Die Feuertaufe: Richard Bolitho - Fahnrich zur See - Kent Alexander 4 стр.


III Die Athen

Kurs Sudwest und dann Sud, tagaus, tagein, unter fast pausenloser, knochenbrechender Arbeit. Endlich war die schwere, unbeholfene

Wenn Bolitho ausnahmsweise Zeit fand, uber sein Leben auf dem neuen Schiff nachzudenken, dann hatte er dabei eher seinen korperlichen als seinen seelischen Zustand im Sinn. Standig verspurte er Hunger. Alle Knochen und Muskeln schmerzten vom ewigen Aufentern oder von der Schinderei bei der Geschutzausbildung an den schweren Zweiund-drei?igpfundern der unteren Batterie. See und Wind hatten sich etwas beruhigt, das Schiff zog unter fast vollen Segeln seinen Kurs nach Suden. Jetzt war die Mannschaft vorwiegend unter Deck beschaftigt und schwitzte Blut und Wasser beim Drill an den schweren, unhandlichen Kanonen. Da? es im unteren Geschutzdeck am allerschlimmsten war, lag zu einem erheblichen Teil an dem Leutnant, der dort das Kommando hatte.

Grenfell, der dienstalteste Midshipman, hatte Bolitho bereits vor diesem gewarnt; und als aus langen Tagen noch langere Wochen wurden und das Schiff seinen Schnabel zwischen Madeira und der marokkanischen Kuste hindurchschob, die beide nicht einmal der Ausguck im Mastkorb zu sehen bekam, erhielt der Name des Vierten Leutnants, Mr. Piers Tergorren, des Beherrschers der vierundzwanzig schwersten Geschutze an Bord, eine neue und ganz besondere Bedeutung.

Der Vierte war ein Mann von massivem Korperbau, mit schwarzlichem Kinn und strahnigem Haar, das eher zu einem Zigeuner oder Spanier gepa?t hatte als zu einem britischen Seeoffizier. Die Decksbalken uber dem dusteren Geschutzraum waren so niedrig, da? Tergorren standig in die Knie gehen mu?te, wenn er nach vorn oder achtern schritt, um das Laden und Ausrennen jedes einzelnen Geschutzes zu kontrollieren. Er war gro?, kraftig, aggressiv und hatte keine Geduld ein harter und schwieriger Vorgesetzter. Selbst Dancer, der sich die gro?te Muhe gab, nicht aufzufallen, der uberma?ige Anstrengungen zu vermeiden wu?te und seine Krafte in der Hauptsache furs Essen und Schlafen aufsparte, hatte gemerkt, da? Tergorren einen Piek auf Bolitho hatte. Das war seltsam, dachte Bolitho, denn auch Tergorren stammte aus Cornwall, und zwischen engeren Landsleuten bestand gewohnlich eine Bindung, die sogar die Wunden und Beulen der Disziplin vertragen konnte.

Infolge dieser Abneigung des Leutnants hatte Bolitho bereits dreimal Extradienst machen mussen, und bei einer anderen Gelegenheit war er bei schwerem Wind in die Vormastsaling geschickt worden und mu?te so lange oben bleiben, bis der Wachoffizier ihn wieder abentern lie?. Aber diese Bestrafung, so hart und unfair sie sicherlich war, brachte eine andere Seite des Lebens auf See an den Tag: der junge Eden kam mit einem Topf Honig, den ihm seine Mutter mitgegeben hatte und den er fur eine besondere Gelegenheit aufhob. Tom Jehan, der Stuckmeister, ein rechtes Ekel von Deckoffizier, der hinter dem Wandschirm hauste und nur selten geruhte, mit einem lumpigen Midshipman zu reden, brachte einen gro?en Becher Brandy aus seinen Privatbestanden, damit Bolitho wieder etwas Leben in seine froststarren Glieder bekame.

Noch schwereren Zoll forderte das harte, endlose Exerzieren an Segeln und Geschutzen. Vor Gibraltar fielen zwei Mann uber Bord und ertranken, und ein dritter sturzte von der Gro?rah, brach sich das Ruckgrat an einem Achtzehnpfunder und starb. Sein Leichnam wurde in seine Hangematte genaht, mit einer Kanonenkugel beschwert und, wahrend die

Bolitho war zwolfeinhalb gewesen, als er zum erstenmal eine Auspeitschung mitansah. Er hatte sich nie an den Anblick gewohnen konnen, aber er wu?te wenigstens, wie es dabei zuging. Die neuen jungeren Midshipmen wu?ten das nicht.

