Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander 19 стр.


Bolitho sah ihn an.»Das werden Sie allein entscheiden mussen, denn ich furchte, dann wird Ihnen niemand mehr Befehle erteilen konnen!»

Er horte Rabbett kichern und wunderte sich, da? jemand uber einen so schwachen, makabren Witz lachen konnte.

Wahrend er auf die Ecke des Forts zuschritt, spurte er die leichte Brise wie eine Liebkosung im Gesicht. Noch zweihundert Meter, und dabei standig das Gefuhl, als sei er weithin sichtbar, wahrend er sich jetzt Quinns Versteck naherte.

Jemand richtete sich halb auf, Gewehr im Anschlag, ging aber sofort wieder in Deckung, als er Bolithos Gruppe erkannte.

Quinn wartete mit seinen Leuten bei den Leitern gereizt darauf, da? Bolitho die Lage durchs Glas studierte.

«Nichts«, sagte Bolitho.»Alles vollig ruhig. Sie verlassen sich wohl ganz auf einen Angriff von See her und auf den Posten, den wir unten erledigt haben. «Er sah Quinn zusammenzucken und fugte leise hinzu:»Nimm dich zusammen, James. Unsere Leute beurteilen ihre Chancen nur nach dem Eindruck, den wir machen. «Er zwang sich zu einem Grinsen, aber seine Lippen fuhlte sich wie eingefroren an.»Dann wollen wir jetzt mal unseren Sold verdienen, wie?»

Rowhurst trat aus dem Schatten.»Fertig, Sir. «Er warf einen raschen Blick auf Quinn.»Keinerlei Bewegung auf der gesamten Brustwehr.»

Bolitho wandte sich um und hob den Arm. Er sah die geduckten Gestalten aus ihren Verstecken kommen und wu?te, es gab kein Zuruck mehr.

Die Leitern wurden rasch zu den dafur ausersehenen Stellen der Mauer geschleppt; daneben rannten die Seeleute, die mit ihren Entermessern und Beilen wie die Figuren eines alten normannischen Gobelins aussahen, den Bolitho einmal in Bodmin gesehen hatte.

Er ergriff Quinns Handgelenk und druckte es, bis dieser vor Schmerz zusammenzuckte.

«Wir wissen nicht, was wir vorfinden werden, James, aber die Tore mussen geoffnet werden. Horst du?«Er sprach langsam und eindringlich, trotz seiner sich ubersturzenden Gedanken. Es war wichtig, da? Quinn jetzt durchhielt.

Quinn nickte.»Ja, ich — ich werde es schon schaffen, Sir.»

Bolitho lie? ihn los und berichtigte:»Dick.»

Quinn starrte ihn verwirrt an.»Dick.»

Die erste Leiter wurde bereits aufgerichtet und hob sich klar gegen die verblassenden Sterne ab. Die zweite folgte, gestutzt von den herbeieilenden Seeleuten.

Bolitho vergewisserte sich, da? sein Dolch mit der Schlaufe am Handgelenk festsa?, und lief leichtfu?ig zur nachsten Leiter. Er wu?te, da? Stockdale ihm folgte.

Rowhurst beobachtete Quinn und tippte ihm dann auf den Arm.»Kommen Sie, Sir!»

Keuchend rannte Quinn zur anderen Leiter und zog sich zu der schwarzen Mauerkrone hinauf.

Bolitho kletterte uber die rohbehauenen Stamme und lie? sich hinter die Brustwehr fallen. Es war fast wie auf einem Schiff, dachte er geistesabwesend, bis auf die furchterliche Stille.

Er tastete sich an einem Schwenkgeschutz vorbei und weiter dorthin, wo er die Tore vermutete. Seine Lungen schmerzten vor Anstrengung, als er den Buckel im Wall sah, der genau uber dem Eingang sein mu?te. Er roch Holzfeuer, Pferde und Menschen, den Gestank einer zusammengepferchten Garnison, der in aller Welt gleich war.

Er fuhr herum, als Rabbett vorwartsglitt und mit seinem Beil auf etwas einschlug, das Bolitho fur einen Stapel Sacke gehalten hatte. Aber es war ein weiterer Posten oder vielleicht jemand, der auf dem Wall frische Luft schopfen wollte. Es war ein so schneller und furchterlicher Hieb, da? der Mann auf der Stelle tot gewesen sein mu?te.

Der Schock half Bolitho, sich ganz auf ihr Vorhaben zu konzentrieren. Er fand das obere Ende einer Leiter und wu?te, da? die Tore jetzt dicht vor ihnen sein mu?ten.

Stockdale hockte plotzlich neben ihm.»Ich mache das, Sir.»

Bolitho versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen, aber es lag im tiefen Schatten.

