Hugh Bolitho hatte den Degen gezogen, er schimmerte im schwachen Sternenlicht wie ein dunner langer Eiszapfen. Es war derselbe Degen, mit dem er gerade erst diese Ehrenhandel bereinigt hatte, und vielleicht viele andere vorher.»Feuer»
Noch wahrend die Breitseite herausdonnerte und den Schiffsrumpf wie eine Riesenfaust schuttelte, verriet vereinzeltes Blitzen und Knallen auf dem anderen Schiff, da? die Schmuggler noch nicht willens waren, sich zu ergeben.
Hugh Bolitho schrie gellend:»Klar zum Entern!«Er wandte sich nicht einmal um, als ein Mann dicht neben ihm zuckend zu Boden sturzte, eine Gewehrkugel in der Brust. Wie oft mochten sie dies wohl exerziert haben, dachte Bolitho, wahrend er seinen Degen zog. Die Geschutzbedienungen verlie?en ihre rauchenden Kanonen, ergriffen Entermesser, Piken, Axte und Enterbeile, wahrend der Rest der Besatzung an Fallen und Schoten sturzte. Einen Augenblick vor der Kollision verschwanden die Segel der
Da schrie Pyke:»Zuruck, Jungs!»
Auch dies funktionierte wie eine Szene aus einer gut einstudierten Tanzvorfuhrung. Die eben noch hurraschreienden Enterer warfen sich wieder uber die Reling und sprangen auf ihr eigenes Schiff zuruck, wahrend die beiden Schwenkgeschutze auf der Back ihre morderische Ladung zwischen die schreienden Gestalten spien, die sich gerade den Eindringlingen entgegenwarfen, um den Angriff zuruckzuschlagen. Reihenweise wurden sie von den Kartatschen niedergemaht. Hugh Bolitho wies den Weg zum Angriff mit seinem Degen.»Jetzt! Auf sie, Jungs!«Dann war er mit einem gewaltigen Satz druben auf dem anderen Schiff, gleichzeitig einen der eigenen Leute mitrei?end, der zu kurz gesprungen war und zwischen die knirschenden Schiffsrumpfe zu fallen drohte. Noch in der Luft schlug er einem Gegner die Klinge uber den Kopf. Bolitho rannte zur Back, mit gezucktem Degen sprang er mit der letzten Gruppe der Enterer laut schreiend hinuber. Ein Mann neben ihm brach lautlos zusammen, ein anderer schlug schreiend die Hande vors Gesicht. Das Schreien endete in einem Rocheln, als eine Lanze aus dem Dunkel geflogen kam und ihn durchbohrte.
Schulter an Schulter drangen Bolithos Leute auf dem Deck des Schoners vor, wahrend die auf dem Kutter zuruckgebliebenen Seeleute ihnen Warnungen und Ratschlage zuriefen, begleitet von Pistolenschussen und ein paar wohlgezielten Speerwurfen. Bolitho rutschte in der gro?en Blutlache aus, die durch das morderische Kartatschenfeuer der Schwenkgeschutze entstanden war. Doch er verbannte alle anderen Gedanken und konzentrierte sich ganz auf den Angriff, auf Gesichter, die vor ihm auftauchten und wieder verschwanden. Stahl klirrte auf Stahl, muhsam und mit schmerzendem Handgelenk parierte er, zugleich nach einer Lucke in der Deckung des Gegners spahend. Uber die Kopfe und Schultern der schreienden und fluchenden Kampfer hinweg sah er seines Bruders wei?e Aufschlage schimmern, horte seine Stimme, als er die Leute vorwartstrieb, den Gegner in immer kleinere Gruppen aufspaltend. Jemand schrie:»Das ist fur Jackie Trillo, du Schwein!«Ein Entermesser fuhr zischend wie eine Sense durch die Luft und trennte mit einem einzigen, gewaltigen Hieb fast des Gegners Kopf vom Rumpf.»Ergebt euch! Nieder die Waffen!»
Aber noch mu?ten ein paar von ihnen dran glauben, bevor die Entermesser und Piken auf die Decksplanken polterten, zwischen die Toten und die stohnenden Verwundeten. Dann sah Bolitho, wie sein Bruder mit der Degenspitze auf einen Mann wies, der neben dem unbemannten Ruder stand.»Lassen Sie Ihre Leute ankern. Aber wenn Sie versuchen, das Schiff zu versenken, lasse ich Sie auspeitschen. «Er steckte den Degen in die Scheide.»Und nachher aufhangen. «Bolitho ging zu Hugh hinuber und stellte sich neben ihn.»Ganz Cornwall mu? das gehort haben!»
