Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander 20 стр.


Trotzdem begriff Bolitho, was Stockdale meinte. Anstatt schlapp in Richtung Land zu hangen, zeigte die Flagge jetzt seewarts zum heller werdenden Horizont. Der Wind hatte uber Nacht um hundertachtzig Grad gedreht, und in der Erregung hatte dies bisher niemand bemerkt.

Leise sagte er:»Die

wird nicht einlaufen konnen.»

Probyn fuhr sich nervos mit der Hand uber die Bartstoppeln und meinte:»Er wird auch wieder zuruckdrehen, ganz bestimmt!»

Bolitho wandte sich dem Hang zu, auf dem er und Couzens gestern in der Morgensonne geschmort hatten; sorgfaltig suchte er ihn mit den Augen ab: er wirkte jetzt dunkel und drohend.

«Aber bis dahin sind wir hier die Verteidiger!»

Major Paget stutzte sich auf den schweren Tisch und musterte grimmig seine muden Offiziere.

Sonnenlicht flutete durch die Fenster des Kommandeurszimmers, und durch eine Schie?scharte sah Bolitho Baume und einen kleinen Streifen Strand.

Es war schon Vormittag und noch immer weder Freund noch Feind in Sicht.

Mit dem franzosischen Offizier als Geisel und einer Eskorte Marinesoldaten hatte Probyn sich zum Logger hinuberrudern lassen. Das Schiff war bis unters Deck voll von westindischem Schie?pulver, franzosischen Gewehren, Pistolen und anderem militarischen Gerat.

«Ein wertvoller Fang«, sagte Paget.»Der Feind und Mr. Washington wird ihn schmerzlich vermissen, das kann ich Ihnen versichern, meine Herren. Wenn wir hier angegriffen werden, bevor Hilfe kommt, ist es wahrscheinlich, da? der Feind den Logger samt Ladung in die Luft zu jagen versucht, falls er ihn nicht zuruckerobern kann. Auf alle Falle werde ich verhindern, da? er wieder in Feindeshand fallt.»

Bolitho horte den Marschtritt der Marineinfanteristen und die schroffen Kommandos ihrer Unteroffiziere. Pagets Feststellung war sinnvoll. Fort Exeter mu?te mit allen Waffen und Ausrustungsstuk-ken vernichtet werden, die wahrend der letzten Monate hier gehortet worden waren.

Aber es wurde einige Zeit dauern, alles vorzubereiten; und der Gegenangriff des Feindes konnte nicht lange auf sich warten lassen.

«Ich befehlige dieses Unternehmen. «Paget lie? seinen grimmigen Blick uber die Gesichter schweifen, als erwarte er Widerspruch.»Mir steht es also zu, eine Prisenbesatzung fur den Logger einzuteilen, die ihn unverzuglich nach New York segelt oder sich unterwegs bei einem Schiff seiner Majestat meldet.»

Bolitho versuchte, seine Erregung zu zugeln. Der Logger hatte eine Besatzung von Eingeborenen aus Martinique. Kein Wunder, da? man einen fahigen Mann wie Leutnant Contenay fur solch ein schwieriges Unternehmen ausgesucht hatte; er schien den meisten Offizieren, die Bolitho bisher getroffen hatte, weit uberlegen. Es war eine nicht zu unterschatzende Aufgabe gewesen, den Logger von Martinique durch die Karibische See hierher in diese schlecht vermessenen Gewasser zu segeln.

Selbst mit ihrer gefahrlichen Ladung war die Prise eine angenehme Abwechslung, jedenfalls besser als dies hier. War er einmal in New York, konnte so manches geschehen, bis er wieder in die strenge Autoritat der

Probyn stand auf; sein Gesicht druckte seine Genugtuung besser aus, als Worte es vermocht hatten.

Paget fuhr fort:»Ich werde die notigen Befehle ausschreiben, au?er wenn — «, dabei blickte er Bolitho an,»Sie vielleicht anderer Meinung sind?»

Probyn reckte sein Kinn vor.»Nein, Sir, so kommt es mir zu.»

Der Major starrte ihn an und knurrte:»Nur, wenn ich es befehle. «Er zuckte mit den Schultern.»Gut, es bleibt also dabei.»

