«Das wurde ich jedenfalls machen. «Bolitho packte seinen Degen, lie? ihn aber entmutigt wieder in die Scheide gleiten. Die Waffe schien seine Hilflosigkeit nur noch zu betonen. Wie sollte er das Belinda beibringen? Der Gedanke, wieder Kriegsgefangener zu sein, war ihm unertraglich. Dann schon lieber sterben.
«Und wenn sie uns entern?«fragte Hallowes.
«Dann setzen Sie das Schiff in Brand«, erwiderte Bolitho ruhig. Er spurte, da? seine Worte den jungen Leutnant hart trafen.»Es gibt keine einfache Losung, Leutnant. Der Feind darf
nicht als Prise in die Hand bekommen. «Er zog ihn naher heran, damit die anderen ihn nicht horen konnten.»Streichen Sie wenn notig die Flagge, um die Mannschaft zu retten. Aber versenken Sie das Schiff. «Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.
Als Hallowes endlich antwortete, klang seine Stimme fest und entschlossen.»Ich werde Sie nicht im Stich lassen, Sir.»
Bolitho wandte sich ab, um seine Qual zu verbergen.»Das wu?te ich, als ich Sie fur dieses Kommando empfahl.»
Er dachte an Keen und wu?te, da? er das Geschwader kompetent fuhren wurde. Eines Tages wurde auch er eine Admiralsflagge setzen konnen.
«Ich hab' was gehort«, murmelte ein Mann.»Ein Poltern von Riemen.»
«Die beiden haben ein Boot«, sagte Hallowes.
Der Ruf scholl ubers Wasser und schien wie ein Echo uber dem sanft bewegten Deck zu hangen.
«Sheaffe hat sie gesehen!»
Ein Schu? fiel.
«Prachtig, dieser Narr hat ihre Position verraten, Sir. «Stayt schien so aufgeregt und mordlustig, wie Keen ihn auf dem Straflingsschiff erlebt hatte.»Sie kommen naher. «Stayt mu?te sich geduckt haben, um in Hohe der Schanzkleidkante die dunklen Schatten auf dem Wasser auszumachen.»Mindestens drei Boote, Sir.»
Gemurmel an Deck, und Okes knurrte:»Ruhe!»
Bolitho horte das metallische Klicken einer Drehbasse, die gesenkt wurde, und hier und dort das Quietschen einer Handspake, als ein Vierpfunder gerichtet wurde. Jede Mundung wies blind in die Finsternis.
«Bankart, komm zu mir«, sagte Bolitho. Er spurte den jungen Seemann neben sich wie sonst Allday.»Du sollst mir die Augen ersetzen. «An Stayt gewandt, fugte er hinzu:»Ubernehmen Sie den Befehl auf dem Vorschiff. Kappen Sie die Ankertrosse, wenn es sein mu?. «Er horte, wie Stayt sich entfernte, und kam sich ohne ihn plotzlich verlassen vor.
Er dachte an das Madchen, das Keen aufs Flaggschiff gebracht hatte, an seinen Blick, wenn er ihren Namen erwahnte. Wenn
VII Streichen oder sterben?
Das Knallen von
Vierpfundern war ohrenbetaubend. Da sie von Land umgeben waren, hallte es von allen Seiten wider, als lieferten sich zwei Schiffe ein Gefecht.
Bolitho packte Bankarts Arm.»Los, rede!»
Bankart berichtete, da? die Kartatschengeschosse wie stahlerne Dreschflegel in das erste franzosische Boot gefahren waren. Er konnte gerade noch aufsteigende wei?e Gischt ausmachen und den jahen Lichtblitz einer explodierenden Laterne, ehe die Nacht alles wieder verhullte.
«Nur ruhig Blut, Jungs!«schrie Hallowes.»Auswischen und nachladen!»
Bolitho neigte den Kopf und horte jemanden schreien, andere brullend im Wasser um sich schlagen. Sie mu?ten mit ihrer Breitseite eines der Boote vollig vernichtet haben. Eine einsame Stimme brullte Befehle.
«Die Boote verteilen sich, Sir«, flusterte Bankart.
«Schade, da? sie nicht versuchen, ihre Kameraden zu retten«, grollte Okes.»Mit der nachsten Breitseite hatten wir sie dann erwischt.»
«Batterie klar zum Feuern, Sir!»