Hugh schien nicht hinzuhoren.»Es sind doch keine Franzmanner, wie ich zuerst dachte. Eher scheinen es Kolonisten zu sein. «Er wandte sich abrupt seinem Bruder zu und nickte:»Ja, das stimmt. Wir lassen die Prise hier unter Bewachung zuruck. La? zwei Schwenkgeschutze hinuberschaffen und auf die Gefangenen richten, dann teile einen Unteroffizier zur Bewachung ein. Er wird wissen, was er zu tun hat. Bestimmt wurde er lieber sterben als mir zu melden, da? sie ihm entkommen konnten!«Bolitho folgte ihm, wahrend sein Bruder Befehle erteilte, hier Fragen beantwortete, dort eine Anordnung mit energischer Handbewegung oder mit nachdrucklich erhobener Stimme unterstrich.
Pyke rief von vorn:»Anker halt, Sir!»
«Gut. «Hugh ging zur Bordwand.»Der Rest von euch kommt mit mir. Mr. Gloag, lassen Sie ablegen und Segel setzen, bitte!«Blocke quietschten, wie Geisterschwingen erhoben sich die Segel und trieben die
Uberraschend klopfte Hugh seinem Bruder auf die Schulter.»Kopf hoch, Junge! Eine hubsche Prise, sicherlich voller Schmuggelgut, und lediglich ein paar Mann verloren! Wir konnen immer nur einen Schritt nach dem anderen tun!«Als der Kutter sich dichter ans Land herantastete, verkundete des Lotgasten eintoniges Aussingen die wachsende Gefahr. Endlich, als bereits bedrohlich nahe Brandung und dahinter sich dunkel abzeichnendes Land an Steuerbord zu sehen waren, warfen sie Anker. Ohne Gloags wiederholte eindringliche Warnungen ware Hugh sicher noch dichter unter Land gegangen, vermutete Bolitho.
Auch so beneidete er Gloag nicht um seine Verantwortung. Zwischen Sandbanken und schroffen Felsen, ohne ausreichende Besatzung vor Anker zu liegen, war schlimm genug. Aber wenn der Wind wieder auffrischen sollte, konnte er kaum verhindern, da? die
Falls Hugh sich dessen ebenfalls bewu?t war, gelang es ihm gut, seine Befurchtungen zu verbergen.
Die beiden Boote wurden zu Wasser gelassen, und mit Ausnahme einer verschwindend kleinen Gruppe von Leuten stieg alles ein, bis an die Zahne bewaffnet. Die tief im Wasser liegenden Boote steuerten die nachstgelegene Kuste an. Noch wahrend die Riemen sich im Takt hoben und senkten und das Land sie allmahlich auf beiden Seiten umfing, empfand Bolitho die Leere und Stille. Schon das Gerausch von Gewehrfeuer hatte genugt. Die Leute, mit denen vorhin die Signale ausgetauscht worden waren, befanden sich bestimmt langst in ihren Hutten, oder sie rannten, so schnell sie konnten, zu irgendwelchen Verstecken.
Als sie endlich auf einem kleinen Sandstrand versammelt waren, auf den die See mit voller Wucht anbrandete, um dann gerauschvoll durch die Felslucken zuruckzustromen, sagte Hugh:»Wir teilen uns in zwei Gruppen auf, Richard. Ich nehme die rechte, du die linke Seite. Wer auf Anruf nicht stehen bleibt, wird unter Feuer genommen. «Dann nickte er seinen Leuten zu:»Vorwarts!»
In zwei langen Reihen stiegen sie den steilen Kustenhang hinauf. Zunachst erwarteten sie, beschossen zu werden, fanden sich aber allmahlich damit ab, da? sie allein auf weiter Flur waren. Bolitho uberquerte die schmale Kustenstra?e, wahrend seine Leute auf beiden Seiten ausschwarmten. Der Wind peitschte ihnen die flatternden Hosen um die Beine. Die Lastwagen waren wohl schon vorbeigefahren und jetzt in Sicherheit. Vielleicht konnte man die Radspuren der schwer beladenen Fahrzeuge entdecken, sofern sie auf dem felsigen Boden uberhaupt welche hinterlassen hatten.
Der Seemann mit Namen Robins hob die Hand.»Sir!«Bolitho lief zu ihm hinuber.»Da kommt jemand!«Die Seeleute schwarmten aus und verschwanden auf beiden Seiten im Unterholz. Bolitho horte das leise metallische Klicken, als sie die Hahne ihrer Gewehre spannten. Robins und Bolitho verharrten lautlos hinter einem sturmzerzausten Busch.
