Langsseits platschte es, und Bolitho wu?te, da? der seinen Wunden erlegene Seemann ins Wasser geworfen worden war, ohne Gebet, ohne Zeremonie. Doch wenn sie das lebend uberstehen sollten, wurden die Manner an ihn denken, selbst jene, die ihn verflucht hatten, weil er nicht schnell genug gestorben war.
Bolitho hob die Hand an den Augenverband, als neue Schmerzen seine Willenskraft auf die Probe stellten. Sie kamen in Wellen. Wie lange konnte er das noch aushalten? Und was sollte er danach tun?
«Sieben Faden! Sandiger Grund!»
Sie hatten das Lotblei unten mit Talg prapariert, an dem der Sand haften blieb.
Hallowes sprach wieder mit Okes.»Sollen wir die Boote jetzt einnehmen und mehr Segel setzen, Mr. Okes?»
Die Antwort konnte Bolitho nicht verstehen, doch sie klang zweifelnd. Zum Gluck war Hallowes klug genug, sich auf Okes' Konnen zu verlassen.»Gut, warten wir noch«, sagte er. Das Deck neigte sich leicht, und er fugte aufatmend hinzu:»Bei Gott, der Wind raumt! Zur Abwechslung haben wir mal Gluck.»
Nach einer Stunde, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkam, fiel die Gig zuruck zum Zeichen, da? ihre Mannschaft abgelost werden mu?te. Die zuruckkehrenden Matrosen waren vollig erschopft und sanken wie tot aufs Deck. Als nachste kam die Jolle an die Reihe. Bolitho horte Sheaffe mit dem einzigen Gehilfen des Masters sprechen. Dann kam er nach achtern und sagte:»Melde mich zuruck, Sir.»
Das klang so formlich nach allem, was der junge Mann vollbracht hatte, da? Bolitho seinen Schmerz und seine Verzweiflung verga?.
«Gro?artige Leistung, Mr. Sheaffe. Wenn Sie nicht gewesen waren, hatte der Feind uns uberrannt. «Er horte, wie Sheaffe sich zahneklappernd ein Hemd uberzog.»Ruhen Sie sich aus. Bald werden Sie wieder gebraucht.»
Sheaffe zogerte und setzte sich dann zu Bolitho aufs Deck.
«Store ich Sie auch nicht, Sir?«fragte er.
Bolitho wandte sich ihm zu.»Ihre Gesellschaft ist mir willkommen. «Er lehnte sich an den Niedergang und versuchte, nicht an die nachste Schmerzwelle zu denken. Sheaffe hatte die Knie an die Brust gezogen und war im Nu eingeschlafen.
Spater ging Bankart neben ihm in die Hocke und flusterte:»Ich habe Wein fur Sie, Sir. «Er wartete, bis Bolitho den Pokal gepackt hatte.»Mr. Okes schickt ihn.»
Bolitho nahm einen Schluck: starker, su?er Madeira. Er leerte den Pokal langsam, lie? sich vom Wein warmen und starken. Wann hatte er zuletzt etwas gegessen? Es mu?te lange her sein. Vielleicht kam ihm der Madeira deshalb so stark vor. Er beruhrte sein Gesicht unter dem Verband. Mehrere Schnittwunden, geronnenes Blut. Au?erdem hatte er dringend eine Rasur notig. Aber darum wurde sich Allday bald kummern. Er war stark und machtig wie eine Eiche und doch sanft wie ein Kind, wenn's darauf ankam. Bolitho und Keen hatten Grund, das nicht zu vergessen.
«Wie fuhlt man sich, wenn man seinen Vater wiederfindet, Bankart?»
Die Frage schien dem Jungen peinlich zu sein.»Gut, Sir, wirklich gut. Meine Mutter wollte nie uber ihn reden. Ich wu?te aber, da? er bei der Marine war, Sir.»
«Haben Sie sich deshalb freiwillig gemeldet?»
Eine lange Pause.»Konnte man sagen, Sir.»
Bankart fullte den Pokal noch einmal, und als Sheaffe geweckt wurde, um in der Jolle wieder das Kommando zu ubernehmen, war Bolitho umgesunken und schlief.
Okes verlie? seine Ruderganger, trat zum Niedergang und blickte zufrieden auf den Vizeadmiral hinab.
«Schlaft er endlich?«fragte Hallowes.
Okes putzte sich mit einem roten Taschentuch vernehmlich die Nase.
«Aye, Sir. Kein Wunder nach dem, was ich ihm in den Madeira getan habe.»
