«Haben Sie ein Teleskop, Sir Humphrey?»
Nur mit Muhe zwang er sich zur Ruhe, obwohl es ihn mit allen Fasern seines Korpers danach verlangte, gegen dieses vermaledeite Tor anzurennen und es mit blo?en Fausten zu zertrummern.
Rivers hatte bereits ein Glas auf das bewegungslose Schiff gerichtet. Da?
Bolitho fuhr fort:»Im Krahennest des Gro?masts sehen Sie einen Mann, einen Leutnant, um genau zu sein. Auch er hat ein Teleskop, Sir Humphrey, aber es ist auf Ihr Haus, Ihren Besitz gerichtet: unser-Einschlagbeobachter.»
«Sie spielen ja nur um Zeit«, sagte Rivers.
«Und danach kommt die Stadt dran, Sir Humphrey, bis dort kein Stein mehr auf dem anderen ist.»
Als die Explosion kam, wirkte sie ohrenbetaubend laut, denn das Land warf das Echo der Breitseite zuruck und lie? es uber die Bucht rollen, als hatte die Festungsbatterie schon das Feuer eroffnet.
Bolitho wandte sich um und sah Rauch von der abgewandten Seite der
Bolitho sah auch die aufgerissenen Planken in
Bolitho informierte seinen Gegner:»Die Batterie ist feuerbereit fur die nachste Breitseite. Nun hangt es von Ihnen ab.»
Hinter ihm murmelte Christy:»Allmachtiger!»
Und Allday meldete:»Die Kavallerie ruckt an, Sir.»
Bolitho sah die Schwadron aus der Stadt galoppieren, auf dem Weg, der zu ihnen herauffuhrte. Aber sie ritt ungeordnet, wahrscheinlich hatten die Pferde bei den uberraschenden Kanonenschussen gescheut. Die Reiter mochten Soldner, einheimische Pflanzer oder Milizionare sein, darauf kam es nicht an. Doch wenn sie Bolithos Landungstrupp unten auf der Stra?e uberwaltigten, mu?te das Gluck sich gegen ihn wenden.
Ein kurzes Hornsignal, dann sah Bolitho die geschlossenen Reihen seiner Rotrocke aus dem Gebusch neben der Stra?e treten, wo sie sich versteckt gehalten und auf den entscheidenden Augenblick vorbereitet hatten.
Sonnenlicht reflektierte von den aufgepflanzten Bajonetten. Die Pferde der Gegner galoppierten jetzt schneller, ihre Hufe warfen Staubwolken auf, die in breiter Front uber die Stra?e zogen.
Eine erste, unregelma?ige Salve fiel, und Bolitho durchfuhr es kalt, als er drei der winzigen roten Gestalten auf dem Weg zusammenbrechen sah.
Es schien endlos zu dauern, bis sich die erste Reihe der Marinesoldaten neben ihren toten Kameraden auf ein Knie niedergelassen hatte, wahrend die hintere Reihe uber ihren Kopfen die Gewehre anlegte. Erneut fielen Schusse, und diesmal sank ein kleiner Trommelbube in den Staub.
«Jesus«, keuchte Allday,»warum schie?en sie nicht endlich?»
Aber da fuhr Dewars Sabel schon blitzend nach unten, und die Salve der Briten krachte wie ein einziger uberlauter Schu?.
Pferde und Reiter sturzten wirr durcheinander, und als der Pulverdampf sich hob, standen die roten Reihen unerschutterlich an ihrem Platz. Die uberlebenden Reiter hatten ihre Pferde herumgerissen und galoppierten zur Stadt zuruck, Tote und Verwundete sich selbst uberlassend.
Erregt meldete Christy:»Das Tor geht auf, Sir!»
Es war voruber. Erst zu zweit und zu dritt, dann in ganzen Gruppen, stolperte die Fortbesatzung ins Sonnenlicht und warf im Laufen ihre Waffen weg.
Als letzter erschien Rivers, schwankend wie ein Betrunkener. Doch als er sich an Bolitho wandte, war seine Stimme fest und klar.»Dafur sollen Sie mir in der Holle schmoren!«Wilden Blicks starrte er zu dem uppig begrunten Hang oberhalb der Stadt hinuber.»Sie haben auf mein Haus, meine Familie schie?en lassen, ohne alle Skrupel.»
