Laut sagte er:»Dieser Skipper mu? ein beherzter Mann sein. Fast schon tollkuhn. Ich mochte ihn gern kennenlernen.»
Adams Augen leuchteten; er wollte Bolitho unbedingt von Robina erzahlen, aber nach der abenteuerlichen Uberfahrt von Boston mit all ihren neuen Erlebnissen und Informationen mu?te das warten.»Er hat mit mir ubergesetzt und ist an Bord.»
Bolitho musterte ihn fragend.»Na ja, dann soll er doch hereinkommen.»
Der Wachtposten offnete die Tur und trat beiseite, um den Besucher einzulassen. Nur die Augen unter dem hohen schwarzen Lacklederhut des Postens bewegten sich, als er meldete:»Der Kapitan der
Bolitho wollte den Besucher begru?en, aber es verschlug ihm vor Erstaunen die Sprache. Der geflickte blaue Rock mit den Marineknopfen auf den Manschetten, der holzerne Stumpf, der aus dem einen
Hosenbein ragte — all dies konnte ihn nicht daruber hinwegtauschen, wen er da vor sich hatte.
Bolitho eilte dem Mann entgegen und streckte ihm beide Hande hin.
«Jethro Tyrrell! Mein Gott, es mu? zwanzig Jahre her sein. Und nun stehen Sie plotzlich wieder vor mir!»
Tyrrell legte den Kopf schief und musterte Bolitho mit geheuchelter Belustigung.
«Zum Vizeadmiral befordert, hie? es. «Langsam nickte er, das struppige graue Haar tanzte auf seinem Kragen.»Hatte nie gedacht, da? die Seelords doch noch vernunftig werden!»
Noch einmal druckte er Bolithos Hande, dann begann er, durch die gro?e Kajute zu humpeln, wobei er hier und da etwas beruhrte; seinen aufmerksamen Augen entging kein Detail.
Wahrend Bolitho ihm zusah, stiegen wieder die Bilder der Erinnerung in ihm auf: die kleine Korvette
sein erstes Schiff, auf dem der Sudstaatler Jethro Tyrrell Erster Offizier gewesen war.
Es tat weh, den Holzstumpf zu sehen, den er nachschleifte, und seine schabige Kleidung.
Bei Bolithos Admiralsrock, der nachlassig uber einen Stuhl geworfen war, blieb Tyrrell stehen und betastete eine goldene Epaulette.
«Stimmt, es ist zwanzig Jahre her«, sagte er leise.»Aber Sie sind ganz schon vorangekommen, Dick. Bin richtig stolz auf Sie.»
Allein schon sein weicher Virginia-Tonfall rief tausend Dinge in Bolithos Gedachtnis zuruck.
Vorsichtig lie? Tyrrell sich auf einen Stuhl nieder und zupfte seinen Rock zurecht.»Am besten gehe ich bald wieder. Wollte nur mal guten Tag sagen. Ich mochte nicht.»
Bolitho rief dazwischen:»He, ich war einmal Ihr vorgesetzter Offizier, und mein Wort gilt immer noch. Deshalb werden Sie hierbleiben und mir erzahlen, wie es Ihnen ergangen ist. Nach dem Krieg habe ich vergeblich nach Ihnen geforscht.»
Tyrrell sah zu, wie Ozzard mit Flaschen und Glasern hantierte.
«Als man mir unseren jungen Freund hier als Passagier schickte, da wu?te ich, da? ich Sie wiedersehen wurde. «Seine Augen spiegelten das reflektierte Sonnenlicht wider.»Das waren gro?artige Zeiten, sage ich Ihnen. «Er warf dem jungen Leutnant einen Blick zu, der gebannt lauschte.»So grun er war — sogar noch junger als ich — , so faustdick hatte er's schon damals hinter den Ohren. Duellierte sich um ein Madchen, das ihn um jeden Preis tot sehen wollte, und attackierte die Franzosen beinahe mit blo?en Handen. «Tyrrell lachelte breit, aber seine Augen blieben duster und traurig.
Vorsichtig erkundigte sich Bolitho:»Und was treiben Sie jetzt?»
«Dies und das. Ich fuhre die
Die Tur ging auf, und Keen trat zogernd ein.
«Dies ist Jethro Tyrrell«, machte Bolitho bekannt,»mein Erster auf der
Bei Keens Verbluffung mu?te er lacheln.»Das war in einem ganz anderen Krieg, Val. Aber ein feines kleines Schiff.»
Unbehaglich rutschte Tyrrell auf seinem Stuhl herum, die allgemeine Aufmerksamkeit machte ihn verlegen.
«Wie dem auch sei, ich hore, Sie haben hier unten ziemlichen Arger. San Felipe soll an die Franzosen zuruckgegeben werden, stimmt's?»
Bolitho nickte ernst.»Das hat sich aber schnell herumgesprochen.»
