Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander 22 стр.


Bolitho blickte ihn an. Stockdale verstand ihn, war immer da, wenn er ihn brauchte.

«Danke, Stockdale.»

Zwei Stunden schlichen dahin. Die Nachtluft wurde kalter, zumindest schien es so, und die Spannung wich der Mudigkeit.

Bolitho stand halbwegs zwischen Fort und Damm, als er plotzlich anhielt und sich dem Festland zuwandte.

Auch Stockdale starrte hinuber und nickte dann heftig.

«Klar zum Feuern!«Er sah Fitzherbert mit einem seiner Unteroffiziere, die sich Taschentucher um Mund und Nase gewickelt hatten.»Wollen Sie es dem Major melden?»

Fitzherbert schuttelte den Kopf, seine Augen tranten.»Keine Zeit mehr. Er wird es ohnehin merken. «Dann zog er den Degen und schrie:

«Sie schwimmen mit ihren Pferden heruber!»

Er fuhr herum, als er ein langgezogenes Hurra horte, das die Gerausche des Feuers und des Wassers noch ubertonte.

D'Esterre rief:»Sie kommen auch uber den Damm!«Dann drangte er sich durch die Menge und fugte hinzu:»Halten Sie die Leute zuruck, Sergeant! Die Kanonen sollen das erste Wort sprechen!»

Einige bewaffnete Seeleute stolperten aus dem Dunkel und rutschten plotzlich in den Stand, als Bolitho rief:»Hierbleiben! Folgt mir zum Strand!«Sein Verstand kampfte mit dem raschen Wechsel der Ereignisse, dem herannahenden Unheil.

Eine Kanone donnerte, und das Hurra auf der anderen Seite geriet ins Stocken, wurde abgelost von Schreien und Stohnen.

Das zweite Geschutz spaltete die Dunkelheit mit langer, leuchtend orangefarbener Zunge; sein Gescho? traf Menschen und Sand. Bolitho malte sich Quinns entsetztes Gesicht aus, als die trotzigen Hurrarufe erneut aufbrandeten, ebenso stark wie vorher.

Stockdale knurrte:»Hier ist einer!»

Bolitho balancierte auf den Fu?ballen, beobachtete die aus dem Dunkel vorsturzenden Schatten.

Jemand feuerte eine Pistole ab, und er sah die schreckgeweiteten Augen eines Pferdes, als es auf die Seeleute lospreschte; dann schweifte sein Blick ab, als ein weiterer Reiter aus dem Wasser auftauchte und wie ein Racheengel uber sie kam.

Er meinte Stockdale zu horen, wie er Couzens gut zuredete:»Ruhig, Sohn! Bleib bei mir! Nicht zuruckweichen!»

Dasselbe konnte er zu mir sagen, dachte Bolitho.

Dann verga? er alles, spurte nur noch, wie sein Dolch gegen Stahl stie?, und warf sich mit voller Wucht in den Angriff.

Leutnant James Quinn duckte sich, als Gewehrsalven uber den Damm knatterten und einige Querschlager von den Kanonen abprallten. Er war beinahe blind vom Rauch des brennenden Hanges und des Geschutzfeuers.

Hier drau?en schien ihm alles weit schlimmer als im Batteriedeck des Schiffes. Uber ihren Kopfen pfiffen und heulten die Kugeln, und durch den Rauch stolperten fluchend die Geschutzbedienungen, wahrend sie Munition zum Nachladen herbeischleppten.

«Feuer!»

Quinn fuhr zuruck, als das ihm nachststehende Geschutz Flammen und Rauch ausspie. Bei dem kurzen Aufblitzen sah er rennende Menschen und das Glanzen von Waffen, bis die Dunkelheit alles wieder verschluckte und nur die Schreie der Getroffenen die Luft erfullten.

Jemand rief ihm ins Ohr:»Die Teufel sind schon auf der Insel, Sir! Kavallerie!»

Leutnant Fitzherbert brullte wutend durch den Rauch:»Maul halten, du verursachst ja eine Panik!«Damit feuerte er auf den uber den Damm vordringenden Feind.

Quinn keuchte:»Er hat Kavallerie gesagt!»

Fitzherbert starrte ihn an, seine Augen funkelten wei? uber dem Taschentuch.

«Wir waren alle langst tot, wenn das der Fall ware, Menschens-kind! Ein paar Reiter sind es, nicht mehr!»