Zuerst wurde gepfiffen:»Alle Mann achteraus zum Strafvollzug!«Dann wurde bei der Gangway eine Grating angeschlagen; inzwischen marschierten die Seesoldaten querschiffs uber die Kampanje, und ihre scharlachroten Rocke mit den wei?en Koppeln und gekreuzten Schulterriemen hoben sich scharf gegen den dunkelgrau verhangenen Himmel ab. Aus allen Niedergangen, aus jedem Winkel quoll die Mannschaft hervor, bis das Deck, die Wanten und sogar die Bootsgestelle dicht mit stummen Zuschauern besetzt waren.

Und dann schritt die kleine Prozession auf gewundenem Weg zu der angeschlagenen Grating. Voran Hoggett, der Bootsmann, und Beedle, der finstere Waffenmeister, dann Bunn, der Schiffsprofo?, mit dem Delinquenten; der Schiffsarzt Doktor Laidlaw machte den Schlu?. Auf dem Achterdeck, dessen ausgebleichte Planken mit Schaum und Spruhwasser getupfelt waren, nahmen die Offiziere und Deckoffiziere, je nach Rang und Wurden, ihre Platze ein. In Lee, etwas abseits, bildeten die zwolf Midshipmen eine kurze Doppelreihe.

Der Oberkorper des Delinquenten wurde entblo?t, dann band man ihn an der Grating fest. Sein muskuloser Rucken hob sich bleich vom geschrubbten Holz ab, das Gesicht war nicht zu sehen. Ernst und gemessen verlas der Kapitan die betreffenden Kriegsartikel und schlo? mit dem Befehl:»Zwei Dutzend, Mr. Hoggett.»

Und so wurde, unter dem Stakkatowirbel eines einzelnen Trommlers, der wahrend des ganzen Vorgangs starr nach oben in die Hauptrahe blickte, die Strafe vollzogen.

Der Bootmannsmaat, der die neunschwanzige Katze schwang, war von Natur aus kein brutaler Mensch. Aber er war von machtigem Korperbau, und sein Arm war wie ein Eichenast. Au?erdem wu?te er genau, da? er sich, wenn er den Unglucksvogel schonte, moglicherweise an dessen Platz wiederfinden konnte. Nach acht Schlagen war der Rucken des Matrosen eine blutige Masse. Nach einem Dutzend war er kaum noch als eines Menschen Rucken zu erkennen. Und so ging es weiter. Immer ein kurzer Trommelwirbel, und gleich darauf das Klatschen der Peitsche auf dem nackten Rucken.

Eden, der jungste Midshipman, wurde ohnmachtig, und der zweitjungste, ein bleichgesichtiger Knabe namens Knibb, brach in Tranen aus; die anderen Midshipmen und nicht wenige der zuschauenden Matrosen waren starr und steif und stumm vor Entsetzen.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Hoggett mit heiserer Stimme rief:»Zwei Dutzend, Sir!»

Bolitho bemuhte sich, sehr langsam und tief ein- und auszuatmen, wahrend der Mann von der Grating geschnitten wurde. Sein Rucken war zerfetzt wie von den Klauen eines Raubtieres, die Haut, soweit sie nicht aufgerissen war, schwarz von der Wucht der Peitschenschlage. Er hatte nicht ein einziges Mal geschrien, und einen Augenblick hatte Bolitho gedacht, er sei unter der Peitsche gestorben. Aber der Schiffsarzt zwangte die Kiefer des Mannes auseinander, nahm den Lederriemen heraus, auf den er gebissen hatte, und meldete:»Ohnmachtig, Sir.»

Dann winkte er seinen Sanitatsgasten, die den Mann hinunter ins Krankenrevier trugen. Das Blut wurde von den Decks-planken gewaschen, der Trommler und zwei junge Seesoldaten mit Pfeifen stimmten einen munteren Jig an, und nach kurzer Zeit war das normale Leben an Bord wieder im Gange.

