Mackenzie, der dienstalteste Messesteward, begegnete ihm mit aufmunterndem Lacheln. Er hatte seinen Dienst als Toppsgast aufgeben mussen, als er aus der Takelage fiel und infolge eines dreifachen Beinbruches furs Leben zum Kruppel wurde. Mackenzie geno? es, von jedermann bemitleidet zu werden, und seine Verletzung hatte ihm immerhin zu einer so bequemen Stellung verhelfen, wie manch einer auf des Konigs Schiffen sie sich gewunscht hatte.
«Ich habe noch etwas Kaffee, Sir, kochend hei?!«Er hatte denselben weichen, schottischen Akzent wie Cairns. Bolitho schalte sich aus seinem Uberrock und reichte diesen samt seinem Hut dem Schiffsjungen Logan, der den Messestewards half.
«Nehme ich gern, danke.»
Die Offiziersmesse, die sich am Heck uber die ganze Schiffsbreite erstreckte, war voll ziehender Rauchschwaden und roch nach dem ihr eigentumlichen Gemisch von Wein und Kase. Die gro?en Heckfenster ganz achtern waren schon in Dunkelheit getaucht, nur beim Uberholen sah man gelegentlich ein Licht auftauchen wie einen verirrten Stern.
Kleine Kabinen saumten die Seiten, Verschlagen ahnlich, kaum mehr als Schutzwande, die man abri?, wenn das Schiff gefechtsklar gemacht wurde: winzige Schutzhafen der Privatsphare, die des Eigners Koje, Seekiste und ein bi?chen Platz zum Aufhangen der Garderobe enthielten. Au?er den Arrestzellen waren dies die einzigen Raume des Schiffes, in denen man einmal fur sich allem sein konntet
Direkt daruber, in einer Kabine, die in ihrer Gro?e etwa dem Gesamtraum der ubrigen Offizierskabinen entsprach, lag das Reich des Kommandanten. Im selben Deck waren auch der Erste Offizier und der Navigationsoffizier untergebracht, damit sie in der Nahe des Achterdecks und des Ruders logierten.
Aber hier in der Messe verbrachten sie alle gemeinsam ihre wachfreie Zeit, diskutierten ihre Probleme, ihre Hoffnungen, ihre Befurchtungen, nahmen ihre Mahlzeiten ein und tranken ihren
Wein: die sechs Wachoffiziere, zwei Marineinfanterieoffiziere, der Navigationsoffizier, der Zahlmeister und der Arzt. Die Messe war sicherlich sehr eng fur so viele Menschen, aber verglichen mit den Quartieren unter der Wasserlinie, in denen die Kadetten, Fahnriche, Deckoffiziere und Spezialisten wohnten — ganz zu schweigen von der Unterbringung der gemeinen Seeleute und Seesoldaten — war sie geradezu luxurios.
Dalyell, der Funfte Offizier, sa? mit gekreuzten Beinen, die Fu?e auf einem kleinen Fa?, unter den Heckfenstern. In einer Hand hielt er eine lange Tonpfeife.
«George Probyn war wohl wieder blau, Dick?»
Bolitho grinste.»Es wird allmahlich zur Gewohnheit.»
Sparke, der Zweite Offizier, ein Mann mit strengem Gesicht und einer munzgro?en Narbe auf der Wange, sagte:»Ich wurde ihn vor den Captain bringen, wenn ich hier der Senior ware. «Er wandte sich wieder seinem zerlesenen Zeitungsblatt zu und fuhr dann heftig fort:»Diese verdammten Rebellen scheinen zu machen, was sie wollen! Zwei weitere Transporte uberfallen, genau vor den Nasen unserer Fregatten, eine Brigg aus dem Hafen verschleppt, durch eins ihrer verdammten Kaperschiffe! Wir gehen viel zu sanft mit ihnen um!»
Bolitho setzte sich und streckte die Beine aus, dankbar, nicht mehr dem kalten Wind ausgesetzt zu sein, obgleich er wu?te, da? die Illusion von Warme bald wieder schwinden wurde.