Rowhurst rief heiser:»Unser Pulver geht zu Ende!«Dann fugte er, an Quinn gewandt, wutend hinzu:»Verdammt, tun Sie was,

Sir!»

Quinn nickte, von nackter Angst gepackt. Neben sich sah er Fahnrich Huyghue, der seine Pistole gerade uber einem hastig aufgeworfenen Erdwall in Anschlag brachte.

«Sagen Sie Mr. Bolitho, was hier vorgeht!»

Der Junge stand auf, ungewi?, in welche Richtung er laufen sollte. Quinn packte ihn am Arm.»Hier am Strand entlang, so schnell Sie konnen!»

Eine schrille Stimme rief:»Hier kommen sie!»

Fitzherbert ri? sein Taschentuch weg und hob den Degen.»Sergeant Triggs!»

Ein Korporal sagte ruhig:»Ist tot, Sir!»

Der Leutnant wandte sich ab.»Allmachtiger!«Dann, als die Hurrarufe lauter und lauter uber das Wasser drohnten, schrie er:

Eine Gewehrsalve peitschte vom Damm heruber, und ein Drittel der Seesoldaten sturzte tot oder verwundet zu Boden.

Quinn starrte unglaubig hin, als die Uberlebenden ihre Musketen abfeuerten, nachluden und dabei wieder von einer wohlgezielten Salve getroffen und dezimiert wurden.

Fitzherbert schrie:»Schlage vor, Sie vernageln die Kanonen und lassen Ihre Seeleute unsere Musketen nachladen!»

Dann stie? er einen erstickten Schrei aus und sturzte durch die sich lichtenden Reihen davon: sein Unterkiefer war vollig weggeschossen.

Quinn rief:»Rowhurst, zuruck!»

Rowhurst drangte sich mit wilden Blicken an ihm vorbei.»Die meisten sind schon abgehauen!«Selbst angesichts der unmittelbaren Gefahr konnte er seine Verachtung nicht verbergen.»Sie konnen ebenfalls verschwinden!»

Vom Fort horte Quinn plotzlich Trompetensignale. Die Marineinfanteristen schienen wie von einer Geisterhand gepackt zu werden.

Der Korporal, der eben noch am Rande der Panik war, rief:»Ruckzug! Ruhig, Jungens, noch mal laden und zielen!«Er wartete, bis ein paar Verwundete durch die Linien gehumpelt oder gekrochen waren, dann kommandierte er:»Feuer!»

Quinn konnte nicht fassen, was geschah. Er horte Kommandos, das Schnappen von Gewehrverschlussen, und ahnte dumpf, da? d'Esterre mit seiner Reserve vorruckte, um ihren Ruckzug zu dek-ken. Der Feind war nur noch wenige Meter entfernt, Quinn konnte das Patschen und Rutschen der Fu?e auf dem nassen Sand horen, spurte fast korperlich die Wut und Entschlossenheit, mit der die Gegner vorwarts drangten, um den Landeplatz zuruckzuerobern. Aber alles, woran er denken konnte, war Rowhursts Verachtung und der Zwang, in diesen letzten Minuten seinen Respekt zuruckzugewinnen.

Er keuchte:»Welches Geschutz ist geladen?»

Damit stolperte er den Hang hinunter, die Pistole noch ungeladen, den Dolch noch in der Scheide, den sein Vater extra fur ihn beim besten Messerschmied der Londoner City hatte anfertigen lassen.

Rowhurst, verwirrt und besturzt uber den Wechsel der Ereignisse, hielt an und starrte auf den sich blind vorwarts tastenden Leutnant.

Es war Wahnsinn, nochmals mit ihm zu den Kanonen zu gehen. Ihre einzige Chance lag in einer schnellen Flucht zu den Toren des Forts, jedes weitere Verweilen verringerte die Aussicht auf Uberleben.

Rowhurst war Freiwilliger und stolz darauf, einer der besten Artilleriemaaten der ganzen Flotte zu sein. Wenn das Schicksal ihn weiterhin begunstigte, konnte er in etwa einem Monat mit Beforderung zum Deckoffizier und der Versetzung auf ein anderes Schiff rechnen.

Er beobachtete Quinns jammerliche Bemuhungen, ein Geschutz zu finden, das noch geladen und wegen der Flucht der Bedienungsmannschaft nicht abgefeuert war. So oder so bedeutete es fur ihn das Ende. Wenn er blieb, wurde er mit Quinn zusammen sterben. Wenn er fluchtete, wurde Quinn ihn des Ungehorsams und der Ungebuhrlichkeit gegenuber einem Offizier beschuldigen.

