Captain Rook holte tief Atem, und Bolitho bekam einen scharfen Brandygeruch in die Nase, als Rook leise fragte:»So wissen Sie also noch nichts? Sie hatten keinen Kontakt mit der Flotte?»
«Zum Donnerwetter«, fuhr Bolitho ihn an,»horen Sie endlich mit dem Drumherumreden auf, Mann! Ich mu? heute noch ein Schiff ausrusten, Kranke an Land bringen und noch zweihundert andere
Dinge erledigen. Sie konnen doch nicht vergessen haben, was es hei?t, ein Schiff zu kommandieren!»
Er sah, wie sich die Augen des Mannes verdunkelten, und legte ihm die Hand auf den Arm.»Das war unfair von mir. Entschuldigen Sie!«Er schamte sich seiner Ungeduld. Meine Nerven mussen wohl noch schlechter sein als ich glaubte, dachte er bitter.
Captain Rook schlug die Augen nieder.
Bolitho starrte auf diese Hand, und das eine furchtbare Wort hallte wie ein Glockenton in seinem Kopf.»Meuterei «hatte Rook gesagt — aber wo? Die Festung sah aus wie sonst, die Flagge leuchtete wie buntes Metall am hohen Mast. Die Garnison konnte sowieso wenig Grund zur Meuterei haben. Dort standen hauptsachlich Freiwillige und Milizen aus dieser Gegend, die genau wu?ten, da? es ihnen hier, wo sie ihr eigen Haus und Hof verteidigten, besser ging, als wenn sie irgendwo weit weg auf einem Feldzug durch Matsch oder Sand stapfen mu?ten.
Langsam sprach Rook weiter.»Die Flotte in Spithead hat gemeutert. Vorigen Monat ging es los; die Besatzungen haben die Schiffe in ihre Gewalt gebracht und stellten Bedingungen. «Verlegen zuckte er die Achseln.»Es ist schon vorbei. Lord Howe hat mit den Anfuhrern verhandelt, und die Kanalflotte ist wieder auf See. «Er sah Bolitho bedeutsam an.»Ganz gut, da? Ihr Geschwader nichts davon wu?te. Es hatte Ihnen sonst schlimm ergehen konnen.»
Bolitho blickte an ihm vorbei und sah Keverne mit einigen anderen Offizieren, die von der gegenuberliegenden Deckseite heruberstarrten. Sicher hatten sie gemerkt, da? etwas nicht stimmte. Wenn sie die Wahrheit wu?ten. Brusk wandte er ihnen den Rucken zu.
«Ich habe schon oft gedacht, da? es auf dem einen oder anderen Schiff einmal losbrechen wurde. «Seine Stimme zitterte vor muhsam unterdrucktem Zorn.»Manche Politiker und Seeoffiziere denken, einfache Matrosen sind nicht viel besser als Ungeziefer, und dementsprechend behandelt man sie auch. «Starr sah er Rook in die Augen.»Aber da? eine ganze Flotte wie
«Ich spreche sofort mit Sir Charles«, sagte Bolitho und nahm Rook den Umschlag aus der Hand.»Das ist eine bittere Heimkehr.»
Rook wollte zu Keverne und den anderen treten, doch Bolitho sagte scharf:»Sie werden so freundlich sein und nicht daruber sprechen, bis ich Erlaubnis gebe!»
Rook blieb stehen.
Der Admiral horte mit gesenktem Kopf schweigend zu, bis Bolitho mit seinem Bericht fertig war. Dann sagte er:»Wenn die Franzosen jetzt einen Gro?angriff unternehmen, ist England erledigt. «Er hob die Hande und lie? sie dann resigniert fallen.»Wo ist Konteradmiral Broughton? Kommt er nun doch nicht?»
Bolitho hielt das Kuvert hoch und sagte beschwichtigend:»Vielleicht steht hier drin, was wir tun sollen, Sir.»
Widerstrebende Gefuhle zerwuhlten das gefurchte Gesicht des Ad-mirals. Der Gedanke, seine Flagge endgultig streichen zu mussen, war ihm scheu?lich, aber er hatte die Tatsache akzeptiert. Das war wie seine Krankheit — nicht zu andern. Doch jetzt, da die Moglichkeit weiterzumachen auftauchte, wurde er vermutlich von gegensatzlichen Empfindungen hin und her gerissen.
«Geleiten Sie unseren Besucher nach achtern«, sagte er und versuchte, die Schultern entschlossen zu straffen.»Und dann geben Sie der Mannschaft etwas zu tun. Es ware unklug, sie merken zu lassen, da? ihre Fuhrung ratlos ist.»
