Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander 21 стр.


«Aye, Sir. «Rowhurst blickte beredt auf den Stapel von Pulverfassern und Zunder.»Eins ist sicher — beerdigen mussen sie uns nicht. Sie brauchen nur die paar ubriggebliebenen Fetzen aufzusammeln!»

X Nachtgefecht

Bolitho betrat den Raum oben im Turm, wo der fruhere Fortkommandant spartanisch einfach gelebt hatte, und fand Paget mit d'Esterre uber eine Karte gebeugt, lebhaft diskutierend.

Bolitho fragte:»Sie haben nach mir geschickt, Sir?»

Kaum erkannte er seine eigene Stimme wieder. Die Mudigkeit war fast totaler Erschopfung gewichen. Den ganzen Tag uber war er von einer Aufgabe zur anderen gehetzt, sich standig der blauwei?en Schlange bewu?t, die an der Kuste entlang auf sie zukam, bald in und bald au?er Sicht. Zur Zeit war sie ganz verschwunden, und es schien, als biege die Stra?e scharf ins Landesinnere ab, bevor ein Seitenweg zur Insel hin abzweigte.

Paget blickte auf. Er hatte sich rasiert und sah in seiner gut gebugelten Uniform frisch und adrett aus.

«Ja. Es wird nicht mehr lange dauern. «Er deutete auf einen Stuhl.»Alles erledigt?»

Bolitho setzte sich steif.»Erledigt. «Was fur ein endloses Durcheinander von Aufgaben und Arbeiten sie bewaltigt hatten! Tote mu?ten begraben, Gefangene an einen Platz geschafft werden, wo man sie mit der geringsten Anzahl von Leuten bewachen konnte. Vorrate und Wasser mu?ten uberpruft, Schie?pulver in das tiefst-gelegene Magazin geschafft werden, damit es eine einzige, vernichtende Explosion gab, sobald der Brand der Zundschnure sein Ziel erreicht hatte. Die schweren Geschutze mu?ten gedreht und gegen das Land gerichtet werden, damit sie den Damm und den gegenuberliegenden Kustenstreifen unter Beschu? nehmen konnten.

«Ich habe alle Seeleute ins Fort kommen lassen, wie von Ihnen angeordnet«, erganzte Bolitho.

«Gut. «Paget schenkte ein Glas Wein ein und schob es uber den Tisch.»Trinken Sie, er ist nicht schlecht. «Dann fuhr der Major fort:»Sie mussen wissen, das meiste beruht auf Bluff. Wir wissen eine ganze Menge uber diese Burschen, aber sie wissen kaum etwas uber uns. Sie werden zwar meine Marinesoldaten bemerken, aber ein Rotrock sieht aus wie der andere. Warum sollten sie uns fur Marine halten? Wir konnten ebensogut ein starkes Aufgebot von regularen Truppen sein, das sich durch ihre Linien gekampft hat. Das wird sie beunruhigen.»

Bolitho blickte d'Esterre an, aber dessen normalerweise so lebhaftes Gesicht war ausdruckslos; daher vermutete Bolitho, da? die Idee, die Anwesenheit der Seeleute geheimzuhalten, von ihm und nicht von Paget stammte.

Es war sinnvoll. Schlie?lich lagen keine Boote da, und niemand wu?te besser als der zuruckkehrende Fortkommandant, wie unmoglich es war, ein Kriegsschiff unbehelligt von den schweren Geschutzen auf den Ankerplatz zu segeln.

Der ungunstige Wind hatte noch an Starke zugenommen und den ganzen Nachmittag uber Staubwolken von der Marschsaule herangetrieben wie Rauch von Geschutzfeuer.

Paget bemerkte:»Etwa eine Stunde bis Sonnenuntergang. Aber sie werden sich noch vor Einbruch der Dunkelheit bemerkbar machen, darauf gehe ich jede Wette ein.»

Bolitho blickte durch ein schmales Fenster auf der anderen Seite. Er konnte einen Teil des Hanges sehen, auf dem er mit dem jungen Couzens gelegen hatte, scheinbar vor tausend Jahren. Die sonnenverbrannten Busche bewegten sich im Wind wie rauhes Pelzwerk, und die Abendsonne tauchte alles in feurige Farbtone.