Bolitho spurte eine Hand auf seinem Arm und fuhr auf.»Es dammert, Sir«, sagte Stayt.
Bolitho fa?te sich an den Verband, bemuht, sich seine Qualen nicht anmerken zu lassen.»Wie sehe ich aus?»
Stayts Stimme klang, als lachle er.»Ich habe Sie schon in besserer Verfassung erlebt, Sir. «Er nahm Bolithos Hand.»Hier ist eine Schussel mit warmem Wasser und so was wie ein Handtuch.»
Bolitho nickte dankbar und beschamt zugleich, als er sich mit dem nassen Tuch ubers Gesicht fuhr. Es war nur eine Kleinigkeit, aber sie ruhrte ihn.
«Sagen Sie mir, was sich tut.»
Stayt dachte nach.»Wir haben ungefahr eine Meile zuruckgelegt, Sir. «Das klang weder verbittert noch uberrascht.»Im Augenblick sind wir uber einer Untiefe. «Er verstummte, als der Lotgast aussang:»Drei Faden!»
Bolitho verga? seine Schmerzen und raffte sich auf. Nur drei Faden Wasser, und sie waren eine Meile von ihrem letzten Ankerplatz entfernt. Er spurte den Wind im Gesicht, als er den Kopf ubers Schanzkleid hob, horte das Klatschen der Riemen. Einer der Bootsfuhrer gab den Takt an. Die Mannschaft mu? vollig verausgabt sein, dachte er.
«Ist es schon hell?»
«Ich kann das Kliff sehen, Sir, und gerade eben den Horizont. Der Himmel sieht finster aus. Ich glaube, wir bekommen viel Wind.»
Hallowes rief:»Weckt die Freiwache! Wir setzen Segel.»
Das Deck hob sich in der Dunung, und Bolitho wurde die Kehle eng. Das offene Meer erwartete sie. Die knarrenden Pumpen, die zerfetzten Segel wurden sie nicht behindern, wenn sie erst einmal Seeraum gewonnen hatten, Bewegungsfreiheit.
«Ruft die Boote zuruck!«befahl Hallowes.
Pfeifen schrillten, und jemand stie? einen spottischen Hochruf aus, als die Schleppleinen schlaff wurden und die Ruderer uber den Riemen zusammensanken.
«Funf Faden!«Manner hasteten an ihm vorbei, als erst das eine und dann das andere Boot an Bord gehievt wurde.
Der Kutter schien sich zu ruhren, und Bolitho hatte gerne die Manner auf den Rahen auslegen gesehen. Hoch uber ihm knallte laut ein Segel in der feuchten Luft.
«Ruder in Lee!«bellte Okes.
Bolitho horte erschreckte Ausrufe, als die
mit einem heftigen Ruck eine Sandbank beruhrte. Gerat rollte an Deck herum, und ein Vierpfunder baumte sich auf seiner Lafette auf, als sei er plotzlich zum Leben erwacht. Das Schaben und Rucken schien eine Ewigkeit zu dauern, in deren Verlauf Okes seinen Rudergangern zuredete und hin und wieder den Decksoffizieren einen Befehl gab.
Dann horte das Rutteln auf, sie schwammen wieder, und kurz darauf rief jemand:»Die Pumpen schaffen es noch, Sir!»
Durch die Zahne sagte Stayt:»Das war ein verdammtes Wunder. Eine Armlange querab lagen Felsen, aber wir haben nur Sand beruhrt.»
«Vier Faden!«Der Lotgast mu?te fast von seinem unsicheren Sitz geschleudert worden sein, dachte Bolitho. Doch sie waren durch.
Die Manner tauschten erleichterte Rufe. Fur den Augenblick waren Angst und Gefahr vergessen.»Unser Arzt wird schon wissen, was fur Ihre Augen zu tun ist«, sagte Stayt.»Sobald wir das Flaggschiff sichten…«Er brach ab.»Das kann doch nicht wahr sein!»
«Segel in Luv, Sir!»
Bolitho war fast dankbar, da? er ihre entsetzten Gesichter nicht sehen mu?te. Der franzosische Kommandant war nicht so leichtsinnig gewesen, hinter dem Landvorsprung zu warten, sondern war in der Nacht und wahrend Hallowes' Manner sich an den Riemen abplagten, luvwarts zu dem Kliff, an dem er zuerst erschienen war, aufgekreuzt. Nun hatte er den Wind im Rucken und hielt rasch auf sie zu. Am Osthorizont, wo es dammerte, waren nur seine vollgebra?ten Marssegel sichtbar.
