Bolitho spitzte die Ohren. Er hatte doch geahnt, da? die Affare mit dem toten Madchen noch einmal zur Sprache kommen wurde, ja sogar, da? ihr Auslaufen irgendwie damit zusammenhing.
«Ich will nicht in Einzelheiten gehen, aber das Madchen, das Sie in diesem Bordell aufgescheucht haben, war die Tochter eines hohen New Yorker Regierungsbeamten. Das Ganze hatte sich zu keinem ungunstigeren Zeitpunkt ereignen konnen. Sir George Helpman kam mit Auftragen von Parlament und Admiralitat aus London, um zu untersuchen, womit der Krieg vorangetrieben, aus der augenblicklichen Pattsituation herausgezwungen werden kann. Wenn erst die Franzosen in voller Starke in den Kampf eingreifen, haben wir hier nicht mehr viel zu bestellen.»
«Ich dachte, wir tun alles, was in unserer Macht liegt, Sir?»
Pears sah ihn mitleidig an.»Wenn Sie etwas mehr Erfahrung hatten, Bolitho…«Er blickte argerlich zur Seite.»Helpman wird es schon selbst merken. Die korrupten Beamten, diese Laffen beim
Militargouverneur, die tanzen und trinken, wahrend unsere Soldaten drau?en die Kopfe hinhalten. Und jetzt dieser Skandal: Die Tochter eines wichtigen Regierungsbeamten arbeitet Hand in Hand mit den Rebellen. Stets fuhr sie in einer Kutsche von zu Hause weg, zog sich Mannerkleider an und traf sich mit einem Agenten Washingtons. Alle geheimen Plane, derer sie habhaft werden konnte, hat sie verraten.»
Bolitho stellte sich die Besturzung vor, die hierdurch ausgelost worden war. Mit der rotgesichtigen Hure, die ihm ins Gesicht hatte spucken wollen, verspurte er jetzt beinahe Mitleid. Wenn derartig viel auf dem Spiel stand und es um so wichtige Personen ging, mu?te man bei ihrer Vernehmung skrupellos jedes Mittel angewendet haben.
Pears fuhr fort:»Durch ihren Verrat waren die Bruder Tracy standig in der Lage, unsere Bewegungen zu verfolgen. Ohne die Eroberung der
Bolitho befeuchtete seine Lippen.»Und dorthin segeln wir jetzt,
Sir?»
«Das ist die Absicht, ja. Nach Fort Exeter in South Carolina, etwa drei?ig Meilen nordlich von Charlestown.»
Bolitho erinnerte sich an das, was sich vor etwa einem Jahr bei einem anderen Rebellenfort sudlich von Charlestown abgespielt hatte. Ein gro?es Geschwader mit eingeschifften Truppen war damals hingesegelt, um das Fort zu erobern, da dieses den Wasserweg nach Charlestown, dem wichtigsten Hafen sudlich von Philadelphia, blockierte. Doch statt eines Sieges hatte es eine schmahliche Niederlage gegeben. Einige Schiffe waren infolge der ungenauen Seekarten bei dem Versuch, die Truppen zu landen, auf Grund gelaufen. An anderen Stellen war das Wasser fur die Soldaten zu tief, um wie beabsichtigt an Land zu waten. Und die ganze Zeit uber waren die Schiffe dem morderischen Bombardement der Kolonisten ausgesetzt, die geschutzt hinter ihren dicken Festungsmauern hervor feuerten. Schlie?lich hatte Kommodore Parker, dessen Flaggschiff am starksten beschadigt worden war, den Ruckzug befohlen. Die
Pears, der Bolithos Gesicht beobachtet hatte, sagte plotzlich:»Ich sehe, Sie haben es nicht vergessen. Ich hoffe nur, da? wir spater ebenfalls Gelegenheit haben werden, uns an dieses neue Abenteuer zu erinnern.»
