Der Piratenfurst: Fregattenkapitan Bolitho in der Java-See - Kent Alexander 13 стр.


Eine Woche war jetzt vergangen, seit Sullivan in den Tod gesprungen war. Sieben lange Tage, in denen sein Schiff wieder und wieder die Kuste angesteuert hatte; aber jedesmal war irgendwo ein Segel oder auch nur ein Eingeborenenfahrzeug gesichtet worden, und er hatte wieder abgedreht.

Jetzt durfte er es nicht langer aufschieben. Nachmittags war Whitmarsh bei ihm gewesen. Der Mann hatte so viele eigene Probleme, da? eine Unterredung mit ihm schwierig gewesen war.

Immerhin hatte der Arzt klar und deutlich erklart, da? er die Verantwortung fur die Gesundheit der Mannschaft nicht mehr ubernehmen konnte, wenn Bolitho weiter darauf bestand, sich vom Land fernzuhalten. Die beiden verbliebenen Fasser Trinkwasser waren fast leer, und der Rest konnte kaum noch Wasser genannt werden — es war eher Schlamm. Immer mehr Manner lagen krank im Orlopdeck; und die, welche noch dienstfahig waren, durfte man keine Minute lang unbewacht lassen. Standig gab es Streit und Wutausbruche; und die Deckoffiziere mu?ten auch im Hinterkopf Augen haben, damit sie nicht ein Messer in den Rucken bekamen.

Herrick meldete:»Alle anwesend, Sir. «Er war wie die anderen gespannt und argwohnisch.

Bolitho wandte sich um und musterte seine Offiziere. Alle waren da au?er Soames, der die Wache hatte, sogar die drei Midshipmen. Er sah sie nachdenklich an. Das Kommende mochte ihnen eine Lehre fur spater sein.

«Ich beabsichtige, morgen wieder Kurs aufs Land zu nehmen.»

Don Puigserver und sein Leutnant standen beim Schott; Raymond, etwas entfernt von ihnen, rieb sich das Kinn mit ruckartigen, nervosen Bewegungen.

Davy sagte:»Ausgezeichnet, Sir«, und trank einen Schluck Wein.»Wenn wir den Leuten noch mehr Rum und noch weniger Wasser geben«, fuhr er fort,»sind sie bald zu blau, um auch nur einen Finger zu ruhren. «Er zwang sich ein Lacheln ab.»Eine schone Bescherung ware das.»

Bolitho wandte sich Mudge zu. Der sa? im breitesten Sessel, trug wie immer seinen dicken Rock und starrte zum offenen Oberlicht hinauf, wo eine Motte im Licht der Deckenlampe tanzte. Dann blickte er in Bolithos Gesicht und seufzte.

«Ich war nur einmal an dieser Kuste, Sir. Als Steuermannsmaat auf der

Midshipman Keen, der einzige, dessen Gesicht nicht von Uberanstrengung gezeichnet war, blickte Mudge erstaunt an.»Schwarzes Elfenbein, Sir?»

«Sklaven«, sagte Herrick scharf. Mudge lehnte sich behaglich zuruck.»Folglich mussen wir vorsichtig sein. Mit 'ner ausreichenden Truppe an Land gehen, das Wasser einnehmen, wenn ich tatsachlich noch wei?, wo welches ist, und dann gleich wieder auf See.»

«Meine Soldaten machen das schon«, warf Hauptmann Bellairs ein.

Mudge warf ihm einen zornigen Blick zu.»Genau, Sir! In ihren hubschen roten Rocken, mit Trommeln und Pfeifen — ein schones Bild, stelle ich mir vor. «Grob fugte er hinzu:»Die Wilden werden sie zum Fruhstuck fressen, ehe sie auch nur ihre verdammten Stiefel putzen konnen!»

«Horen Sie mal!«Bellairs war ehrlich schockiert.

