Nebenan war Alldays tiefe Stimme zu horen, der einem von Tyackes Mannern half, das Essen fur die Offiziere zu holen.
«Bei Ihrer Erfahrung, Mr. Tyacke, sollten Sie ein gro?eres Schiff kommandieren. «Bolitho sah, wie der andere sich verschlo?.»Sie hatten langst befordert werden mussen.»
Tyackes Augen blitzten.»Man hat mir's angetragen, Sir, aber ich habe abgelehnt. «Das klang wie Trotz.»Die
Die beiden verlie?en die Kajute, und Tyacke beobachtete beim Essen insgeheim Bolitho, der das fette Schweinefleisch wie eine gro?e Delikatesse verzehrte. Was war der Admiral blo? fur ein Mann? Simcox hatte ihn das immer wieder gefragt. Aber wie sollte er ihm begreiflich machen, da? Bolitho keine bohrenden Fragen stellte, obwohl er es bei seinem Rang gedurft hatte? Und wer konnte die Freundschaft zwischen Allday und Bolitho erklaren?
Tyacke dachte an Simcox' Wunsch, go? lachelnd zwei Glaser Madeira ein und sagte:»Bier wurde uns gut tun, Sir, wenn wir es hier irgendwo bekommen konnten.»
Bolitho hob das Glas gegen das Licht und starrte es an. Aber es war das Glas, das beschlug, sein Auge blieb klar.»Bier? Naturlich. Ich werde Ihren Wunsch den Kameraden vom Heer ubermitteln. Wenigstens das konnten sie ja fur uns tun. «Wieder hob er sein Glas und fragte:»Heute ist doch Samstag, nicht wahr? Also trinken wir einen Toast!»
«Auf Freundinnen und Frauen, Sir?»
Bolitho beruhrte das Medaillon unter seinem Hemd.»Auf alle, die wir lieben. Mogen sie Geduld haben mit uns.»
Tyacke trank schweigend mit. Er wu?te niemanden, dem sein Leben oder Sterben etwas bedeutet hatte.
Bolithos Gedanken aber waren in diesem Augenblick weit weg im heimatlichen Cornwall.
Allday wischte das blitzende Rasiermesser sauber.»Das war's, Sir Richard. Zu mehr ist das Wasser auf diesem Schiff nicht zu gebrauchen. «Er lie? seiner Verachtung freien Lauf.»Das nachste Mal steigen wir dann auf einen Fischerkahn um, konnte ich mir vorstellen.»
Bolitho seufzte und schlupfte in das zerknitterte Hemd. Den Luxus frischer Wasche vermi?te er hier am meisten. Er sah Morgenlicht durchs Skylight sickern und machte sich uberrascht klar, da? er diese Nacht fest durchgeschlafen hatte.
Allday reichte ihm Kaffee.»Nicht gut mit diesem Wasser. «Wie schaffte es Allday blo?, ihn zu rasieren in diesem schwankenden Raum, in dem er sich nicht einmal aufrichten konnte? In all den Jahren hatte Allday ihn nie geschnitten. Aber mit dem Kaffee hatte er recht. Er mu?te wirklich Bier anfordern, das wurde helfen, bis sie frisches Wasser bunkern konnten.
Eigentlich hatte Commodore Warren sich darum kummern mussen, doch der war wohl schon jenseits von allem. Bolitho schob den Kaffee zur Seite.
An Deck horte er Pumpen quietschen und Wasser platschern: Die Mannschaft machte rein Schiff. Auf diesem kleinen Schoner waren alle Gerausche sehr nahe.
«Ich gehe nach oben«, sagte er und rieb sich den Kopf, weil er an einen Decksbalken gesto?en war.
Allday klappte das Rasiermesser zusammen.»Ein Pi?pott, mehr nicht. «Murrend folgte er Bolitho an Deck.
Im feuchten Morgenwind ging Bolitho zum Kompa?hauschen. Uberall arbeiteten Manner, schrubbten das Deck, arbeiteten in den Webleinen oder besserten das laufende Gut aus, wo immer es nach der windigen Nacht notig war.
Tyacke gru?te.»Guten Morgen, Sir. Unser Kurs ist Sudost zu Sud. «Er deutete uber das Schanzkleid.»Das Kap liegt vier Meilen voraus. «Er lachelte stolz.»Naher wurde ich nicht unter Land gehen, denn auf die Tiefenangaben in der Karte kann man sich hier nicht verlassen. Wo es abgrundtief sein soll, entdeckt man plotzlich
Riffe.»
