Bolitho sah seine Eskorte bereits vor der Tur warten und lachelte. Raymond mochte eine bedeutende Rolle bei dieser Mission spielen, aber Takt war jedenfalls nicht seine starke Seite.
Fast ohne ein Wort kehrten sie zur Pier zuruck; aber Bolitho spurte deutlich die Spannung, unter der Raymond stand. Irgend etwas qualte ihn. Vielleicht fuhlte er sich seinen dienstlichen Aufgaben nicht gewachsen?
Als die Gouverneursbarke zur
Bedruckt sagte Raymond:»Ich hatte gehofft, Ihnen das eher erklaren zu konnen. Sie ist ein Dienstmadchen, die Zofe meiner Frau.»
Herrick versuchte, Bolithos plotzlichen Zorn zu besanftigen.»Sie ist vor etwa einer Stunde mit ihrer Herrin an Bord gekommen, Sir. Anweisung vom Gouverneur. Ich konnte nichts machen«, sagte er verkniffen.
«Ach so. Dann allerdings«, murmelte Bolitho und schritt zum Achterdeck. Sie hatten tausend Meilen in einem kleinen, vollgestopften Kriegsschiff vor sich. Raymond allein war schon schlimm genug, aber seine Frau und ihre Zofe — das war zuviel! Er sah, wie ein paar Matrosen einander grinsend anstie?en. Wahrscheinlich hatten sie nur darauf gewartet, wie er reagieren wurde.
Sehr gemessen sagte er:»Vielleicht wurden Sie mich vorstellen, Mr. Raymond?»
Sie gingen zusammen nach achtern, und Davy wisperte:»Himmelkreuz noch mal, Mr. Herrick, das wird ja eine sehr gemischte Reisegesellschaft!»
Herrick sah ihn bose an.»Und Sie haben sich vermutlich inzwischen gut amusiert.»
«Ein wenig Wein, ein paar hubsche Frauen…«Er kicherte.»Aber ich habe auch an Sie gedacht, Sir.»
Herrick mu?te lachen.»Zur Holle mit Ihnen! Jetzt ziehen Sie sich gefalligst Ihre Bordgarnitur an und beaufsichtigen Sie den Laden. Heute braucht man uberall Augen.»
Inzwischen war Bolitho in seiner Kajute angelangt und schaute sich verzweifelt um. Koffer uberall, Kleider uber Mobel und Kanonen geworfen, als waren Einbrecher an Bord gewesen. Mrs. Raymond war gro? und schlank; nicht das kleinste Lacheln erhellte ihr Gesicht. Offenbar war sie wutend.
«Du hattest mit dem Auspacken noch warten sollen, Violet!«rief ihr Gatte erschrocken.»Hier ist unser Kapitan.»
Bolitho verbeugte sich kurz.»Richard Bolitho, Ma'am. Ich hatte Ihrem Gatten gegenuber eben erwahnt, da? eine Fregatte nur wenig Bequemlichkeit zu bieten hat. Aber da Sie mit uns zu segeln wunschen, werde ich selbstverstandlich alles tun, was… «Er kam nicht weiter.
Nervion
Bolitho bemerkte, da? sich Noddall nervos in der Speisenische herumdruckte, und blaffte ihn argerlich an:»Helfen Sie Mrs. Raymonds Zofe, all dieses… — «, er blickte sich hilflos um, — »dieses Geschirr zu verstauen!«Raymond lie? sich mittlerweile schwer wie ein Sterbender auf die Sitzbank fallen. Kein Wunder, da? er so mitgenommen aussah.»Und lassen Sie dem Ersten Leutnant ausrichten, da? ich ihn sprechen will!«Er sah sich in der Kajute um und sprach seine Gedanken laut aus.»Wir mussen die Zwolfpfunder vorubergehend herausnehmen und statt dessen Attrappen montieren.»
Raymond sah stumpfen Blickes hoch.»Attrappen?»
«Holzerne Kanonenrohre. Damit es so aussieht, als ob wir voll armiert waren.»
Herrick erschien in der Tur.»Sir?»
«Wir mussen ein paar Behelfswande errichten, Mr. Herrick, damit unsere Passagiere ein Schlafabteil erhalten. An Backbord, denke ich.»
