Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer - Kent Alexander


Alexander Kent

Eine letzte Breitseite

Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer

Wie Seeungeheuer teilten die Rumpfe die Wogen, wahrend turmhoch uber Deck die britische Kriegsflagge wehte.

Campbell

I Das Geschwader

Im Schutze des hochragenden, zerklufteten Felsens von Gibraltar zerrten Kriegsschiffe verschiedener Art und Gro?e an ihren Trossen und warteten darauf, da? die plotzliche Bo abflaute. Trotz gelegentlicher bla?blauer Streifen zwischen den jagenden Wolken war es so kuhl, da? man meinen konnte, man sei in der Biskaya und nicht im Mittelmeer.

In Anbetracht ihrer strategischen Wichtigkeit wirkte die Reede von Gibraltar erstaunlich leer. Hauptsachlich Versorgungsschiffe, Briggs und Schoner, hatten hier entweder Zuflucht gesucht oder warteten auf Orders. Nur drei gro?ere Kriegsschiffe lagen vor Anker, und zwar in betrachtlicher Entfernung von den in Gibraltar beheimateten Fahrzeugen. Es waren drei Linienschiffe mit je vierundsiebzig Geschutzen, zu dieser Zeit, im Januar 1798, die beliebtesten und am besten verwendbaren Kriegsschiffe.

Das dem Lande am nachsten liegende Schiff trug den Namen

Der Kommandant, Kapitan Thomas Herrick, wanderte auf dem breiten Achterdeck auf und ab und warf dabei kaum einmal einen Blick zur Kuste. Dachte er an Zustand und Aussehen seines Schiffes, so empfand er eher Besorgnis als Stolz. Monatelang hatte er in England pausenlos daran gearbeitet, die

Verangstigte, von den unermudlichen Pre?kommandos[1] an Bord geschleppte Manner, und auch Freiwillige, deren Motive vom Patriotismus bis zur Flucht vor dem Henker reichten, waren schlie?lich langsam und muhevoll zu einer Art Besatzung zusammengeschwei?t worden, die zwar alles andere als perfekt war, jedoch fur die Zukunft einiges erhoffen lie?. Sobald sich die

Jetzt lag Herrick unter dem Gibraltarfelsen vor Anker und hatte mit wachsender Nervositat auf diesen Tag gewartet. Weitere Schiffe waren eingelaufen und hatten in der Nahe geankert: die beiden anderen Vierundsiebziger,

Harebell;

Diese Vorsprache hatte weitreichende Folgen gehabt: fur Bolitho die sofortige Beforderung zum Kommodore, fur Herrick den Rang eines Flaggkapitans. Ihr Admiral hatte weniger Gluck gehabt. Man hatte ihn auf einen Gouverneursposten in New South Wales abgeschoben; sein schneller Sturz bewies, wie kurz der Weg vom privilegierten Gunstling zum vergessenen Mann sein konnte.

Zunachst hatte sich Herrick uber seine Ernennung zum Flaggkapitan in Bolithos Geschwader machtig gefreut. Aber diese Freude wurde durch eine andere Entscheidung der Admiralitat leicht getrubt: Bolitho hatte sein Schiff, die

Er hielt in seinem Schreiten inne und uberschaute die geschaftigen Decks. Auf den Laufbrucken, an den Bootsgestellen, uberall arbeiteten Matrosen. Andere balancierten hoch oben im schwarzen Gewirr der Wanten, Stage, Schoten, Fallen und Brassen und sorgten dafur, da? kein schamfieltes Tau, kein gebrochenes Stag cas Auge des neuen Kommodore beleidigen wurde, wenn er durch die Fallreepspforte trat. Die Marine-Infanteristen waren bereits angetreten. Wegen Leroux, ihrem Major, brauchte Herrick sich keine Sorgen zu machen. Eben sprach er mit seinem Leutnant, einem etwas zerstreuten jungen Mann namens Nepean; ein Sergeant inspizierte Musketen und Uniformen.

Dem Midshipman[2] der Wache mu?te schon der Arm weh tun. Er hatte, seit Herrick an Deck war, ausdrucklichen Befehl, standig das schwere Teleskop am Auge zu halten, um es sofort melden zu konnen, wenn das Boot des Kommodore von der Mole ablegte.