Muhsam schritt er, von seinem Sekretar gefolgt, in den Schatten der Kampanje.
Als Bolitho wieder zu ihm in die gro?e Kajute trat, sa? der Admiral am Schreibtisch, als hatte er immer dort gesessen.
«Die Depesche ist von Sir Lucius Broughton«, sagte er und winkte Bolitho, Platz zu nehmen.»Die
Nachdenklich erwiderte Bolitho:»Sir Lucius Broughton — ich wei? wenig von ihm. Schwierig, seine Wunsche vorauszusehen.»
Der Admiral lachelte fluchtig.»Seine Flagge wehte auf einem der Schiffe, die in Spithead gemeutert haben. Ich kann mir vorstellen, sein Hauptanliegen ist, da? ihm so etwas nicht noch einmal passiert.»
Er tastete nach seinem Taschentuch und hielt sich an der Tischkante.»Ich mu? ein Weilchen ruhen und nachdenken. Es ware besser, wenn Sie statt meiner an Land gingen. Vielleicht sehen Sie, da? es gar nicht so gefahrlich ist, wie wir denken. Aber an Ihrer Stelle wurde ich zuallererst Hauptmann Giffard informieren, damit die Seesoldaten bereit sind, falls es Arger gibt.»
Er blickte Bolitho bedeutsam in die Augen, wandte sich dann ab und sprach weiter:»Ich habe gesehen, wie Ihre Leute zu Ihnen aufblicken, Bolitho. Matrosen sind einfache Menschen und erwarten zum Lohn fur ihr schweres Leben auf See nicht viel mehr als Gerechtigkeit. Aber — «, und das Wort hing in der Luft — ,»sie sind auch nur Menschen. Und unsere erste Pflicht ist es, sie wieder unter Kontrolle zu bekommen, koste es, was es wolle.»
Bolitho nahm seinen Hut.»Ich wei?, Sir.»
Die zusammengepferchte Welt jenseits dieser paneelverkleideten Schottenwand! Auf See, in der Schlacht, kampften und starben sie, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Die standigen Anforderungen der harten Disziplin und die Gefahr lie?en wenig Raum. Aber wenn der Funke einmal die latente Kraft in diesen Mannern zundete, dann konnte alles mogliche passieren; dann hatte es keinen Zweck zu sagen, man hatte nichts gewu?t oder ware ihnen zu fern gewesen.
Als er wieder auf dem Achterdeck war, merkte er die Veranderung. Wie konnte man auch erwarten, da? so etwas geheim bleibt? Neuigkeiten breiteten sich auf einem vollgestopften Schiff aus wie ein Waldbrand, ohne da? jemand sagen konnte, wie das moglich war.
Er winkte Keverne und sagte knapp:»Gehen Sie bitte nach achtern zu Captain Rook. «Das brunette Gesicht Kevernes erstarrte zu einer erwartungsvollen Maske.»Sie werden dann die Leutnants und die hoheren Deckoffiziere uber die allgemeine Lage informieren. Sie sind fur das Schiff verantwortlich, bis ich wieder an Bord bin. Veranlassen Sie, da? die Kranken und Verwundeten an Land gebracht werden, aber nicht in unseren Booten — verstanden?»
Keverne offnete den Mund, schlo? ihn aber wieder und nickte nur.
«Ich sage Ihnen jetzt, was los ist«, fuhr Bolitho fort.»Es gehen Geruchte um von einer Meuterei in der Nore-Flotte. Falls ein Fremder versucht, an Bord zu kommen, ist er abzuweisen. Ist das nicht moglich, so wird er festgenommen und sofort in Einzelhaft gesteckt.»
Keverne fa?te an seinen Degengriff.»Wenn ich so einen verdammten See-Advokaten[10] erwische, dann werde ich ihm schon zeigen, wo es langgeht, Sir. «Gefahrlich blitzten seine Augen.
Unbewegt sah Bolitho ihm ins Gesicht.»Sie werden tun, was ich befehle, Mr. Keverne. Nicht mehr und nicht weniger. «Er wandte sich um und schaute nach Alldays untersetzter Gestalt aus. Er stand bei den Netzen.»Lassen Sie sofort meine Bootsbesatzung antreten.»
«Sie nehmen Ihr eigenes Boot, Sir?«fragte Keverne.
«Wenn ich denen nicht trauen kann«, erwiderte Bolitho kalt,»nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben — dann ist die Lage vollig aussichtslos.»
Ohne ein weiteres Wort schritt er die Treppe hinunter zur Fallreepspforte, wo bereits die Ehrenwache wartete. Unten lag auch schon das schwankende Boot.
