Bolitho verhielt sich abwartend. Es war schwer zu erraten, wohin das fuhren sollte. Wollte Cavendish die ganze Schuld Pelham-Martin zuschieben — und damit auch ihm?
Schroff sprach der Admiral weiter.»Sagen Sie, Bolitho, haben Sie in den Tagen, die seit dem Debakel verstrichen sind, daruber nachgedacht, was den franzosischen Admiral zu dieser Brutalitat veranla?t haben kann?»
Bolitho antwortete:»Er hatte den Kampf mit meinem Schiff aufnehmen konnen. Wir hatten uns tapfer geschlagen, aber der Ausgang ware unvermeidlich gewesen. Es stand vier gegen eins, und der gro?te Teil meiner Besatzung hatte keinerlei Gefechtserfahrung.»
Cavendish nickte ungeduldig mit dem grauen Kopf.»Schon gut, erzahlen Sie mir keine langen Geschichten, sondern sagen Sie mir, was Sie denken, verdammt noch mal.»
«Eine Niederlage konnte er nicht befurchten, Sir. «Bolitho holte tief Luft.»Deshalb mu? er sich vor Beschadigungen der Takelage gefurchtet haben. «Er blickte dem Admiral fest in die Augen.»Ich glaube, da? er zu einer weiten Reise auslaufen wollte, nicht nur zu einem raschen Uberfall.»
Cavendish sah ihn mit funkelnden Augen an.»Danke. Die einzig nutzliche Information, die wir aus der ganzen Sache gewonnen haben, ist der Name des franzosischen Admirals. Lequiller ist kein einfaltiger Bauerntolpel, den die Revolution nach oben geschwemmt hatte. Er hat sich in vielen Einsatzen hervorragend geschlagen. In Westindien befehligte er eine Fregatte und hat oft gegen uns gekampft. «Er heftete den Blick auf Bolitho.»Lequiller hat bei der Aufstellung und Ausbildung der amerikanischen Kaperschiffer mitgewirkt, von denen wenigstens Sie wissen werden, wie erfolgreich sie gegen uns gekampft haben.»
Bolitho fuhlte sich benommen. Noch immer waren Disziplinar-ma?nahmen mit keinem Wort erwahnt worden, und Pelham-Martin war deutlich anzusehen, da? Cavendishs scharfe Zunge ihn nicht geschont hatte.
Cavendish sagte:»Fruher einmal genugte es, eine Flagge zu sehen, um einen Feind zu erkennen. Doch jetzt haben wir eine neue Form des Kriegs, und wir mussen uns den neuen Methoden anpassen. Jetzt mussen wir den Mann unter der Flagge kennenlernen, sein Herkommen und seine Motive studieren, wenn wir uberleben wollen, und erst recht, wenn wir einen Sieg erringen wollen, der Bestand hat. Admiral de Villaret Joyeuse befehligt die franzosische Flotte in Brest. Schon jetzt mustert er Schiffe und Mannschaften fur einen endgultigen Vorsto? an, um unsere Flotte und unser Land zu unterwerfen. Er ist ein engagierter und intelligenter Mann, und wenn er diesem Lequiller eine besondere Aufgabe anvertraut hat, dann mu? sie von einiger Bedeutung und Lequiller ihr gewachsen sein.»
Bolitho mu?te plotzlich an die Kanonenschusse denken, an die
Manner, die vor seinen Augen wie Verbrecher am Galgen gestorben waren.
Cavendish musterte ihn leidenschaftslos.»Vielleicht bedient sich auch Lequiller neuer Methoden. «In plotzlicher Ungeduld hob er die Schultern.»Aber wichtiger sind mir seine Absichten. Ich vermute, da? er sich inzwischen mit den anderen Schiffen vereinigt hat und uber den Atlantik nach Westen segelt. Das ware die einzige Erklarung, weshalb meine Patrouillen ihn nicht gesichtet haben.»
«In die Karibik?«warf Bolitho ein.
«Das halte ich fur sein wahrscheinlichstes Ziel. «Der Vizeadmiral wandte sich Pelham-Martin zu.»Und was ist Ihre Ansicht, falls Sie eine haben?»
Pelham-Martin schreckte mit einem Ruck aus seinen Gedanken auf.»Vielleicht will er die Inseln angreifen, die Sir John Jarvis den Franzosen abgenommen hat, Sir. «Unter Cavendishs scharfem Blick schlug er die Augen nieder.