Der Seemann flusterte plotzlich:»Da ist er wieder — betrunken, soviel ich horen kann. «Er grinste.»War offensichtlich nicht so beschaftigt wie wir!«Sein Grinsen erstarrte zur Grimasse, als sie horten, da? der Mann schluchzte und vor Schmerzen stohnte. Dann sahen sie ihn hin und her schwankend die Stra?e uberqueren, beinahe fallend in seinen bemitleidenswerten Bemuhungen um Eile. Kein Wunder, da? Robins ihn fur einen Betrunkenen gehalten hatte. Plotzlich jedoch rief er:»O Gott, Sir! Das ist einer von unseren Leuten! Billy Snow!«Bevor Bolitho Robins zuruckhalten konnte, lief er auf den Schwankenden zu und fing ihn in seinen Armen auf.»Was ist passiert, Billy?»
Der Mann keuchte:»Wo wart ihr, Tom? Wo wart ihr blo??«Bolitho und ein paar andere Seeleute halfen Robins, den Mann vorsichtig auf den Boden zu legen. Wie er es geschafft hatte, bis hierher zu kommen, war ein Ratsel. Er blutete aus mehreren Hieb- und Stichwunden, und seine Kleidung war vollig blutdurchtrankt.
Als sie versuchten, seine Wunden zu versorgen, sagte Snow mit schwacher Stimme:»Erst ging alles gut, Sir, aber dann sahen wir die Soldaten. Sie kamen herangebraust wie eine Kavallerieschwadron bei der Attacke!»
Er winselte, und jemand sagte argerlich:»Vorsichtig mit der Wunde, Tom!»
Snow fuhr undeutlich fort:»Einige der Unsrigen riefen hurra, nur so zum Spa?, und der junge Mr. Dancer lief ihnen entgegen, um sie zu begru?en.»
Bolitho beugte sich tief hinunter zu ihm, er fuhlte des Mannes Verzweiflung, das Herannahen des Todes.»Dann, dann…«Bolitho legte ihm die Hand auf die Schulter.»Ruhig, Mann, lassen Sie sich Zeit.»
«Aye, Sir. «Im fahlen Sternenlicht schimmerte sein Gesicht wie Wachs, die Augen waren fest geschlossen. Er versuchte es wieder.»Sie ritten in uns hinein wie ein Sturmwind, hackend, schlagend, stechend. Sie lie?en uns keine Chance, in einer Minute war alles voruber.»
Er hustete, und Robins flusterte heiser:»Er geht von uns, Sir!«Bolitho fragte rasch:»Was wurde aus den anderen?«Snow wandte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf.»Dort druben, weiter oben, liegen sie. Alle tot, glaube ich, obwohl ein paar von ihnen in Richtung zur See gefluchtet sind. «Bolitho wandte sich ab, seine Augen brannten und schmerzten. Seeleute liefen immer in Richtung See, wenn sie sich verraten und verloren fuhlten. Das war alles, was sie wu?ten, ihre letzte Hoffnung.»Er ist tot, Sir.»
Sie standen um Snow herum und starrten ihn an. Wohin hatte er in seinen letzten Augenblicken fluchten wollen?» Kommandant kommt, Sir.»
Hugh Bolitho trat, gefolgt von seinen Leuten, aus der Dunkelheit, so da? die Stra?e mit einem Male belebt erschien. Alle blickten auf den Leichnam nieder.
«Also sind wir zu spat gekommen. «Hugh beugte sich uber den Toten.»Snow, ein guter Mann. «Er richtete sich auf und fugte abrupt hinzu:»Beeilt euch, sucht die anderen. «In der Mitte der Stra?e schritt er weiter, aufrecht, vollkommen allein. Es dauerte nicht lange, bis sie die anderen fanden. Sie lagen auf der Stra?e oder am felsigen Abhang verstreut, und einige waren offensichtlich die Steilkuste hinuntergeworfen worden. Uberall war Blut, und als die Seeleute die mitgebrachten Laternen anzundeten, glitzerten die toten Augen bose auf, als wollten sie ihre Kameraden noch im Tode fur ihren Verrat verfluchen.
Die Wagen und Waffen der Begleitmannschaft waren verschwunden, jedoch fehlten einige von den Leuten. Bolitho vermutete, da? sie entweder in der Dunkelheit entkommen oder aber gefangengenommen worden waren. Und dies in Cornwall, seiner eigenen Heimat, nicht mehr als funfzehn Meilen von Falmouth entfernt!