Sein Kopf sackte vornuber, und als Mackenzie den Kaffee brachte, mu?te er ihn an der Schulter wachrutteln.
In geselligem Schweigen entspannten sich hier die Offiziere der
Bolitho trank den Kaffee und bemuhte sich, den Schmerz in seiner Stirn zu ignorieren. Gedankenversunken strich er sich die widerspenstige Stirnlocke vom rechten Auge. Das schwarze Haar verdeckte eine blauliche Narbe, die Ursache seines Kopfschmerzes. Er hatte sie sich wahrend seiner Zeit auf der
Schlagen und Hacken von Waffen. Der heftige Schmerz, das Blut, die jahe Nacht.
Es klopfte an die au?ere Tur, und kurz darauf sagte Mackenzie zu Sparke, dem dienstaltesten anwesenden Offizier:»Verzeihung, Sir, der Fahnrich der Wache ist hier.»
Dieser stapfte so vorsichtig in die Messe, als schritte er uber kostbare Seidenteppiche.
Sparke fragte kurz angebunden:»Was gibt es, Mr. Forbes?»
«Der Erste Offizier bittet alle Offiziere um zwei Glasen* in die Kommandantenkabine.»
«Ist gut. «Sparke wartete, bis die Tur geschlossen war.»Jetzt werden wir's erfahren, meine Herren. Vielleicht gibt es Wichtiges fur uns zu tun.»
Anders als Cairns konnte der Zweite Offizier das plotzliche Aufleuchten seiner Augen nicht verbergen: dies bedeutete Beforderung, Prisengeld oder auch nur die Aussicht auf eigenen Einsatz, anstatt immer nur von anderen daruber zu horen.
Er sah Bolitho an.»Ich rate Ihnen, ein reines Hemd anzuziehen. Der Captain scheint Sie besonders im Auge zu haben.»
Bolitho streifte beim Aufstehen mit dem Kopf den Decksbalken. Zwei Jahre war er jetzt an Bord, aber au?er bei einem Essen in der Kajute zur Feier der Wiederindienststellung des Schiffes in Bristol hatte er die soziale Barriere zum Kommandanten nie uberschritten: einem strengen, verschlossenen Mann, der trotzdem eine geradezu unheimliche Kenntnis von allem zu besitzen schien, was sich in den verschiedenen Decks seines Schiffes abspielte.
Dalyell klopfte sorgfaltig seine Pfeife aus und bemerkte:
«Vielleicht mag er dich wirklich, Dick.»
Raye, der Leutnant der Marineinfanterie, gahnte.
«Ich glaube nicht, da? er uberhaupt menschlicher Regungen fahig ist.»
Sparke eilte in seine Kabine, es widerstrebte ihm, in die Kritik an der Obrigkeit hineingezogen zu werden.»Er ist der Kommandant, er bedarf keiner menschlichen Regungen«, stellte er abschlie?end
fest.
Kapitan zur See Gilbert Brice Pears las die letzte Eintragung im
* in diesem Fall neun Uhr abends
Logbuch und setzte dann seine Unterschrift darunter, die von Teakle, seinem Sekretar, hastig getrocknet wurde.
Drau?en, au?erhalb der Heckfenster, schienen Hafen und Stadt weit entfernt und ohne die geringste Verbindung zu dieser geraumigen, hell erleuchteten Kajute. Sie war geschmackvoll mobliert, und im angrenzenden Speiseraum war schon zum Abendessen gedeckt. Foley, der Kommandantensteward, stand, adrett in blauem Jackett und wei?er Hose bereit, seinen Herrn zu bedienen.
Kapitan Pears lehnte sich im Sessel zuruck und betrachtete die Kabine, jedoch ohne sie wirklich zu sehen. Nach zwei Jahren kannte er sie genau.
Er war zweiundvierzig Jahre alt, wirkte aber alter. Untersetzt, ja sogar vierschrotig, war er genauso machtig und beeindruckend wie die
Trojan
«Ich habe in der Messe Bescheid sagen lassen, Sir. Alle Offiziere werden punktlich hier sein.»
«Gut.»
