Die Feuertaufe: Richard Bolitho - Fahnrich zur See - Kent Alexander 3 стр.


In Luv, bei den Finknetzen, stand ganz allein der Kapitan. Er hatte sich in seinen langen Bootsmantel gewickelt, aber sein Haar flog im Wind, als er zu den gerefften Toppsegeln emporblickte. Mehr Leinwand als diese und den Kluver konnte das Schiff bei solcher Brise nicht verkraften.

Wahrend seiner ganzen Zeit an Bord der

Dancer knirschte mit den Zahnen.»O Gott, ich bin ganz steif vor Kalte!»

Leutnant Hope, der Verantwortliche fur den Fockmast, schrie:»Entern Sie mit Ihren Leuten auf, Mr. Bolitho! Und mindestens zwei Minuten schneller als letztes Mal!»

Eine Pfeife schrillte, und es ging wieder los. Die leichtfu?igen Toppmatrosen preschten um die Wette die Webeleinen hoch; die Neuen, weniger Wagemutigen mu?ten von den Fluchen und nicht selten auch von den Stockschlagen der Deckoffiziere hinaufgejagt werden. Und uber all dem Larm ertonte Verlings Stimme, verzerrt und kaum noch menschenahnlich, die jeden einzelnen kontrollierte und steuerte.

«Noch mal an die Luvbrassen! Mr. Tergorren, in Ihrer Division ist ein Mann, der bummelt! Wo, zum Teufel, haben Sie Ihre Augen? Noch zwei Mann an die Kreuzbrassen!«Unablassig schallte seine Stimme uber das Deck.

Hinauf an diesen rauhen, schwankenden Webeleinen und um die Puttingswanten herum, und dann hingen sie da oben uber die Breite des Schiffsrumpfes hinaus, unter sich die schaumende See, und klammerten sich fest mit Fingern und Zehen, damit sie nicht absturzten. Dann atemlos weiter zum Vortopp, wo andere Manner schon hoherenterten, und noch hoher, bis zur Marssegelrahe. Auf allen Rahen schwarmten sie aus, affengleich, bearbeiteten mit Nageln und Fausten die dicke, steifgefrorene Leinwand, um noch ein Reff zu stecken; und dabei tat jeder windgefullte Segelbauch sein Bestes, um die Manner von ihrem luftigen Standplatz zu schleudern und in die See zu fegen. Tranen der Wut und Verzweiflung hatten sie in den Augen, und sie fluchten gra?lich, wenn das rauhe Tuch der Sturmsegel ihnen die Fingernagel abri?, und stie?en ihre verangstigten Kameraden beiseite, die sich an ihnen festklammern wollten.

Bolitho hielt sich an einer Pardune und beobachtete, was sich in den anderen Masten abspielte. Es war fast geschafft, und das Schiff reagierte bereits auf den verminderten Druck der Segel. Weit unten, zwergenhaft in der Verkurzung, sah er die Deckoffiziere und die Matrosen des Achterdecks, welche die Fallen und Brassen festzurrten. Immer noch stand der Kapitan an Luv und beobachtete prufend die Rahen. War er besorgt? fragte sich Bolitho. Bestimmt sah man es ihm nicht an.

«Belegen, Mr. Hope!«brullte Verling.»Da sind anscheinend ein paar Kruppel in Ihrer Division! Sie sollten heute vormittag mal Extra-Segelausbildung ansetzen!»

Bolitho und Dancer rutschten an einem Backstag an Deck, wo Mr. Hope vor Wut kochte.»Diese gottverdammte Bande mache ich fertig!«knurrte er. Mit einem Blick auf die beiden fuhr er etwas ruhiger fort:»Und euch zwei auch, wenn ihr die Leute nicht scharfer antreibt!»

Dann ging er nach achtern, und Bolitho sagte:»Er ist gar nicht so schlimm, wie er tut. Komm, Martyn, wollen mal sehen, was der junge Starr uns zum Fruhstuck aufgehoben hat. Sinnlos, jetzt noch mal in die Hangematte zu klettern. Es wird doch gleich wieder ›Alle Mann‹ gepfiffen.»

Als sie atemlos in die feuchte, aber wenigstens sichere Midshipmen-Messe sturzten, erwartete sie dort ein durrer, gravitatisch blickender Mann im einfachen blauen Rock. Bolitho wu?te bereits, da? es Henry Scroggs, der Kapitansschreiber, war. Er hatte sein Logis nebenan bei der Steuermannsmaaten.