«Wir machen es zusammen.»

Wahrend die Manner sich hinter der Brustwehr duckten, stiegen Bolitho und Stockdale vorsichtig die ungleichen Holzsprossen hinunter.

Am gegenuberliegenden Ende der Palisade arbeiteten sich Quinn und seine Abteilung zum Wachturm vor, um Bolitho von druben Schutz zu geben, wenn die Wache auftauchen sollte.

All das hatte in Konteradmiral Coutts Kopf begonnen, viele Me i-len von diesem unheimlichen Ort entfernt. Und jetzt waren sie hier, obwohl Bolitho damit gerechnet hatte, da? sie entdeckt und zuruckgeschlagen wurden, bevor sie das Fort erreichen konnten. Aber es war so lacherlich einfach gewesen, da? ihm unbehaglich wurde.

Bolitho fuhlte den Boden des Festungshofes unter seinen Fu?en. Die niedrigen Gebaude, die den inneren Wall saumten, konnte er nur erahnen, jedoch erkannte er gegen den heller werdenden Himmel deutlich den Turm und sogar den Flaggenmast.

Stockdale beruhrte seinen Arm und deutete auf eine kleine, alleinstehende Hutte in der Nahe des Tores, aus der ein schwacher Lichtschimmer drang: anscheinend die Wachstube.

«Komm!«flusterte Bolitho.

Es waren nur sieben Schritte bis zur Mitte des Tores, aber er zahlte jeden so genau, als hinge sein Leben davon ab. Ein langer dicker Balken in eisernen Halterungen sicherte die Torflugel, das war alles. Stockdale legte sein Messer hin und schob eine Schulter darunter, wahrend Bolitho die Hutte im Auge behielt.

Gerade luftete Stockdale mit seiner ganzen Kraft den Balken an, als ein Schreckensruf ertonte, der zu einem langgezogenen, entsetzten Schrei wurde und dann plotzlich verstummte, als ob eine massive Tur zugeschlagen wurde.

Einen Augenblick lang horte man keinen Laut, dann hallten erregte Stimmen und Getrappel im Hof wider. Bolitho schrie:»Mach auf, schnell!»

Schusse, aufs Geratewohl abgefeuert, krachten in die Pfahle oder pfiffen harmlos uber das Wasser. Er konnte sich die Verwirrung und das Durcheinander bei der Besatzung vorstellen; viele schienen anzunehmen, der Angriff kame von See her, von au?erhalb der Mauern.

Licht fiel aus der plotzlich aufgesto?enen Tur der Wachstube, und Bolitho sah nackte Gestalten auf sich zulaufen, von denen eine ein Gewehr abfeuerte und dann von den nachfolgenden uber den Haufen gerannt wurde. Die blasse Haut dieser Manner hob sich von dem dunklen Hintergrund deutlich ab. Nun horte er jemanden schreien:»Laden und feuern, so schnell ihr konnt, Jungs!»

Stahl krachte auf Stahl, Rufe wandelten sich zu schrillen Schmerzenschreien, und noch hatte niemand von Bolithos Gruppe einen Schu? abgegeben.

Ein Mann stie? mit aufgepflanztem Seitengewehr nach ihm, aber Bolitho wich aus, so da? der Angreifer durch seinen eigenen Schwung vornuber fiel, vor Entsetzen keuchend, bis Stockdales Dolch ihm den Garaus machte.

Bolitho schrie:

Kutbi, der Araber, raste herum wie ein Amoklaufer und wirbelte schreiend sein Enterbeil uber den Kopf, vollig dem Drang zu toten verfallen.

Einer der Seeleute fiel, Blut hustend, zu Bolithos Fu?en nieder, und er horte Quinns Leute mit der Wachmannschaft des Turmes die Klingen kreuzen, naher und lauter, je mehr sie zu den Toren zuruckwichen. Er glaubte, sein Arm wurde brechen, als er auf einen Uniformierten einhackte oder dessen Hiebe parieren mu?te. Der Mann hatte sich direkt neben ihm von Boden erhoben. Bolitho spurte des Gegners Starke und Entschlossenheit, als dieser ihn jetzt Schritt fur Schritt zuruckdrangte.

Vollig klar und ohne Furcht oder Emotion fuhlte er: dies war das Ende, der Augenblick war gekommen.

Sein Arm wurde schwerer und schwerer, der Mann besa? mehr

Kraft als er, das bekam er erneut zu spuren, als sich jetzt sein Degengriff an dem des Gegners festhakte. Er horte Stockdale brullen, der verzweifelt versuchte, sich zu ihm durchzuschlagen.