«Nur fur mich und meine Zofe, bitte«, sagte Mrs. Raymond kalt und warf einen uninteressierten Blick auf ihren Gatten.»Er kann irgendwo anders auf diesem Schiff schlafen.»
Herrick betrachtete sie aufmerksam und sagte:»Also dann schlaft Mr. Raymond an Steuerbord. Aber was wird mit Ihnen,
Sir?»
Bolitho seufzte.»Ich nehme den Kartenraum. «Und mit einem Blick auf das Ehepaar:»Wir werden zusammen speisen, wenn Sie nichts dagegen haben. «Keiner von ihnen gab eine Antwort. Midshipman Keen trat an der offenen Tur von einem Fu? auf den anderen und lie? kein Auge von den beiden Frauen.»Mr. Soames la?t respektvoll melden, Sir, da? der Kapitan der
Capitan
Nervion
Wie still das Schiff war. Vielleicht waren alle, wie er selbst, zu mude, um sich auch nur zu ruhren. Die Geschutze der Kapitanskajute waren mit gro?en Schwierigkeiten unter Deck gefiert worden. Um die richtige Trimmung wieder herzustellen, mu?te Proviant und schweres Geschirr nach achtern geschafft werden. Nun wirkte die Kajute ohne die Geschutze viel gro?er, aber er wurde nicht viel davon haben. Er grub seinen schmerzenden Kopf ins Kissen, und das war so anstrengend, da? ihm der Schwei? ausbrach. Eins war sicher: kaum jemals hatte er so viel Ursache gehabt, eine Reise zu beschleunigen.
Bei Tageslicht war er wach und aus der Koje; es drangte ihn, seine Arbeit zu erledigen, ehe die Hitze das Denken erschwerte. Am spaten Nachmittag, unter den fernen Klangen einer Militarkapelle und dem Geschrei der Menge, die sich am Ufer zusammengefunden hatte, lichtete die
Ein paar kleine Schiffe gaben ihnen das Geleit, aber die schnellen Fregatten lie?en sie bald hinter sich. Als es Nacht wurde, hatten sie das Meer fur sich allein, und nur die Sterne leisteten ihnen Gesellschaft.
IV Tod eines Schiffes
Ezekiel Mudge, Segelmeister und Steuermann der
«Das ist auch meine Meinung. «Bolitho trat ans Heckfenster und stutzte die Hande auf das Sims. Das Holz war brandhei?, und hinter dem kurzen, schaumenden Kielwasser der Fregatte lag die See in blendendem Glanz. Sein Hemd stand bis zum Gurtel offen, juckend rann ihm der Schwei? zwischen den Schultern hinab, und seine Kehle war staubtrocken.
Es war fast Mittag; die Midshipmen mu?ten sich gleich auf dem Achterdeck bei Herrick melden, um den Sonnenstand fur das Besteck zu nehmen. Nur ein paar Stunden fehlten, dann waren sie eine volle Woche unterwegs. Jeden Tag hatte die Sonne sie ausgedorrt, und die standige leichte Brise hatte keine ausreichende Kuhlung bringen konnen. Jetzt hatte der Wind leicht aufgefrischt, die
Undine
Nervion
Er hatte entgegnet:»Das ist meine Pflicht, Mr. Raymond. Moglich, da? wir auf dieser Reise die Geschutze uberhaupt nicht brauchen — aber man kann nie wissen.»
Mrs. Raymond hatte sich hochmutig von allen ferngehalten; tagsuber sa? sie meistens unter einem kleinen Sonnensegel, das Herrick fur sie und die Zofe an der achteren Reling hatte anschlagen lassen. Wenn sie zusammenkamen, was vorwiegend bei den Mahlzeiten der Fall war, sprach sie nur wenig, und dann uber private Dinge, die Bolitho kaum begriff. Es machte ihr anscheinend Spa?, ihren Mann zu kritisieren, er sei zu saumselig, es fehle ihm im entscheidenden Augenblick an Entschlossenheit. Einmal hatte sie ihm wutend vorgeworfen:»Du la?t dich dauernd beiseite schieben, James! Ich kann mich ja in London uberhaupt nicht mehr sehen lassen, wenn du standig Demutigungen einsteckst! Margarets Mann wurde neulich geadelt, und er hat funf Dienstjahre weniger als du!«So ging es weiter.