Bolitho merkte, da? die Unterhaltung beendet war, und erhob sich. Pears fugte noch hinzu:»Ich habe Ihnen das alles wegen der Rolle erzahlt, die Sie dabei spielten. Ohne Ihr Eingreifen hatten wir dieses Madchen wahrscheinlich niemals entlarvt. Sir George Help-man hatte nicht Himmel und Holle in Bewegung setzen konnen. «Er lehnte sich lachelnd zuruck.»Und ohne Sir George wurde unser Admiral nicht zu beweisen versuchen, da? er schafft, was andere nicht schafften. Alles Glieder in einer Kette, Bolitho, wie ich vorhin schon sagte. Denken Sie daran!»
Bolitho trat ins Freie und prallte beinahe gegen Hauptmann d'Esterre.»Dick, du siehst aus, als hattest du einen Geist gesehen«, scherzte er.
Bolitho zwang sich zu einem Lacheln.»Ja, das habe ich auch: meinen eigenen.»
Als Cairns spater die Aufgabe erhielt, den anderen Offizieren den Einsatzbefehl in vollem Umfang zu erlautern, wunderte sich wohl selbst der phantasieloseste unter ihnen uber des Admirals Kuhnheit.
Noch bevor sie von Land aus gesehen werden konnten, sollte die Korvette
samtliche Marineinfanteristen der beiden gro?en Schiffe ubernehmen und bei Dunkelheit, mit mehreren Booten im Schlepptau, in die Bucht segeln. Die beiden Zweidecker
Fort Exeter dagegen war leichter zu verteidigen, besonders gegen Angriffe von See her, und seine Garnison wurde sich vollig sicher fuhlen, wenn das kleine Geschwader in Sichtweite ihrer Ausgucksposten erst vorbeigesegelt war.
Wahrend Bolitho Cairns gleichma?iger, leidenschaftsloser Stimme lauschte, glaubte er, Konteradmiral Coutts aus dessen Mund sprechen zu horen.
Die
wurde die Soldaten, dazu bewaffnete Seeleute und das zum Ersturmen des Forts notwendige Gerat wie Leitern und dergleichen an Land setzen und noch vor Tagesanbruch wieder auslaufen. Der Angriff uber Land wurde dem altesten Offizier der Marineinfanterie uberlassen, und das war Major Samuel Paget vom Flaggschiff.
D'Esterre hatte vertraulich uber ihn geau?ert:»Ein harter Mann. Was er sich in den Kopf gesetzt hat, fuhrt er aus, nichts kann ihn davon abbringen. Andere Meinungen la?t er nicht gelten.»
Bolitho glaubte das gern. Er hatte Paget einige Male gesehen, er wirkte sehr aufrecht und gerade, tadellos in dem roten Rock mit wei?en Aufschlagen und ebensolcher Scharpe. Andererseits hatte er Schwierigkeiten, seine zunehmende Korpulenz zu verbergen. Das Gesicht, einst sehr gut geschnitten, zeigte jetzt, da er die Mitte der Drei?ig erreicht hatte, die ersten Spuren starken Trinkens und ungehemmter Tafelfreuden.
Jetzt, da ihre Aufgabe allgemein bekannt war, ging die Besatzung mit dem ublichen Gemisch von Gefuhlen ans Werk. Grimmige Resignation auf Seiten derer, die daran teilnahmen, frohlicher Optimismus bei denjenigen, die an Bord bleiben wurden. Zum vorgesehenen Zeitpunkt begann das Ubersetzen der Marineinfanteristen und der Matrosen auf die Korvette. Nach der sengenden Hitze des Julitages brachte der Abend wenig Erfrischung. Die beschwerliche und ermudende Arbeit erregte die Gemuter, und es kam unter den Leuten oft zu Handgreiflichkeiten.
Bolitho musterte die letzte Gruppe der Seeleute und uberzeugte sich, da? alle gut bewaffnet waren und in ihren Feldflaschen Wasser hatten, nicht etwa aufgesparten Rum, als Cairns zu ihm trat und fauchte:»Wieder eine Anderung!«»Wieso?»
Bolitho wartete in der Annahme, da? der Angriff verschoben worden sei.
Cairns aber sagte bitter:»Ich soll an Bord bleiben!«Er wandte sich ab, um seinen Arger zu verbergen.»Schon wieder.»