D'Esterre murmelte:»Tut mir leid um die verpa?te Gelegenheit, Dick, aber es freut mich, da? du bei uns bleibst.»

Bolitho versuchte zu lacheln.»Danke, aber ich glaube, der arme George Probyn wird bald wieder auf der

Probyn wartete an der Tur auf Bolitho und sagte kurz:»Sie sind jetzt hier der Ranghochste-«, seine Augen glitzerten trotz seiner Mudigkeit — ,»und ich wunsche Ihnen viel Gluck mit diesem Sauhaufen!»

Bolitho betrachtete ihn gelassen. Probyn war nicht viel alter als er selbst, sah aber beinahe so alt aus wie Pears. Er fragte:»Warum diese Bitterkeit?»

Probyn schnaubte.»Ich habe niemals wirklich Gluck gehabt und auch nicht die guten Beziehungen Ihrer Familie. «Zu Bolithos Arger hob er drohend die Faust.»Ich kam aus dem Nichts und mu?te mich mit Zahnen und Klauen hinaufarbeiten! Denken Sie, ich hatte zu Ihren Gunsten verzichtet? Was ist schon ein elender, kleiner, franzosischer Blockadebrecher fur einen alteren Offizier wie mich — das haben Sie doch gedacht, nicht?»

Bolitho seufzte. Probyn war noch vulgarer, als er sich vorgestellt hatte.»Ja, es ging mir durch den Kopf.»

«Als Sparke fiel, kam meine Chance, und ich habe die Absicht, sie in jeder Weise zu nutzen.»

Bolitho blickte weg; es war ihm unmoglich, Probyn in seiner Raserei langer anzusehen.

«Sie konnen hier warten, bis Sie blau sind. Und dann sagen Sie Ihrem bloden Cairns und den anderen Idioten, soweit sie uberhaupt dafur Interesse haben, da? ich nicht mehr auf die

D'Esterre trat zu ihm auf die Brustwehr, und sie beobachteten Probyn, der entschlossen uber den Strand zu einem der beiden Boote ging.

«Hoffentlich bleibt er weiterhin nuchtern, Dick. Mit einem Schiff voller Schie?pulver und einer verangstigten Eingeborenencrew konnte es sonst eine denkwurdige Reise werden!«Er sah, da? sein Sergeant auf ihn wartete, und ging eilig zu ihm.

Bolitho stieg die Leiter hinunter und fand Quinn an einer Wand lehnen. Er sollte die erbeuteten Waffen und Pulverfasser inspizieren, uberlie? dies jedoch seinen Leuten.

Bolitho sprach ihn an:»Hast du gehort, was der Major uns zu sagen hatte, und auch, was Probyn mir eben an den Kopf geworfen hat? Ich habe dazu ein paar eigene Ideen, aber erst mochte ich wissen, was heute morgen wahrend des Angriffs vorgefallen ist. «Er dachte an den furchterlichen Schrei, der so plotzlich verstummt war.

Quinn erwiderte heiser:»Ein Mann kam aus dem Wachturm. Wir waren alle so damit beschaftigt, die Tore zu suchen oder nach Wachtposten Ausschau zu halten, da? ihn niemand bemerkte. Er schien aus dem Nichts zu kommen. «Unglucklich fuhr er fort:»Ich war ihm am nachsten und hatte ihn leicht niederstechen konnen. «Er schauderte.»Es war ein halbnackter Junge mit einem Eimer, wahrscheinlich sollte er Wasser holen fur die Kombuse. Er war unbewaffnet.»

«Was dann?»

«Wir starrten uns an, ich bin mir nicht sicher, wer von uns beiden mehr uberrascht war. Ich hatte die Klinge schon an seinem Hals, ein Streich hatte genugt, aber ich konnte nicht. «Quinn blickte Bolitho verzweifelt an.»Er begriff es. So standen wir, bis…»

«Rowhurst kam?»

«Ja, mit seinem Dolch. Aber fur mich war es zu spat.»

Bolitho nickte. Er erinnerte sich an seine eigenen Gefuhle, als er sich uber den Mann beugte, den er erschossen hatte, um sich selbst zu retten.

Quinn fuhr fort:»Ich sah den Ausdruck in Rowhursts Augen, er verachtet mich. Es wird durch das Schiff gehen wie ein Lauffeuer, und ich werde ihren Respekt fur immer verlieren.»