«Um das zu schaffen, mu?te er eine dreimal so starke Streitmacht haben. «Cavendish lehnte sich zuruck und schlo? die Augen.»Wahrend der Amerikanischen Revolution wurde Lequiller oft in der sudlichen Karibik gesichtet. Er wird seine Zeit genutzt haben, um sich dort Freunde zu erwerben und Dinge zu erfahren, die ihm spater von Nutzen sein konnten.»
Bolitho sagte langsam:»Die meisten Inseln sind entweder spanisch oder niederlandisch, Sir. Selbstverstandlich sind beide Lander unsere Verbundeten, aber in einem Krieg wie dem gegenwartigen gehort nicht viel dazu, um die Seiten zu wechseln.»
Cavendish offnete die Augen wieder und sah ihn duster an.»Richtig. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, da? die Niederlander noch auf unserer Seite bleiben, wenn ihre Heimat von unserem gemeinsamen Feind endgultig uberrannt ist. «Er hob die Schultern.»Und was die Spanier angeht, nun, sie sind eine geringe Hilfe fur unsere Sache. Vielleicht gramen sie sich immer noch um Gibraltar oder traumen von vergangenem Ruhm.»
«Dann wurde ich meinen, Sir, da? Lequiller ein anderes Ziel verfolgt. «Bolitho versuchte, sich die weitverstreute Inselkette vor Augen zu halten, die sich vor der Landmasse Sudamerikas erstreckte. Es war beinahe, als denke er laut.»Wenn Spanien unser Alliierter bleiben soll, mu? es reich bleiben. Und ein gro?er Teil seines
Reichtums kommt aus Amerika. Ein Gold- und Silbertransport reicht aus, um das Land ein Jahr lang zu unterhalten, vielleicht langer.»
Cavendishs kalte Augen funkelten.»Genau das! Aber wenn der Transport in feindliche Hande fiele, ware er mehr wert als zehn Regimenter, wie Lequiller besser wissen mu? als die meisten.»
Pelham-Martin rausperte sich unsicher.»Es kann Monate dauern, bis man Lequiller findet und zum Kampf stellt, Sir.»
Er kam nicht weiter. Diesmal schien Cavendish nicht mehr in der Lage zu sein, seine Abneigung vor seinen Untergebenen zu verbergen.
«Sehen Sie denn niemals uber die Grenzen Ihres Achterdecks hinaus? Wenn Lequiller die spanischen und niederlandischen Handels- und Nachschubrouten blockiert, werden viele darin ein Signal fur die Zukunft sehen. Gott wei? es, unsere Krafte sind jetzt schon weit genug verzettelt. Wie lange, meinen Sie, werden wir unsere Vormachtstellung auf den Meeren halten konnen, wenn die ganze Welt gegen uns ist?»
Der Arger schien ihn zu ermuden, und er fugte erschopft hinzu:»Ihr Schiff ist das schnellste, das zur Verfugung steht, Bolitho, bis die anderen von der Uberholung zuruckkehren. Ich habe Ihrem Kommodore schon gesagt, da? er sofort auf die
umsteigen soll. Zusammen mit den beiden Fregatten werden Sie mit hochster Geschwindigkeit in die Karibik segeln.
Pelham-Martin stemmte sich von seinem Sessel hoch.»Ich mochte zuruck auf mein Schiff, Sir. Ich habe eine Menge zu ordnen.»
Cavendish blieb sitzen.»Die franzosische Flotte wird bald auslaufen, und ich kann Ihnen keine weitere Fregatte uberlassen. «In scharferem Ton fugte er hinzu:»Aus dem gleichen Grund kann ich auch nicht personlich mit Ihnen kommen. Ich wunsche, da? Lequil-ler gestellt und seine Schiffe erobert oder vernichtet werden. Meine schriftlichen Befehle schicke ich in einer Stunde auf die
Sie mussen bis dahin klar zum Aufbruch sein. Zuerst werden Sie die niederlandische Insel St. Kruis anlaufen. Sie hat einen guten Hafen und liegt so gunstig, da? Sie von dort aus die benachbarten
Inseln uberwachen konnen. Sie ist weniger als hundert Meilen vom Festland und von Caracas entfernt, wo der gro?te Teil des Silbers und des Goldes nach Spanien verladen wird.»
Mit einem knappen Nicken entlie? er den Kommodore. Dann sagte er fast zu sich selbst:»Das ist eine beachtliche Aufgabe, die ich ihm ubertragen habe, Bolitho. Eine, die von jedem Kommandanten verlangt, da? er selbstandig denkt, aber im Team handelt. Blockade ist nur eine halbe Losung. Sie schiebt eher auf, als da? sie eine Entscheidung bringt, genauso, wie sie die Schwachen und die Schuldlosen mit den Schuldigen belastet. Aber wir konnen diesen Krieg nur gewinnen, indem wir dem Feind Schiff gegen Schiff, Kanone gegen Kanone, Mann gegen Mann gegenubertreten.»