Er seufzte tief auf und entschlo? sich zu bleiben.

«Hier, dieses ist es!«Und mit einem gezwungenen Grinsen fugte er hinzu:»Sir!»

Ein an den Radern lehnender Leichnam zuckte, als mehrere Schusse ihn trafen. Es war, als erwachten die Toten wieder zum Leben, um Zeugen dieses au?ersten Wahnsinns zu sein.

Das Donnern des Geschutzes, als die doppelte Ladung Schrot und Kugeln in die dichten Reihen der Angreifer schlug, schien Quinn wieder zur Besinnung zu bringen. Benommen tastete er nach seinem wundervoll ziselierten Dolch, seine Augen tranend, seine Ohren betaubt von dem Krach der Detonation.

Alles, was er sagen konnte, war:»Danke, Rowhurst, danke!»

Aber Rowhurst hatte mit seinen truben Ahnungen recht behalten. Er lag im nassen Sand und starrte mit weit offenen Augen in den Rauch; in der Mitte seiner Stirn klaffte ein kreisrundes Loch. Kein Artilleriemaat hatte besser zielen konnen.

Quinn ging wie im Traum davon. Die wei?en Hosen toter Soldaten schimmerten in der Dunkelheit, starrende, gebrochene Augen und verstreute Waffen kennzeichneten den Ort des Grauens.

Quinn merkte jetzt, da? Larm und Hurrageschrei vom Damm her verstummt waren. Die anderen hatten wohl auch genug.

Er hielt an, plotzlich wieder gespannt und kampfbereit, als einige Gestalten vor ihm auftauchten. Aber es waren Bolitho, Stockdale und zwei Seesoldaten.

Quinn blickte zu Boden; er wollte sprechen, erklaren, was Ro w-hurst getan, wozu er ihn getrieben hatte. Doch Bolitho ergriff ihn am Arm und sprach beruhigend auf ihn ein.»Der Korporal hat mir alles erzahlt. Ohne deinen Einsatz ware jetzt niemand au?erhalb des Forts mehr am Leben.»

Sie warteten, wahrend die Linie der Marineinfanteristen vom Fort her vorruckte und die zerschlagenen und blutenden Reste der Ve r-teidiger in eine vorlaufige Sicherheit passieren lie?.

Bolithos ganzer Korper schmerzte, sein rechter Arm war schwer wie Blei. Er verspurte noch immer die Angst und Verzweiflung der vergangenen Stunden: das Stampfen und Schnauben der Pferde, die aus dem Dunkel schlagenden und stechenden Sabel und dann den plotzlichen, verbissenen Widerstand seiner eigenen, zusammengewurfelten Truppe.

Couzens war von einem Pferd uberrannt worden und besinnungslos, drei Seeleute waren tot. Ihn selbst hatte ein Sabelhieb an der Schulter getroffen, die Schneide hatte sich angefuhlt wie ein gluhendes Messer.

Jetzt waren die Pferde zuruckgeschwommen oder mit der Stromung abgetrieben, einige ihrer Reiter aber waren geblieben, fur immer.

D'Esterre stie? durch den dunner werdenden Qualm zu ihnen.

«Wir haben sie abgeschlagen. Es hat Verluste gekostet, Dick, aber es kann unsere Rettung gewesen sein. «Er nahm seinen Hut ab und fachelte sich damit das schwei?uberstromte Gesicht.»Seht ihr? Endlich hat der Wind gedreht. Wenn unser Schiff drau?en steht, dann kann es jetzt hereinkommen.»

Er sah, wie ein Marineinfanterist vorbeigetragen wurde, dessen Bein bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert war. In der Dunkelheit schimmerte sein Blut wie frischer Teer.

«Wir mussen Ersatz zum Damm schicken. Ich habe schon neue Geschutzbedienungen angefordert. «Couzens taumelte auf sie zu und rieb sich stohnend den Kopf.»Gut, da? er soweit in Ordnung ist. «D'Esterre setzt den Hut wieder auf, als er seinen Sergeanten sah, der auf ihn zueilte:»Ich furchte, sie haben den anderen Fahnrich, Huyghue, gefangengenommen.»

Quinn sagte mit gebrochener Stimme:»Ich habe ihn zu dir geschickt. Es war mein Fehler.»

