Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos - Kent Alexander 2 стр.


Bolitho horte das Trillern der Pfeifen und das Platschen, mit dem der Anker in dieses Gewasser fiel, das er so gut kannte. Bald wurde sein Flaggkapitan weitere Befehle erbitten. So sehr er es auch versuchte, Bolitho vermochte in Kapitan Haven weder einen inspirierenden Kommandanten noch seinen personlichen Berater zu sehen. Er war ein zu farbloser, sachlicher Mensch. Trotzdem wu?te Bolitho, da? er Haven unrecht tat, denn er war nur wenige Tage vor der Uberfahrt nach Westindien an Bord gekommen und hatte sich in den folgenden drei?ig Tagen in seinen Raumen fast vollig isoliert, so da? sich sogar sein Bootssteurer Allday sorgte.

Das lag wahrscheinlich an Havens Verhalten bei ihrem ersten gemeinsamen Rundgang durchs Schiff an dem Tag, bevor sie in See stachen. Haven hatte es offenbar als merkwurdig empfunden, da? sein Admiral mehr zu sehen wunschte als nur seine Kajute und das Achterdeck, ganz zu schweigen von seinem Interesse fur die Batterien und den untersten Raum im Schiff, das Orlopdeck. Wie sollte Haven auch verstehen? Es war nicht seine Schuld.

Bolitho hatte Havens offensichtliche Unzufriedenheit mit diesem alten Schiff wie eine personliche Krankung aufgenommen.»Sie mag alt sein, Kapitan Haven, aber sie hat schon viele weit jungere besiegt«, rugte er.»In der Chesapeake Bay, bei den Saintes, vor Toulon und in der Biskaya — ihre Verdienste im Kampf lesen sich wie eine Geschichte der Navy selbst!«Seine Reaktion war ungerecht gewesen, aber Haven hatte es besser wissen sollen.

Jeder Schritt auf diesem Rundgang hatte seine Erinnerungen wieder aufleben lassen. Die Gesichter und Stimmen pa?ten nicht mehr, aber das Schiff war noch immer dasselbe. Sie hatte neue Masten bekommen, auch die Kanonen, mit denen sie die Breitseiten von Lequillers Tornado erwidert hatte, waren zum gro?ten Teil durch schwerere ersetzt, dazu leuchtende Farbe und sauber geteerte Decksnahte; doch nichts konnte ihm seine Hyperion entfremden. Er blickte sich um und sah sie wie zuvor. Dabei war sie immerhin zweiunddrei?ig Jahre alt. Als sie in Deptford von Stapel lief, war sie aus bester, abgelagerter kentischer Eiche gebaut. Aber die gro?en Tage des Schiffbaus waren fur immer vorbei; heute waren die meisten Walder ihres edelsten Holzes beraubt.

Ironischerweise war ihr gro?er Gegner

Bolitho stutzte sich auf einen der Stuhle und grubelte. Soviel von ihm steckte in diesem Flaggschiff. Sein Bruder war auf dem Achterdeck gestorben, gefallen, um seinen einzigen Sohn Adam zu retten. Und der gute Inch, der es bis zum Ersten Leutnant der

gebracht hatte. Er sah ihn wieder vor sich mit dem offenen Grinsen auf seinem Pferdegesicht. Nun war auch er tot wie so viele. Wie Cheney — sie war ebenfalls uber diese Decksplanken gegangen. Er stie? den Stuhl beiseite und trat verargert an die Heckfenster.

«Sie haben gerufen, Sir Richard?»

Das war Ozzard, sein Steward. Was ware das Schiff ohne ihn? Bolitho drehte sich um. Er mu?te Cheneys Namen laut ausgesprochen haben. Wie oft und wie lange wurde er sie noch so vermissen?

Er sagte:»Ich. Tut mir leid, Ozzard.»

Ozzard faltete seine Hande unter der Schurze wie Pfotchen und blickte auf die glitzernde Reede hinaus.»Alte Zeiten, Sir Richard?»

«Aye. «Bolitho seufzte.»Wir sollten lieber in der Gegenwart bleiben.»

Ozzard hielt ihm den schweren Rock mit den glanzenden Epauletten hin. Drau?en vor der Tur horte Bolitho das Trillern der Pfeifen und das Knarren der Taljen, als die Boote ausgeschwungen wurden.

Landgang! Das war auch fur ihn einmal ein Zauberwort gewesen.