Er blieb noch einen Moment stehen und sah auf sein Schiff zuruck und auf die Mannschaft, die bereits geschaftig Bahren aufriggte und den Kranken die Niedergange hinaufhalf. Seiner Gewohnheit nach hatte er dafur gesorgt, da? jeder Mann, der neu an Bord kam, Dienstkleidung fa?te. Darin war er anders als manche geizigen Kommandanten, die ihre Manner in den Lumpen herumlaufen lie?en, die sie angehabt hatten, als sie in der Stadt oder auf dem Dorf gepre?t worden waren. Doch im Moment fand er keinen Trost beim Anblick der weiten Hosen, der karierten Hemden, der gesunden Gesichter und der allgemeinen Geschaftigkeit. Auf Kleidung und anstandiges Essen, wenn es nur irge nd verfugbar war, hatten sie ein Recht; das war keine Gnade, die ein gottahnlicher Kommandant austeilte. Und es war wenig genug Gegenleistung fur das, was die Manner gaben.
Er verdrangte diese Gedanken, luftete den Hut zum Achterdeck und zur Ehrenwache hin und kletterte dann hinunter in die Gig, welche Allday absichtlich zwischen den Kutter und den turmhohen Schiffsrumpf manovriert hatte.
«Legt ab!«Allday blinzelte in die Sonne und pa?te genau auf, da? die Gig klar von dem anderen Boot und der Bordwand kam.
«Rudert an! Zu. gleich!»
Dann, als die Gig Fahrt aufnahm und die Riemen sich im exakten Gleichtakt hoben und senkten, blickte er auf Bolithos Rucken hinunter und kniff die Lippen zusammen. Er kannte Bolithos Stimmungen beinahe besser als seine eigenen und konnte sich recht wohl vorstellen, was dieser jetzt dachte. Meuterei in dem Dienst, den er liebte und fur den er alles hingegeben hatte! Durch den Bootsmann des Kutters, einen ehemaligen Schiffskameraden, wu?te Allday Bescheid. Wie konnte auch ein solches Geheimnis langer als ein paar Minuten Geheimnis bleiben?
Sein Auge glitt uber Bolithos straffe Schultern mit den komischen neuen Goldepauletten und uber das jettschwarze Haar unter dem Dreispitz. Der hat sich kaum verandert, dachte er, obwohl er uns alle durch eine Gefahr nach der anderen getragen hat!
Wutend starrte er den Bugmann an, der nicht aufpa?te und einer Mowe nachsah, die voraus nach einem Fisch herabscho?, und uberdachte dann, was den Captain von Rechts und Gottes wegen in Fal-mouth hatte erwarten sollen: seine reizende Frau und sein Kind, die ihn froh willkommen hie?en. Statt dessen hatte er nichts als Arger und mu?te wieder einmal anderer Leute Arbeit neben seiner eigenen machen.
Jetzt trommelten Bolithos Finger im Takt auf den Degengriff. All-day entspannte sich etwas, als er das sah. Sie beide hatten viel zusammen erlebt und geleistet. Dieser Degen fa?te das alles weit besser zusammen, als Worte oder Gedanken es konnten.
Die Gig schwang herum und glitt in den Schatten der Pier, der Bugmann schlug den Haken ein, Allday nahm seinen Hut ab, Bolitho stand auf, kletterte uber das Dollbord und die abgetretenen, wohlbekannten Stufen hinauf.
Er hatte Allday gerade jetzt gern bei sich gehabt, aber es ware falsch gewesen, die Gig ohne Aufsicht zu lassen.
«Sie kehren zum Schiff zuruck, Allday. «Er sah Besorgnis in des Bootsfuhrers Augen aufblitzen und fugte gelassen hinzu:»Ich wei? ja, wo Sie sind, wenn ich Sie brauche.»
Allday blieb noch einen Moment stehen und sah Bolitho nach, der zwischen zwei salutierenden Milizsoldaten auf den Kai trat. Halblaut murmelte er:»Bei Gott, Kapt'n,
Mit einem Seufzer schritt er weiter, seine Schuhe wirbelten Staub auf, und er blinzelte in die grelle Sonne. Als er das breite Tor in der Steinmauer durchschritten hatte, stockte er wieder — er hatte lieber nicht herkommen sollen, dachte er.
Doch als die Doppeltur oben an den Treppenstufen aufging und er Ferguson erblickte, seinen einarmigen Verwalter, und die beiden Dienstmadchen hinter ihm, die ihn begru?en wollten, da war ihr Lacheln so aufrichtig erfreut, da? er fur den Augenblick seine eigenen truben Gedanken verga? und geruhrt war.