Tyrrell verzog das Gesicht.»Wohl doch nicht schnell genug. Sie sollten sich vor den verdammten Spaniern besser in acht nehmen. Die haben es sich in den Kopf gesetzt, diese Insel zu erobern. «Mit heimlicher Genugtuung sah er in ihre erstaunten Gesichter.»Und das werden sie auch schaffen, wenn Sie nicht verteufelt vorsichtig vorgehen. Sie haben uberall ihre Spaher. Sogar meine kleine
Bolitho beugte sich vor.»Stimmt das wirklich? Das mit den Spaniern?»
Tyrrells grimmiger Blick lie? ihn nicht los.»Ich brauche Geld, damit ich die
«Ich hatte auch mal meinen Stolz, Dick. Damals. Jetzt kann ich mir Stolz nicht mehr leisten. Hab meine ganze Familie verloren. Mein Leben ist die See, mehr ist mir nicht geblieben. Ich brauche ein
Schiff.»
Bolitho trat neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter.»Sie bekommen Ihr Schiff, glauben Sie mir.»
Tyrrell seufzte tief auf.»Dafur bringe ich Sie zu dem verdammten Spanier!»
Bolitho warf Keen einen Blick zu, aber dem schien es vor Erstaunen die Sprache verschlagen zu haben.
Es war zwanzig Jahre her — und trotzdem so frisch, als ware es erst gestern gewesen.
X Verkorperung der Treue
«Herrgott noch mal, Allday, mach die Luke zu!»
Bolitho beugte sich wieder uber die Seekarte von San Felipe mit den benachbarten Kustenabschnitten Kubas und Haitis; seine Finger trommelten auf den exakten Kursberechnungen und Tiefenangaben.
Aber bei den geschlossenen Fenstern und Luken wurde es in der Kajute bald hei? wie in einem Backofen. Au?erdem war es sinnlos, die Gerausche lie?en sich nicht aussperren; immer noch horte Bolitho laut und deutlich Black Joe Langtry die Schlage mitzahlen, die der Profos mit der neunschwanzigen Katze austeilte.
Bolitho fand es selbst merkwurdig, da? er sich mit der Prugelstrafe immer noch nicht abgefunden hatte, diesem Allheilmittel jedes Kommandanten bei Versto?en gegen die Disziplin.
Ein Trommelwirbel, danach eine kurze Pause und schlie?lich wieder das scheu?liche Klatschen der Peitsche auf einem nackten Rucken.
Bolitho starrte blicklos auf die Karte nieder, bis seine Augen schmerzten.
«Zehn!«Erneut Langtrys rauhe Stimme.
Keen und seine Offiziere mu?ten da oben sein und zusehen, obwohl auch ihnen dieser Strafvollzug zuwider war. Aber auf einem Kriegsschiff, das allein segelte und von niemandem Unterstutzung erwarten konnte, mu?te der standig drohenden Gefahr des Aufruhrs mit drakonischen Strafen vorgebeugt werden.
Drei verla?liche Matrosen hatten an Land fur den Zahlmeister gearbeitet und waren desertiert. Aber die Inselmiliz hatte sie bald aufgestobert und wieder an Bord gebracht. Offenbar hatten sie auf einer Plantage ein paar Halbblutmadchen kennengelernt, und was darauf folgte, war nur zu alltaglich.
Wieder das Klatschen.»Elf!»
Jetzt zahlten sie den Preis fur ihr kurzes Vergnugen. Keen hatte die Mindeststrafe von vierundzwanzig Peitschenhieben pro Deserteur verhangt, aber auch sie reichte schon aus, einen Rucken in rohes Fleisch zu verwandeln.
Um sich abzulenken, dachte Bolitho an Tyrrell. Er war wieder auf seine
Sein plotzliches Auftauchen hatte Bolitho mehr aus dem Gleichgewicht gebracht, als er sich eingestehen wollte. Seither verfolgte ihn die Erinnerung an die lange zuruckliegenden, gemeinsamen Erlebnisse, an die kleine
und die schicksalhafte Rolle, die das Schiff fur sie beide gespielt hatte.
Wurden die alten Bilder ihn denn auf ewig verfolgen?
Erst letztes Jahr war die Fregatte
Bolithos zweites Schiff, wie ein Gespenst aus der Vergangenheit aufgetaucht und in seinem Geschwader mitgesegelt; und nun suchte ihn die Erinnerung an die alte
heim.
War er damals wirklich glucklicher gewesen, wie ihm die Erinnerung jetzt vorgaukelte? Mit weniger Verantwortung, aber eher bereit, das Leben zu riskieren, sogar zu verlieren, nicht in dieser standigen Sorge um seinen Ruf?
Die Trommeln an Deck verstummten, die Auspeitschung war beendet.
