Mauern aus Holz, Manner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung - Kent Alexander


Alexander Kent

Mauern aus Holz, Manner aus Eisen

Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung

Maurice und Geraldine FitzGerald in Liebe und Dankbarkeit gewidmet

«Wir wenigen, wir wenigen Begluckten, ein Kreis verschwor'ner Bruder; denn ihn, der heut' sein Blut mit mir vergie?t, ihn nenn' ich Bruder.»

Heinrich V.

I Die Pflicht ruft

Kapitan Daniel Poland, Kommandant Seiner Britannischen Majestat Fregatte

Poland trat an den kleinen Tisch am Niedergang und hob die geteerte Segeltuchhaube, um im Licht einer abgeblendeten Lampe das Logbuch zu prufen. Niemand auf dem Achterdeck sprach oder storte ihn; jedermann wu?te, da? er da war, und kannte nach zwei Jahren seine Gewohnheiten.

Wahrend er die sauber geschriebenen Kommentare seiner Wachoffiziere las, spurte er, wie sich das Schiff unter ihm hob und senkte; Schaum peitschte wie Hagel uber das Deck. Wieder fuhlte er Stolz, mahnte sich aber zur Vorsicht. Wer sich auf andere verlie?, konnte schnell Mi?trauen ernten, und Mi?trauen bei Vorgesetzten gefahrdete Beforderungen. Trotzdem — wenn der Wind durchstand, wurden sie die afrikanische Kuste, das Kap der Guten Hoffnung, beim ersten Tageslicht sichten.

Seit neunzehn Tagen unterwegs. Das war wahrscheinlich die schnellste Uberfahrt, die je ein britisches Kriegsschiff von Portsmouth gemacht hatte. Poland dachte zuruck an England, das sie in einem Regenschauer achteraus hatten versinken sehen, als die

Truculent

Er schaute nach oben in den hellen Umri? des vollstehenden Kreuzmarssegels. Dahinter gab es nur Dunkelheit. Das Schiff hatte seine schwere Leinwand gegen die Leichtwettersegel der Passatzone ausgewechselt und wurde sehr gut aussehen, wenn das Tageslicht kam. Er erinnerte sich an ihre schnelle Fahrt nach Suden: die Berge Marokkos hasig blau in der Ferne, dann weiter sudostlich uber den Aquator. Ein einziger Stopp nur bei St. Helena, diesem winzigen Fleck auf der Karte.

Kein Wunder, da? junge Offiziere darum beteten, ein Kommando uber eine Fregatte zu erhalten. Auf ihr war man sein eigener Herr, hing nicht an den Schurzenzipfeln der Flotte und war ziemlich sicher vor den Eingriffen der Admiralitat.

Er wu?te, da? ein Kommandant bei seinen Leuten gleich nach Gott kam. Meistens schien er auch wirklich allmachtig, denn er konnte jeden an Bord strafen oder belohnen — ohne selbst mit Strafe rechnen zu mussen. Poland hielt sich fur einen gerechten und fairen Kommandanten, aber er wu?te, da? man ihn eher furchtete als verehrte. Jeden Tag hatte er dafur gesorgt, da? es seinen Mannern nicht an Arbeit mangelte. Der Vizeadmiral wurde nichts an seinem Schiff auszusetzen haben, weder an seinem Aussehen noch an der Besatzung.

Sein Blick fiel auf das Skylight der Kajute, es leuchtete jetzt hell aus der Dunkelheit. Auf dieser Reise durfte es keine Fehler geben, nicht mit einem so bedeutenden Passagier dort unten in den Raumen des Kommandanten.

Es wurde Zeit. Poland stellte einen Fu? auf die Lafette eines gesicherten Neunpfunders, und der Zweite Offizier erschien wie herbeigezaubert.

«Mr. Munro, Sie konnen die Achterdeckswache in funfzehn Minuten antreten lassen, wenn wir uber Stag gehen.»

Der Leutnant beruhrte im Dunkeln seinen Hut.»Aye, aye, Sir. «Er sprach so leise, als ob auch er an den Passagier dachte und an den Larm der Soldatenstiefel auf dem Deck uber dessen Schlafraum.