Bolithos Instinkt sagte ihm, da? es diesmal keine Hilfe gab. Der Mann ri? ihn herum, die verhakten Griffe als Hebel benutzend, als Bolitho eine Pistole aus seinem Gurtel ragen sah. Mit einer letzten, ubermenschlichen Anstrengung warf er sich vor, lie? den Degen los und ri? die Pistole heraus, sie gleichzeitig abdruckend.

Die Detonation schleuderte ihm die Waffe aus der Hand, aber er sah den Gegner lautlos zusammensinken. Der Schmerz, mit dem die schwere Kugel wie geschmolzenes Blei durch seine Eingeweide fuhr, war wohl selbst zum Schreien zu gro?.

Bolitho hob seinen Dolch, um dem Todeskampf des Gegners ein Ende zu bereiten, aber er senkte die Waffe wieder. Es ware sicher menschlicher gewesen, ihn von seinen Schmerzen zu befreien, aber er brachte es bei einem Wehrlosen nicht fertig.

Im nachsten Augenblick wurde der zweite Torflugel aufgerissen, und durch die Pulverdampfschwaden sah Bolitho die wei?en Gurtel und schwach glitzernden Bajonette der eindringenden Marineinfanteristen.

Bis auf ein paar Widerstandsnester war alles vorbei. Eine kleine Gruppe kampfte noch auf den Palisaden, eine andere versuchte, sich in einem Keller zu verschanzen; sie wurden alle niedergemaht, auch als sie sich ergeben wollten. Die wenigen, die aus den Toren entkommen waren und zum Strand liefen, fielen Pagets zweiter Schutzenreihe zum Opfer.

Probyn hinkte durch das Chaos von Toten, Sterbenden und Gefangenen, die flehend die Hande hoben, erkannte Bolitho und grunzte:»Das war knapp.»

Dieser nickte, an einen Pfosten gelehnt und Luft in seine schmerzenden Lungen pumpend. Er bemerkte Probyns Hinken und keuchte:»Sind Sie verwundet?»

Probyn erwiderte wutend:»Diese verdammten Idioten mit ihrer Leiter haben mir fast das Bein gebrochen!»

Es klang inmitten von Schmerz und Tod so absurd, da? Bolitho an sich halten mu?te, um nicht laut zu lachen; denn er wu?te, da? er das Gelachter sonst nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte.

D'Esterre trat unter dem Stalldach hervor.»Das Fort ist genommen. Alles voruber. «Er lie? sich von einem Soldaten seinen Hut reichen, wischte ihn sorgfaltig ab und fugte hinzu:»Die Teufel hatten ein Geschutz schon geladen und auf die Mauerkrone gerichtet. Wenn sie uns fruher bemerkt hatten, waren wir niedergemaht worden, ob beim Angriff oder auf der Flucht!»

Rowhurst wartete, bis Bolitho ihn anblickte, und sagte dann schwer atmend:»Wir haben drei Mann verloren, Sir. «Er wies mit dem Daumen hinter sich auf den Wachturm.»Und zwei sind schwer verwundet.»

Bolitho fragte:»Wo ist Mr. Quinn?»

Rowhurst erwiderte schroff:»Ihm geht's gut, Sir.»

Was bedeutete das? Bolitho sah Paget und weitere Marineinfanteristen durch die offenen Tore kommen und beschlo?, nicht nachzuhaken. Noch nicht.

Paget blickte auf die herumhastenden Soldaten und Seeleute und schnauzte:»Wo ist der Kommandant des Forts?»

D'Esterre antwortete:»Er war nicht hier, aber wir haben seinen Stellvertreter.»

«Das genugt«, knurrte Paget.»Fuhren Sie mich zu seinem Quartier. «Er sah Probyn an.»Ihre Leute sollen ein paar Geschutze auf den Logger richten. Wenn er auslauten will, raten Sie ihm davon ab, klar?»

Probyn tippte an seinen Hut und knurrte sauerlich:»Das wurde ihm schlecht bekommen!»

Rowhurst blickte bereits mit fachmannischem Blick zu den Geschutzen auf.»Ich werde das ubernehmen, Sir. «Er lief davon und rief einige Namen, froh uber eine Arbeit, von der er etwas verstand.

Der Mann, dessen Pistole Bolitho vor wenigen Minuten gegen ihn selbst gerichtet hatte, stie? einen heiseren Schrei aus und starb. Bolitho blickte ihn an und versuchte, sich uber seine Gefuhle gegenuber einem Menschen, der ihn hatte umbringen wollen, klarzuwerden.

Plotzlich erschien ein Marineinfanterist, lief uber den Hof auf sie zu und konnte sich kaum das Grinsen verkneifen, als er meldete:»Verzeihung, Sir, aber einer Ihrer jungen Herren hat einen Gefangenen gemacht!»

