Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos - Kent Alexander 3 стр.


Bolitho beschattete seine Augen und schaute zum Land. Wieder eine neue Herausforderung. Aber im Augenblick war ihm eher nach Flucht zumute.

II Ein Wiedersehen

John Allday lugte unter der Krempe seines Hutes hervor und sah die einlaufende Stromung das Wachboot aus dem Kurs drangen. Er legte die Pinne, und Bolithos frisch gestrichene grune Barkasse folgte dem anderen Boot ohne eine Unterbrechung im Takt der Ruderer. Alldays Ruf als des Admirals personlicher Bootssteurer war legendar.

Er sah uber die Bootscrew hinweg, die Gesichter sagten ihm nichts. Das Boot selbst war von ihrem letztem Schiff, der

zu rekrutieren. Allday musterte die Manner im Heck. Das waren Yovell, den man vom Schreibergehilfen zum Sekretar befordert hatte, und der neue Flaggleutnant. Der junge Offizier schien recht annehmbar, kam aber nicht aus einer seefahrenden Familie. Die meisten sahen diese besonders anstrengende Stellung als einen sicheren Weg zur Beforderung an. Fur ein Urteil uber Jenour war es noch zu fruh, beschlo? Allday. Auf einem Schiff, in dem sich sogar die Ratten fremd waren, tat man gut daran, keine vorschnellen Meinungen zu au?ern.

Seine Augen blieben auf Bolithos breiten Schultern haften, und er versuchte die Besorgnis zu unterdrucken, die ihn seit ihrer Ruckkehr nach Falmouth begleitete. Trotz der Schmerzen und des Blutzolls der Schlacht hatte es eine stolze Heimkehr sein sollen. Sogar die Verletzung von Bolithos linkem Auge schien weniger schlimm im Vergleich zu dem, was sie zusammen durchgemacht hatten. Das war vor ungefahr einem Jahr passiert, an Bord des kleinen Kutters

Allday entsann sich jedes einzelnen Tages, der qualvollen Gesundung, der moralischen Starke des Mannes, dem er diente und den er verehrte. Bolitho hatte ihn immer wieder in Erstaunen versetzt, obwohl sie nun uber zwanzig Jahre zusammen waren.

Sie kamen vom Hafen in Falmouth und hielten an der Kirche, die zu einem Teil von Bolithos Familiengeschichte geworden war. Generationen waren mit ihr verbunden, durch Hochzeiten und Geburten, durch Dank fur die Siege auf See, aber auch durch gewaltsamen Tod. Allday war an jenem Sommertag am gro?en Portal der stillen Kirche stehengeblieben und hatte mit Erstaunen und Trauer gehort, wie Bolitho ihren Namen aussprach:

Alle hatten sie gewartet, um ihn zu begru?en: Ferguson, der Verwalter, der einen Arm bei den Saintes verloren hatte, was schon eine Million Jahre zuruckzuliegen schien; seine rotbackige Frau Grace, die Haushalterin, und das andere Personal. Es gab Lachen, Hochrufe und eine Menge Tranen obendrein. Doch

Belinda und die kleine Elizabeth waren nicht dagewesen. Ferguson sagte, sie hatte in einem Brief ihre Abwesenheit erklarte. Oft genug fand ein heimkehrender Seemann seine Familie in Unkenntnis uber sein Kommen, aber hier hatte es in keinem schlimmeren Augenblick geschehen oder Bolitho harter treffen konnen.

Nicht einmal sein junger Neffe Adam, der nun die Brigg

war nun die Gegenwart. Allday achtete auf den Schlagmann, dessen Riemen schlecht eintauchte und Spritzwasser ubers Dollbord warf. Verdammte Stumper! Sie wurden das eine oder andere noch zu lernen haben, und wenn er sich jeden einzelnen personlich vornehmen mu?te.

Die alte

war fur sie keine Fremde, nur ihre Leute waren das. Entsprach das Bolithos Wunschen? Allday wu?te es nicht. Wenn Keen hier Flaggkapitan gewesen ware oder auch der arme Inch, hatten die Dinge besser ausgesehen. Aber Kapitan Haven war ein kalter Fisch. Dessen Bootssteurer, ein Waliser namens Evans, hatte ihm bei einem Glas Rum anvertraut, sein Herr hatte keinen Humor und lie?e niemanden an sich heran.