Ozzard beschaftigte sich mit dem Rock, nahm aber keinen der beiden Degen aus dem Gestell. Er und Allday waren enge Freunde, obwohl manche sie eher fur Feuer und Wasser hielten. Allday erlaubte es keinem anderen, Bolitho den Degen umzuschnallen. Er war wie das alte Schiff, dachte Bolitho, ein Herz aus bester englischer Eiche; wenn er einmal abtrat, wurde keiner seinen Platz einnehmen.

Ozzard schien besturzt daruber, da? er den alten Zweidecker gewahlt hatte, obwohl er ein Schiff der Ersten Klasse hatte haben konnen. Auf der Admiralitat hatten sie leise angedeutet, da?

nach dreijahriger Reparatur und Ausrustung wieder seetuchtig, sich von der letzten Schlacht trotzdem nie ganz erholen wurde.

Merkwurdigerweise war es Nelson gewesen, den Bolitho niemals getroffen hatte, der die Angelegenheit entschied. Irgendjemand mu?te dem kleinen Admiral geschrieben und von Bolithos Ersuchen berichtet haben. Nelson hatte Ihren Lordschaften mit der fur ihn typischen Kurze in einer Depesche mitgeteilt:»Man gebe Bolitho jedes Schiff, das er verlangt. Er ist Seemann, kein Landmann!»

Es hatte» Nel «amusiert, dachte Bolitho.

war bis zu ihrer Wiederverwendung vor wenigen Monaten eine ausgemusterte Hulk gewesen. Aber Nelson selbst hatte seine Flagge auf der

Irgendwie schien es nur richtig, da? die beiden alten Schiffe wieder auflebten, nachdem man sie trotz allem, was sie geleistet hatten, gedankenlos versto?en hatte.

Die Tur offnete sich, und Daniel Yovell, Bolithos Sekretar, trat verdrossen ein. Bolitho wurde wieder weich. Wegen seiner schlechten Stimmung war es fur keinen von ihnen leicht gewesen. Sogar Yovell, rundlich, gebeugt und so penibel in seiner Arbeit, hatte sich wahrend der vergangenen drei?ig Tage sorgfaltig auf Distanz gehalten.

«Der Kommandant wird gleich hier sein, Sir Richard.»

Bolitho schlupfte mit den Armen in den Galarock und zwangte sich schulterzuckend in die bequemste Haltung.

«Wo ist mein Flaggleutnant?«Er mu?te lacheln. Anfangs war es ihm schwergefallen, einen personlichen Adjutanten zu akzeptieren. Jetzt, nach zwei Vorgangern, fand er sich leichter mit diesem hier ab.

«Wartet auf die Offiziersbarkasse. Danach — , «Yovells Schultern hoben sich,»- danach mussen Sie die ortlichen Wurdentrager aufsuchen. «Er deutete Bolithos Lacheln als Wende zum Besseren, denn nach der einfachen Denkart seiner Landsleute aus Devon sollte alles so sein wie immer.

Bolitho erlaubte es Ozzard, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und seine Halsbinde zurechtzurucken. All die Jahre war er vom Wort der Admiralitat oder des jeweiligen Vorgesetzten abhangig gewesen, wo immer er sich auch befand. Es fiel ihm noch schwer zu glauben, da? diesmal keine ubergeordnete Instanz zu fragen oder zufriedenzustellen war. Jetzt war er der ranghochste Offizier. Naturlich wurde sich am Ende der ungeschriebene Marinekodex durchsetzen: Wenn er erfolgreich war, wurden andere das Verdienst beanspruchen. Lag er falsch, konnte er ebensogut gleich die Schuld auf sich nehmen.

Bolitho besah sich im Spiegel und schnitt eine Grimasse. Sein Haar war noch schwarz, abgesehen von der silbernen Strahne, welche die alte Narbe bedeckte. Die Falten in den Mundwinkeln hatten sich vertieft. Sein Spiegelbild erinnerte ihn an das Olportrat seines alteren Bruders Hugh, das in Falmouth hing wie so viele ehemalige Bolithos aus dem gro?en grauen Steinhaus. Jetzt stand es bis auf seinen treuen Verwalter Ferguson und die Diener leer. Er unterdruckte einen plotzlichen Anfall von Depression.

Nun war er hier und hatte, was er sich gewunscht hatte:

Sie waren beinahe zusammen gestorben.

Yovell trat beiseite, sein rotbackiges Gesicht wurde wachsam.»Der Kommandant, Sir Richard.»