Poland mahnte unwirsch:»Und keine Schlamperei!»

Munro sah, wie der Master, der schon an seinem Platz neben dem gro?en Doppelrad stand, die Schultern krummte. Er ahnte wahrscheinlich, da? der Kommandant ihn verantwortlich machen wurde, wenn der Horizont bei Tagesanbruch so leer wie zuvor blieb.

Eine stammige Gestalt schlurfte an Deck nach Lee, und Poland horte, wie Waschwasser uber Bord geschuttet wurde. Das war der Bootsfuhrer ihres Passagiers, ein kraftiger, vierschrotiger Mann namens John Allday. Einer, der vor niemandem Respekt hatte, au?er vor seinem Vizeadmiral. Wieder empfand Poland Zorn — oder Neid. Er dachte an seinen eigenen Bootsfuhrer, der zwar so geschickt und verla?lich war, wie man es sich nur wunschen konnte, ein Mann, der sich von den Bootsgasten nichts vormachen lie?. Aber er war ihm kein so guter Freund, wie es Allday fur den Admiral zu sein schien. Na ja, ein Bootsfuhrer war eben nur ein gemeiner Seemann.

Scharf rief er:»Der Admiral ist wach und wird bald erscheinen. Purren Sie die Achterdeckswache heraus — und dann alle Mann an die Brassen!»

Williams, seiner Erster Offizier, kletterte den Niedergang hoch und versuchte, gleichzeitig den Mantel zuzuknopfen und den Hut auszurichten, als er den Kommandanten bereits an Deck sah.»Einen guten Morgen, Sir!»

«Das will ich auch hoffen«, antwortete Poland kuhl.

Die Leutnants sahen sich an und grinsten hinter seinem Rucken. Poland war Realist im Umgang mit der Besatzung, besa? aber kaum Humor. Seine Richtlinien fand er gleicherweise in der Bibel wie in den Kriegsartikeln.

Die Pfeifen schrillten zwischen den Decks, und die Wache kam uber die feuchtglanzenden Planken getrabt. Jeder eilte auf seine Manoverstation, wo die Unteroffiziere mit ihren Listen standen und die Bootsmannsgehilfen darauf warteten, Schlafmutzen mit Tampen oder Rohrstock anzutreiben. Sie alle wu?ten, wer der beruhmte Passagier war, der die meiste Zeit achtern in Polands Kajute geblieben war.

«Da geht sie auf, Leute!»

«Notieren Sie den Mann zur Bestrafung«, bellte Poland. Aber er sah doch hin und bemerkte das erste zarte Gluhen der Morgensonne, das die Flaggleinen und den Wimpel im Masttopp beruhrte, dann nach unten flo? und die Wanten lachsrosa einfarbte. Bald wurde das Licht uber die Kimm fluten, sich ausbreiten und den ganzen Ozean beleben. Aber Poland war das gleichgultig. Zeit, Entfernung, geloggte Geschwindigkeit — nur sie bestimmten seinen Alltag.

Allday lehnte sich gegen die feuchten Finknetze. Sie wurden vollgestopft mit Hangematten sein, wenn das Schiff erst auf dem neuen Kurs lag. Land voraus? Wahrscheinlich. Doch Allday spurte Kapitan Polands Unrast, so wie er sich auch seiner eigenen Angste bewu?t war. Gewohnlich war er froh, ja sogar erleichtert, das Land verlassen und wieder an Bord eines Schiffes gehen zu konnen. Aber diesmal war es nicht so gewesen.

Allday hatte gehort, wie man an Bord uber den Mann sprach, dem er diente und den er liebte wie sonst niemanden. Nein, die

Es war am 15. Oktober geschehen, vor weniger als vier Monaten. In seinem Herzen spurte er immer noch das Krachen jener furchterlichen Breitseiten, die Schreie, den Wahnsinn und dann… Der alte Schmerz zuckte durch seine Brust, und er griff nach ihm mit der Faust, schluckte Luft und wartete darauf, da? er aufhorte. Das war in einem anderen Ozean, einer anderen Schlacht gewesen, aber eine brennende Erinnerung an ihr gemeinsames Schicksal. Allday ahnte, was Poland hinter seiner regungslosen Miene dachte. Manner wie er konnten Richard Bolitho nie verstehen. Sie wollten es auch gar nicht.