Bolitho nickte.»Also gut. Der Wind steht richtig, wir mu?ten morgen gegen Mittag ankern konnen.»

«Aye«, stimmte Mudge zu.»Aber nicht zu dicht unter Land, Sir. Denn ein ganzes Stuck vor der Landspitze liegt ein Riff. Das hei?t: alle Boote zu Wasser und ein langer Pull fur die Leute.»

«Ja. «Bolitho sah Davy an.»Sie besprechen mit dem Stuckmeister die Bewaffnung der einzelnen Boote. Drehbassen fur Pina? und Kutter, Standmusketen fur die anderen Boote. «Er blickte in die aufmerksamen Gesichter.»Und ein Offizier pro Boot. Auf manche von unseren Leuten mussen wir scharf aufpassen, und sei es auch nur zu ihrem eigenen Besten. «Er lie? die Worte wirken.»Denken Sie immer daran: die meisten sind in solchen Unternehmungen vollig unerfahren; nur weil wir jetzt zwei Monate zusammen sind, kommen sie Ihnen vielleicht wie befahrene Seeleute vor. Doch das sind sie nicht; also behandeln Sie sie entsprechend! Fuhren Sie sie und uberlassen Sie das nicht anderen weniger Qualifizierten.»

Er bemerkte, da? die Midshipmen Blicke tauschten wie Schuljungen vor einem Streich. Keens Augen glitzerten vor Erregung. Der kleine Penn war offensichtlich stolz, fur voll genommen zu werden. Dem ungluckseligen Armitage hatte die Sonne die Stirn verbrannt, weil er ein paar Minuten lang ohne Hut an Deck gewe sen war. Diese beiden Kerlchen waren leider noch unerfahrener als die meisten Matrosen.

Bolitho sah auf die Karte. Wenn Sullivan nicht gewesen ware, hatten sie die ganze Reise bis Madras ohne Unterbrechung geschafft, trotz der Ausfalle durch Krankheit. Herrick hatte ihm helfen wollen, indem er sagte, es sei eben Pech; Puigserver hatte ihm versichert, er stehe bei jeder Entscheidung uber das Wohl des Schiffes hinter ihm. Aber es waren eben

Bolitho horte eine Frauenstimme, und die anderen sahen zum Oberlicht hoch, wo an Deck Schritte zu vernehmen waren: Mrs. Raymond und ihre Zofe beim gewohnten Spaziergang unter dem Sternenhimmel. Hoffentlich pa?te Soames auf, da? sie das Achterdeck nicht verlie?en. Er konnte fur ihre Sicherheit nicht garantieren, wenn sie gewissen Matrosen vor die Hande liefen. Bolitho wu?te genau, welche Gefuhle die Mannschaft hegte.

Den Freiwilligen mu?te es ziemlich anders vorkommen, als die Rekrutierungsplakate ihnen versprochen hatten; und die Manner von den Gefangnishulken meinten jetzt vielleicht, sie hatten einen schlechten Tausch gemacht. Selbst fluchtige Verbrecher mochten von Zweifel und Reue geplagt werden. Ihre Verbrechen kamen ihnen nun, da sie Festnahme und Proze? nicht mehr zu furchten hatten, wohl weniger bedrohlich vor als Hitze, Durst und die tagliche Qual von Dienst und Disziplin.

Er sah, wie Raymond sich auf die Lippen bi?, wahrend seine Augen dem Klang der sich entfernenden Schritte folgten, als konne er durch die Decksplanken sehen. Gerade in der Enge des Schiffes entfremdeten sich seine Frau und er immer mehr. Es war schon eine seltsame Ehe.

Bolitho erinnerte sich an ein Vorkommnis der letzten Tage. Im Kartenraum, der ihm als Behelfskajute diente, hatte Allday ihm soeben den Arm neu verbunden. Mrs. Raymond war ohne vorher anzuklopfen eingetreten; weder er noch Allday hatten sie kommen gehort. Gelassen stand sie an der offenen Stuckpforte und sah wortlos zu. Bolitho war bis zum Gurtel nackt, und als er nach seinem frischen Hemd griff, hatte sie leise bemerkt:»Wie ich sehe, haben Sie noch eine andere Narbe, Captain.»