Als Bolitho sich jetzt nach Mudge umdrehte, uberlegte er, was dieser und die anderen wohl von ihrem Kommandanten denken mochten. Da? er Offiziere und Mannschaft zu hart herannahm, ohne Sinn und Zweck? Da? er sie mit stupidem Geschutzexerzieren schikanierte, wahrend auf dem Spanier die Manner von der Freiwache herumlungerten, schliefen oder Wein tranken wie Passagiere? Aber unvermittelt sagte Mudge, als hatte er seine Gedanken gelesen:»Lassen Sie die Leute ruhig reden, Sir. Sie sind noch jung, aber Sie haben den richtigen Instinkt fur das Notwendige — wenn Sie mir die Freiheit gestatten. «Er zupfte an seiner gro?en Nase.»Ich habe manchen Kapt'n mit langem Gesicht dastehen sehen, weil er nicht bereit war, wenn's darauf ankam. «Er lachte in sich hinein, da? die kleinen Augen in den Falten und Runzeln seines Gesichts fast verschwanden.»Und Sie wissen ja — wenn was schiefgeht, hat's keinen Zweck, die Fauste zu schutteln und allen anderen die Schuld zu geben. «Damit zerrte er eine kohlrubengro?e Uhr aus einer Innentasche.»Ich mu? hinauf an Deck, wenn Sie mich nicht mehr brauchen. Mr. Herrick mochte, da? ich dabei bin, wenn die Bestecks verglichen werden. «Das schien ihn zu amusieren.»Wie gesagt, Sir, Ihr Standpunkt ist ganz richtig. Es ist durchaus nicht notig, da? die Mannschaft den Kapitan liebt, aber bei Gott, Sir, sie mu? Vertrauen zu ihm haben. «Er stapfte aus der Kajute, da? die Decksplanken unter seinem Schritt knarrten.
Bolitho setzte sich und strich sein offenes Hemd glatt. Mudge war wenigstens ein Lichtblick.
Allday steckte den Kopf durch die Tur.»Kann ich Ihnen jetzt den Steward schicken, Captain?«Er warf einen raschen Blick auf den Tisch.»Er wird Ihr Essen servieren wollen.»
«Na schon«, lachelte Bolitho. Es ware dumm gewesen, sich uber Kleinigkeiten den Kopf zu zerbrechen. Aber das mit Mudge war wichtig. Er hatte vermutlich unter mehr Kapitanen gedient, als Bolitho in seinem ganzen Leben kennengelernt hatte.
Sie blickten sich beide um, denn Midshipman Keen stand in der Tur. Er war schon stark gebraunt und sah so gesund und kraftig aus wie ein alter Fahrensmann.
«Kompliment von Mr. Herrick, Sir, und der Ausguck hat ein Schiff auf Gegenkurs zum Spanier gesichtet. Konnte eine Brigg sein. Ziemlich klein.»
«Ich komme sofort an Deck«, sagte Bolitho und fuhr dann lachelnd fort:»Die Reise scheint Ihnen zu bekommen, Mr. Keen.»
Der junge Mann grinste verschmitzt.»Aye, Sir. Allerdings hat mein Vater nicht wegen meiner Gesundheit, sondern aus ganz anderen Grunden zur See geschickt, furchte ich.»
Er verschwand eiligst, und Allday murmelte hinter ihm her:»Dieser junge Teufel! Hat bestimmt ein armes Madchen in Schwierigkeiten gebracht — da mocht' ich wetten!»
Bolitho verzog keine Miene.»Es kann ja nicht jeder so tugendhaft sein wie Sie, Allday.»
Er trat an dem Wachtposten vor der Tur vorbei hinaus und stieg hinauf zum Achterdeck. Obgleich er darauf gefa?t war, fuhr ihn die Hitze an wie aus einem Brennofen. Der Teer in den Ritzen der Decksplanken klebte an seinen Schuhsohlen, Gesicht und Nacken brannten ihm, als er zur Wetterseite hinuberging und sein Schiff prufend musterte. Die
Mudge und Herrick waren in ein leises Gesprach vertieft. Ihre Sextanten glanzten wie Gold. Armitage und Penn, die beiden Midshipmen, verglichen ihre Notizen, in den jungen Gesichtern stand sorgenvolle Konzentration.