Er kannte Tyrrell besser als die meisten, hatte ihm beigestanden, als ihm das Bein unterm Leib weggeschossen worden war. Aber jetzt war er nur noch ein Zerrbild des Offiziers von damals. Auf den ersten Blick ein harmloser Alter, der typische kleine Handelskapitan, der uberall Geruchte uber das Kommen und Gehen der gro?en Kriegsschiffe aufschnappte. Der Skipper eines so kleinen Frachtseglers scherte sich wenig um ihre Nationalitaten oder Flaggen, sie waren fur ihn alle gleich bedrohlich. Immer auf der Suche nach erfahrenen Seeleuten, obwohl das gewaltsame Pressen nicht mehr ublich war. Aber wen kummerte schon das Schicksal eines schanghaiten Matrosen, wenn man davon uberhaupt jemals erfuhr?
Auch bei eindringlicher Befragung hatte Tyrrell auf seiner Beschreibung des machtigen Zweideckers beharrt: ohne Flagge, ohne Namen, war er doch bekannt bei den spanischen Fregatten aus Santo Domingo, ja selbst aus dem Hunderte von Meilen sudlicher gelegenen La Guaira; alle kannten und mieden ihn.
Dieses geheimnisvolle Schiff, das ohne zu zogern Keens List mit Kanonenschussen beantwortet und die
erbarmungslos abgeschlachtet hatte, mu?te mit einem bestimmten Auftrag in der karibischen See und ihren Zugangen segeln; ein Auftrag, fur den sein Kommandant notfalls auch das Au?erste riskierte.
Bolitho horte Allday wieder das Oberluk offnen und war sich bewu?t, da? dieser ebenso wie Ozzard und alle anderen, die in seine Nahe kamen, wie auf Katzenpfoten um ihn herumschlichen.
Er sah seinen bulligen Bootsfuhrer an und hob hilflos die Schultern.»Ich frage mich selbst, was mit mir los ist«, sagte er entschuldigend.
Allday nickte mit einem wissenden Lacheln.»Es ist das Warten, Sir, das macht einen fertig.»
«Kann sein.»
Wieder wandte Bolitho sich der Seekarte zu. Es war jetzt eine Woche her, seit
Aber Rivers besa? einflu?reiche Freunde in Amerika und in London. Auch wenn er Bolithos Meinung nach nur ein Pirat wie alle anderen war, mu?te doch ein ordentliches Gerichtsverfahren in London stattfinden, damit die Seelords das auch beweisen konnten.
Au?erdem — wenn Tyrrell recht hatte und der unbekannte Zweidek-ker einen Uberfall auf San Felipe vorbereitete, dann ware es Torheit gewesen, den Hafen ohne Schutz zu lassen.
«Signal von der Festungsbatterie, Sir«, meldete Adam.»Die Brigg
Electra
Achates.
Er trat zu den Heckfenstern und beschattete seine Augen mit der
Hand.
«La? dem Kommandanten der
Keen wartete, bis die Tur sich hinter Adam geschlossen hatte, dann stellte er sein Glas bedachtig ab.»Gestatten Sie mir eine Bemerkung,
Sir?»
«Sie sind mit meiner geplanten Taktik nicht einverstanden, wie?»
Keen lachelte knapp.»Sie gehen damit ein sehr hohes Risiko ein. Ein doppeltes sogar, um genau zu sein. «Als Bolitho schwieg, fuhr er fort:»Dieser Tyrrell — wieviel wissen Sie denn schon von ihm?»
«Er war mein Erster Offizier. «Keen nickte nur.»Sie meinen, nach zwanzig Jahren ist das ein bi?chen wenig?»
Keen hob die Schultern.»Schwer zu sagen, Sir. Er hat sich ja selbst als einen verzweifelten Mann bezeichnet, der seine Familie und seinen guten Ruf verlor, weil er lieber fur den Konig als fur Washington kampfen wollte.»
«Und weiter?«Bolitho merkte, da? Allday den Atem anhielt.
«Angenommen, wir sto?en auf den Spanier und zwingen ihn zu einem Gefecht — wie verhalten wir uns, wenn er seine wahre Flagge zeigt? Mochten Sie der Zundfunke zu einem neuen Krieg sein?»
«Und das zweite Risiko?»
Keen au?erte seine Bedenken vollig zu recht. Trotzdem fuhlte Bo-litho sich dadurch noch einsamer als zuvor.
«Zweitens steht zu befurchten, da? der Spanier — falls er sich uberhaupt noch in diesen Gewassern aufhalt — nur darauf wartet, da? wir den Hafen verlassen, damit er Achates' Rolle hier ubernehmen kann. Dann mu?ten wir uns den Ruckweg teuer erkampfen, nicht gegen ein paar unerfahrene Pflanzer und die Inselmiliz, sondern gegen ein Kriegsschiff mit erfahrener Besatzung. Meiner Ansicht nach ubersteigt dieses doppelte Risiko den moglichen Gewinn. «Keen senkte den Blick.»Tut mir leid, Sir, aber das mu?te gesagt werden.»