Allday grubelte weiter uber Bolitho nach. Wie er sich doch verandert hatte! Ein Schiff folgte dem anderen, sie befuhren verschiedene Meere, aber gewohnlich blieb der Feind sich gleich. Und Bolitho hatte ihn immer wie einen Freund behandelt, wie einen, der zur Familie gehorte. Das hatte er einmal beilaufig gesagt, aber Allday hatte es wie etwas Kostbares im Gedachtnis bewahrt.

Es war schon seltsam, wenn man daruber nachdachte. Einige seiner alten Messegefahrten hatten ihn vielleicht sogar damit geneckt, hatte der Respekt vor seinen Fausten sie nicht zuruckgehalten. Aber Allday wie auch Ferguson waren einmal in den Dienst des Konigs gepre?t und auf Bolithos Schiff, die Fregatte

gesteckt worden — kaum die rechte Basis fur eine Freundschaft. Trotzdem war Allday seit dem Gefecht bei den Saintes freiwillig bei Bolitho geblieben, als dessen alter Bootssteurer Stockdale getotet wurde. Er war sein ganzes Leben Seemann gewesen, nur kurze Zeit hatte er an Land ausgerechnet als Schafer gearbeitet. Er wu?te wenig uber seine Abstammung und die Leute, die ihn gro?gezogen hatten, was ihn mit zunehmendem Alter zuweilen beunruhigte.

Er studierte Bolithos altmodischen Nackenzopf, der unter seinem goldbetre?ten Hut hervorsah. Noch war er rabenschwarz. Seine Erscheinung blieb jugendlich, so da? er manchmal irrtumlich fur Adams alteren Bruder gehalten wurde. Sofern Allday es uberhaupt wu?te, hatte er das gleiche Alter: siebenundvierzig. Doch wahrend er voller wurde und sein dickes braunes Haar graue Streifen bekam, schien Bolitho nicht zu altern. Allday kannte ihn von allen Seiten: als einen Tiger im Gefecht, aber auch als einen Mann, den es fast zu Tranen ruhrte, wenn er Schiffe und Menschen in einer Seeschlacht sterben sah.

Das Wachboot schwenkte unter dem ausladenden Kluverbaum eines hubschen Schoners durch. Allday beugte sich uber die Pinne und hielt den Atem an, als er seine alte Wunde in der Brust brennen fuhlte. Nur selten konnte er sie vergessen: die spanische Klinge, die wie aus dem Nichts gekommen war, und Bolitho, der ihn deckte, ihm das Leben rettete.

Die Wunde machte ihm Muhe, und es fiel ihm oft schwer, seine Schultern zu straffen, ohne da? Schmerz ihn durchscho?. Bolitho hatte ihm nahegelegt, an Land zu bleiben, wenigstens vorubergehend. Langst bot er ihm nicht mehr die Chance einer Freistellung von der Navy an, der er so gut gedient hatte. Denn er wu?te, das hatte Allday fast mehr geschmerzt als die Wunde selbst.

Die Barkasse strebte der nachsten Anlegepier zu. Bolithos Finger umklammerten die Scheide seines alten Degens, den er zwischen den Knien hielt. So viele Gefechte hatten sie gemeinsam bestanden, so oft hatten sie sich gefragt, weshalb sie wieder einmal verschont geblieben waren, obwohl so viele andere fielen.

«Klar bei Bootshaken!«Allday beobachtete kritisch, wie der Bugmann den Riemen einzog, aufstand und mit dem bereitgehaltenen Haken nach der Pierkette tastete. In ihren geteerten Huten und karierten Hemden sahen die Leute forsch und schmuck aus, aber es brauchte mehr als Farbe, damit ein Schiff segeln konnte. Auch Allday selbst war eine stattliche Erscheinung, obwohl er sich dessen kaum bewu?t war, wenn er nicht gerade das Auge des einen oder anderen Madchens auf sich zog, was ofter geschah, als er zugab. In seinem blauen Rock mit den goldenen Knopfen, den ihm Bolitho spendiert hatte, und in seinen Nankingbreeches war er jeder Zoll ein alter Salzwasserbuckel.

Das Wachboot machte Platz, der verantwortliche Offizier zog aufstehend den Hut, wahrend die Ruderer zum Gru? ihre Riemen hochstellten. Allday bekam einen Schreck, als sich Bolitho ihm zuwandte, eine Hand uberm Auge, um es vor der Helligkeit zu schutzen. Er sagte nichts, aber sein Blick war so deutlich, als ob er laut gerufen hatte: eine dringende Bitte, die alle anderen ausschlo?. Allday war eine simple Seele, aber er erinnerte sich dieses Blickes noch lange, nachdem Bolitho die Barkasse verlassen hatte. Er machte ihm Sorge und ruhrte ihn zugleich.