Haven kam herein, den Hut unterm Arm.»Schiff liegt vor Anker, Sir.»

Bolitho nickte. Er hatte Haven angewiesen, ihn nicht mit seinem Titel anzureden, es sei denn, die Etikette verlangte es. Die Kluft zwischen ihnen war ohnehin gro? genug.

«Ich komme.»

Ein Schatten verdunkelte die Tur, und Bolitho entging nicht der Anflug von Arger auf Havens Gesicht.

Doch Allday druckte sich am Flaggkapitan vorbei.»Die Barkasse liegt bereit, Sir Richard. «Nachdenklich betrachtete er die Degen in ihrer Halterung.»Den richtigen heute?»

Bolitho lachelte; Allday hatte zwar eigene Probleme, aber die behielt er fur sich. Bootssteurer? Ein echter Freund ware die bessere Bezeichnung fur ihn gewesen. Sicherlich mi?billigte es Haven, da? ein Untergebener kommen und gehen konnte, wie es ihm gefiel.

Allday beugte sich vor und schnallte Bolitho den alten Familiendegen um. Die Lederscheide war schon mehrmals erneuert worden, aber der verfarbte Griff war noch derselbe und die blanke, veraltete Klinge so scharf wie eh und je.

Bolitho tatschelte den Degen an seiner Hufte.»Noch ein guter Freund. «Ihre Augen trafen sich. Aller Einflu? seines Ranges zahlte nichts im Vergleich zu ihrer engen Bindung.

Haven war mittelgro?, fast untersetzt, mit lockigem rotblo ndem Haar. Erst Anfang der Drei?ig, hatte er doch schon das Aussehen eines seriosen Anwalts oder eines Kaufmanns in der Londoner City. Seine Miene druckte zuruckhaltende Erwartung aus. Bolitho hatte ihn gelegentlich in seiner Kajute aufgesucht und dort das kleine Portrat einer hubschen Frau mit lockigem Haar in einem Blumenkranz bewundert.

«Meine Frau«, hatte Haven entgegnet, aber in einem Tonfall, der weitere Fragen ausschlo?. Ein seltsamer Mann, dachte Bolitho. Doch das Schiff wurde von ihm geschickt gefuhrt, trotz der vielen neuen Leute und einer Uberzahl von Landratten. Es schien aber, da? auch dem Ersten viel Verdienst daran zukam.

Bolitho schritt durch die Tur, an dem strammstehenden Seesoldaten vorbei und in das glei?ende Sonnenlicht hinaus. Es war sonderbar, das Ruder verlassen und in Mittschiffsstellung festgelascht zu sehen. Auf See hatte Bolitho taglich seine einsamen Spaziergange an der Windseite des Achterdecks absolviert, hatte sein kleines Geleit und die dazugehorende Fregatte beobachtet, wahrend er uber die abgenutzten Planken schritt ohne nachzudenken, den Geschutztaljen und Ringbolzen automatisch ausweichend.

Augen sahen ihn vorubergehen, um sich schnell abzuwenden, wenn er in ihre Richtung blickte. Damit mu?te er leben, aber er wurde es nie leiden konnen.

Nun lag das Schiff still. Taue wurden heruntergegeben, Decksoffiziere beaufsichtigten halbnackte Matrosen, damit das Flaggschiff des Admirals so schmuck aussah, wie man es erwarten konnte. Hoch oben im schwarzen Gewirr der Stage, Pardunen und festgemachten Segel bewegten sich perspektivisch verkurzte Gestalten und sicherten eifrig alles.

Einige der Leutnants gingen dem Admiral aus dem Weg, als er ubers Achterdeck schritt, um herunterzuschauen auf die Reihen der Achtzehnpfunder, welche die Originalbatterie der Zwolfpfunder ersetzt hatten.

Geisterhaft tauchten Gesichter vor ihm auf, Kanonendonner ubertonte die gebrullten Anweisungen und das Geklapper der Blocke. Die Decks schienen durch Einschlage wieder wie von Riesenkrallen zerkratzt. Darauf Manner, die fielen und starben und nach Hilfe flehten, wo es keine gab. Sein eigener Neffe Adam, damals vierzehn Jahre alt, mitten drin, bleich und doch wild entschlossen, als die kampfenden Schiffe zu einem letzten Ringen zusammenprallten.

Havens Stimme ri? Bolitho aus seinen Erinnerungen.

«Das Boot lieg bereit, Sir.»

Bolitho wies an ihm vorbei.»Wieso haben Sie keine Windhutzen aufriggen lassen, Kapitan?»