Im nachsten Augenblick kam Couzens mit zwei Seeleuten durch das Tor, anscheinend gefuhrt von dem franzosischen Offizier, der seinen Rock uber dem Arm und seinen Dreispitz ke? nach hinten geschoben trug, als sei er auf einem Spaziergang.

Couzens erklarte:»Er rannte zu den Booten, Sir, uns genau in die Arme!«Dabei gluhte er vor Stolz uber seinen Fang.

Der Franzose blickte von Bolitho zu Probyn und sagte gelassen:»Ich bin nicht gerannt, meine Herren, das versichere ich Ihnen. Ich habe nur die Umstande genutzt. «Er verbeugte sich leicht.»Leutnant Yves Contenay, stehe zu Ihren Diensten.»

Probyn starrte ihn wutend an.»Sie stehen unter Arrest, verdammt!»

Der Franzose lachelte liebenswurdig:»Wohl kaum. Ich befehlige dieses Schiff dort und lief hier ein, um zu…«Er hob die Schultern.»Der Grund ist unwichtig.»

Er blickte auf, als einige Seeleute mit Handspaken daran arbeiteten, eins der Geschutze auf den Ankerplatz zu richten. Zum ersten Mal zeigte er Unruhe, ja Furcht.

Probyn sagte:»Soso, unwichtig. Sagen Sie Ihren Leuten, da? sie nicht etwa den Versuch machen, auszulaufen oder das Schiff zu beschadigen. Denn sonst lasse ich ohne Pardon auf sie feuern.»

«Das glaube ich gern. «Contenay wandte sich an Bolitho und hob die Hande.»Aber auch ich habe meine Befehle, das wissen Sie.»

Bolitho beobachtete ihn, die Nerven zum Zerrei?en gespannt.»Ihr Logger hat Schie?pulver geladen, nicht wahr?»

Der Franzose runzelte die Stirn.»Logger?«Dann nickte er.»Ah, ja, Lougre, verstehe. «Wieder hob er die Schultern.»Ja. Wenn Sie auch nur einen Schu? hineinfeuern, pouf!»

Probyn befahl:»Bleibt hier bei ihm, ich melde es dem Major.»

Bolitho sah Couzens an.»Gut gemacht!

Auch der Franzose musterte ihn lachelnd.»Ja, in der Tat.»

Bolitho sah jetzt, da? die Leichen von den Toren und der Wachstube fortgeraumt wurden. Zwei Gefangene in blau-wei?en Uniformen hatten bereits Eimer voll Wasser geholt und schrubbten mit Besen das Blut weg.

Zu dem Franzosen sagte Bolitho leise:»Man wird Sie wegen Ihrer Ladung befragen, M'sieur. Aber das wissen Sie selbst.»

«Ja. Ich bin in offiziellem Auftrag hier. Es gibt kein Gesetz, das mich aufhalten konnte. Mein Land respektiert die Revolution, nicht die von Ihnen ausgeubte Unterdruckung.»

Bolitho entgegnete trocken:»Und Frankreich handelt dabei naturlich vollig selbstlos?»

Sie grinsten sich beide an wie Verschworer, wahrend Couzens verwirrt zusah, ein wenig seines Ruhmes beraubt.

Zwei Leutnants, dachte Bolitho, von Krieg und Rebellion wie von einer Flutwelle fortgerissen. Es wurde ihm schwerfallen, diesen franzosischen Offizier nicht zu mogen. Er sagte:

«Ich rate Ihnen, nichts zu tun, was Major Paget reizen konnte.»

«Gewi?. «Contenay tippte sich mit dem Finger an die Nase.»Auch Sie haben also solche Offiziere.»

Als Probyn mit einer Eskorte zuruckkam, fragte Bolitho:»Wo haben Sie Ihr gutes Englisch gelernt, M'sieur?»

«Ich habe lange Zeit in England gelebt. «Sein Lacheln wurde breiter.»So etwas kann sich eines Tages als nutzlich erweisen, oder?»

Probyn schnauzte:»Bringt ihn zu Major Paget. «Er sah zu, wie der Franzose abgefuhrt wurde, und fugte argerlich hinzu:»Sie hatten ihn erschie?en sollen, Mr. Couzens, verdammt! Jetzt wird er zweifellos gegen einen unserer Offiziere ausgetauscht. Verdammte Freibeuter, ich wurde die ganze Bande aufhangen, ihre und unsre!»

Stockdale rief plotzlich:»Die Flagge, Sir!»

Bolitho blickte zur Rebellenflagge auf, die Paget vernunftige r-weise hatte hissen lassen. Es ware unklug gewesen, vorzeitig Verdacht zu erregen, sei es nun an Land oder auf See.

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