Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander 15 стр.


Jetzt wurden zwei weitere Manner die Treppe heruntergeschafft, einer entpuppte sich als Hummerfischer, der andere protestierte laut und behauptete, er sei uberhaupt kein Seemann. Bolitho musterte die Tatowierungen auf seinen Armen und sagte ruhig:»Ich rate dir, den Mund zu halten. Wenn du von einem Schiri des Konigs bist, wie ich vermute, ware Schweigen fur dich gesunder. «Der Mann wurde so bla? unter seiner Braune, als hatte er bereits die fur ihn bestimmte Schlinge des Henkers gesehen.

Ein Seemann polterte die Treppen herunter.»Das ist alles, Sir, au?er diesem Knaben hier.»

Bolitho sah, wie der Junge durch die Reihe der starrenden Madchen hindurchgeschoben wurde, und entschied sich gegen ihn. Vielleicht war er jemandes Sohn, der in dieser truben Spelunke ein erstes aufregendes Erlebnis gesucht hatte.

«Gut. Rufen Sie die anderen!«Er betrachtete den schmalschult-rigen Jungen, der mit niedergeschlagenen Augen im Schatten stand.»Das ist kein Ort fur dich, Kerlchen. Verschwinde, bevor etwas Schlimmeres passiert. Wo wohnst du?»

Als keine Antwort kam, streckte Bolitho die Hand aus und hob des anderen Kinn an, so da? das Lampenlicht voll auf das verangstigte Gesicht fiel.

Bolitho stand einen Augenblick wie versteinert. Dann ging alles sehr schnell. Der Bursche duckte sich und rannte aus der Tur, bevor sich jemand bewegen konnte.

Ein Seemann schrie:

Er ging an seinen Leuten vorbei und beugte sich uber die ausgestreckte Gestalt, wahrend ein Korporal der Infanterie herbeieilte und den Korper auf den Rucken rollte.

«Er wollte Ihnen weglaufen, Sir!»

Bolitho kniete nieder, knopfte die grobe Jacke und das Hemd auf und legte die Hand auf die schmale Brust. Das Herz schlug nicht mehr, uberall war Blut. Die Haut, so zart wie vorher das Kinn, war noch warm, und die toten Augen starrten ihn anklagend aus der Dunkelheit an.

Er erhob sich, ihm war ubel.»Es ist ein Madchen.»

Dann wandte er sich um und rief:»Diese Frau, bringt sie her!»

Die» Lucy «genannte Person trat naher und rang die Hande, als sie die leblose Gestalt erblickte. Mit ihrer Arroganz war es vorbei. Bolitho konnte ihre Angst beinahe riechen.

«Wer war sie?«fragte er, erstaunt uber den harten Ton seiner Stimme, die ihm selbst fremd klang.»Ich frage kein zweites Mal, Frau!»

Mehr Larm erfullte die Stra?e, und zwei Berittene galoppierten durch die Heerespatrouille.»Was, zum Teufel, geht hier vor?«bellte eine Stimme.

Bolitho beruhrte gru?end seinen Hut.»Offizier der Hafenwache,

Sir!»

Der Fragende war ein Major, der dieselben Abzeichen trug wie der Unteroffizier, der das Madchen erschossen hatte.

«Oh, verstehe. Also dann. «Er stieg ab und beugte sich uber die Leiche.»Die Lampe, Korporal!«Die Hand unter dem Kopf des Madchens, drehte er dessen Gesicht dem Licht zu.

Bolitho war au?erstande, den Blick vom Gesicht der Toten abzuwenden.

Endlich stand der Major auf.»Schone Bescherung, Leutnant!«Er rieb sich das Kinn.»Es ist wohl besser, wenn ich den Gouverneur wecke. Er wird nicht sehr erfreut sein.»

«Wer war sie, Sir?»

Der Major schuttelte den Kopf.»Was Sie nicht wissen, kann Ihnen nicht schaden. «Dann, in verandertem Ton zu dem zweiten Reiter:»Korporal Fisher! Reiten Sie zur Kommandantur und wek-ken Sie den Adjutanten. Er soll mit einem Zug Soldaten sofort herkommen. «Er beobachtete, wie der Korporal losjagte, und fugte hinzu:»Dieses verdammte Haus wird jetzt geschlossen und bewacht, und Sie«, sein wei?behandschuhter Zeigefinger scho? vor und deutete auf die zitternde Lucy,»sind festgenommen!»