«Feuer!«Geschutz nach Geschutz brullte auf, und die Manner husteten und wurgten, als der Pulverdampf binnenbords geweht wurde. Bolitho griff nach seinem Verband. Durch ihn hindurch hatte er Licht gesehen. Nicht viel, eher wie Blitze hinter einem Vorhang. Aber immerhin etwas.
Musketenkugeln pfiffen uber sie hinweg, einige trafen den Rumpf. Den vom Mundungsfeuer geblendeten Offizieren fiel es nun schwerer, die feindlichen Boote auszumachen.
«Was siehst du?«fragte Bolitho.
Bankart berichtete:»Eines lauft an Steuerbord direkt auf uns zu, Sir.»
Bolitho umklammerte seinen Degen so fest, da? der Schmerz ihn beruhigte. Er horte, wie um ihn herum Manner flusterten, Entermesser zischend gezogen wurden, wie man Piken an die Geschutzbedienungen ausgab.
«Ziel auffassen!»
Wieder und wieder zerfetzten die Vierpfunder die Nacht, und ihre Geschosse peitschten das Wasser. Doch keines fand ein Ziel.
«Ich habe im Mundungsfeuer ein franzosisches Boot ganz nahe gesehen, Sir!«sagte Bankart aufgeregt.
Bolitho wandte den Kopf. Wo waren die anderen?
«Enterer abwehren!«Hallowes brullte wie damals, als er mit Adam die
Ein Mann prallte gegen ihn. Bankart zerrte Bolitho beiseite.»Zuruck, Sir! Den hat's erwischt!»
«Nach Backbord, Jungs!«brullte jemand.
Bolitho bi? die Zahne zusammen, als um ihn herum weitere Kugeln einschlugen. Wie erwartet, horte er ein Boot krachend gegen das Heck prallen. Die Schreie und Fluche der Enterer und Verteidiger steigerten sich noch, als sie mit Klingen, Axten und Piken in den Nahkampf gingen; zum Nachladen war keine Zeit geblieben. Bolitho wurde erneut beiseitegesto?en, zwei Gestalten kampften miteinander, wahrend er sich ans Schanzkleid pre?te. Er erwartete nun jeden Augenblick den Hieb oder Stich einer Klinge. Ein Mann schrie fast vor seinem Gesicht; er konnte sein Entsetzen, seinen Schmerz spuren, ehe ein gra?lich dumpfer Schlag ihn zum Schweigen brachte. Wie oft hatte Allday ihn so beschutzt, einem Angreifer mit dem Entermesser den Schadel gespalten.
«Danke, Bankart«, sagte er.
Stayt keuchte:»Ich bin's, Sir. Sah aus, als waren Sie umzingelt. «In Hufthohe knallte eine Pistole, und Stayt sagte grimmig:»Da, du Dreckskerl!»
«Sie weichen zuruck!»
Jemand stie? ein heiseres Hurra aus, und Bolitho horte Manner polternd in ein Boot fallen und andere in dem Versuch, den wutenden Englandern zu entkommen, ins Wasser springen.
«Weg da, Trottel!«brullte Okes.»La? mich an die Drehbasse!»
Bolitho horte Riemen schlagen und wu?te, da? er nun direkt auf eines der franzosischen Boote hinabschauen konnte — wenn er Augen zum Sehen gehabt hatte.
Stayt zog ihn am Arm zuruck.»Vorsicht!»
Die Drehbasse ging mit einem gewaltigen Knall los. Einen Sekundenbruchteil zuvor hatte Bolitho geglaubt, einen flehenden Schrei gehort zu haben, als ein Franzose erkannte, was Okes vorhatte.
«Da unten kann keine Seele mehr am Leben sein«, sagte Stayt leise. Bolitho, dem die Explosion noch in den Ohren klang, verstand ihn kaum.
Eine Pfeife schrillte, und er horte Hallowes rufen:»Feuer einstellen!«Dann, mit fast brechender Stimme:»Gut gemacht, Jungs!»
«Wir haben ein paar Manner verloren«, berichtete Stayt.»Aber nicht zu viele.»
«Ruhe an Deck!»
Die jahe Stille war fast noch schlimmer. Bolitho horte Verwundete stohnen und schluchzen. Wie sollte ihnen ohne Schiffsarzt geholfen werden?
In der Ferne klatschten Ruder ins Wasser — es war also noch ein weiteres Boot dagewesen, vielleicht sogar mehrere. Ohne Sheaffes Warnung hatten die Franzosen den Kutter uberrannt.