Bolitho wu?te nicht, was er sagen sollte. Cairns hatte offenbar damit gerechnet, als altester Offizier den Angriff fuhren zu durfen. Da er schon um seine Chance gebracht worden war, als Prisenkapitan eingesetzt zu werden oder wenigstens an der Eroberung der Faithful teilzunehmen, mu?te er dieses Landungsunternehmen als seine rechtma?ige Belohnung ansehen, trotz der damit verbundenen Gefahr.
«Wird uns jemand vom Flaggschiff befehligen, Sir?»
Cairns blickte ihn an.»Nein, Probyn soll die Fuhrung ubernehmen. Gott helfe Ihnen!»
Bolitho verbarg seine Gefuhle.»Und auch der junge James Quinn geht mit!»
Quinn hatte nichts gesagt, als man es ihm mitteilte, aber er hatte ausgesehen, als hatte ihn jemand geschlagen.
Cairns schien Bolithos Gedanken zu erraten.»Ja, Dick, so wird es vielleicht Ihnen zufallen, unsere Leute zuruckzubringen.»
«Aber warum keiner vom Flaggschiff? Sicher haben sie einen, ja sogar mehrere Offiziere, die sie einsetzen konnten?»
Cairns betrachtete ihn seltsam.»Sie verstehen Admirale nicht, Dick. Niemals lassen sie ihre eigenen Leute gehen. Sie mussen immer eine wohlgeordnete Schar von Offizieren und Mannschaften um sich haben. Coutts ist da keine Ausnahme. Er will Perfektion, nicht einen zusammengewurfelten Haufen von alten Mannern und Knaben, wie wir es bald sein werden.»
Er hatte noch mehr sagen konnen, beispielsweise da? Quinn mitgeschickt wurde, damit sich erwies, ob die Verwundung etwa seinen Mut und seine Entschlossenheit beeintrachtigt hatte; Probyn ging, weil man ihn nicht vermissen wurde. Dann dachte Bolitho an seine eigene Position und mu?te beinahe lacheln. Pears tat nur, was auch der Admiral getan hatte: die Besten behielt er fur sich. Jeder nach Rang und Konnen Geringere wurde zuerst geopfert.
Cairns au?erte:»Gut, da? Sie dem allen noch Humor abgewinnen konnen. Ich selbst finde es unertraglich.»
Fahnrich Couzens, beladen mit Fernrohr, Dolch, Pistolen und einem gro?en Sack Lebensmittel, rief atemlos:»Die
signalisiert, Sir!
Bolitho nickte.»Gut, gehen Sie an Bord.»
Er sah einen weiteren Fahnrich in den Kutter hinabklettern, einen ernsten Sechzehnjahrigen namens Huyghue, und sich neben den Bootssteurer setzen, der wohl doppelt so alt war wie er.
«Ich sehe, Sie sind fertig, Mr. Bolitho.»
Probyns unangenehme Stimme ri? ihn herum. Der Zweite Offizier konnte erst soeben von der Anderung erfahren haben, aber er wirkte bemerkenswert ruhig. Naturlich war er rot im Gesicht, aber das war bei ihm normal, und als er sich nun uber die Reling beugte und in die langsseits liegenden Boote blickte, machte er einen fast gleichgultigen Eindruck.
Cairns richtete sich auf, als er des Kommandanten schweren Schritt hinter sich horte.»Viel Gluck, ihr beiden!«Dann blickte er zu der wie betrunken schwankenden Korvette hinuber.»Ich ware gern mitgefahren.»
Probyn sagte nichts, legte nur die Hand an den Hut und folgte den anderen in das uberfullte Boot.
Bolitho sah Stockdale in einem der Kutter und nickte ihm zu. Wenn.er aus irgendeinem Grunde nicht teilgenommen hatte, ware ihm das wie ein boses Omen erschienen. Ihn dort im Boot zu sehen — gro?, breit und mit ruhigem Gesicht — , machte vieles wieder wett.
