda.»

Sie lehnte sich in seinen Armen zuruck und sah ihm so eindringlich ins Gesicht, als wolle sie sich jeden Zug einpragen.

«Du bist es, der achtgeben mu?. Fur mich ist hier gut gesorgt. Alle sind freundlich zu mir, bieten mir Beistand und Hilfe an. Dabei brauche ich nur dich. «Sie schuttelte den Kopf, als er zum Sprechen ansetzte.»Keine Sorge, ich werde nicht schwach. Obwohl du mich verlassen mu?t, bin ich glucklich, verstehst du? Jeder Tag der letzten Monate war fur mich wie unser erster. Wenn du mich umarmst, spure ich das wie beim ersten Mal. Ich liebe dich uber alles, aber ich ware eine Narrin, wenn ich mich zwischen dich und die Welt stellen wollte, in der du lebst. Ich kenne doch den Blick, mit dem du die Schiffe beobachtest, wenn sie in die Reede von Carrick einlaufen, dein Gesicht, wenn Thomas oder Allday ein Erlebnis erwahnen, das ich niemals mit dir teilen kann. Bei deiner Heimkehr werde ich dich erwarten, aber bis dahin werden wir uns immer nahe sein.»

Es klopfte, und Allday trat durch die Tur; seine sonst so leutselige Miene war ernst und unsicher.

«Alles bereit, Sir.»

Knorrig wie Eichenholz, verkorperte Allday fur Bolitho viel von jener anderen Welt, die Belinda erwahnt hatte. In seinem besten blauen Rock und den Nanking-Breeches war er das Urbild eines Seemanns, jeder Zoll Bootsfuhrer eines Vizeadmirals. Er diente Bolitho, seit dieser ein junger Kapitan gewesen war. Gemeinsam hatten sie Schones und Schreckliches erlebt, hatten zu gleichen Teilen Leid und Triumph erfahren.

Als Allday von Bolithos unerwartet fruher Beforderung gehort hatte, war sein Kommentar nur gewesen:»Gibt man Ihnen endlich die Flagge im Fockmast, Sir? Wird auch Zeit.»

«Danke, Allday.»

Der Bootsfuhrer hielt Bolitho den neuen Uniformrock zum Hineinschlupfen hin. Da war er, der einst unerreichbare Wunschtraum des kleinen geplagten Leutnants auf Wache, ja selbst noch des jungen Kommandanten auf seinem ersten Schiff.

Belinda beobachtete ihn, um Haltung bemuht und mit verschrankten Fingern, als hielte sie dahinter ihre Gedanken und Gefuhle in Zaum.

«Du siehst stattlich aus, Richard.»

«Sehr stattlich, Madam. «Allday klopfte die Rockaufschlage glatt und vergewisserte sich, da? beide Epauletten mit den silbernen Zwillingssternen richtig sa?en. Wenn sie erst auf See waren, wurde sich das andern, dachte er. Aber hier gehorte er zur Familie dieses Hauses, in dem er eine neue Heimat gefunden hatte. Jedenfalls fast zur Familie.

Leise sagte Belinda:»Ich konnte dich bis Hampshire begleiten, Richard.»

Bolitho zog sie an sich.»Nein. Die Fahrt zum Beaulieuflu? wurde dich uberanstrengen. Und denk' an den Ruckweg. Ich wurde krank vor Sorge.»

Sie widersprach ihm nicht. Obwohl keiner es erwahnte, dachten beide an die verungluckte Kutsche, in der schon einmal Bolithos Gluck ein Ende gefunden hatte, an den Unfall seiner ersten Frau, dessen Schrecken erst durch ihr neues gemeinsames Leben getilgt worden war.

Bolitho war dankbar dafur, da? der Weg zu seinem neuen Schiff zu weit war, als da? sie ihn begleiten und das Leben ihres ersten Kindes aufs Spiel setzen konnte. Es war schon schlimm genug, da? er sie jetzt verlassen mu?te, obwohl sie ihn so dringend gebraucht hatte. Zwar blieb sein verla?licher alter Steward Ferguson bei ihr im Haus zuruck, auch der Arzt wohnte ganz in der Nahe. Bolithos Schwester Nancy hielt sich ofter bei ihnen auf als in der palastahnlichen Residenz ihres Mannes, des Richters, der weit und breit nur der >Konig von Corn-wall

Belinda sagte in seine Gedanken hinein:»Sei vorsichtig um meinetwillen, Richard. Es fallt mir furchtbar schwer, dich ziehen zu lassen, aber ich wei? ja, da? es nicht anders geht.»

Bolitho hielt sie an sich gepre?t. Warum fand man die rechten Worte immer erst dann, wenn es zu spat war?

Seit er mit seinem Geheimauftrag von der Admiralitat zuruckgekehrt war, hatte sie es irgendwie geschafft, ihre Enttauschung, ihren Kummer zu verbergen. Nur einmal, nachts, hatte sie aufgestohnt.»Warum gerade du? Mu?t du denn wirklich fort?«Und dann war sie wieder in einen unruhigen Schlaf gefallen, als wu?te sie, da? es auf ihre Frage keine Antwort gab.