Er seufzte und schien sich etwas zu entspannen.
«Ist Ihr Schiff segelklar, Bolitho? Wei? Gott, nach sechs Monaten Uberholung sollte es das sein.»
«Mir fehlten funfzig Leute zur vollstandigen Besatzung, als es in Dienst gestellt wurde, Sir, und ich habe im Gefecht mit der Fregatte zehn Mann verloren.»
Die Augen des Vizeadmirals umwolkten sich.»Ah ja, die Fregatte. Ich bin froh, da? Sie die
Uberraschend lachelte er und streckte die Hand aus.»Gehen Sie auf Ihr Schiff, und viel Gluck. Wir schreiben jetzt 1795. Das Jahr kann fur unsere Sache gewinnbringend sein — oder eine Katastrophe werden. Sie gehoren zu der Generation von Marineoffizieren, die im richtigen Alter und zur richtigen Zeit da ist, um letzteres abzuwenden.»
Bolitho fand keine andere Antwort als:»Vielen Dank, Sir.»
Cavendish wurde plotzlich ernst und streng.» Wie ich hore, haben Sie geheiratet. «Er blickte auf den alten Sabel an Bolithos Hufte.»Ich erinnere mich, da? schon Ihr Vater diese Waffe getragen hat. Vielleicht wird Ihr Sohn sie eines Tages tragen. «Er folgte Bolitho zur Tur und fugte gedampft hinzu:»Sorgen Sie dafur, da? er sie ebenso ehrenvoll ubernimmt wie Sie.»
Bolitho trat auf das Achterdeck hinaus. In seinem Kopf schwirrte es. Die Szene war die gleiche wie die, als er an Bord gekommen war, und doch so vollig verschieden. Selbst die Luft schmeckte sauberer, und er konnte sich gerade noch beherrschen, um nicht zu seinem Boot zu rennen.
Der Kommandant der Fregatte wartete neben der Schanzpforte.»Haben Sie Post, die ich fur Sie mitnehmen kann, Sir?»
Bolitho sah ihn an.»Ja, ich schicke sie Ihnen sofort heruber.»
Die unerwartete Frage brachte ihn in die Wirklichkeit zuruck. Er hatte sich gegramt, da? er von Cheney so weit entfernt war. Jetzt wurde er auf die andere Seite des Atlantik segeln. Bis zu jenem Teil der Karibik waren es annahernd funftausend Meilen. Es konnten Monate vergehen, sogar Jahre, ehe er zuruckkehrte. Falls uberhaupt.
Er griff an seinen Hut und kletterte ins Boot hinunter. Allday studierte sein ernstes Gesicht.»Zum Schiff zuruck, Sir?«Bolitho sah ihn an und lachelte dann:»Sonst kann man hier nirgendwo hin.»
Als das Boot, von kraftigen Riemenschlagen getrieben, der
entgegenfuhr, versuchte Bolitho, seine Gedanken auf die zahllosen Einzelheiten und Anderungen zu richten, die er in seinen Planen und der taglichen Routine vornehmen mu?te. Es gab Probleme und viele Mangel, und nicht die geringste seiner Sorge wurde es sein, Pelham-Martin standig als Gesellschafter zu haben.
Doch immer wieder kehrten seine Gedanken zu dem Haus in Falmouth zuruck; das Gefuhl der gro?en Ferne wurde immer starker, bis es Teil einer anderen Welt zu sein schien.
Allday lie? seine Hand auf der Ruderpinne ruhen und behielt den Schlagmann im Auge. Wahrend Bolithos Aufenthalt beim Vizeadmiral war Allday nicht untatig geblieben. Eine Fregatte war zu klein und beengt, als da? ein wichtiges Geheimnis lange verborgen blieb, und im Unterdeck erfuhr man von einer Anderung der Plane fast ebenso schnell wie in der Offiziersmesse.
Wieder die Karibik, dachte er. Und alles nur wegen dieses blutrunstigen Froschfressers, der wehrlose Gefangene aufhangen lie?. Es bedeutete Sonne und Schwei?, brackiges Wasser und die standige Bedrohung durch Krankheiten. Und es konnte noch sehr viel Schlimmeres bedeuten.