Probyn knurrte:»Legen Sie ab, ich habe keine Lust, hier in dieser verdammten Hitze noch langer zu schmoren!»
Als sie bei der Korvette eintrafen, schrie der Kommandant durch sein Sprachrohr:»Bewegt euch, verdammt noch mal! Dies ist ein Schiff des Konigs und kein Hummerboot!»
Erst jetzt zeigte Probyn so etwas wie Erregung.»Horen Sie das? Unverschamter junger Flegel! Mein Gott, wie ein eigenes Kommando die Menschen doch verandert!»
Bolitho warf ihm einen raschen Blick zu. Mit diesen wenigen Worten hatte Probyn einen Teil seines Inneren enthullt. Bolitho wu?te, da? er vor Ausbruch des Krieges mit Halbsold an Land gesessen hatte. Ob es infolge seines starken Trinkens oder ob er durch sein Mi?geschick erst zum Trinker geworden war, lie? sich nicht feststellen. Auf jeden Fall hatte man Probyn bei der Beforderung ubergangen, und somit mu?te er sich nun von dem jugendlichen Kommandanten der
anschreien lassen.
Als sie auf dem Deck der Korvette standen, fragte sich Bolitho, wo die vielen Marineinfanteristen geblieben waren. Wie schon auf der
Der Kommandant der Korvette trat zu ihnen, nickte kurz und rief dann:»Mr. Walker, bringen Sie sie auf Kurs!«Zu Bolitho gewandt, fugte er hinzu:»Ich schlage vor, da? Sie unter Deck gehen. Meine Leute haben alle Hande voll zu tun, und es stort, wenn uberall fremde Offiziere herumstehen.»
Bolitho tippte an seinen Hut. Im Gegensatz zu Probyn konnte er des jungen Mannes Scharfe verstehen. Er nahm sein Kommando und die ihm unvermutet ubertragene Aufgabe sehr ernst. Dicht bei lagen zwei gro?e Linienschiffe, und sein Admiral sowie mehrere altere Seeoffiziere beobachteten kritisch alle seine Manover.
Noch ein letztes Mal sprach er Bolitho an.»Sind Sie nicht der Offizier, der vor zwei Wochen in diesen Zwischenfall mit meinem Schiff verwickelt war?»
Seine Stimme hatte einen scharfen, spottischen Ton, und Bolitho vermutete, da? mit ihm nicht gut Kirschen essen war. Vierundzwanzig Jahre alt… Was hatte Probyn vorhin gesagt?
Spite
Bolitho wandte sich ab, um den inneren Kampf des Mannes nicht mit ansehen zu mussen. Noch nie hatte er erlebt, da? Probyn einen Drink ablehnte, es mu?te ihn jetzt gewaltige Anstrengung kosten. Aber es war sehr wichtig fur ihn, Erfolg zu haben, und dafur gab er einiges auf, offensichtlich sogar das Trinken.
Wahrend der Nacht und des folgenden Tages kreuzte die
au?er Sichtweite der Kuste und' naherte sich nur langsam ihrem
Ziel.
Fort Exeter lag auf einer sandigen, vier Meilen langen Insel, die etwa die Form einer Axt hatte. Bei Niedrigwasser war sie durch einen nicht sehr zuverlassigen Damm aus Sand und Kies mit dem Festland verbunden. Daneben lag die Einfahrt zu einer Art Lagune, ein vom Fort aus muhelos zu verteidigender Ankerplatz, den sorgsam postierte Geschutze bestreichen konnten.
Sobald die Landungstruppen abgesetzt waren, sollte die
sich zuruckziehen und vor der Morgendammerung wieder au?er Sicht sein. Wenn es zu stark abflaute, wurde der Angriff verschoben werden, bis wieder genugend Wind aufkam. Auf keinen Fall sollte er aufgegeben werden, au?er wenn der Feind mi?trauisch wurde und sich verteidigungsbereit machte.
Bolitho dachte an Major Samuel Paget, den Mann, der den Angriff fuhren sollte' es schien ihm nicht einmal sicher, da? er in diesem Fall das Unternehmen abbrach.