Er sah, da? die Bootscrew ihn anstarrte, und brullte:»Ich hab' schon geschicktere Kerls als ihr aus'm Puff geschmissen. Bei Gott, nachstes Mal strengt euch lieber mehr an, sonst sollt ihr mich kennenlernen!»

Flaggleutnant Jenour stieg an Land und lachelte uber den Fahnrich, der bei der Schimpfkanonade des Bootssteurers verlegen errotete. Der Flaggleutnant war erst einen Monat bei Bolitho, begann aber schon, die ungewohnliche Ausstrahlung des Mannes, dem er beigeordnet war, zu begreifen. Wie fur den Fahnrich war er auch fur ihn ein Held.

Bolithos Stimme ri? ihn aus seinen Gedanken.»Kommen Sie, Mr. Jenour, das Boot kann warten, der Krieg nicht.»

«Aye, aye, Sir Richard. «Jenour grinste und dachte an seine Eltern in Hampshire, die den Kopf geschuttelt hatten, als er ihnen seine Absicht eroffnete, eines Tages Bolithos Adjutant zu werden.

Bolitho sah Jenour lacheln und merkte, wie seine Melancholie zuruckkehrte. Er wu?te, was der junge Leutnant fuhlte, weil er fruher selbst so gewesen war. In der begrenzten Welt der Navy hing man sehr stark an Freunden. Wenn sie fielen, ging mit ihnen etwas verloren, und das eigene Uberleben ersparte einem nicht die Trauer um ihr Verschwinden.

Bolitho blieb abrupt an der Treppe zur Pier stehen. Der Erste Leutnant der

war ihm eingefallen. Sein zigeunerhaft gutes Aussehen. Naturlich, es erinnerte ihn an Keverne, an Charles Keverne, einst sein Erster auf der

«Ist Ihnen nicht wohl, Sir Richard?»

«Verflucht noch mal, doch!»

Aber Bolitho drehte sich sofort um und beruhrte bedauernd Jenours Armel.»Entschuldigen Sie. Mein Rang bringt viele Vorrechte, doch schlechte Manieren gehoren nicht dazu.»

Er stieg die Treppe hoch, wahrend Jenour ihm nachstarrte. Yovell seufzte, als er schwitzend hinterherkletterte. Der arme Leutnant, er hatte noch eine Menge zu lernen. Man konnte nur hoffen, da? ihm die Zeit dazu vergonnt wurde.

Der gro?e Raum war nach der Hitze drau?en bemerkenswert kuhl. Bolitho sa? auf einem Stuhl mit steifer Lehne, nippte an einem Glas Rotwein und wunderte sich, da? er so kalt blieb. Leutnant Jenour und Yovell sa?en an einem Nebentisch, der mit Akten und Folianten bedeckt war. Sonderbar, da? in einem anderen Teil desselben Gebaudes Bolitho einmal besorgt auf die Beforderung zum Kommandanten gewartet hatte.

Der Wein war gut und sehr leicht. Er merkte, da? sein Glas von einem farbigen Diener sofort nachgefullt wurde, und nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Bolitho geno? einen guten Schluck, doch war es ihm bisher leicht gefallen, dem verbreiteten Laster der Navy, der Trunksucht, zu entgehen. Es fuhrte zu oft zur Schande und dem Kriegsgericht.

Er hatte es nur in jenen schwarzen Tagen in Falmouth, als er erwartungsvoll zuruckkam, nicht geschafft. Trotzdem — was hatte er eigentlich erwartet? Wie konnte er besturzt sein und verbittert uber Belindas Kalte, wenn in Wahrheit sein Herz bei Cheney geblieben war?

Wie still das Haus dalag, als er ruhelos durch seine tiefen Schatten wanderte, mit einer Hand die Kerze vor den strengen Portrats hochhaltend, die er schon kannte, seit er so klein wie Elizabeth gewesen war.

Als er am nachsten Morgen aufwachte, ruhte seine Stirn in vergossenen Weinlachen auf dem Tisch. Mit trockenem Mund bemerkte er die leeren Flaschen, konnte sich aber nicht erinnern, sie aus dem Keller geholt zu haben. Das Personal mu?te Bescheid gewu?t haben. Ferguson hatte ihn noch in Reisekleidung vorgefunden und war hin und her geeilt, um ihm zu helfen. Bolitho mu?te die Wahrheit spater fast mit Gewalt aus Allday herausholen. Er entsann sich nicht, ihn fortgeschickt zu haben, weil er in seinem Elend allein sein wollte, horte aber, da? Allday die Nacht gleichfalls vertrunken hatte, in jener Taverne, wo die Wirtstochter immer noch auf ihn wartete.