Jammernd sank sie fast zu Boden.»Wieso ich, Sir? Was hab' ich denn verbrochen?»

Der Major trat zur Seite, als zwei Soldaten herbeiliefen und Lucys Arme packten.»Verrat, Madam, das haben Sie verbrochen!»

Etwas ruhiger wandte er sich Bolitho zu.»Ich schlage vor, da? Sie weitermachen, Sir. Ohne Zweifel werden Sie noch mehr uber diesen Vorfall horen.«Uberraschenderweise lachelte er kurz.

«Wenn es ein Trost fur Sie ist: Sie sind da auf etwas wirklich Wichtiges gesto?en. Zu viele gute Leute sind schon Verrat zum Opfer gefallen. Aber hier liegt jemand, der nie mehr Verrat uben wird.»

Bolitho ging schweigend zum Hafen zuruck. Der Major hatte das tote Madchen erkannt, und nach der Feinheit ihrer Glieder, der Glatte ihrer Haut zu urteilten, stammte sie aus guter Familie.

Er versuchte sich vorzustellen, was in dem Haus vor sich gegangen war, bevor er und seine Leute dort eingedrungen waren; aber alles, woran er sich erinnern konnte, waren ihre Augen, mit denen sie ihn angeblickt hatte, als sie beide die Wahrheit begriffen.

VII Hoffnungen und Angste

Bolitho ging ein paar Schritte auf und ab, wobei er versuchte, im Schatten des gro?en Besansegels zu bleiben. Es herrschte druckende Hitze, und die leichte Brise, die uber das Achterdeck der

Resolute

Das war vor vier Tagen gewesen, vor vier muhevollen Tagen des langsamen Dahinkriechens in sudlicher Richtung. Kaum zeigten ein paar Krausel rund um das Ruder an, da? sie uberhaupt Fahrt machten; in der ganzen Zeit hatten sie nicht mehr als vierhundert Meilen zuruckgelegt.

Bolitho schwenkte das Teleskop weiter herum und sah die Sonne auf den Bramsegeln der Fregatte

Segel setzte und ohne jedes Aufsehen ihren Ankerplatz verlie?. Sie segelte jetzt weit vor ihnen und wurde durch Flaggensignale alles melden, was fur den Admiral von Interesse sein konnte.

Es war ein prachtiges kleines Schiff, bestuckt mit achtzehn Kanonen. Bolitho hatte es wiedererkannt: Es war dasselbe, das kurz vor Sparkes vergeblichem Versuch, die Brigantine zu bergen, auf die

Geheimhaltung hatte sich in ihre Welt eingeschlichen wie die ersten Zeichen einer Krankheit.

Das Deck zitterte, als sich steuerbords jetzt die Stuckpforten des unteren Batteriedecks offneten und kurz darauf drei?ig Zweiund-drei?igpfunder ausgefahren wurden, als ginge es ins Gefecht. Wenn sich Bolitho uber die Reling beugte, konnte er sie sehen; aber schon bei dem Gedanken, das hei?e, zundertrockene Holz zu beruhren, war ihm, als habe er sich verbrannt. Was Dalyell — jetzt Kommandierender des unteren Batteriedecks — auszuhalten hatte, wagte er sich kaum vorzustellen.

Die Segel flappten mude, aber vom Wimpel an der Mastspitze las er ab, da? der Wind sich keineswegs drehte. Es wehte weiterhin gleichma?ig aus Nordwest, aber zu schwach, um die brutende, feuchte Hitze aus den Decks zu vertreiben.

Die Geschutze wurden mit lautem Gepolter wieder eingefahren, und er sah im Geiste Dalyell auf die Uhr blicken und feststellen, da? es zu lange gedauert hatte. Kapitan Pears hatte seine Forderung eindeutig formuliert: Gefechtsklar in zehn Minuten oder weniger, beim Feuern drei Salven in zwei Minuten. Die letzte Ubung hatte fast doppelt so lange gedauert.