Leute brachen immer wieder in Hochrufe aus. Bolitho spurte, wie der Schmerz zuruckkehrte, und hatte gern den Kopf in den Handen vergraben. Aber er ahnte, da? Stayt ihn beobachtete.
«Holen Sie bitte Leutnant Hallowes. «Er unterdruckte ein schmerzliches Aufstohnen.»Wo ist Bankart?»
«Irgendwo«, erwiderte Stayt beilaufig. Mehr sagte er nicht.
Hallowes trat vor Bolitho hin.»Hier bin ich, Sir.»
Bolitho tastete nach seiner Schulter.»Das war tapfer.»
«Ohne meine Manner…«sagte Hallowes heiser.
Bolitho schuttelte ihn sanft.»Die Manner waren tapfer, weil sie Achtung vor Ihnen haben. Sie haben sie gefuhrt, die Mannschaft folgte nur, wie sie es gelernt hat.»
Hallowes schwieg, und Bolitho wu?te warum. Er lernte den Stolz und die Pein eines Befehlshabers kennen.
«Die Franzosen kommen bestimmt zuruck«, sagte Hallowes.
«Heute nacht nicht mehr. Dank Sheaffe waren ihre Verluste zu hoch.»
Hallowes' Stimme klang, als grinse er.»Mit Verlaub, Sir, es war
Stayt kehrte zuruck und half Bolitho, sich sitzend gegen einen Niedergang zu lehnen. Alles redete durcheinander, Freunde suchten einander, andere sa?en schweigend da und dachten an einen Kameraden, der gefallen oder schwer verwundet war.
Bolitho wu?te, da? sie der Fregatte am nachsten Tag nicht wurden standhalten konnen. Nachdem sie so blutig zuruckgeschlagen worden waren, wurden die Franzosen nun auf Rache aus sein und kein Pardon geben. Er spurte die anderen Offiziere in seiner Nahe. Was wurde Hallowes tun?
«Was raten Sie, Sir?«fragte er.
Bolitho hielt sich die Hand vor die Augen, ha?te den Anblick, den er bieten mu?te.
«Wir mussen einen Ausbruchversuch wagen.»
Hallowes schien erleichtert.»Das wollte ich selbst vorschlagen, Sir.»
Seltsamerweise hatte Bolitho wahrend dieses kurzen, heftigen Gefechts, bei dem er noch nicht einmal Zuschauer gewesen war, vollig die Orientierung verloren. Der Landvorsprung, das Kliff am anderen Ende der Bucht, die Felsenriffe — wo lagen sie?
«Mr. Okes…»
Okes rulpste, und Bolitho roch Rum. Der Mann hatte sich einen wohlverdienten Schluck genehmigt, wie Allday es nennen wurde. Der Gedanke erinnerte ihn an Bankart. Wo war er geblieben? Inzwischen befand er sich wieder in der Nahe; er hatte seine Stimme mehrere Male gehort. Hatte er sich aus Feigheit verkrochen? Im Gefecht hatte jeder Angst. Er dachte an Allday und versuchte den Vorfall wie etwas Schmutziges zu verdrangen.
Okes schwatzte weiter.»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, lasse ich jetzt das zweite Boot holen. Wir konnten
klarwarpen. Der Wind hat etwas ruckgedreht, wenn auch nur wenig, aber unser Prachtstuck braucht ja nicht viel.»
«Danke, Mr. Okes«, sagte Hallowes.»Bitte kummern Sie sich darum.»
Okes ging davon, und Bolitho konnte sich seine dicken Beine in den wei?en Strumpfen vorstellen.»Dieser Mann ist Gold wert«, bemerkte er.
«Die anderen sind fort, Sir«, sagte Stayt.
Bolitho lehnte sich zuruck und versuchte den Schmerz zu ignorieren, an etwas zu denken, das ihn ablenkte. Aber es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Der Schmerz wurde eher schlimmer, und Stayt merkte das. Er fragte leise:»Sollen wir mit den Franzosen verhandeln, Sir? Vielleicht kann ihr Schiffsarzt Ihnen helfen.»
Bolitho schuttelte heftig den Kopf.
«Ich mu?te das erwahnen, Sir. «Stayt stand auf und lehnte sich ans Schanzkleid.»Vergeben Sie mir.»
Er dachte an Bolithos fanatische Entschlossenheit. Wenn der Mann nur schlafen und seinen Schmerzen entgehen konnte!
«Die beiden Boote kommen, Sir!«rief jemand. Bolitho ruhrte sich und verlangte nach Stayts Hand.»Helfen Sie mir auf!»