«Bolitho?«fragte Scroggs kurzangebunden. Eine Antwort wartete er nicht erst ab.»Melden Sie sich beim Kapitan. Mr. Marrack hat sich den Arm verletzt, und Mr. Grenfell ist auf Fruhwache. «Unbewegten

Gesichts wartete er ein paar Sekunden und blaffte dann:»Na los, hopp-hopp, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!»

Bolitho starrte ihn verwirrt an; ihm fiel ein, was Marrack uber saubere Hemden gesagt hatte, und er wu?te, wie unordentlich er gerade jetzt aussah.

«Komm, ich helfe dir beim Umziehen«, sagte Dancer.

«Keine Zeit!«fuhr der Schreiber dazwischen.»Nach Grenfell und Marrack sind Sie der Dienstalteste. Der Kapitan ist sehr scharf in solchen Dingen. «Er schwankte etwas, als das Schiff langsam uberholte und eine kochende See auf das Oberdeck flutete.»Etwas Beeilung, rate ich Ihnen!»

Bolitho griff nach seinem Hut und sagte beklommen:»Also schon. «Dann duckte er sich unter die Decksbalken und machte sich auf den Weg.

Schwer atmend stand Bolitho vor einer wei?gestrichenen Tur in der Kampanje. Im Vergleich zu den uberfullten Zwischendecksquartieren, in die sich soeben massenweise und polternd die schattenhaften Gestalten der Matrosen ergossen, die von der Arbeit in den Rahen zuruckkamen, fand er es hier ausgesprochen ruhig. Neben der Tur, unter dem Lichtstrahl der Deckenlaterne, stand steif und starr ein Seesoldat Wache und blickte Bolitho dienstlich kalt entgegen. Dann rief er laut:»Signal-Midshipman, Sir!«und gab seiner Meldung weiteren Nachdruck, indem er mit seiner Muskete kraftig aufs Deck stampfte.

Die Tur ging auf, und Bolitho erblickte den Kapitanssteward, der ihm heftig winkte und die Tur gerade so weit offenhielt, da? er eintreten konnte. Genau wie der Lakai in einem vornehmen Haus, der nicht recht wei?, ob der Besucher willkommen ist oder nicht, dachte Bolitho.

«Wenn Sie hier warten wollen — Sir. «Aber vor dem» Sir «hatte er eine kleine Pause eingeschaltet.

Bolitho wartete. Es war eine elegante Diele, die zum Speiseraum des Kapitans fuhrte und die ganze Breite des Schiffsrumpfes einnahm. Glaser und Geschirr klirrten in einem geraumigen Mahagonischrank, und uber der langen polierten Tafel schwang gleichma?ig, die Bewegungen des Schiffes auffangend, ein rundes Tablett mit Glasern und Karaffen. Auf den Decksplanken lag ein Teppich mit einem sauberen

Muster aus schwarzen und wei?en Karos, und die Neunpfunderkanonen an den beiden Schmalseiten waren zuchtig mit buntem Chintz verdeckt. In der nachsten Zwischenwand offnete sich eine Tur, und der Steward sagte:»Hier herein, bitte, Sir. «Er blickte Bolitho beinahe verzweifelt entgegen.

Die Kapitanskajute. Bolitho stand im Turrahmen, den Dreispitz unter den Arm geklemmt, und staunte. Wieviel Platz der Kapitan hatte!

Die Kajute war hochelegant: uber die hohen Fenster im Heck des Schiffes zogen sich lange Streifen von Salz und getrocknetem Schaum, so da? sie in dem grauen Fruhlicht fast wie Kathedralenfenster wirkten und den Raum noch gro?er erscheinen lie?en.

Kapitan Beves Conway sa? an einem gro?en Schreibtisch und blatterte gemachlich in einem Bundel Papiere. Ein Becher mit einem hei?en Getrank dampfte neben seinem Ellenbogen, und im Schein der schwingenden Lampe sah Bolitho, da? er bereits korrekt angekleidet war: sauberes wei?es Hemd, Kniehose; und sein blauer Uniformrock mit den wei?en Aufschlagen lag sauber gefaltet auf einer Sitzbank, Dreispitz und Bootsmantel daneben. Nichts in der Erscheinung oder im Gesicht dieses Mannes deutete darauf hin, da? er eben von Deck kam, wo ein bitterkalter Wind wehte.