Dann studierte er die Haltung von Bolithos Schultern und lachelte fluchtig. Wenigstens hatten sie ihren Kommandanten behalten. Und fur Allday war das alles, worauf es wirklich ankam.
Leutnant Inch sa? unbeholfen auf der Stuhlkante, den Hut zwischen die Knie geklemmt, als er aufmerksam Bolithos Neuigkeiten zuhorte.
Bolitho sagte:»Sie sehen also, es scheint, da? Sie Ihre Heirat noch eine Weile aufschieben mussen.»
Inch nickte, das Gesicht zu einer aufmerksamen Maske verzogen, als ob er jedes Wort im Gedachtnis behalten wollte.
«Sie konnen die Offiziere uber das Ziel und die voraussichtlichen Absichten informieren, aber unseren Leuten will ich es selbst sagen, sobald ich die Zeit erubrigen kann.»
Bolitho horte laute Befehle und das Scharren von Fu?en auf der Gangway und nahm an, da? der Rest von Pelham-Martins personlichem Besitz an Bord gehievt wurde.
Er fugte hinzu:»Der Kommodore ist an ein sauber gepflegtes Schiff gewohnt, Mr. Inch. Mit Recht wird er auch die ihm zustehende Ehrenbezeigung erwarten.»
Ruckartig fuhr Inch aus seinen Gedanken auf.»Ich habe Hauptmann Dawson unterrichtet, Sir. Die Wache und die Trommler sind bereits angetreten.»
«Gut. «Bolitho sah sich in der Kajute um. Er hatte seinen personlichen Besitz bereits in den Kartenraum schaffen lassen, und nun wurde Pelham-Martin in den Genu? dieses Quartiers kommen. Und auch den Ausblick durch die Heckfenster haben, dachte er bedauernd.
«Sobald wir unterwegs sind«, fuhr er fort,»will ich den Zahlmeister sprechen. Eine vollstandige und detaillierte Aufstellung uber die Bestande an Frischwasser und Limonensaft ist erforderlich. Es kann Monate dauern, bis wir unsere Vorrate durch frische Lebensmittel und Obst erganzen konnen, und mancher wird auch ohne Skorbut oder Schlimmeres schwer genug mitgenommen werden.»
Inch stand auf, seine schlanke Gestalt pa?te sich einer unerwarteten Schwankung des Schiffes muhelos an.»Tut mir leid, Sir, ich habe versaumt Sie zu unterrichten: Wir haben einen neuen Mids-hipman an Bord.»
Bolitho, der in seinen sauber geschriebenen Befehlen geblattert hatte, hielt inne und blickte auf.»Ist er vom Himmel gefallen, Mr.
Inch?»
Der Erste Offizier errotete.»Nun, Sir, als Sie bei dem Admiral an Bord der Fregatte waren, war ich so beunruhigt, da? ich es vollig verga?. Er wurde mit der Post und Sanitatsmaterial von der Fregatte geschickt und kommt direkt aus Plymouth; er war noch nie auf einem Schiff des Konigs.»
Bolitho lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zuruck.»Also ein Midshipman mehr, kann spater sehr nutzlich sein, ganz gleich, uber welche Erfahrung er verfugt.»
Vom Hauptdeck her war ein lautes Poltern zu horen, und die Luft drohnte von Tomlins laut gebrullten Verwunschungen.
«Gut, Mr. Inch, schicken Sie mir den jungen Mann herein, und kummern Sie sich dann um den Besitz des Kommodore. «Er lachelte schief.»Der Anfang konnte noch schlechter werden, wenn etwas beschadigt wird.»
Er wendete sich wieder seinen Befehlen zu, dachte an das, was vor ihnen lag, und an die Bemerkungen, die Vizeadmiral Cavendish ihm gegenuber privat geau?ert hatte. Neue Methoden und ein neuer Typ Marineoffizier. Es war merkwurdig, aber zutreffend, da? Manner wie Rodney und Howe, Namen, die fruher in der ganzen Marine mit Respekt und Ehrfurcht ausgesprochen wurden, jetzt von jungeren und ehrgeizigen Offizieren offen kritisiert wurden. Wie von dem jungen Kapitan Nelson, dem Bolitho vor uber einem Jahr in Toulon begegnet war und durch dessen personliche Initiative und Wagemut Bastia unmittelbar vor der Nase der franzosischen Armee erobert worden war. Im richtigen Alter und zur richtigen Zeit, hatte Cavendish gesagt. Bolitho schob die Schreibtischschublade zu und schlo? sie ab. Wir werden sehen, dachte er.