Herrick sah zu den anderen Schiffen hinuber. Bis jetzt hatte er wenig mit ihren Kommandanten zu tun gehabt, doch wu?te er bereits eine ganze Menge uber sie. Von der kleinen Schaluppe, die im heftigen Wind so ungemutlich dumpelte, da? sich der Kupferbeschlag ihres Unterwasserschiffs in regelma?igen Abstanden aus dem Wasser hob, bis zum au?ersten Zweidecker,

Harebell,

Buzzard,

Wieder blieb Herricks Blick auf der

Phalarope

Osiris ansah, ging es ihm nicht viel anders. Das reiche Schnitzwerk an Kampanje[3] und Bug war mit echter Goldfarbe bemalt, ein au?eres Zeichen fur den hohen gesellschaftlichen und finanziellen Status ihres Kommandanten. Bis jetzt hatte Herrick ein Zusammentreffen vermeiden konnen, abgesehen von Farquhars Meldung, als er in Gibraltar zum Geschwader stie?. Doch schon bei dieser Gelegenheit welkten Herricks beste Vorsatze, als Farquhar naselte:»Horen Sie mal, viel Geld haben Sie wohl nicht in Ihren alten Kasten gesteckt, eh?«Wieder dieses irritierende Lacheln.»Das wird aber unserem Herrn und Meister nicht gefallen, wissen Sie.»

Plotzlich offnete sich die unterste Reihe der Stuckpforten in der abgeschragten Bordwand der

Herrick bekam einen Schreck. Farquhar lie? sich den ehrgeizigen Kopf nie von dummen Erinnerungen oder Abneigungen vernebeln. Er scherte sich nur um das, was ihm gerade am wichtigsten war, und jetzt hie? das: einen guten Eindruck beim Kommodore zu machen. Nur war dieser Kommodore ausgerechnet Richard Bolitho, ein Mann, der Herrick teurer war als jeder andere lebende Mensch. Farquhar jedoch hatte sich auch vom Teufel personlich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Zu allem Ungluck erklang erst jetzt die Stimme des Midshipman der Wache:»Boot legt von der Mole ab, Sir!»

Herrick leckte sich die Lippen. Sie waren trocken wie Asche.»Schon, Mr. Saxby. Mein Kompliment an den Ersten Offizier, und er kann jetzt zur Begru?ung antreten lassen.»

Richard Bolitho schritt zum Heckfenster seiner geraumigen Tageskajute und sah zu den anderen Schiffen hinuber. So folgenreich das Ereignis auch war, da? er zum erstenmal an Bord seines eigenen Flaggschiffs feierlich empfangen worden war — er konnte seinen Ubermut kaum zugeln. Wie Wein und Gelachter sprudelte es in ihm, und nur mit letzter Kraft wahrte er die Form.

Er wandte sich um: da stand Herrick neben der Tur und sah ihn an. Ein paar Matrosen stellten sorgfaltig allerlei Kasten und Kisten auf, die aus dem Boot an Bord gehievt worden waren; irgendwo schimpfte Allday, sein Bootsfuhrer, mit jemandem, der nicht aufgepa?t hatte.

«Danke, Thomas, das war ein schoner Empfang.»

Bolitho schritt uber die schwarz-wei?en Karos des Fu?bodenbelags auf Herrick zu und ergriff dessen Hand. Oben horte er das Getrampel der abruckenden Marine-Infanterie und die sonstigen wohlbekannten Gerausche des Borddienstes.

Herrick lachelte verlegen und deutete auf das Gepack.»Danke, Sir. Ich hoffe, Sie haben alles mitgebracht, was Sie brauchen. Es wird wohl eine ziemlich lange Fahrt werden.»

Bolitho musterte ihn nachdenklich. Herricks untersetzte Gestalt, sein schlichtes, volles Gesicht und die leuchtendblauen Augen waren ihm fast so vertraut wie die Alldays. Aber irgendwie kam ihm Herrick verandert vor. Es war nur vier Monate her, und doch..

Was hatte sich alles ereignet, seit sie zusammen auf der Admiralitat gewesen waren! Die zahlreichen Unterredungen mit Mannern, die so viel ranghoher und machtiger waren als er, da? es ihn immer noch verbluffte, was eine Beforderung wie die seinige bewirken konnte. Jedesmal, wenn er die Befurchtung au?erte, die Ausrustung seines neuen Flaggschiffs ginge nicht schnell genug voran, hatte er ihnen angesehen, da? sie sich leise uber ihn amusierten.

Sir George Beauchamp, der Admiral, der seine Beforderung ausgesprochen hatte, druckte es schlie?lich so aus:»Diese Details mussen Sie jetzt vergessen, Bolitho. Um das Schiff kummert sich sein Kommandant, Sie haben Wichtigeres zu tun.»