Warum konnte er es nicht uber sich bringen, Haven mit Vornamen anzureden? Was war mit ihm los?

Der zuckte mit den Achseln.»Sie sind von Land aus kein schoner Anblick, Sir.»

«Aber sie fuhren den Leuten in den Batteriedecks frische Luft zu. Also hoch damit.»

Er gab sich Muhe, seinen Arger zu unterdrucken, da? Haven nicht der Backofenhitze in den ubervolkerten Decks Rechnung trug. Die

war hundertachtzig Fu? lang und trug eine Besatzung von sechshundert Offizieren, Matrosen und Seesoldaten. In dieser Hitze mu?ten sie sich wie doppelt so viele vorkommen.

Er sah, wie Haven dem Ersten Leutnant die Anordnung kurz weitergab. Letzterer warf Bolitho einen dankbaren Blick zu. Frische Luft!

Der Erste war auch so ein komischer Vogel. Mit uber drei?ig etwas alt fur seinen Rang, war er schon Kommandant einer Brigg gewesen. Als man die Brigg auflegte, wurde seine Ernennung nicht bestatigt, man stufte ihn auf den alten Dienstgrad zuruck. Er war schlank und im Gegensatz zu seinem Kommandanten ein Mann von sichtbarem Eifer und Enthusiasmus. Sein gutes, zigeunerhaftes Aussehen erinnerte Bolitho an ein Gesicht aus der Vergangenheit, er wu?te nur nicht, an welches. Bei seinen Untergebenen war er anscheinend beliebt und alles in allem jene Sorte Offizier, der die Fahnriche nachzueifern strebten.

Unterhalb des schon geschwungenen Bugsprits waren die breiten Schultern der Galionsfigur zu sehen. Sie hatte sich ihm eingepragt, als er das Schiff in Plymouth verlassen mu?te.

war damals so angeschlagen und beschadigt gewesen, da? er sich kaum vorstellen konnte, wie sie davor ausgesehen hatte. Nur die Galionsfigur erzahlte eine andere Geschichte.

Ihre Goldfarbe mochte Schrammen davongetragen haben, aber die stechenden blauen Augen unter der Krone aus Sonnenstrahlen starrten so anma?end wie immer in die Welt. Ein muskuloser Arm streckte noch den gleichen Dreizack dem Horizont entgegen. Sogar von achtern wirkte der Anblick auf Bolitho vertraut.

einer der Titanen, hatte die Schmach eines Lebens als Invalide abgeworfen.

Allday beobachtete Bolitho scharf. Er hatte den nachdenklichen Blick erkannt und erriet, was er bedeutete. Der Vizeadmiral war mit seinen Gedanken wieder mal ganz woanders. Ob er mit ihm ubereinstimmte oder nicht, er hing an ihm wie an keinem anderen und ware fur ihn ohne Zogern gestorben.»Die Barkasse ist bereit, Sir Richard. «Gern hatte er hinzugefugt, da? die Bootscrew noch nicht perfekt war. Noch nicht…

Bolitho ging langsam zur Pforte. Das Boot lag unten langsseits. Jenour, sein neuer Flaggleutnant, sa? schon darin, desgleichen Yovell mit einer Dokumentenmappe auf den fetten Schenkeln. Ein Fahnrich stand steif wie ein Ladestock im Heck. Bolitho vermied es, die jugendlichen Gesichtszuge zu studieren. Das war alles vorbei. Er kannte keinen auf diesem Schiff.

Schnell blickte er in die Runde und sah, wie die Pfeifer der Ehrenwache ihre Instrumente an die feuchten Lippen hoben, sah die Seesoldaten die Gewehre prasentieren. Er sah Haven und seinen Ersten Leutnant, dazu all die anderen anonymen Gesichter, das Blau und Wei? der Offiziere, das Scharlachrot der Seesoldaten, die gebraunten Korper der Seeleute. Am liebsten hatte er ihnen gesagt:»Ich bin hier zwar Admiral, aber die

ist noch immer

Bolitho kletterte das steile Fallreep hinunter ins Boot. Sein letzter Blick auf Haven uberraschte ihn: Die Augen des Kommandanten waren kalt und feindlich. Es wurde gut sein, sich dessen zu erinnern.

Das Wachboot glitt heran und wartete, um die Barkasse durch die vor Anker liegenden Schiffe und den Verkehr der Hafenfahrzeuge zu geleiten.

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