Er horte, da? der andere Offizier auf ihn einsprach. Das war Kommodore Aubrey Glassport, Direktor der Marinewerft von Antigua und bis zu

Einlaufen der ranghochste Marineoffizier am Ort. Er erlauterte ihm die Standorte und unterschiedlichen Aufgaben der hiesigen Streitkrafte.

«Bei einem so ausgedehnten Seegebiet, Sir Richard, tun wir uns schwer, Blockadebrecher oder Piraten zu verfolgen und aufzubringen. Die Franzosen und ihre Verbundeten andererseits…»

Bolitho zog die Seekarte heran. Dieselbe alte Geschichte. Nicht genug Fregatten, zu viele Linienschiffe weggeschickt, um die Flotten im Kanal und im Mittelmeer zu verstarken. Uber eine Stunde lang hatte er jetzt die Berichte durchgesehen, den tage-und wochenlangen Patrouillen zwischen den zahllosen Inseln die mageren Resultate gegenubergestellt. Gelegentlich riskierte ein wagemutiger Kommandant Leib und Leben, erschien mit seinem Schiff auf einem feindlichen Ankerplatz, brachte eine Prise auf oder veranstaltete ein schnelles Bombardement. Das las sich gut, trug aber wenig dazu bei, den uberlegenen Feind ernstlich zu lahmen. Bolithos Mund wurde hart. Nur zahlenma?ig uberlegen.

Glassport hielt Bolithos Schweigen fur Zustimmung und redete weiter. Er war ein rundlicher, bequemer Herr mit gelichtetem Haupthaar und einem Mondgesicht, das mehr von gutem Leben zeugte als vom Kampf gegen die Elemente oder die Franzosen. Er sollte langst verabschiedet sein, wu?te Bolitho, aber er hatte Beziehungen im Stutzpunkt, also lie? man ihn hier. Seinem Weinkeller nach zu urteilen, unterhielt er ebenso gute Beziehungen zu den Zahlmeistern.

Glassport sagte gerade:»Angesichts Ihrer fruheren Erfolge, Sir Richard, fuhle ich mich geehrt durch Ihren Besuch. Bei Ihrem ersten Hiersein war Amerika wohl ebenfalls gegen uns aktiv? Mit vielen Freibeutern und auch mit der franzosischen Flotte.»

«Die Tatsache, da? wir uns mit Amerika nicht langer im Krieg befinden«, entgegnete Bolitho,»verhindert nicht zwangslaufig internationale Einmischung, auch nicht die zunehmenden amerikanischen Nachschublieferungen an den Feind. «Er legte die Karte aus der Hand.»In den nachsten Wochen wunsche ich mit jeder Patrouille Kontakt aufzunehmen. Haben Sie zur Zeit eine Kurierbrigg hier?«Er bemerkte Glassports plotzliches Erstaunen und seine Unsicherheit. Eine ruhige Existenz ging hier wohl zu Ende.»Ich mochte jeden Kommandanten personlich sprechen. Konnen Sie das einrichten?»

«Ah, hm — jawohl, Sir Richard.»

«Gut.»

Bolitho ergriff sein Weinglas und beobachtete die Sonnenreflexe im Stiel. Er neigte es ein wenig nach links und wartete, fuhlte Yovells Augen auf sich gerichtet. Und Jenours Neugier. Er fugte hinzu:»Man hat mir gesagt, da? sich Seiner Majestat Generalinspekteur noch in Westindien befindet?»

Glassport murmelte unglucklich:»Mein Flaggleutnant wei? genaueres.»

Bolitho stutzte, als sich das Bild des Glases zu verwischen begann. War der trube Schleier diesmal schneller gekommen, oder hatte das standige Drandenken.

«Meine Frage war einfach genug, glaube ich«, fuhr er auf.»Ist er noch hier oder nicht?»

Zitterte seine Hand? War er hartherzig, verargert? Keines von beiden. Nur unsicher wie auf der Pier, als er Jenour angefahren hatte. Ruhiger sprach er weiter:»Er ist doch mehrere Monate hier drau?en gewesen, glaube ich.»

«Viscount Somervell befindet sich noch in Antigua«, erwiderte Glassport und setzte defensiv hinzu:»Ich habe Grund anzunehmen, da? er mit dem Vorgefundenen zufrieden ist.»

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