Bolitho unterbrach ihn scharf.»Durch Ihre Schuld habe ich heute gute Manner verloren. «Muhsam beherrschte er seinen Zorn.»Und warum mu?ten sie sterben? Weil Sie Ihren Ehrgeiz und Ihre Habgier nicht zugeln wollten. «Er wandte sich ab, weil er die Kontrolle uber sich zu verlieren furchtete.»Aber regen Sie sich nicht auf, Sir Hum-phrey. Wahrend Sie sich anschickten, ein Schiff Ihres Konigs in Brand zu schie?en und jeden Mann an Bord zu ermorden, war Kapitan Keen so rucksichtsvoll, seine Kanonen nur mit Pulver zu laden. Rauch hat Sie besiegt, nichts weiter.»
Es hatte ein Augenblick des Triumphes sein sollen, aber Bolitho fuhlte sich nur angeekelt.
Er wandte sich an Allday.»Wir kehren an Bord zuruck. Dewars Soldaten sind hier Herr der Lage.»
Allday deutete auf den verstorten Rivers.»Und was wird aus ihm?«-»La?t ihn gut bewachen, zu seiner eigenen Sicherheit.»
Als zwei Seeleute Rivers an den Armen packten und zum Festungstor abfuhrten, fugte Bolitho wie zu sich selbst hinzu:»Fur den Sieger ist Rache immer wohlfeil. «Dann schlug er dem vierschrotigen Bootsmann auf die Schulter und schlo?:»Aber wir gehoren nicht hierher, sondern dort hinaus, auf die See.»
Allday stie? einen Seufzer der Erleichterung aus. Diesmal war es gerade noch gut gegangen; ihn schauderte trotz der warmen Morgensonne. Aber allmahlich wurde er zu alt fur solche Scherze. Das nachste Mal waren die jungen Spunde an der Reihe.
Nach diesem Fazit besserte sich seine Laune, und er beschleunigte den Schritt.
Die Matrosen des Landungstrupps saumten den Weg und offneten grinsend eine Gasse fur ihren Admiral.
Bolitho erriet ihre Gedanken:
Irgendwo wieherte schrill ein verletztes Pferd, es klang wie der Schrei einer gemarterten Frau. Zum Gluck brachte ein Gnadenschu? das Tier zum Verstummen.
Bolitho verhielt den Schritt an der Stelle, wo Dewar die Kavallerie zuruckgeschlagen hatte. Der kleine Trommler lag auf dem Rucken, die blauen Augen offen, die Zuge in einer schmerzlichen Grimasse erstarrt.
Bolitho nahm sein Taschentuch und bedeckte damit das Gesicht des Toten.»Zu jung fur dieses Geschaft«, horte Allday ihn murmeln.
Achates
Ungeduldig erhob sich Bolitho, trat zu den Heckfenstern und blickte auf die bleiern daliegende Reede hinaus. Das holzerne Sull verbrannte ihm fast die Handflachen, denn die Sonne hatte ihren Hochststand uber dem erloschenen Vulkan erreicht.
Er sah das Wachboot langsam und ohne gro?e Begeisterung seine Runden um das Schiff ziehen, und konnte leicht erraten, womit sich die Gedanken der Bootsgasten und der Manner an Bord beschaftigten.
Seit ihr Gouverneur unter Arrest stand, verhielt die Inselbevolkerung sich ruhig und abwartend. Alle Feindseligkeiten waren eingestellt, einige Milizsoldaten sogar neu vereidigt worden, um die Marineinfanteristen auf der Festung zu verstarken. Aber Bolitho traute dem Frieden nicht. Es war eine feindselige Passivitat, denn zu angestrengt wandten die Einheimischen den Blick ab, wenn sie einem britischen Arbeitstrupp oder Offizier begegneten.
Die Seeleute reagierten zunachst enttauscht, dann verargert. Schlie?lich waren einige ihrer Kameraden gefallen — wofur, wu?ten die wenigsten — , und den Sieg hatten sie sich verlockender vorgestellt.
Jetzt zur Mittagszeit mischte sich der Geruch des erhitzten Teers mit dem wurzigeren Duft der taglichen Rumration, die in den Messen ausgegeben wurde. Das Hammern der Schiffszimmerleute verstummte; sie hatten den von der Festungskanone angerichteten Schaden schon fast behoben. Immerhin hatte ein Seemann durch Splitter ein Auge verloren.
Es klopfte, Keen trat ein, den Hut unter dem Arm. Auf Bolitho machte er jetzt einen entspannteren Eindruck, obwohl er ein gewaltiges Arbeitspensum bewaltigen mu?te; der Schiffsarzt und der Erste, der Master und der Zahlmeister, sie alle gingen den Kommandanten um die letzte Entscheidung an, und sei es nur, um die Verantwortung von sich abzuwalzen.
«Sie wollten mich sprechen, Sir?»
«Nehmen Sie Platz, Val. «Wohl zum hundertstenmal lockerte Bo-litho seinen Hemdkragen.»Wie geht die Arbeit voran?»