Schlie?lich war Bolitho mit einer schnellen Fregatte nach Gibraltar gesegelt. In der Tejomundung hatten sie Station gemacht, weil er Depeschen fur das Flaggschiff der Blockadeflotte brachte. Dort war er vom Admiral, dem Earl of St. Vincent, empfangen worden, der diesen Titel nach seinem gro?en Sieg vor elf Monaten erhalten hatte. Der Admiral, den manche seiner Untergebenen immer noch liebevoll» Old Jarvy «nannten (aber nur, wenn er es nicht horte), hatte ihn munter begru?t.

«Also, Sie haben jetzt Ihre Befehle«, hatte er gesagt.»Sehen Sie zu, da? Sie sie ausfuhren! Seit Monaten wissen wir nicht mehr, was die Franzosen vorhaben. Unsere Agenten in den Kanalhafen berichten lediglich, da? Bonaparte mehrmals an der Kuste gewesen ist, um Plane fur eine Invasion Englands auszuarbeiten. «Ein kurzes, trockenes Auflachen, typisch fur ihn.»Aber was ich ihm bei Kap St. Vincent zu schlucken gegeben habe, wird ihn wohl gelehrt haben, zur See ein bi?chen vorsichtiger zu manovrieren. Bonaparte ist ein Landmensch. Ein Planer. Unglucklicherweise haben wir niemanden, der ihm gewachsen ist. Zu Lande, meine ich.»

Im Ruckblick fand Bolitho es erstaunlich, was der Admiral in dieser kurzen Unterredung alles klargestellt hatte. Fast pausenlos war er auf See gewesen, und doch besa? er uber die Lage sowohl in den heimischen Gewassern wie auch im Mittelmeer einen besseren Uberblick als mancher von der Admiralitat.

Beim Auf- und Abgehen auf dem Achterdeck hatte der Admiral gelassen gesagt:»Beauchamp ist der Richtige, um so ein Unternehmen zu planen. Aber zur Ausfuhrung sind erfahrene Seeoffiziere notig. Dank Ihrer vorjahrigen Aktionen im Mittelmeer wissen wir einiges mehr uber die Absichten der Franzosen. Broughton, Ihr damaliger Admiral, hat vielleicht die wahre Bedeutung erst begriffen, als es zu spat war. Zu spat fur

was

Und nun, nach all diesen Besprechungen, dem Wuhlen in Agentenberichten, dem Sondieren, was von den zahllosen Vermutungen uber Absichten und Motive des Feindes wirklich wichtig war, befand sich Bolitho endlich an Bord seines Flaggschiffes. Jenseits der dicken Fensterscheiben lagen andere Schiffe, die ihm samtlich durch den breiten, gespaltenen Wimpel verbunden waren, der im Masttopp flatterte, seit er unter dem Knallen der prasentierten Musketen, dem Spiel der Pfeifen und Trommeln an Bord geklettert war.

Immer noch konnte er es nicht glauben. Er war doch derselbe wie vorher: voller Ungeduld, mit seinem neuen Schiff in See zu gehen.

Aber der Unterschied wurde bald uberall deutlich werden. Als sein Erster Offizier hatte Herrick bisher zwischen Kommandant und Mannschaft gestanden, Bindeglied und Schranke zugleich. Jetzt, als Flaggkapitan, stand Herrick zwischen ihm und den anderen Offizieren, zwischen dem kleinen Geschwader und jedem einzelnen Mann auf jedem einzelnen Schiff: funf Schiffe mit insgesamt uber zweitausend Mann. Daran zeigte sich die Bedeutung seiner Stellung als Geschwaderkommodore und die gestiegene Aufgabe Herricks.

«Was macht der junge Adam Pascoe?«fragte Bolitho.»Ich habe ihn beim Anbordkommen nicht gesehen. «Schon als er fragte, sah er, da? Herrick plotzlich ein Dienstgesicht bekam.

«Ich wollte es Ihnen gerade erzahlen, Sir. Er liegt im Krankenrevier. Ein kleiner Zwischenfall, aber Gott sei Dank nichts Ernstes.»

«Die Wahrheit, Thomas!«verlangte Bolitho.»Ist mein Neffe krank?»

Herrick sah auf, seine blauen Augen blitzten auf einmal argerlich.»Ein dummer Streit mit dem Sechsten Offizier der

Herrick schluckte.»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, mochte ich die Sache selbst regeln.»

Bolitho spurte, da? sich eine gro?e Kluft zwischen ihn und seinem Freund auftat. Langsam nickte er.

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