Bolitho hatte sich an die Rippen gefa?t und war sich plotzlich des rissigen Wundmales bewu?t geworden, das von einem Pistolenschu? zuruckgeblieben war. Grob hatte Allday gesagt:»Der Captain ist beim Anziehen, Madam! An Land sind die Sitten anscheinend anders als an Bord!«Aber sie war ruhig stehengeblieben und hatte ihn mit halbgeoffneten Lippen angesehen. Doch wie konnte sie verstehen, woran er dachte? An den Gegner, der auf ihn geschossen hatte: ein Offizier seines eigenen Bruders, der ein Verrater war, ein steckbrieflich gesuchter Renegat. Jetzt war Hugh tot und von den meisten, die ihn gekannt hatten, vergessen. Aber nicht von mir.

Er schuttelte seine truben Gedanken ab. Wichtig war nur das unmittelbare Vorhaben: Wasser. Nur das brauchte er, um nach Madras zu kommen. Was dann kam, war eine andere Sache, die warten konnte.

«Das ist alles, meine Herren!«Er merkte, da? er scharfer gesprochen hatte, als in seiner Absicht lag, und fugte hinzu:»Wir haben ein gutes Schiff, eines der modernsten und seetuchtigsten Fahrzeuge, das je gebaut wurde. Wir konnen es mit jedem Schiff aufnehmen, es sei denn mit einem Linienschiff. «Herrick sah ihn bei diesen Worten lachelnd an, und die gemeinsame Erinnerung schlo? die Kluft zwischen ihnen. Er machte eine kleine Pause und sprach dann weiter:»Und auch dabei gibt es seltene, allerdings nicht empfehlenswerte Ausnahmen. Aber ohne Trinkwasser sind wir Kruppel ohne die Kraft und den Schwung, einem neuen Tag ins Auge zu sehen. Denken Sie an meine Worte: Seien Sie wachsam! Im Augenblick ist das alles, was ich von Ihnen will.»

Sie verlie?en die Kajute, und er blieb mit Puigserver und Raymond allein. Raymond blickte hoffnungsvoll den Spanier an, doch als dieser keine Anstalten machte, seinen ublichen Abendspaziergang an Deck anzutreten, verlie? er die Kajute.

Bolitho setzte sich ans Fenster und betrachtete das Mondlicht, das auf dem schaumenden Kielwasser der

«Was stimmt nicht mit ihm,

Mr. Pigsliver,

Raymond ist wie ein Wachhund. Er hat Angst wegen seiner Frau — nicht so sehr, da? andere ihr etwas tun, sondern davor, was sie selbst tun wird. «Ein tiefes Lachen stieg aus seinem Bauch empor.»Sie selbst, glaube ich, bekommt allmahlich Spa? an diesem Spiel und wei? ganz genau, da? jeder Mann an Bord sie mit hei?en Augen ansieht. Sie steht stolz wie eine Tigerin da.»

«Sie scheinen ja eine ganze Menge uber sie zu wissen,

Aber uber Frauen haben Sie zum Unterschied von mir noch eine Menge zu lernen, furchte ich.»

Bolitho wollte protestieren, lie? es aber lieber. Die Erinnerung war noch zu frisch und schmerzhaft, als da? er Puigservers Behauptung hatte bestreiten konnen.

VI Unternehmen zu Lande

Gespannt blickten sie auf die Kuste, die im Morgenlicht zunehmend Farbe und Kontur gewann.»Na, Thomas — was meinen Sie dazu, so aus der Nahe?«fragte Bolitho verhalten. Sie hatten sich dem Land seit Sonnenaufgang vorsichtig genahert. Jetzt lag es vor ihnen — ein endloses Panorama in vielerlei Gruntonen.