Bolitho schuttelte den Kopf.»Nein. Ein paar von den Feinden sind gezielt in unsere Linien eingedrungen, um Gefangene zu machen. «Er steckte den Degen in die Scheide, wobei er feststellte, da? der Griff vollig blutverschmiert war. Seufzend versuchte er, Ordnung in seine jagenden Gedanken zu bringen; aber er empfand immer noch das Grauen des wilden und erbitterten Kampfes Mann gegen Mann. Er sah Gesichter vor sich, horte Schreie und Stohnen.

War es diesen ungeheuren Preis wert gewesen?

Und morgen, nein, heute wurde all das noch einmal von vorn anfangen.

Er horte Quinn sagen:»Sie brauchen mehr Pulver fur die Kanonen! Kannst du das erledigen?»

Eine anonyme Gestalt in kariertem Hemd und wei?er Hose eilte von dannen, um seinen Befehl zu ubermitteln.

Quinn blickte ihn an.»Wenn du Major Paget Bericht erstatten willst, dann bleibe ich hier und beaufsichtige das. «Wartend beobachtete er Bolithos angestrengtes Gesicht und fugte hinzu:»Ich kann es, wirklich!»

Bolitho nickte.»Ich ware dir dankbar, James. Bin gleich wieder zuruck.»

Jetzt lie? sich Stockdale vernehmen:»Ohne Rowhurst brauchen Sie einen guten Geschutzfuhrer, Sir. «Er lachelte Quinn ermutigend zu:»Weiterhin so viel Erfolg, Sir!»

Bolitho bahnte sich durch Gruppen von Verwundeten einen Weg ins Fort. Jede r von ihnen war ein kleines Eiland des Schmerzes im Schein der Laternen. Das Tageslicht wurde ihnen erst den vollen Umfang dessen eroffnen, was sie erlitten hatten.

Paget stand in seiner Stube, und obgleich Bolitho wu?te, da? er die Verteidigung vom ersten Augenblick an uberwacht und personlich geleitet hatte, sah er aus, als hatte er den Raum kein einziges Mal verlassen.

Jetzt sagte er zu Bolitho:»Naturlich werden wir den Damm heute nacht auch weiterhin halten. «Er zeigte mit einladender Geste auf eine Weinflasche.»Morgen werden wir jedoch die Evakuierung einleiten. Wenn das Schiff kommt, schicken wir als erstes die Verwundeten an Bord und diejenigen, die wahrend der Nacht Wache gestanden haben. Uns bleibt keine Zeit mehr fur Bluff. Da sie Gefangene von uns haben, wissen sie auch, was wir planen.»

Bolitho lie? den Wein genu?lich durch seine Kehle rinnen. Gott, das schmeckte gut! Besser als alles, was er je gekostet hatte.

«Was machen wir, wenn das Schiff nicht kommt, Sir?»

«Nun, das wurde die Sache vereinfachen. «Paget musterte ihn kalten Blickes.»Dann jagen wir das Fort in die Luft und kampfen uns durch. «Er lachelte kurz.»Aber es wird nicht dazu kommen.»

«Ah, ich verstehe, Sir. «Tatsachlich verstand er nichts.

Paget warf ein paar Schriftstucke durcheinander.»Sie sollten jetzt schlafen, eine Stunde wenigstens. «Er hob die Hand.»Das ist ein Befehl! Sie haben gute Arbeit geleistet, und ich danke Gott, da? dieser Narr Probyn sich anders entschieden hat und nicht hiergeblieben ist.»

«Ich mochte noch Mr. Quinn lobend erwahnen, Sir. «Der Major verschwamm bereits vor seinen Augen.»Und die beiden Fahnriche. Sie sind alle sehr jung.»

Paget pre?te die Fingerspitzen zusammen und betrachtete ihn, ohne zu lacheln.»Nicht so alter Krieger wie Sie, was?»

Bolitho nahm seinen Hut und ging zur Tur. Bei Paget wu?te man sofort, woran man war. Er hatte ihn zum Schlafen abkommandiert, und der Gedanke daran lie? ihn gleich die Augen schlie?en und sich hinlegen.

Gleichzeitig wu?te er auch den wahren Grund von Pagets Fursorge: Jemand mu?te zuruckbleiben und die Zundschnur anstekken. Das erforderte ein gewisses Ma? an Geschicklichkeit.

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