Pears brauchte seinen Steward kaum anzusehen, und schon war dieser bei ihm und schenkte zwei gro?e Glaser Bordeaux ein.
«Tatsache ist, Mr. Cairns — «, Pears hob prufend sein Glas gegen die nachste Lampe — ,»da? man einen Krieg auf die Dauer nicht defensiv fuhren kann. New York ist ein Bruckenkopf in einem Land, das taglich rebellischer wird. In Philadelphia liegen die Dinge kaum anders. Sto?truppunternehmen, Geplankel, wir verbrennen hier ein Fort, dort einen Au?enposten, sie fangen einen unserer Transporte ab oder locken eine Patrouille in den Hinterhalt. Was ist New York? Eine belagerte Stadt. Eine Oase auf Zeit. Wie lange noch?»
Cairns schwieg und nippte an seinem Bordeaux, in Gedanken mehr bei den Gerauschen au?erhalb der Kajute, dem Heulen des Windes in der Takelage, dem Achzen der Stengen und Rahen.
Pears sah seinen abwesenden Gesichtsausdruck und lachelte in sich hinein. Cairns war ein guter Erster Offizier, vielleicht der beste, den er je hatte. Er hatte ein eigenes Kommando verdient — eine Chance, die sich nur im Kampf bot.
Aber Pears war sein Schiff wichtiger als alle Hoffnungen oder Traume. Der Gedanke, da? Sparke dann als Erster Offizier nachrucken wurde, schien ihm wie eine Drohung. Sparke war ein tuchtiger Offizier und widmete sich ganz seinen Geschutzen und sonstigen Aufgaben, aber er war phantasielos. Pears dachte an Probyn und verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Dann war da noch Bolitho, der Vierte Offizier, seinem Vater sehr ahnlich, obwohl er bisweilen seine Pflichten ein wenig zu leicht nahm. Aber seine Leute schienen ihn zu mogen, und das bedeutete in diesen harten Zeiten eine ganze Menge.
Pears seufzte. Bolitho fehlten immer noch ein paar Monate am einundzwanzigsten Lebensjahr. Man brauchte erfahrene Offiziere, um ein Linienschiff wie dieses zu handhaben. Er rieb sich das Kinn und verbarg dadurch seinen Gesichtsausdruck. Vielleicht war es bei Bolithos Jugend nur sein eigenes, fortgeschrittenes Alter, das ihm diese Bedenken eingab.
Er fragte abrupt:»Sind wir in jeder Beziehung seeklar?»
Cairns nickte.»Aye, aye, Sir. Ich konnte wohl noch ein weiteres Dutzend Leute gebrauchen, wegen der Krankheitsausfalle und Verletzungen, aber das ist heutzutage ja eine geringe Differenz.»
«Das ist es in der Tat. Ich habe erlebt, da? Erste Offiziere graue Haare bekamen, weil sie einfach nicht genugend Leute anwerben, pressen oder kaufen konnten, um uberhaupt die Anker zu lichten.»
Zur festgesetzten Zeit wurden die Turen geoffnet, und die Offiziere der
Probyn, durch einen Steuermannsmaat abgelost, hatte ein gerotetes Gesicht und auffallig glanzende Augen. Sein Auftreten wirkte zu betont sicher, um echt zu sein.
Sparke, etwas gedrechselt und steif in seiner strengen Korrektheit, und der junge Dalyell sa?en neben dem sechsten und jungsten Leutnant, Quinn, der vor funf Monaten noch Fahnrich gewesen war.
Dann kam Erasmus Bunce, der Navigationsoffizier, Sailingma-ster oder auch kurz» Master«, eine beeindruckende Erscheinung. Hinter seinem Rucken nannte man ihn» den Weisen«. Uber ein Meter achtzig gro?, breitschultrig, mit widerspenstigem, grauem Haar, hatte er tiefliegende, klare Augen, die so schwarz waren wie seine buschigen Brauen. Seine Spezialkenntnisse der Seemannschaft — schon manche hervorragende Personlichkeit war durch diese gepragt worden — hatten auch ihm ihren Stempel aufgedruckt. Pears beobachtete, wie der Master sich unter den Decksbalken rechtzeitig buckte, und war beruhigt. Bunce geno? zwar seinen Rum, aber die
Probyn fragte laut flusternd:»Mr. Bolitho scheint noch nicht hier zu sein?»