Allday rieb sich die Brust und grinste. Ja, sie beide hatten viel gesehen und viel zusammen erlebt, Vizeadmiral Sir Richard Bolitho und er. Das Schicksal hatte sie zusammengesplei?t. Allday wischte sich Gischtflocken aus dem Gesicht und schuttelte den langen geteerten Zopf uber seinem Kragen. Die meisten Leute glaubten wahrscheinlich, da? es Bolitho an nichts mangelte. Seine letzten Ruhmestaten wurden in den Hafen und Kneipen Englands besungen, und Charles Dibdin oder einer seiner Freunde hatte sogar eine Ballade daruber komponiert:»Wie die

uns den Weg freischo?…«Das waren die Worte eines sterbenden Matrosen gewesen, dessen Hand Bolitho an jenem schrecklichen Tag bis zuletzt gehalten hatte, obwohl er gleichzeitig an hundert anderen Stellen benotigt wurde.

Nur die, die an seinen Gefechten teilgenommen hatten, wu?ten, wie Bolitho wirklich war. Sie kannten die Kraft und die Hingabe des Mannes mit den goldenen Schulterstucken, der seine Leute auch dann noch begeistern konnte, wenn sie halb wahnsinnig waren oder taub vom hollischen Larm der Schlacht. Der sie Mut fassen lie?, selbst im Angesicht des sicheren Todes. Trotzdem blieb Bolitho ein Au?enseiter, uber den die Londoner Gesellschaft die Nase rumpfte und in den Kaffeehausern Geruchte verbreitete. Allday richtete sich seufzend auf. Der Schmerz kam nicht wieder. Die Schwatzer waren alle uberrascht gewesen, wenn sie gewu?t hatten, wie wenig Bolitho sich darum scherte. Er horte Polands kurzes Kommando:»Einen guten Mann nach oben, wenn ich bitten darf!»

Allday fuhlte fast Mitleid mit dem Ersten, als der antwortete:»Bereits geschehen, Sir. Ich habe einen Gehilfen des Masters in den Fockmast geschickt, als die Wache an Deck kam.»

Beim Weggehen funkelte Poland den mu?igen Bootssteurer des Admirals an.»Nur die Achterdeckswache und meine Offiziere durfen hier. «Aber er verschluckte den Rest und trat zum Kompa?.

Allday stapfte den Niedergang hinunter und tauchte wieder in die Geruche und Gerausche des Schiffes ein: Teer, Farbe, Tauwerk und Salz. Er horte gebellte Kommandos, das Quietschen von Spieren und Blocken, das Stampfen Dutzender nackter Fu?e, als die Manner ihre Kraft gegen den Druck von Wasser und Wind warfen und das Schiff uber Stag ging, auf den neuen Kurs.

An der Tur zur Achterkajute stand der Posten der Seesoldaten steif unter einer wild tanzenden Lampe. In seinem roten Rock kippte er fast um, als das Ruder hart ubergelegt wurde. Allday nickte ihm zu und stie? die Lamellentur auf. Er mi?brauchte seine Vorrechte selten, aber es machte ihn stolz, hier nach eigenem Willen kommen und gehen zu konnen. Wieder etwas, das Kapitan Poland argerte, dachte er und kicherte. Fast stie? er mit Ozzard zusammen, Bolithos schmachtigem Steward, der sich mit ein paar Hemden zum Waschen davondruckte, grau und unauffallig wie ein Maulwurf.»Wie geht's ihm?»

Ozzard sah sich um. Hinter den Schlafstellen und Polands Schwingkoje lag die Kajute fast noch im Dunkeln — bis auf eine einsame Laterne. Er murmelte:»Hat sich nicht bewegt. «Dann war er verschwunden: verla?lich, verschwiegen und immer da, wenn er gebraucht wurde. Ozzard brutete wohl immer noch uber seinem Verhalten an jenem Tag im Oktober, als die alte

zwar den Kampf gewonnen, aber danach untergegangen war. Nur Allday wu?te, da? Ozzard vorgehabt hatte, mit ihr zu sterben, mit all den Toten und Verwundeten. Der Grund dafur war sein Geheimnis. Ob Bolitho ihn ahnte?