Drau?en erklang Alldays Stimme, der das Verladen der letzten Gepackstucke beaufsichtigte. Armer Allday, dachte Bolitho. So bald nach den Strapazen der franzosischen Gefangenschaft mu?te er nun wieder hinaus. Aber er war stets da, wenn er gebraucht wurde, ein Freund und guter Zuhorer, dem Bolitho sich anvertrauen konnte, falls er einen Gesprachspartner suchte, der au?erhalb der Hierarchie stand und offen seine Meinung sagen konnte.

Alldays Loyalitat hatte Bolitho schon manches Mal beschamt. Sein Lebensinhalt bestand darin, ihm zu dienen, er besa? weder eine Frau, die auf ihn wartete, noch ein Zuhause. Irgendwie kam es ihm unfair vor, da? er Allday schon wieder mit hinaus schleppte, obwohl er sich ein geruhsames Leben an Land wahrhaftig verdient hatte. Doch Bo-litho wu?te, da? ihn der Vorschlag, diesmal zu Hause zu bleiben, verletzt und aufgebracht hatte.

Aber jetzt mu?te er endlich aufbrechen.

Gemeinsam schritten sie zum Portal, entschlossen, den Augenblick, den sie furchteten, gefa?t zu bestehen.

Grelles Sonnenlicht uberfiel sie, und Bolitho mu?te sich zwingen, zu der verha?ten Kutsche hinuberzusehen. Von allen anderen Bewohnern des Hauses hatte er sich schon verabschiedet, auch von seiner Schwester und dem einarmigen Ferguson.

Er sagte:»Ich sende dir eine Nachricht mit dem ersten Kurierschiff, das uns begegnet. Wenn ich in Amerika eingetroffen bin, wird man mir wahrscheinlich die umgehende Ruckkehr befehlen.»

Er spurte, wie sich ihr Arm unwillkurlich verkrampfte, und zurnte sich selbst, da? er ihr falsche Hoffnungen machte.

Admiral Sheaffe hatte Bolithos Zweifel an der Bedeutung seiner Mission nicht ausraumen konnen. Er sollte Boston anlaufen,»neutralen Boden«, wie er es nannte, und dort mit franzosischen und amerikanischen Beamten die formelle Ubergabe einer Insel vollziehen, wie es im Frieden von Amiens vorgesehen war.

Bolitho hielt das alles fur einen gro?en Fehler. Hier wurde dem Erzfeind Englands eine Insel uberlassen, deren Eroberung das Leben so vieler Landsleute gekostet hatte. Deshalb hatte er sich einen Protest dem Admiral gegenuber nicht versagen konnen.

«Wir haben einen Friedensvertrag unterzeichnet, Sir Hayward, keine Kapitulation!»

Aber in dem kuhlen Amtszimmer hatte die Bemerkung seltsam kindisch geklungen. Sheaffe antwortete denn auch ungeruhrt:»Richtig. Und wir wunschen nicht, da? Sie einen neuen Krieg auslosen, Sir!»

Als wollten sie den Abschied beschleunigen, scharrten die Pferde ungeduldig auf dem Kopfsteinpflaster.

Bolitho ku?te Belinda lange und schmeckte Salz auf ihren Lippen.

«Ich komme wieder, Belinda.»

Sanft loste er sich von ihr und schritt die ausgetretenen Stufen zur wartenden Kutsche hinunter. Allday stand hinten bei dem Burschen, aber Bolitho winkte ihn herbei.

«Setz dich zu mir, Allday.»

Dann wandte er sich ein letztes Mal nach Belinda um. Vor der grauen Wand des Hauses wirkte sie seltsam verwundbar, und er hatte sie gern trostend umfa?t.

Mit einem Ruck wandte er sich ab. Im nachsten Augenblick sa? er in der Kutsche, und die Rader ratterten uber das Pflaster und durchs Tor hinaus.

Es war vorbei.

Allday pre?te die Hande zusammen und lie? Bolithos dusteres Gesicht nicht aus den Augen. Die sieben Monate an Land waren ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. Naturlich hatte er sich gehutet, Bolitho das merken zu lassen. Seit Allday sich hier in Cornwall als Schafhirte durchgeschlagen hatte, war er noch nie so lange an Land gewesen. Damals hatte die Pre?patrouille eines vor der Kuste ankernden Kriegsschiffes mehrere Manner der Umgebung zwangsrekrutiert. Allday war unter ihnen gewesen, auch Ferguson. In der Schlacht bei den Saintes hatte der Pechvogel dann seinen Arm verloren, war aber wie Allday in Bolithos Diensten geblieben.

Die warme Fruhlingsluft und der schwere Duft der Wiesen machten Allday schlafrig; er wu?te, da? Bolitho zwar nicht allein sein wollte, aber ebensowenig in gesprachiger Stimmung war. Zum Schwatzen blieb noch genug Zeit auf ihrer langen Reise nach Hampshire zum Flu? Beaulieu, wo ihr neues Schiff wartete. Au?erdem lagen einsame Wochen und Monate vor ihnen, in denen sie auf Gesprachsstoff angewiesen waren.

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