Mit zwei erfahrenen Matrosen auf dem Wasserstag, die unablassig loteten, und mit so wenig Leinwand wie moglich tastete sich die

Bolitho stieg auf einen Poller und spahte hinuber. Die

Undine

Beilaufig sagte er:»Ich gehe mit an Land; passen Sie hier gut auf. «Er konnte Herricks unausgesprochenen Protest spuren und sprach deshalb rasch weiter:»Wenn an Land etwas schiefgeht, wird es ganz gut sein, wenn ich mit dabei bin. «Er wandte sich um und klopfte Herrick auf die Schulter.»Au?erdem habe ich das Bedurfnis, mir die Beine zu vertreten. Das ist mein Privileg als Kapitan.»

Auf dem Geschutzdeck schritt Davy bereits auf und ab, musterte die Bootsmannschaften, sah die Waffen nach und kontrollierte das Geschirr fur das Verladen der Wasserfasser. Der Himmel uber ihnen war bleich, wie von der Sonne zerkocht, und alle Farben beschrankten sich auf den glitzernden Kustenstreifen. Die Ruhe uber diesem Landstrich beeindruckte Bolitho stark. Nur hier und da rollte eine Welle wie ein wei?es Schaumkollier auf den Strand, bis an den Fu? der Dunen. Es war, als hielte das Land den Atem an; Bolitho konnte sich vorstellen, da? tausend Augen, zwischen den Baumen versteckt, die vor Anker liegende Fregatte belauerten. Mit dumpfem Ton setzten die Drehgeschutze, von Bord abgefiert, auf dem Bug von Barkasse und Kutter auf, wahrend die Standmusketen mit ihren trichterformigen Mundungen in Gig und Pinasse untergebracht wurden. Die Jolle war zu klein fur die gro?en Wasserbehalter und sollte auch fur den Notfall reserviert werden.

Bolitho rieb sich das Kinn und starrte auf die Kuste. Notfall? Alles wirkte doch so ruhig. Wahrend sie aufs Land zugeschlichen waren, an zahlreichen Buchten vorbei, die eine wie die andere aussahen (nur Mudge konnte sie allenfalls unterscheiden), hatte er unbewu?t auf ein Anzeichen, eine Andeutung von Gefahr gewartet. Aber nirgends lag ein Boot auf dem Sand, nirgends stieg Rauch von einem Feuer empor, nicht einmal der Ruf eines Vogels hatte die Stille unterbrochen.

«Boote klar, Sir!«meldete Shellabeer und wandte dabei sein fleischiges Gesicht von der blendenden Sonne ab.

Bolitho trat zur Reling und schaute hinunter auf das Geschutzdeck. Die Matrosen schienen sich verandert zu haben — vielleicht wegen der Entermesser an ihren Gurteln oder weil sie uber dem Tatendurst vorubergehend den wirklichen Durst verga?en. Die meisten hatten sich uberhaupt sehr verandert, seit sie an Bord waren. Ihre nackten Rucken waren von der Sonne tief gebraunt; hier und da verriet eine Brandnarbe, da? der Mann unvorsichtig oder einfach dumm gewesen war.

«Da druben liegt Afrika, Jungs!«rief Bolitho. Ein Raunen der Erregung ging durch die Reihen wie Wind durch ein Kornfeld.»Ihr werdet dergleichen noch oft sehen, ehe wir wieder auf Heimatkurs gehen. Tut, was euch befohlen wird, bleibt bei eurer Abteilung, dann kann euch nichts passieren. «Und in scharferem Ton:»Aber es ist ein gefahrlicher Kustenstrich, und die Eingeborenen haben wenig Veranlassung, fremden Seeleuten zu trauen. Also pa?t gut auf und beeilt euch mit dem Wasserfassen!«Er nickte ihnen zu.»Und jetzt in die Boote!»

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