Dann sah er Bolithos bleiche Gestalt vor den breiten Heckfenstern. Er sa? auf der Bank, ein Knie angezogen, und sein Hemd leuchtete wei? vor dem bewegten Wasser drau?en.

Allday sagte unsicher:»Ich hole noch eine Laterne, Sir Richard.»

Bolitho wandte den Kopf, aber seine grauen Augen blieben im Schatten.»Es wird bald hell genug sein, mein Freund. «Unwillkurlich beruhrte er sein linkes Augenlid.»Wir werden heute wohl Land sichten.»

So ruhig gesagt, dachte Allday, und doch mu?ten ihm Kopf und Herz von Erinnerungen uberquellen, von guten und bosen. Aber seine Stimme verriet nichts davon, auch nichts von der Sehschwache seines linken Auges.

«Wenn nicht, wird Kapt'n Poland gottslasterlich fluchen, darauf wette ich«, sagte Allday.

Bolitho lachelte und wandte sich wieder der See zu, die ums Ruder kochte, als wurde gleich ein gro?er Fisch das Wasser durchsto?en, um nach der Fregatte zu schnappen. Er liebte die Morgendammerung auf See. Auf so vielen und so unterschiedlichen Gewassern hatte er sie erlebt, von den stillen blauen Tiefen der gro?en Sudsee bis zu den wutenden grauen Wusten des Atlantiks. Jedes Meer hatte sich ihm so unverwechselbar eingepragt wie die Schiffe und die Manner, die sich mit ihm gemessen hatten.

Er hatte gehofft, da? der neue Tag ihm Befreiung bringen wurde von seinen bohrenden Gedanken. Ein gutes, sauberes Hemd, eine grundliche Rasur von Allday — danach fuhlte er sich meist wohler. Aber diesmal nicht.

Wieder horte er die Pfeifen schrillen und konnte sich leicht die systematische Hektik an Deck vorstellen, als die Segel getrimmt und Brassen und Fallen dichtgeholt wurden. Insgeheim wurde er wohl immer der Fregattenkapitan bleiben, der er einst gewesen war, als Allday an Bord kam, geschnappt von einem Pre?kommando. Seit damals hatten sie viele tausend Meilen gesegelt und zu viele Manner verloren: Gesichter, so schnell weggewischt wie Kreidestriche von einer Tafel.

Bolitho sah das erste Licht auf den Wellenkammen; zu beiden Seiten des Ruders teilte sich golden der Schaum, als die Morgensonne uber die Kimm zu steigen begann. Da stand er auf und stutzte sich aufs Fenstersull, um der See ins Gesicht zu blicken.

Er erinnerte sich, als sei es gestern gewesen, an den Admiral, der ihm den verha?ten Befehl gegeben hatte. Vergeblich hatte er protestiert, es war das einzige Kommando, das ihm die Admiralitat nach seinem schrecklichen Fieber zugebilligt hatte.

«Schlie?lich waren Sie doch einmal Fregattenkapitan, Bolitho. «Ja, aber vor zwolf Jahren — oder noch langer! Am Ende hatte man ihm die alte

geben mussen und das wohl auch nur wegen der blutigen Revolution in Frankreich und wegen des Krieges, der ihr folgte und bis zu diesem Tag tobte.

Die

wurde das wichtigste Schiff seines Lebens. Viele hatten an seiner Urteilsfahigkeit gezweifelt, als er sich den alten Vierundsiebziger als Flaggschiff erbat. Aber sie schien die richtige Wahl zu sein, die einzige. Und nun war sie im letzten Oktober gesunken, nachdem sie im Mittelmeer Bolithos Geschwader gegen eine viel starkere Streitmacht spanischer Schiffe angefuhrt hatte, die sein alter Feind, Admiral Don Alberto Casares, kommandierte. Es war ein verzweifeltes Gefecht gewesen, und von den ersten Breitseiten an war der Ausgang vollig ungewi?. Obwohl es unmoglich schien, hatten sie die Spanier schlie?lich doch geschlagen und sogar einige Prisen mit nach Gibraltar gebracht.

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