Bolitho warf einen raschen Blick auf den Kapitan. Dessen Gesicht war vollkommen ausdruckslos, nur seine Finger trommelten einen kleinen Wirbel auf dem Degengriff, vielleicht im Takt des Jig.

Emport rief Dancer aus:»Was fur eine Gemeinheit, einen Mann so zu behandeln!»

Der alte Segelmeister horte das und knurrte:»Wart' nur, bis du 'ne Auspeitschung rund um die Flotte gesehen hast, Kleiner, da hast du erst richtig zu kauen!»

Doch als die Leute zum Mittagessen gingen — Salzfleisch und eisenharter Zwieback, mit einer Finte kratzigem Rotwein zum Hinunterspulen — , da horte Bolitho von niemandem ein Wort des Zornes oder der Beschwerde. Anscheinend galt auch hier wie an Bord seines vorigen Schiffes die Regel: Wirst du erwischt, wirst du bestraft. Das Vergehen bestand darin, da? man sich erwischen lie?.

Auch im Midshipmen-Logis fand man sich auf dieser Basis damit ab. Aus der anfanglichen Angstlichkeit und Verwirrung, der allgemeinen Unsicherheit vor der Frage, was man tun musse und wann man es tun musse, hatte sich ein neuer Zusammenhalt, eine Harte entwickelt, von der sogar Eden etwas abbekommen hatte.

An erster Stelle standen Essen und Unterkunft; alles andere, auch die Unsicherheit der Reise und der ganze Dienstbetrieb mit allem, was sie auf Befehl taten, wurden allmahlich weniger wichtig.

Der kleine Raum, der sich in die hohle Rundung des Schiffsrumpfes schmiegte, war ihr Zuhause geworden; dort zwischen der wei?en Wandtur und den schwarzen Seekisten nahmen sie ihre primitiven Mahlzeiten ein, vertrauten sich gegenseitig ihre Geheimnisse und Angste an und lernten Tag fur Tag, der eine vom anderen.

Abgesehen von ein paar durftigen Inseln, die sie gesichtet hatten, und zwei passierenden Schiffen schien die

Nach einem besonders ublen Geschutzexerzieren an den Zweiunddrei?igpfundern schimpfte Dancer:»Der Mann hat den Teufel im Leib!»

Der kleine Eden uberraschte alle, indem er sagte:»Er hat die G-gicht;

Jetzt wu?ten sie etwas Neues uber Tergorren und konnten das Verhalten des Vierten mit gesteigertem Interesse beobachten. Wenn Tergorren unter den machtigen Decksbalken umherschlurfte, schwebte sein Schatten an den Luken vorbei wie ein massives Gespenst, und an jedem Geschutz wartete die Mannschaft auf sein Kommando:»Laden!«,»Ausfahren!«oder» Richten!»

Jedes Geschutz wog drei Tonnen, und funfzehn Mann bildeten die Bedienung fur zwei einander gegenuberliegende Geschutze mit der gleichen Nummer. Jeder Mann mu?te genau wissen, was er zu tun hatte, und mu?te es tun, was auch passierte, unter allen Umstanden. Oft genug brullte Tergorren:»Ich werde euch noch Blut abzapfen, aber das ist gar nichts gegen das, was euch im Ernstfall passiert — also bewegt euch gefalligst!»

Bolitho sa? an dem Hangetisch im Midshipmen-Logis; in einer alten Austernschale flackerte eine Kerze und verstarkte das bi?chen Licht, das von einem Niedergang herabfiel. Er schrieb an seine Mutter. Er hatte keine Ahnung, ob und wann sie den Brief lesen wurde, aber es trostete ihn, eine Verbindung mit seinem Elternhaus aufrechtzuerhalten.