Bolitho mu?te sich die Lage nicht erst von Stayt beschreiben lassen. Er erkannte ihre Hoffnungslosigkeit, als sahe er sie mit Hallowes' Augen. Nur eine Meile weiter, und sie hatten den Kanonen der Fregatte entkommen konnen. Doch nun lagen sie trotz der leicht veranderten Windrichtung noch immer vor einer Leekuste, und beide Schiffe liefen auf einen unsichtbaren Treffpunkt zu. Diesmal gab es kein Entkommen.
«Hei?t Gefechtsflagge, Thomas!«rief Hallowes.»Kanonen laden und ausrennen!»
Als die Manner eilig gehorchten, wurde sich Bolitho der Stille bewu?t: kein Gebrull, keine Drohungen und ganz bestimmt keine Hochrufe. Die Manner, die dem sicheren Tod ins Auge sahen, arbeiteten zwar noch gut, waren aber im Geiste anderswo.
«Bankart!»
«Zur Stelle, Sir.»
«Geh unter Deck und hole mir Hut und Rock.»
Er mochte schmutzig und blutverschmiert sein, war aber immer noch ihr Admiral. Er konnte nicht zulassen, da? sie ihn schon jetzt geschlagen sahen.
Ein dreifaches Krachen. Die Fregatte hatte mit ihren Buggeschutzen bereits das Feuer eroffnet. Aber die Kugeln warfen noch weit entfernt Fontanen auf.
Bolitho horte Okes murmeln:»Werden Sie sich zum Kampf stellen, Sir?»
«Soll ich vielleicht die Flagge streichen?«Hallowes schien ganz ruhig. Oder war er schon jenseits aller Emotionen?
Weitere Schusse lie?en die Luft erzittern. Bolitho horte eine Kugel diesmal in der Nahe einschlagen und Wassertropfen wie Schrot durch die Wanten prasseln.
«Einen Strich anluven, Mr. Okes!«Hallowes zog seinen Degen. Bolitho dachte an seinen und fragte sich, was aus ihm werden wurde. Er beschlo?, ihn ins Wasser zu werfen, wenn er noch genug Zeit und einen Funken Leben im Leib hatte.
Eine Serie von Explosionen lie? Stayt unterdruckt fluchen. Eine Kugel fetzte durch ein Segel und zertrennte ein Stag wie Nahgarn.
«Das ist eben Hallowes' Art«, versetzte Bolitho.»Es gibt keinen anderen Weg.»
Dann fuhr eine zweite Salve in die Takelage, und ein Mann fiel schreiend ins Meer.
machte trotz des gerissenen Segels so viel Fahrt, da? er bald weit achteraus versank.
«Wie sieht's aus?»
«Es wird heller, Sir«, sagte Stayt tonlos. Weitere Kugeln schlugen dichtbei ins Meer, und eine traf mit einem Ruck, der durch das ganze Schiff ging, den Bug. Zerfetztes Gut segelte aus der Takelage herab oder baumelte von den Rahen wie schabige Banner.
Die Stuckmannschaften schauten nicht nach oben, sondern wischten aus, rammten frische Ladungen in die Rohre, schoben Ladepropfe ein — taten, was sie gelernt hatten.
Weitere Kugeln trafen den Rumpf.»Viel kann sie nicht mehr einstecken«, sagte Bolitho.
«Schiff in Luv, Sir!»
Manner reagierten verstandnislos, waren bei dem ohrenbetaubenden Larm unfahig, die Lage einzuschatzen.
«Es ist die
Sir!«Stayt schuttelte Bolitho am Arm.»Sie kommt gerade in die Sonne und hat ein Signal gesetzt! Bei Gott, das Geschwader mu? hinter der Kimm sein!»
Weitere Treffer erschutterten das Deck, Manner schrien auf, als sie von Splittern niedergemaht wurden. Aber jemand rief:»Der Franzose dreht ab! Die Kerle laufen weg! Denen haben Sie's gezeigt, Kapt'n!»
Doch Stayt sagte bitter:»Hallowes hat's erwischt, Sir. «Er nahm Bolithos Arm.»Bei dieser letzten verdammten Breitseite.»
«Fuhren Sie mich zu ihm.»
Die Matrosen verfielen in Schweigen, als ihr blinder Ad-miral zu Hallowes geleitet wurde, den Okes und der Steuermannsgehilfe festhielten.
«Wie schlimm steht es?«murmelte Bolitho.