Bolitho drehte sich um und sah, wie jedermann an Deck schnell wegschaute. Tyacke merkte es.»Machen Sie sich bitte nichts daraus, Sir. Der ranghochste Offizier, der bisher an Bord kam, war — mit Verlaub — der Kommandeur der Wache in Gibraltar.»
Simcox gesellte sich zu ihnen.»Es klart auf, Sir. «Das war eine vollig unnotige Bemerkung, doch Bolitho wu?te, da? sich Simcox in seiner Gegenwart genauso gehemmt fuhlte wie die ganze Besatzung.
«Wann werden Sie Master, Mr. Simcox?»
Der Mann wand sich.»Wei? nicht, Sir. «Er sah zu Tyacke hinuber, und Bolitho begriff: Simcox wurde als Master auf ein anderes Schiff versetzt werden, dann blieb Tyacke allein auf der
Bolitho nickte. War das eine gutgemeinte Warnung? Wenn feindliche Kriegsschiffe hinter dem vorspringenden Kap lagen — wurden sie wegen eines zerbrechlichen Schoners auslaufen? Kaum. Andererseits war auch die
nur ein Schoner gewesen, und trotzdem hatte sich die franzosische Fregatte uber sie hergemacht.
Tyacke setzte sein Teleskop ab.»Alle Mann an Deck, Ben!«Simcox' Vorname war ihm wohl aus Versehen entschlupft.»Wir wenden und laufen rechtweisend Ost. «Er sah Bolitho an.»In die Hohle des Lowen!»
Bolitho blickte zum Stander des Kommandanten hoch.»Anders geht's nicht, Mr. Tyacke, aber bringen Sie das Schiff nicht unnotig in Gefahr.»
Die Besatzung rannte an Brassen und Schoten, loste Belegnagel, warf Leinen los und tat das alles so sicher und flink, da? kein Ruf oder Ruch sie antreiben mu?te. Der Himmel wurde schnell heller. Bolitho fuhlte, wie sein Magen sich beim Gedanken an seinen nachsten Schritt zusammenzog. Allday, der in der Nahe des Rudergangers stand, musterte ihn besorgt, denn er wu?te, da? der Admiral gleich aufentern wurde.
Als Bolitho im Alter von achtzehn Jahren Leutnant geworden war, hatte ihn das endlich befreit von einer Pflicht, die er furchtete und ha?te wie keine zweite: in die Webleinen aufzuentern, wenn Alarm geschlagen wurde, oder wenn er aus einem anderen Grund in den Ausguck mu?te. Denn an die Hohe hatte er sich nie gewohnen konnen. Er hatte sich oben stets verzweifelt an einen Halt geklammert und die Manner bewundert, die nichts von dem Schiff unter sich zu sehen schienen und nur in die Ferne spahten. Er hatte
Manner einen schlimmen Tod sterben sehen, wenn der Sturm sie von Rahen oder Stagen ri? oder tobende Leinwand sich nicht einfangen lie?. Andere waren noch lebend in die See gesturzt und hatten beim Auftauchen ihr Schiff erbarmungslos davonsegeln sehen. Es war wirklich kein Wunder, da? junge Manner sich versteckten, wenn an Land die Pre?kommandos unterwegs waren.
«Klar zum Wenden!«Tyacke wischte sich mit dem Handrucken uber das zerstorte Gesicht und musterte seine Manner, den Stand der Segel, den Wind.»Hol dicht! Ruder nach Lee! Gut so. Da geht sie durch den Wind! Fier auf! Gut so. Tom, ein Mann mehr an die Vorbrasse.»
Die Schatten von Gro?- und Stagsegel huschten ubers Deck. Die Pinne wurde gelegt, Leinwand knallte protestierend. Bolitho fuhlte, wie er ausrutschte, sah die See unter der Leereling schaumen und das hugelige Land weit vor dem Bug auswandern.»Die dreht ja auf dem Teller«, horte er Allday hinter sich bewundernd sagen. Aber das Kompliment bekam keiner au?er ihnen beiden mit.
«Stutzruder! Gut so. Fall ab einen Strich.»
Der alteste Ruderganger meldete dem Kommandanten:»Neuer Kurs Ost zu Nord liegt an, Sir.»