Er blickte auf und musterte Bolitho mit ausdrucklosem Gesicht.

«Name?»

«Bolitho, Sir. «In der geraumigen Kajute kam ihm der Klang seiner eigenen Stimme ganz fremd vor.

«Gut.»

Der Kapitan wandte sich halb zu seinem Schreiber um, der durch eine andere kleine Tur eintrat. Im Licht der Lampe und in den schragen Strahlen von den Kajutfenstern her fiel Bolitho auf, wieviel Wachsamkeit und Intelligenz aus Conways Profil sprach; doch seine Augen waren hart und verrieten nichts.

Er sprach kurz, abgehackt, dienstlich zu Scroggs, aber Bolitho konnte nur raten, worum es sich handelte.

Er blickte zur Seite und sah sich zum erstenmal in einem langen, goldgerahmten Spiegel. Kein Wunder, da? der Kajutsteward ein so besorgtes Gesicht gemacht hatte.

Richard Bolitho war gro? fur sein Alter und schlank. Sein Haar war so schwarz, da? sein wettergebrauntes Gesicht fast bleich dagegen wirkte. In seinem Peajacket, das er sich vor achtzehn Monaten gekauft und seitdem bei jedem Wetter getragen hatte, glich er mehr einem Vagabunden als einem Offizier des Konigs. Er fuhr zusammen, als er plotzlich gewahr wurde, da? der Kapitan zu ihm sprach.

«Also, Mr. Midshipman, ah, Bolitho, auf Grund unvorhergesehener Umstande mu? ich mich anscheinend auf Ihre Fahigkeiten bei der Unterstutzung meines Schreibers verlassen, bis Mr. Marrack sich von seiner, ah, Verletzung erholt hat. «Er musterte Bolitho gleichmutig.»Was fur Dienst tun Sie auf meinem Schiff?»

«Unteres Geschutzdeck, Sir, und Segelausbildung in Mr. Hopes Abteilung.»

«Weder das eine noch das andere erfordern, da? Sie wie ein Dandy aussehen, Mr., ah, Bolitho; aber an Bord meines Schiffes haben alle Offiziere ein untadeliges Beispiel zu geben; und wohin dieses Schiff Sie auch tragt, Sie reprasentieren nicht nur die Konigliche Marine, sondern Sie

Es wurden die kurzesten zehn Minuten, an die sich Bolitho erinnern konnte. Starr und Midshipman Dancer halfen ihm; der Pechvogel Eden, dem ausgerechnet in diesem Moment wieder schlecht wurde, lief ihm standig zwischen die Beine; aber schlie?lich war er wieder auf dem Weg nach achtern und stand bald vor demselben Posten. In der Kajute jedoch drangten sich bereits die Besucher: Leutnants mit Fragen und Meldungen uber Sturmschaden. Der Steuermann, der, soweit Bolitho verstand, entweder fur oder gegen die eventuelle Beforderung einer seiner Maate war. Major Dewar von der Marine-Infanterie, mit Kinnbacken so scharlachrot wie seine Uniform. Und sogar der Schiffs-Zahlmeister, ein richtiges Wiesel von einem Mann. Sie alle sprachen beim Kapitan vor. Und das schon kurz nach Sonnenaufgang.

Ohne weitere Umstande wies der Schreiber Bolitho an einen kleinen Tisch bei den Heckfenstern, an die Spritzwasser und Regen klatschten. Drau?en, hinter den dicken Glasscheiben, rollte die dunkelgraue See, und jede Woge hatte einen langen Schaumstreifen auf ihrem Kamm. Ein Schwarm Mowen umkreiste in lebhaftem Auf und Ab den hohen Achtersteven der

Er horte, da? der Kapitan mit Laidlaw, dem Schiffsarzt, das Frischwasserproblem erorterte, und speziell die Frage, ob die leeren Fasser gespult werden sollten, um sie zu desinfizieren.

Der Schiffsarzt war ein mude aussehender Mann mit tiefliegenden, von starken Brauen uberhangenen Augen, der sich standig etwas gebeugt hielt. Ob das daher kam, da? er zu lange auf kleinen Schiffen gefahren war, oder weil er sich dauernd uber seine unglucklichen Opfer beugen mu?te daruber konnte Bolitho nur Vermutungen anstellen.