Stayt schluckte.»Beide Beine weggerissen, Sir.»
Bolitho stand nun neben Hallowes.
Hallowes sagte fest:»Ich habe nicht gestrichen. Nur eine kleine Chance…«Er verstummte und schrie dann auf:»Helft mir!«Aber der Tod war schneller.
Bolitho hatte seine Hand gehalten und spurte, wie das Leben aus ihr wich. Jetzt legte er sie aufs Deck und sagte:»Nur eine kleine Chance, und er hat sie genutzt. Daran la?t sich der Mut dieses Mannes ermessen. «Man half ihm auf und drehte ihn, bis er Okes gegenuberstand.
«Die
gehort jetzt Ihnen, Mr. Okes. Sie haben sie mehr als verdient. Ich werde dafur sorgen, da? Ihre Beforderung bestatigt wird, und wenn das mein letzter Befehl sein sollte.»
dreht bei, Sir«, meldete Stayt. Doch das gehorte irgendwie nicht hierher. Hier gab es nur diesen Augenblick und den Schmerz des Verlustes.»Fuhren Sie das Schiff gut.»
«Das werde ich, Sir. Aber ich habe nicht gewollt, nicht erwartet.»
Bolitho bemuhte sich um ein Lacheln.»Es ist Ihre Chance, Mr. Okes. Ergreifen Sie sie. «Wieder bohrte sich der Schmerz in seine Augen, aber Bolitho zwang sich weiterzusprechen, da er wu?te, da? er von allen beobachtet wurde.»Keine Sorge, Mr. Okes.
hat einen vorzuglichen neuen Kommandanten und wird wieder kampfen.»
Okes starrte dem blinden Admiral nach, der von Stayt und Sheaffe ans Schanzkleid gefuhrt wurde.
Dann sagte er mit gebrochener Stimme:»Aye, und Sie auch, Sir, so Gott will.»
VIII Noch brennt das Feuer
Als die Ankertrosse der
Icarus
Die Insel sieht so friedlich aus, dachte er. Da die Sonne in einer Stunde untergehen wurde, wollte er bald ein Landungskommando der Royal Marines zusammen mit einer Truppe von Houstons Schiff an Land setzen fur den Fall, da? dort noch Franzosen waren.
Er nahm den Hut ab und rieb sich die Stirn. Konnte sich an einem einzigen Tag so viel ereignen?
Er schaute hinuber zu der verankerten Brigg
an der mit Schlagseite der Kutter vertaut lag.
Warum hatte er
losgeschickt, Bolitho zu suchen? Hatte ihm sein Instinkt das befohlen, hatte er die Gefahr gespurt? Es ware fast zu spat gewesen. Als man ihm die Szene beschrieb, sah er ihren jungen Kommandanten vor sich. Die Fregatte hatte in dem Augenblick abgedreht, in dem es nur noch eine weitere Breitseite gebraucht hatte, um ihr Zerstorungswerk zu vollenden. Aber Quarrell hatte schlicht erklart:»Da ich den Kampf mit dem uberlegenen Feind nicht aufnehmen konnte, setzte ich — wie fruher einmal Sir Richard — das Signal >Feind in Sicht
und mein eigenes Schiff jetzt auf dem Grund. «Seine Stimme wurde harter.»Ich hatte genausowenig wie der arme Hallowes unter den Augen unseres Admirals die Flagge gestrichen.»
Keen erinnerte sich an sein Erschrecken, als Bolitho auf einem Bootsmannsstuhl an Bord gehievt wurde. Das ganze Schiff hatte den Atem angehalten, oder so war es ihm zumindest vorgekommen. Er hatte auf ihn zulaufen, ihn umarmen wollen, spurte aber im letzten Augenblick, da? Bolitho ohnehin an dieser Ruckkehr fast zerbrach.
Der Empfang fiel Allday zu, der an den Seesoldaten und zuschauenden Offizieren vorbeiging, Bolitho am Ellbogen nahm und fast unbeschwert sagte:»Willkommen an Bord, Sir. Wir haben uns ein bi?chen gesorgt, aber jetzt, wo Sie wieder da sind, ist ja alles in Ordnung.»
Doch als die beiden an ihm vorbeigingen, hatte Keen gesehen, da? Allday nur schauspielerte.
Den ganzen Tag uber waren die Boote mit Trinkwasserfassern zwischen den Schiffen und dem Land hin- und hergefahren, und die Arzte des Geschwaders hatten auf der
ihr moglichstes getan.