Er konnte sich die Geschutzbedienungen vorstellen, wie sie sich schwitzend und mit entblo?ten Oberkorpern abmuhten, die schweren Geschutze auszufahren. Jedes wog uber drei Tonnen, und wenn das Schiff auf Backbordbug segelte, mu?ten sie dieses Gewicht das schragliegende Deck aufwarts wuchten. Es war nicht das richtige Wetter fur eine derartige Arbeit, aber — wie Cairns oft betonte — das war es nie.

Bolitho blickte durch die Netze zur unsichtbaren Kuste hinuber, deren Verlauf er sich vor Antritt jeder Wache auf der Karte einpragte. Cape Hatteras mit seinen Untiefen lauerte etwa zwanzig Meilen querab, und dahinter lagen der Pamlico Sound und die Flusse North Carolinas.

Die See ringsum war leer. Nur ihre vier Schiffe, weit auseinander, um Wind und Sicht am gunstigsten zu nutzen, bewegten sich langsam sudwarts, einem unbekannten Ziel entgegen. Die vier Besatzungen zusammen, schatzte Bolitho, mu?ten rund tausendachthundert Mann zahlen.

Kurz vorher hatte er Molesworth, den Zahlmeister und Proviantverwalter, mit seinem Gehilfen den Niedergang hinuntergehen sehen, Molesworth mit seinem gro?en Hauptbuch unter dem Arm, sein Gehilfe mit dem Werkzeugkasten, den sie zum Offnen von Fassern und Kisten benotigten.

Es war Montag, und Bolitho konnte sich die gekritzelten Notizen in Molesworths Buch vorstellen: Pro Mann ein Pfund Schiffszwieback, ein halbes Pfund Hafermehl, zwei Unzen Butter, vier Unzen Kase und einen Liter Leichtbier. Danach war es dann Sache von Triphook, dem Koch und seinen Kochsmaaten, was sie aus dieser Tageszuteilung machten.

Kein Wunder, da? Zahlmeister immer sorgenvoll oder unehrlich waren. Wenn man die Tagesration eines Mannes mit der Zahl der Besatzung und dann mit der Zahl der Tage auf See multiplizierte, bekam man eine Vorstellung von ihren Problemen.

Fahnrich Couzens, der diskret mit seinem Glas an der Leereling stand, zischte:»Der Kommandant, Sir!»

Bolitho drehte sich rasch um; schon diese Bewegung lie? Schwei? zwischen seinen Schulterblattern herabrinnen, der sich uber dem Gurtel sammelte wie hei?er Regen.

Er legte die Hand an den Hut:»Sudsudwest, Sir, voll und bei!»

Pears musterte ihn unbewegt.»Der Wind scheint wahrend der letzten Stunde gedreht zu haben, aber nicht genug, um etwas zu verandern.»

Weiter sagte er nichts, und Bolitho ging hinuber zur Leeseite, um seinem Kommandanten das Luvdeck zu uberlassen.

Pears schlenderte langsam auf und ab, anscheinend in tiefe Gedanken versunken. Woran mochte er denken, uberlegte Bolitho? An seine Segelorder, an Frau und Kinder in England?

Pears blieb stehen und wandte sich ihm zu.»Lassen Sie ein paar Leute nach vorn pfeifen, Mr. Bolitho. Die Luvfockbrasse ist so schlapp wie diese ganze Wache! Das mu? erheblich besser werden!»

Bolitho nickte.»Aye, Sir, sofort!»

Er gab Couzens ein Zeichen, und einen Augenblick spater holten einige Seeleute kraftig die Lose der Brasse durch; jeder von ihnen wu?te, da? der Kommandant sie beobachtete.

Bolitho grubelte uber Pears Benehmen nach. Die Brasse war nicht loser gewesen als bei diesem schwachen und unregelma?igen Wind zu erwarten. Wollte Pears sie nur in Bewegung halten? Er dachte plotzlich an Sparke und an sein:

Quinn hatte sich rascher erholt, als Bolitho zu hoffen gewagt hatte. Er sah schon wieder frischer aus und konnte aufrecht gehen, ohne das Gesicht vor Schmerzen zu verzerren.