Bolitho fuhr sich durchs Haar.»Du mu?t versuchen, ihn dir von neuem zu erwerben, James. «Er fuhlte Sand zwischen seinen Fingern und sehnte sich nach einem Bad.»Aber jetzt haben wir genug anderes zu tun. «Er sah Stockdale und ein paar Seeleute ihn beobachten.»Geh mit diesen Leuten zum Flo?, schleppt es in tiefes Wasser und zerstort es. «Er ergriff Quinns Arm und fugte hinzu:»Denk daran, James: Sag ihnen, was sie tun sollen.»

Quinn wandte sich ab und ging niedergeschlagen zu den wartenden Seeleuten. So lange Stockdale dabei war, wurde alles in Ordnung gehen, dachte Bolitho.

Ein Unteroffizier tippte sich gru?end an die Stirn und meldete:»Wir haben das Hauptmagazin geleert, Sir.»

Bolitho nahm seine Gedanken zusammen, da Verstand und Korper ihm noch nicht ganz gehorchen wollten. Aber er mu?te. Er war jetzt tatsachlich der Dienstalteste, genau wie Probyn gesagt hatte.

«Gut, ich sehe mir an, was ihr gefunden habt«, sagte er.

Die Geschutze mu?ten unbrauchbar gemacht, die Vorrate in Brand gesteckt werden, bevor das Fort selbst mit seinem eigenen Pulvermagazin in die Luft gesprengt wurde. Er blickte in die leeren Stalle und war froh, da? keine Pferde zuruckgelassen worden waren. Der Gedanke, sie schlachten zu mussen, um sie nicht in Feindeshand fallen zu lassen, war schlimm genug; noch schlimmer war es, sich vorzustellen, welche Wirkung ein solches Gemetzel auf die kampfesmuden Seeleute gehabt hatte. Tod, Verwundung oder auch Auspeitschen nahm der Durchschnittsseemann als sein naturliches Los hin, aber Bolitho hatte einmal gesehen, wie ein Bootsmannsmaat in Plymouth einem Mann den Schadel einschlug, nur weil dieser nach einem streunenden Hund getreten hatte.

Marineinfanteristen bastelten uberall herum und fuhlten sich ganz in ihrem Element, als sie lange Zundschnure verlegten und diese mit den Pulverfassern verbanden, wahrend andere die kleineren Feldgeschutze zu den Toren schafften.

Das Flo? war mittlerweile in tiefes Wasser geschleppt worden; von der Mauer aus sah Bolitho, da? die Seeleute es mit ihren Axten zerschlugen und die Taue losmachten. Quinn stand dabei und beobachtete sie. Das nachste Mal, wenn sie kampfen mu?ten, wurde er nicht so glimpflich davonkommen, dachte Bolitho traurig.

Auf dem Wachturm stand Couzens, ein Teleskop auf den Ankerplatz gerichtet. Als Bolitho sich umwandte, sah er, da? auf dem

Logger Segel gesetzt wurden, wahrend die Anker tropfend vor den Klusen hingen.

Derselbe Wind, der das Einlaufen der Spite verzogerte, lie? Pro-byn und seine kleine Schar noch vor Dunkelheit die offene See gewinnen. Mitleid ist niemals eine gute Basis fur eine Freundschaft, dachte Bolitho, aber ihr Abschied war derart unerfreulich gewesen, da? er fur immer zwischen ihnen stehen wurde, falls sie sich je wieder begegneten.

«Ach, da sind Sie, Bolitho!«Paget blickte aus einem Fenster.»Kommen Sie herauf, dann kann ich Ihnen gleich Ihre Instruktionen geben.»

Im Kommandeurszimmer spurte Bolitho wieder seine Mudigkeit, die Nachwirkung von Kampf, Vernichtung und Angst.

Paget informierte ihn:»Als weiteres Mosaiksteinchen fur unseren Nachrichtendienst wissen wir jetzt, woher der Feind sein Pulver und einen Teil seiner Bewaffnung bekommt. Alles andere ist Sache des Admirals.»

Es klopfte an die Tur, und Bolitho horte drau?en jemanden eindringlich flustern.