Durch seine Sonderstellung als Turnbulls Assistent beim Navigationsunterricht, wo er jeden Tag die Seekarte des Steuermanns zu Gesicht bekam, wu?te er, da? der erste Teil ihrer Reise fast geschafft war. Viertausend Meilen, hatte der Kapitan gesagt; und beim Studium der Zickzacklinien auf der Karte, an den taglichen Eintragungen der Schiffsposition nach dem Sonneschie?en am Mittag, verspurte er wiederum das erregende Vorgefuhl, das sich einstellt, wenn das Schiff in Landnahe kommt. Sechs Wochen waren vergangen, seit sie in Spithead Anker gelichtet hatten. Standig hatten sie kreuzen mussen, standig die Segel gekurzt und wieder gesetzt. Auf der Seekarte sah der Kurs wie die Spur eines verwundeten Kafers aus. Eine schnelle Fregatte ware inzwischen langst wieder auf Heimatkurs, dachte Bolitho neidisch.

Seine Hand mit der Feder blieb in der Luft hangen. Rufe vom oberen Deck drangen gedampft bis zu ihm herunter. Er loschte die Kerze, barg sie sorgfaltig in seiner Seekiste und legte den unvollendeten Brief unter das oberste seiner sauberen Hemden.

Als er aufs Oberdeck kam, kletterte er schnell zum Backbord-Decksgang hinuber, wo sich bereits Dancer und Grenfell an den Finknetzen festhielten. Aufmerksam spahten sie zum glitzernden Horizont.

«Land?«fragte Bolitho.

«Nein, Dick, ein Schiff!«Dancer grinste ihn an; sein Gesicht, das in dem hellen Sonnenschein noch gebraunter als sonst aussah, war voller Spannung. Man konnte sich jetzt kaum noch an den Regen und die bittere Kalte erinnern, dachte Bolitho. Die See war so blau wie der Himmel, und die leichte Brise war weder bei?end noch drohend, sondern einfach frisch. Hoch uber Deck leuchteten die Bram- und Marssegel wie bleiche Muschel-schalen, und am Masttopp stand der Wimpel steif nach Backbord wie eine blutrote Lanze.

«Deck ahoi!«Alles starrte nach oben auf den kleinen schwarzen Fleck, den Ausguck im Masttopp.»Sie tut nich' antworten, Sir!»

Da erst merkte Bolitho, da? es mit dieser Begegnung etwas auf sich hatte. Der Kapitan stand mit verschrankten Armen an der Reling; sein Gesicht lag im Schatten, und dicht neben ihm beobachteten Midshipman Marrack und seine Signalgasten ihre Hei?leinen und die bunte Reihe Flaggen an der Gro?rah, die das Signal» Welches Schiff?«bildeten.

Bolitho reckte sich so weit uber die Finknetze hinaus, da? er im Gesicht und auf den Lippen das Spruhwasser der Fahrtwelle spurte. Dann sah er das Schiff, eine Schonerbark mit schwarzem Rumpf, die Segel ungebra?t vor dem Hintergrund des blendenden Horizonts; die Masten schwangen in der Dunung.

Bolitho ging weiter nach achtern und horte Mr. Hope, den Wachoffizier, ausrufen:»Bei Gott, Sir, wenn der Kerl nicht auf unser Signal antwortet, hat er bestimmt nichts Gutes im Sinn!»

Verling wandte sich scharf zu ihm um; man sah es ihm an seiner Schnabelnase an, wie gereizt er war.»Wenn er wollte, Mr. Hope, konnte er vor dem Wind ausrei?en und ware in einer Stunde nicht mehr zu sehen!»

«Aye, Sir«, steckte Hope die Zurechtweisung ein. Der Kapitan ignorierte sowohl den Wortwechsel als auch die beiden Offiziere selbst.»Geben Sie dem Stuckmeister Order, bitte«, sagte er.»Er soll ein Buggeschutz ausfahren und ihm einen Schu? vor die Nase setzen, so dicht wie moglich. Die mussen schlafen oder betrunken sein.»

Aber auf das Krachen eines einzelnen Neunpfunders geschah nichts weiter, als da? eine Anzahl Matrosen der

Der Kapitan befahl kurz:»Segel kurzen und beidrehen, Mr. Verling! Und machen Sie das Achterdeckboot klar! Der Kerl gefallt mir nicht.»

Die Pfeifensignale schrillten und zwitscherten um das Hauptdeck, und innerhalb weniger Minuten drehte die Gorgon bei und legte ihren schweren Rumpf in den Wind; jedes Segel, jedes Tauende schlug und knallte in dem Durcheinander.

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