Er sagte eben:»Es ist ein ubler Kustenstrich, Sir. «Und der Kapitan erwiderte scharf:»Das wei? ich, verdammt noch mal. Aber schlie?lich segle ich das Schiff und seine ganze Mannschaft nicht deswegen nach Westafrika, weil ich ausprobieren will, wie gut Sie Krankheiten heilen konnen.»

Der Schreiber beugte sich uber den kleinen Tisch. Er hatte einen muffigen Geruch an sich, wie ungewaschenes Bettzeug.

«Sie konnen mit diesen Befehlen anfangen«, sagte er murrisch,»je funf Abschriften, sauber und lesbar, ordentlich geschrieben, oder Sie kriegen Arger mit dem Kapitan.»

Bolitho wartete, bis Scroggs davongeschlurft war, und horchte dann zu der kleinen Gruppe hinuber, die beim Kapitan stand. Wahrend er sich vorhin in aller Eile das frische Hemd ubergestreift hatte, war ihm klargeworden, da? sich die Ehrfurcht, die er bei der ersten Begegnung mit dem Kapitan empfunden hatte, in Groll verwandelte. Conway hatte die Begrundung fur seinen unvorschriftsma?igen Anzug als unwichtig, sogar als banal abgetan. Statt dessen hatte er seine eigene Person als Vorbild hingestellt — der untadelige Kapitan, immer im Dienst, niemals mude, der fur jedes Problem auf Anhieb eine Losung bei der Hand hatte.

Aber jetzt, da er die ruhige, gemachliche Stimme horte, mit der der Kapitan so ganz nebenbei erwahnte, da? einige viertausend Meilen zu segeln waren, wie er Angaben uber den zweckma?igsten Kurs machte und Anordnungen uber Verpflegung, Frischwasser und, was das Wichtigste zu sein schien, uber die Ausbildung der Mannschaft traf — da konnte er nur staunen.

In dieser Kajute, die ihm ein paar Minuten lang wie der Gipfel allen Luxus vorgekommen war, schlug der Kapitan seine eigenen, privaten Schlachten. Er konnte seine Sorgen, seine Verantwortung mit niemandem teilen. Ein Schauer uberlief Bolitho. Fur einen Mann, der auch nur eine Sekunde an sich selbst zweifelte, konnte diese gro?e Kajute sehr leicht zum Gefangnis werden.

Er erinnerte sich an seine Kindheit. Manchmal, wenn das Schiff seines Vaters — was freilich sehr selten und nur unter gunstigen Umstanden vorkam — in Falmouth vor Anker lag, hatte er seinen Vater dort besuchen durfen. Wie anders war das gewesen! Seines Vaters Offiziere lachelten ihm freundlich zu; manche benahmen sich direkt unterwurfig ihm gegenuber. Wie anderte sich das, als er seinen Dienst als Midshipman antrat! Wie hochfahrend, wie unduldsam waren die Leutnants!

Scroggs stand wieder neben ihm.»Bringen Sie diese Order dem Bootsmann, und kommen Sie gleich zuruck!«Er druckte ihm ein zusammengefaltetes Stuck Papier in die Hand.

Bolitho nahm seinen Hut auf und ging eilig an dem gro?en Schreibtisch vorbei. Er war schon beinahe zur Tur hinaus, da lie? ihn die Stimme des Kapitans erstarren.

«Wie, sagten Sie, war Ihr Name?»

«Bolitho, Sir.»

«Sehr schon. Ab mit Ihnen, und denken Sie an das, was ich gesagt habe!«Conway blickte auf seine Papiere nieder und wartete, bis die Tur sich geschlossen hatte.

Als er wieder auf- und den Schiffsarzt ansah, bemerkte er kurz:

«Wenn man einen neuen Midshipman zuhoren la?t, wei? das ganze Schiff sofort, was man vorhat.»

Der Schiffsarzt sah ihn ernsthaft an.»Ich glaube, ich kenne die Familie dieses jungen Mannes, Sir. Sein Gro?vater war mit Wolfe vor Quebec.»

«Was Sie nicht sagen. «Conway studierte bereits das nachste Schriftstuck.

«Er war Konteradmiral, Sir«, fugte der Schiffsarzt leise hinzu.

Aber Conway war in Gedanken schon ganz woanders, wie sein gelindes Stirnrunzeln andeutete.

Der Schiffsarzt seufzte. Kapitane waren eben vollig unnahbar.

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