«Warten Sie!«sagte Paget ruhig.»Ich hatte keine andere Wahl mit dem Logger. Von Rechts wegen hatte er Ihnen zugestanden wegen der Art und Weise, wie Sie das Fort fur uns sturmreif gemacht haben. «Er hob die Schultern.»Aber der Marine Wege sind nicht die me inen, und somit…»

«Ich verstehe, Sir.»

«Gut. «Paget schritt mit bemerkenswerter Geschwindigkeit

durch den Raum und offnete die Tur.»Ja?»

Es war Leutnant Fitzherbert von den Marineinfanteristen des Flaggschiffs. Er stammelte:»Wir haben den Feind gesichtet, Sir! Er kommt die Kuste herauf!»

Zusammen traten sie in das blendende Sonnenlicht, und Paget lie? sich in aller Ruhe von einem Ausguckposten ein Fernrohr geben. Nach einer vollen Minute reichte er es Bolitho.

«Das ist ein Anblick! Ich glaube, Ihr Mr. Probyn wird bedauern, da? er ihm entging.»

Bolitho verga? sofort seine Enttauschung und des Majors Sar-kasmus, als er das Glas auf die Kuste richtete. Es schien ein endloser Zug zu sein, der da dem Strand folgte und fast bis zuruck nach

Charlstown reichte: ein Band aus Blau und Wei?, hin und wieder unterbrochen vom Braun der Pferde und glanzenden schwarzen Flecken, die nur Artillerie sein konnten.

Paget verschrankte die Arme und schaukelte auf den Hacken vor und zuruck.»Hier kommen sie also. Damit ist jedes Tauschungsmanover uberflussig, denke ich. «Er blickte zur Spitze des Flaggenmastes auf, seine Augen waren rotgerandert vor Anstrengung.»Hei? die Flagge, Sergeant! Wir wollen sie ein bi?chen argern.»

Bolitho senkte das Glas. Quinn war noch unten bei dem erst zum Teil zerstorten Flo? und sah die drohende Marschkolonne auf der Kustenstra?e nicht. Probyn drau?en schien zu sehr damit beschaftigt, von der Sandspitze freizukommen, um etwas zu bemerken. Vermutlich hatte es ihn auch nicht mehr interessiert.

Er suchte den Horizont ab, seine Augen schmerzten in der glei?enden Helligkeit. Nichts unterbrach die scharfe, blaue Linie, was auf die Anwesenheit eines Segels hingedeutet hatte. Bolitho dachte an den gefangenen franzosischen Offizier. Wenn er Gluck hatte, wurde seine Gefangenschaft eine der kurzesten sein, die es je gegeben hatte.

Paget knurrte:»Bewegen Sie sich, Sir! Hauptbatterie auf den Damm richten! Sie haben doch einen guten Laufer unter Ihren Leuten, nehme ich an? Ich mochte jedes der Geschutze voll geladen wissen. An die Arbeit, verdammt!»

Bolitho wandte sich zum Gehen, horte Paget aber noch wie im Selbstgesprach hinzufugen:»Es interessiert mich nicht, was sie uns anbieten oder versprechen. Wir kamen, um dieses Fort zu zerstoren, und das werden wir tun, so wahr mir Gott helfe!»

Als Bolitho den Hof erreicht hatte, blickte er noch einmal zum Turm hinauf. Paget stand barhauptig in der Sonne und starrte den soeben gehi?ten Union Jack an, den die Marineinfanteristen mitgebracht hatten.

Dann horte er einen Seemann zu seinem Kameraden sagen:»Mr. Bolitho sieht nicht sonderlich beunruhigt aus, Bill. Dann kann es nicht so schlimm sein.»

Bolitho sah die beiden an, als er vorbeiging, und sein Herz war zugleich schwer und froh. Sie fragten nicht, warum sie hier waren. Gehorsam, Vertrauen und Hoffnung gehorten genauso zu diesen Leuten wie ihr Fluchen und Raufen.

Er traf Rowhurst am Tor.»Sie haben es zweifellos gehort?»

Rowhurst grinste.»Gesehen auch, Sir. Eine ganze verdammte Armee auf dem Marsch! Und das nur fur uns!»

Bolitho lachelte knapp.»Wir haben genugend Zeit, alles zu ihrem Empfang vorzubereiten.»

Назад Дальше