«Ich halte die Leute beschaftigt, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Aber
Falls
«Die Aufgabe hier wurde
Sparrowhawk
Sie fuhren beide zu den Fenstern herum, als drau?en ein Musketenschu? krachte.
«Vom Wachboot. Da mu? etwas passiert sein.»
Keen griff nach seinem Hut und sprang auf.»Ich sehe nach, Sir.»
Bolitho nahm ein Teleskop aus seiner Halterung und wartete, bis
Der Neuankommling war eine kleine Brigantine, wahrscheinlich ein Handler von den Inseln. Auf ihren Skipper wartete eine Uberraschung, sobald er erst den Hafen einsehen und
Mit schwei?nassem Gesicht kehrte Keen zuruck.
«Unser Wachboot wird die Brigantine zu einer Boje eskortieren. «Als Bolitho sich zu ihm umwandte, fuhr er fort:»Wie es aussieht, ist sie beschossen worden. Ich lasse gleich unseren Arzt hinuberrudern.»
«Beschossen?»
Keen hob die Schultern.»So sieht es aus.»
«Na gut. Aber signalisieren Sie allen anderen Fahrzeugen, sich von ihr freizuhalten. Ich habe ein ungutes Gefuhl.»
Wieder richtete Bolitho das Glas auf die Brigantine, die jetzt die killenden Vorsegel wegnahm und geschickt an eine Festmacherboje heranschor.
Langsam und sorgfaltig musterte er ihren Rumpf mit dem Glas. Der Farbanstrich trug schwarze Pockennarben von Schrot- oder Schrap-nellbeschu?. Schwereres Kaliber hatte ein so leichtes Fahrzeug sofort versenkt. Bolitho konzentrierte sich auf die beiden Gestalten, die achtern an der Pinne standen: ein gro?er bulliger Mann in blauem Rock, das graue Haar zerzaust, und daneben.
Bolitho rief:»Verflucht noch mal, Val, es ist Adam! Wenn er unnotig viel riskiert hat, werde ich ihn.»
Sie sahen einander an und lachten.
«Aber ich kann mich da schlecht als sein Richter aufspielen, wie?»
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Beiboot der Brigantine bei
Keen sagte:»Ich gehe an Deck, um ihn zu begru?en, Sir. «Mit einem heimlichen Lacheln schlo? er die Tur hinter sich.
Als Adam die Kajute betrat, verriet sein Gesicht Besorgnis; er schien sich auf eine Strafpredigt gefa?t zu machen.
«Tut mir leid, Sir. «begann er.
Bolitho ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.»Du bist hier, und das ist die Hauptsache.»
Adam blickte sich in der Kajute um, als furchte er, Spuren des Kampfes zu sehen.
«Im Wachboot haben sie mir schon von dem Gefecht erzahlt, Onkel. Und da? ihr euch mit Gewalt die Einfahrt erzwingen mu?tet. «Er senkte den Blick, eine schwarze Strahne fiel ihm in die Stirn.»Auch von
Verlust habe ich gehort. Das hat mich erschuttert.»
Bolitho fuhrte ihn zu einem Stuhl.»Wir wollen nicht mehr davon reden«, sagte er leise.»Erzahle mir lieber von deinen Problemen.»
Es war schon eine erstaunliche Geschichte, die der junge Leutnant zu berichten hatte. Erst vor wenigen Tagen, nachdem sie einen starken Sturm auf der Hohe der Bahamas abgewettert hatten, waren sie von einer Fregatte gestellt worden. Sie gab sich als spanisches Schiff aus und befahl ihnen, beizudrehen und ein Prisenkommando an Bord zu nehmen. Aber der mi?trauische Skipper der Brigantine blieb auf der Hut. Als das Prisenboot fast schon langsseits war, hatte er blitzschnell gewendet, mehr Segel gesetzt und mit dem gunstigen Wind seine Zuflucht in flacherem Wasser gesucht, wohin ihm die Fregatte nicht folgen konnte. Immerhin hatte das spanische Prisenkommando die fliehende Brigantine noch beschossen, mit einem Buggeschutz und zwei Drehbassen. Der Maat war getotet und der Rumpf mit Einschlagen ubersat worden.
Bolitho lauschte Adams hervorgesprudeltem Bericht, ohne ihn zu unterbrechen. Man durfte sich doch nie in Sicherheit wahnen, dachte er dabei. Wahrend er sich uber das kunftige Schicksal von San Felipe den Kopf zermartert hatte, war Adam einem unerklarlichen Angriff ausgesetzt gewesen und um ein Haar getotet worden.