Bolitho hatte die gro?e Narbe auf Quinns Brust gesehen. Wenn sein Angreifer nicht noch im selben Augenblick gestort worden ware, hatte die Klinge Muskel und Knochen durchbohrt und ware ins Herz vorgedrungen.

«Mr. Quinn!»

Die Stimme schnellte nach dem jungen Funften Offizier wie ein Lasso.

«Sir!«Er eilte uber das Deck, in seinem Gesicht arbeitete es, als er uberlegte, was er falsch gemacht habe.

Pears betrachtete ihn grimmig.»Freut mich, da? Sie wieder auf den Beinen sind.»

Quinn lachelte erfreut.»Danke, Sir.»

Pears nahm seinen taglichen Spaziergang wieder auf.»Sie werden mit Ihren Leuten heute nachmittag das Abschlagen eines Enterangriffs uben. Dann, wenn wir diesen Kurs beibehalten, gehen Sie mit den neuen Leuten in die Takelage zum Exerzieren. «Er nickte kurz.»Das wird Ihnen besser helfen als alle Pillen.»

Couzens rief aufgeregt:»Signal vom Flaggschiff, Sir!«Er blickte angestrengt durch das gro?e Glas und runzelte die Stirn wie ein alter Mann, wahrend er die bunten Flaggen an der Signalrah der

Bolitho dachte an des Admirals jugendlichen Enthusiasmus. Vielleicht war Pears schon zu alt und stand den Dingen etwas fern?

Allerdings lag nichts Altes in seiner Stimme und in seinen Augen, als er jetzt schrie:»Mr. Cairns! Treiben Sie die Leute nach oben, lassen Sie sie auspeitschen, wenn es nicht anders geht. Ich will mich nicht noch einmal vom Flaggschiff ermahnen lassen!»

Es wurde Mittag, bis die Royals und die gro?en, Fledermausflugeln ahnlichen Leesegel gesetzt waren. Das Flaggschiff hatte ebenfalls alles Tuch gesetzt und wurde fast begraben unter der ungeheuren Segelpyramide.

Probyn loste Bolitho ohne seinen sonstigen Sarkasmus ab. Er bemerkte nur:»Ich sehe keinen Sinn in der ganzen Geschichte. Tag fur Tag dasselbe, ohne e in Wort der Erklarung. Das wird allmahlich unheimlich!»

Zwei weitere Tage sollten jedoch verstreichen, ehe jemand etwas uber ihr Ziel erfuhr.

Konteradmiral Coutts kleines Geschwader behielt zunachst den sudlichen Kurs bei und drehte dann nach Sudosten, um bei dem jetzt gunstigeren Wind Cape Fear in genugendem Abstand zu umrunden, dieses Kap mit dem so treffenden Namen: Angst.

Bolitho war gerade abgelost worden, als er vollig unerwartet zum Kommandanten befohlen wurde.

Es fand jedoch keine Konferenz statt, der Kommandant sa? allein an seinem Schreibtisch. Sein Rock hing uber der Stuhllehne, Halstuch und Hemd hatte er geoffnet.

Bolitho wartete. Kapitan Pears wirkte ruhig, es schien sich also nicht um die Erteilung einer Ruge zu handeln fur etwas, das er getan oder nicht getan hatte.

Schlie?lich blickte Pears hoch.»Der Master und jetzt auch der Erste Offizier kennen unseren Auftrag. Sie werden es seltsam finden, da? ich Ihnen jetzt Einzelheiten anvertraue, noch bevor die anderen Offiziere unterrichtet sind, aber unter den gegebenen Umstanden halte ich es fur angebracht. «Er nickte in Richtung eines Stuhles.»Nehmen Sie Platz.»

Bolitho setzte sich, plotzlich erregt durch Pears Vorrede.

«In New York gab es vor unserem Auslaufen Aufregung und Unruhe. Sie spielten dabei keine geringe Rolle — «, Pears lachelte knapp — ,»was mich naturlich nicht wundert.»

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