Ein Mann, den Bolitho als den Bootsmannsmaaten Mumford erkannte, kam herbei, in der Hand einen Dreispitz; er sagte bedruckt:»Ich denke, dies ist Mr. Dancers Hut, Sir. «Bolitho nahm ihn entgegen. Er fuhlte sich kalt und feucht an. Da brachte ein Ruf sie alle in Bewegung. Jemand hatte einen verwundeten Seemann gefunden. Er lag versteckt in einer Felsspalte oberhalb der Stra?e, kaum noch bei Bewu?tsein. Bolitho lief ebenfalls hin, um zu sehen, ob noch Hilfe moglich sei. Plotzlich blieb er jedoch abrupt stehen, denn im Schein der Laterne, die Robins hochhielt, hatte er etwas Helles durch das nasse Gras schimmern sehen. Robins, rief schnell:»Moment, ich schaue nach, Sir!«Zusammen kletterten sie den schlupfrigen Hang hinauf, bis die Laterne eine am Boden ausgestreckte Gestalt schwach beleuchtete. Was Bolitho hatte schimmern sehen, war blondes Haar, das sich jetzt beim Naherkommen als blutverschmiert erwies.
«Bleiben Sie zuruck!»
Bolitho nahm Robins die Laterne aus der Hand und rannte das letzte Stuck des Weges, dann kniete er bei dem Leichnam nieder, packte den blauen Rock und drehte den leblosen Korper auf den Rucken. Im schwachen Lampenlicht schienen ihn die toten Augen argerlich anzustarren.
Er lockerte seinen Griff, beschamt uber seine Erleichterung. Es war nicht Dancer, sondern ein Zollner, niedergemaht bei dem Versuch, dem Gemetzel zu entkommen. Er horte Robins fragen:»Alles in Ordnung, Sir?«Bolitho unterdruckte die in ihm aufsteigende Ubelkeit und sagte:»Helfen Sie mir, den armen Kerl hinunterzuschaffen!«Stunden spater versammelten sie sich erschopft und niedergeschlagen im ersten grauen Morgenlicht unten am Strand. Weitere sieben Uberlebende waren gefunden worden oder beim Klang der Stimmen aus ihren Verstecken hervorgekommen. Doch Martyn Dancer war nicht darunter. Als Bolitho wieder an Bord des Kutters stieg, sagte Gloag mit rauher Stimme:»Solange er am Leben ist, besteht auch noch Hoffnung, Mr. Bolitho.»
Dieser sah der ablegenden Jolle zu, in der Peploe, der Segelmacher, und sein Maat mit ernsten Gesichtern an Land fuhren, die Toten fur ihre Bestattung einzunahen. Sie hatten teuer bezahlen mussen fur diese Nacht, dachte Bolitho unglucklich. Ihm kam der blonde Tote in den Sinn, seine eigene Verzweiflung, die sich in Hoffnung gewandelt hatte, als er feststellte, da? es nicht sein Freund war, der da vor ihm lag. Aber jetzt, als er die blasse Kustenlinie mit den kleinen Gestalten darauf betrachtete, hatte er das Gefuhl, da? diese Hoffnung nicht sehr gro? war.
VIII Stimme im Dunkel
Harriet Bolitho trat ein, ihr langes Samtgewand streifte gerauschlos die Tur. Einen Augenblick blieb sie stehen und betrachtete ihren Sohn, dessen Gestalt sich als Silhouette gegen das Kaminfeuer abhob. Die Hande hielt er den Flammen entgegengestreckt.
Dicht daneben sa? Nancy auf dem Teppich, die Knie bis zum Kinn hochgezogen. Sie beobachtete ihren Bruder so intensiv, als wolle sie ihn zum Sprechen zwingen.
Durch die andere Doppeltur horte sie undeutliche Stimmen. Schon uber eine Stunde beratschlagten sie in der angrenzenden Bibliothek: Sir Henry Vyvyan, Colonel de Crespigny von den Dragonern und naturlich Hugh Bolitho.
Wie so oft hatte auch diesmal die Nachricht von dem Uberfall und von der Erbeutung des Schmuggelschiffes Falmouth auf dem Landweg viel schneller erreicht als die Hauptakteure selbst. Lange bevor die
Gorgon, Richards Schiff.
Sie richtete sich auf und durchschritt muhsam lachelnd den Raum. Die beiden hatten ihren Vater jetzt notiger gebraucht, denn Richard blickte ihr mit angespanntem Gesicht entgegen.»Wie lange werden sie noch bleiben?»