«Gut so. «Tyacke starrte nach oben.»Schicken Sie ein paar Manner hoch, um das Marssegel zu reffen, Mr. Simcox. «Er grinste.»Bei diesem Wind konnten wir es sonst verlieren.»
Die beiden Masten des Schoners tanzten und lehnten sich dann unter dem Druck des Windes weit nach Lee uber.»Ein Glas, bitte«, befahl Bolitho.»Ich will vorne aufentern. «Er ubersah Alldays stummen Protest.»An Land wird es so fruh nicht allzu viele neugierige Augen geben.»
Er ging nach vorn, schatzte das Stampfen des Bugs ab, zog sich aufs Schanzkleid und begann, in den Webleinen emporzuklettern. Hoher und hoher stieg er und zwang sich, nicht nach unten zu blicken. Was mochte die Besatzung wohl von ihm denken? Ein Vizeadmiral, der sich in den Webleinen nach oben zog! Der Ausguck im Mast hatte ihn die ganze Zeit beobachtet und begru?te ihn, als er atemlos oben ankam, mit:»Schoner Tag heute, Sir Richard.»
Bolitho klammerte sich an ein Stag und wartete, bis sein Herz wieder ruhiger schlug; als man ihn das letzte Mal nach oben gehetzt hatte, war er Midshipman gewesen. Dann wandte er sich an den
Ausguck:»Sie kommen aus Cornwall, nicht wahr?»
Der Mann nickte grinsend. Anscheinend hielt er sich nirgendwo fest.»Aus Penzance, Sir.»
Bolitho zerrte das Teleskop nach vorn. Hier oben trafen sich also zwei Manner aus demselben Landstrich. Es dauerte eine Weile, bis er sich an das Stampfen des Schoners gewohnt hatte und das Glas ruhig halten konnte. Dann sah er eine Huk, scharf vorspringend, Gischt wirbelte vor ihr hoch — ein Riff also, wie Tyacke vorhergesehen hatte.
Es war inzwischen so warm, da? sein Hemd am Rucken klebte. Deutlich sah er den Verlauf der Stromungen unter dem Kap. Sie vermischten sich miteinander, brachen sich und schickten ihre Auslaufer auf das Land zu. Hier trafen sich zwei Ozeane, der Atlantik und der Indische Ozean. Hier offnete sich die Ferne, das Tor nach Indien, nach Ceylon, nach New South Wales. Darum war Kapstadt so wichtig. Wie Gibraltar zum Mittelmeer, so war Kapstadt der Schlussel zum Indischen Ozean.
«Schiffe, Sir. An Backbord.»
Bolitho fragte nicht, wie der Mann sie ohne Fernglas entdeckt hatte. Man wurde als guter Ausguckposten geboren, konnte diese Kunst nicht erlernen. Bolitho hatte solche Manner immer bewundert. Sie entdeckten von oben gefurchtete Brecher, vor denen keine Karte warnte. Mancher Kapitan hatte so sein Schilf und das Leben seiner Mannschaft retten konnen.
Bolitho wartete, bis er mit dem Glas die Schiffe eingefangen hatte. Es waren zwei, die da vor Bug- und Heckanker lagen. Das sah aus, als sollten sie als wehrhafte Batterie gegen einen Angreifer von See her dienen.
«Es sind hollandische Kauffahrer aus Indien, Sir.»
Bolitho nickte. Wie die Ostindische Kompanie Englands besa? auch ihr hollandisches Gegenstuck gut bemannte und bewaffnete Handelsschiffe, die sich gegen Kaperer wehren und manches Kriegsschiff in die Flucht jagen konnten. Die Schiffe hier stellten eine Gefahr dar. Sie hatten wahrscheinlich Truppen und Nachschub nach Kapstadt gebracht und warteten jetzt auf weitere.
Bolitho sah nach unten und erschrak. Der Mast lag so weit uber, da? unter ihm nur Wasser war und er seinen eigenen Schatten uber die Wellen gleiten sah.
«Sie konnen halsen, Mr. Tyacke!«Hatte man ihn gehort? Doch die Manner liefen schon auf ihre Manoverstationen.
Plotzlich sprang eine Wassersaule vor ihnen aus der See, und Sekunden spater horte Bolitho das Echo eines Kanonenschusses. Woher kam der? Er lag zu nahe, als da? er ignoriert werden konnte.