Pears runzelte die Stirn uber Probyns Scheinheiligkeit, die er verachtete.
Cairns schlug vor:»Ich werde jemanden nach ihm schicken, Sir.»
Die Tur offnete sich und schlo? sich ebenso rasch wieder, und Pears sah Bolitho auf einen freien Stuhl neben d'Esterre schlupfen.
«Aufstehen, der Offizier dort!«Pears sonst so schroffe Stimme klang beinahe freundlich.»Ah, Sie sind es, Sir. Endlich.»
Bolitho stand still, nur sein Oberkorper glich die langsamen Bewegungen des Schiffes aus.
«Ich… Ich bitte um Entschuldigung, Sir. «Er sah das Grinsen auf Dalyells Gesicht, als Wasser unter seinem Rock hervor auf den mit schwarzwei? kariertem Segeltuch bespannten Boden tropfte.
Pears sagte milde:»Ihr Hemd scheint noch ziemlich feucht zu sein, Sir!«Dann wandte er sich um und befahl dem Steward:»Fo-ley, etwas Segeltuch unter diesen Stuhl. Solche Dinge lassen sich nur schwer hier drau?en ersetzen.»
Bolitho setzte sich mit einem Plumps und wu?te nicht, ob er zornig sein oder sich gedemutigt fuhlen sollte.
Er verga? jedoch Pears atzenden Ton und sein Hemd, das er soeben klitschna? von der Leine genommen hatte, als Pears mit wieder normalem Tonfall sagte:»Wir segeln beim ersten Tageslicht, meine Herren. Der Gouverneur von New York hat eine Information erhalten, da? der von Halifax erwartete Konvoi wahrscheinlich angegriffen wird. Es ist ein gro?er Geleitzug, von zwei Fregatten und einem Kanonenboot gesichert. Bei diesem Wetter konnten die Schiffe jedoch leicht die Fuhlung verlieren, wobei dann das eine oder andere Fahrzeug zur Standortbestimmung dichter unter Land geht. «Seine Finger schlossen sich zur Faust.»Das ist dann der Augenblick, in dem der Feind zuschlagt.»
Bolitho lehnte sich vor und ignorierte das unangenehme Gefuhl der Nasse um seine Korpermitte.
Pears fuhr fort:»Ich sagte schon zu Mr. Cairns, man kann keinen defensiv gefuhrten Krieg gewinnen. Wir haben die Schiffe, aber der Feind hat die Ortskenntnis und kann dadurch kleinere, schnellere Fahrzeuge einsetzen. Um einigerma?en Aussicht auf Erfolg zu haben, mussen wir samtliche Nachschubwege offenhalten, jedes verdachtige Schiff durchsuchen oder aufbringen, unsere Anwesenheit standig fuhlen lassen. Kriege werden schlie?lich nicht mit Idealen, sondern mit Pulver und Blei gewonnen, und
Sparke stand als erster auf.
«Wieso wir, Sir? Naturlich bin ich au?erst dankbar, auslaufen zu konnen und im Dienste meines Vaterlandes eingesetzt zu werden, um einiges von dem.»
Pears sagte kurz:»Bitte kommen Sie zur Sache.»
Sparke schluckte, seine Narbe auf der Wange wurde plotzlich blutrot.»Warum werden keine Fregatten geschickt, Sir?»
«Weil nicht genug da sind, nie genug da sein werden. Auch ist der Admiral der Ansicht, da? eine Demonstration der Starke not tut:»
Bolitho sah auf, als hatte er etwas uberhort. Es war der Tonfall des Kommandanten. Lag darin nicht eine leise Andeutung von Zweifel? Er blickte seine Kameraden an, entdeckte aber nichts in ihren Mienen. Vielleicht bildete er es sich nur ein oder suchte einen Ausgleich fur sein vorheriges Unbehagen uber Pears Ton.