Stayt seufzte. Vielleicht hielt Bolitho mit dieser Kraft nicht nur sich, sondern auch die ganze Mannschaft zusammen.
Es war etwas Unwirkliches an der Art, wie die erschopfte Mannschaft der
sich anschickte, den Anker zu lichten. Bolitho blieb am Niedergang und versuchte, sich das Deck des Kutters vorzustellen. Unterhalb des langen Bugspriets lagen die beiden Schleppboote bereits in Position, bemannt mit den starksten Seeleuten. Die Lotgasten flusterten auf dem Vorschiff miteinander, und hinter sich horte Bo-litho Okes die Ruderganger vergattern, wahrend Hallowes' Aufmerksamkeit den Segeln galt. Jemand fluchte, weil eine franzosische Kanonenkugel ein Loch ins Bramsegel gerissen hatte, durch das zwei Leute gepa?t hatten.
Er versuchte ruhig zu bleiben, als Manner sich an ihm vorbeidrangten, als existiere er nicht.
Ein Decksoffizier rief gedampft:»Anker ist kurzstag, Sir!«Bolitho frostelte, als eine warme Brise die losen Taljen klappern und das Deck krangen lie?. Laut Hallowes lag der nachste Strand nur eine Kabellange entfernt. Die Franzosen mu?ten dort Manner zuruckgelassen haben und wurden bald erraten, was Hallowes versuchte.
Okes sagte:»Klar bei Halsen und Schoten!«»Hol dicht — fier weg!«rief Hallowes.»Noch zwei Manner an die Backbordbrassen!«»Anker ist frei, Sir.»
Bolitho drehte den Kopf und versuchte, jedem neuen Gerausch ein Bild zuzuordnen. Der Anker wurde aufgeholt und gesichert, das Deck von losen oder gerissenen Leinen klariert. Fast die gesamte Besatzung war nun entweder in den Booten beschaftigt oder hielt sich bereit zu Segelmanovern. Wenn es zum Kampf kam, konnten sie von Gluck sagen, wenn auch nur eine einzige Kanone rechtzeitig feuerte.
Okes zischte:»Abfallen, Junge!«Das Steuer knarrte, und Bolitho horte das ungeduldige Killen eines Segels, an dem der Wind zupfte.
Ein Mann schrie schrill und eindringlich auf, doch seine Stimme klang erstickt, weit entfernt, und Bolitho begriff, da? es sich um einen der Schwerverwundeten unter Deck handelte. Der Schrei wurde hoher, dunner, und Bolitho horte einen Matrosen, der in seiner Nahe arbeitete, einen furchterlichen Fluch aussto?en, in dem er den Unbekannten drangte, doch endlich zu sterben und Ruhe zu geben. Der Schrei verstummte, als hatte der Verwundete die Verwunschung gehort. Zumindest fur ihn war alles vorbei.
«Recht so!«Okes hob die Stimme, als der Kutter Fahrt aufnahm; die Riemen der beiden schleppenden Boote peitschten das Wasser wie Flugel. Nun mu?ten sich die Schlepptrossen aus dem Wasser heben und steifkommen. Sie hatten wieder Ruder im Schiff, und Okes' Stimme klang atemlos und zuversichtlich:»Gut gemacht, Jungs.»
«Wir mussen die erstbeste Durchfahrt nehmen, Sir. «Hallowes war neben ihn getreten.
Bolitho hatte ihn nicht kommen gehort.
«Ich habe Manner am Anker postiert, die ihn sofort werfen, wenn es Arger gibt«, fuhr Hallowes fort und lachte in sich hinein.»Noch mehr Arger.»
«Wie lange kann das dauern?«fragte Stayt.
«Bis wir frei sind«, versetzte Hallowes. Bolitho stellte sich vor, wie er unablassig in die Runde schaute, wahrend sein Schiff qualvoll langsam vorankam. Die Pumpen knarrten. Bolitho vermutete, da?
stark leckte.
«Funf Faden!«rief der Lotgast.
Bolitho dachte an die Zeit, als er mit zwolf Jahren zum ersten Mal auf ein Schiff gekommen war. Wie der kleine Duncannon, dachte er, zu jung zum Sterben. Er konnte sich noch entsinnen, wie die Lotgasten im Nebel vor Land's End die Tiefe ausgesungen hatten. Die Marsstengen und nassen Segel des gro?en Linienschiffes
Supremes
ist zwar klein, Sir, aber in diesen Gewassern kommt sie mir vor wie ein Ungetum.»