Bolitho wollte schon nach unten klettern, als der Ausguck ihm zurief:»Da ist noch ein drittes Schiff, Sir.»
Bolitho setzte das Glas wieder an. Er mu?te sich beeilen, denn schon tobte der Kluver und knallte wie wild, wahrend unten Ruder gelegt wurde. Dann sah er — trotz der schnellen Bewegungen der
Albacora
Bolitho tippte dem Ausguck auf die Schulter.»Bewahren Sie sich Ihre guten Augen. «Dann begann er seinen Abstieg, ohne die Antwort des Mannes abzuwarten.
Tyacke unten horte ihm genau zu, dann sagte er:»Die konnten versuchen, unser Geschwader zu spalten.»
«Zu spalten, bis sie Verstarkung bekommen. Das denke ich auch. Bitte versuchen Sie, so schnell es geht zum Geschwader zuruckzusegeln. Danach werden wir auch mit dem General reden mussen. Sir David wird das alles gar nicht gern horen.»
Tyacke trat zur Seite, rief Befehle, uberwachte Kompa? und Ruder, wahrend Simcox auf der Schiefertafel den neuen Kurs berechnete.
Neben den Luvwanten traf Bolitho auf Allday.
«Ist Ihnen die Gro?e der Kanonenkugel aufgefallen, Sir Richard? Die wurde von einem Fort abgeschossen, nicht von der Fregatte. Wir brauchen mehr Schiffe, und selbst dann wird's nicht leicht.»
Allday seufzte. Seine Wunde schmerzte ihn wieder, er rieb sich die Brust.
Bolitho sah ihn freundlich an.»Ich mochte nicht, da? hier Manner sinnlos fallen. Wir segeln zuruck. Es gibt nur einen Weg zu beiden Zielen, und wenn wir den verpassen, vermasseln wir alles.»
Tyacke stand in Lee, als Simcox nahertrat, sich das Gesicht mit einem roten Tuch wischend.»Das eben war nur knapp vorbei, James.»
Tyacke sah, da? Bolitho Allday die Hand auf die Schulter legte. Der jugendliche Vizeadmiral in seinem nassen Hemd und den teerbeschmierten Strumpfen lachte so lange, bis endlich auch sein Bootsteurer grinsen mu?te.
«Wir haben's noch lange nicht geschafft, Ben. «Tyacke verspurte Erleichterung, als das Land hinter ihnen im Dunst verschwand.»Aber wenn es so weit ist, werden unsere Manner nicht schlechter kampfen als die anderen. Obwohl es ihr erstes Gefecht sein wird.»
Doch Simcox horte ihn nicht mehr, er war schon wieder bei seinen Leuten.
V Wofur sie sterben mussen
«Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Sir Richard?«Der junge Hauptmann starrte Bolitho entgegen, der den sanft ansteigenden Strand emporstieg, als sei er gerade von einem anderen Stern gekommen.
Bolitho sah sich um. In der Bucht ankerten die englischen Schiffe dicht an dicht und zwischen ihnen und dem Festland waren alle Arten von kleinen Booten unterwegs. Einige setzten rotgekleidete Infanteristen ab, die durch das flache Wasser an Land wateten, andere waren so schwer mit Waffen und Ausrustung beladen, da? sie zu kentern drohten.
Bolitho sah seine Gig hastig zur Miranda zuruckkehren. Tyacke war sicher froh, wenn er diese Bucht wieder verlassen konnte.
Hier an Land war es um vieles hei?er als an Bord, wie kochender Dunst stieg die Hitze aus der Erde. Bolitho fluchte, denn er trug seine Ausgehuniform und seinen goldbetre?ten Hut fur diesen Besuch beim Heer. Wahrend er dem jungen Offizier folgte, versuchte er einzuschatzen, wie weit die Truppen bei ihrer Landung gekommen waren. Es wimmelte hier von Soldaten. Einige schleppten Kanonenkugeln und Pulverfasser den Strand hinauf, andere marschierten in geschlossenen Formationen auf die Hugel zu. Man schaute ihm neugierig nach, doch seine Rangabzeichen besagten hier nichts. Einige Soldaten waren braungebrannt vom Garnisonsdienst in Indien, anderen sah man die Rekruten schon von weitem an. Aber alle schwitzten furchterlich in ihren roten Rocken und waren mit Waffen und Gepack schwer behangt.