Die Seesoldaten hatten sich unten bei den jetzt umgesturzten Flo?balken Locher gegraben, in denen sie vom Festland aus nicht zu sehen waren. D'Esterre hatte gute Arbeit geleistet. Jetzt hockten sie alle darin und warteten auf den Feind.

Bolitho bemerkte mit muder Stimme:»Wasser ist unser Hauptproblem, Sir. Die Garnison hat es immer aus einem Bach weiter landeinwarts geholt. Jetzt ist nicht mehr viel Wasser da. Wenn sie wu?ten, da? wir auf ein Schiff warten, konnten sie sich genau ausrechnen, wieviel Zeit uns bleibt.»

Paget holte Luft.»Ich habe naturlich daran gedacht. Sie werden versuchen, uns zu bombardieren, aber da sind wir im Vorteil. Dieser Strand ist zu weich fur ihre schweren Geschutze, und es wird mindestens einen weiteren Tag dauern, sie auf den Hugel zu schaffen, um uns von dort aus unter Beschu? zu nehmen. Was den Damm betrifft, so kann ich mir nicht vorstellen, da? sie daruber einen Frontalangriff riskieren wurden, nicht einmal bei Niedrigwasser!»

Bolitho sah d'Esterre leise lacheln. Moglicherweise dachte er daran, da? Paget genau das von ihm und seinen Leuten erwartet hatte — fur den Fall, da? es Bolitho nicht gelang, die Tore rechtze i-tig zu offnen.

Die Tur wurde aufgesto?en, und der Leutnant vom Flaggschiff meldete aufgeregt:»Feind in Sicht, Sir!»

Paget starrte ihn an.»Wirklich, Mr. Fitzherbert, dies ist eine Garnison und nicht die Buhne im Drury-Lane-Theater!«Trotzdem stand er auf und trat in den hei?en Sonnenschein hinaus. Auf der Brustwehr lie? er sich ein Teleskop reichen und schaute hindurch.

Bolitho stutzte sich auf das hei?e Holz der Brustung und blickte zum Land hinuber. Zwei Reiter, funf oder sechs Infanteristen und ein gro?er schwarzer Hund drangten sich auf dem engen Strand — offenbar eine Vorhut.

Paget sagte:»Sie suchen das Flo?. Ich kann beinahe horen, wie ihre Hirne arbeiten.»

Bolitho blickte ihn an. Paget geno? doch tatsachlich die Situation!

Einer der Reiter stieg ab, der Hund lief zu ihm hin und wartete eifrig wedelnd. Sein Herr, anscheinend der Dienstalteste der Gruppe, tatschelte seinen Kopf mit routinierter Gebarde.

Fitzherbert fragte vorsichtig:»Was werden sie tun, Sir?»

Paget antwortete nicht sofort, sondern sagte zu d'Esterre:»Sehen Sie, wie die Hufe der Pferde sich in den Sand graben? Das einzige Stuck befestigter Stra?e fuhrt zum Anlegeplatz fur das Flo?. «Er senkte sein Glas und lachte in sich hinein.»Das haben die sich nicht traumen lassen, da? sie einmal hier die Angreifer spielen mussen!»

Sergeant Shears rief:»Ein paar von ihnen sind schon oben auf dem Hugel, Sir!»

«Von dort konnen sie uns Gott sei Dank nicht mit Gewehrfeuer erreichen«, sagte Paget und rieb sich vergnugt die Hande.»Sagen Sie Ihrem Artilleristen, er soll einen Schu? auf den Damm setzen. «Er blickte Bolitho scharf an.»Sofort!»

Rowhurst horte Pagets Befehl mit offensichtlicher Begeisterung.»So gut wie besorgt, Sir!»

Mit Hilfe seiner Leute richtete er das schwere Geschutz auf den nassen Sand am Ende des Dammes.»Klar zum Feuern, Jungs!»

Bolitho schrie:»Haltet euch au?er Sicht! Stockdale, sehen Sie zu, da? unsere Leute in Deckung bleiben!»

«Feuer!«Der Krach des Schusses hallte uber das Wasser wie Donner. Scharen von Vogeln flatterten schreiend aus den Baumen, und Bolitho sah gerade noch, wie eine gewaltige Wand feuchten Sandes hochgeschleudert wurde, als die Kugel wie eine Riesenfaust einschlug. Die Pferde scheuten, der Hund rannte wild bellend im Kreise herum.

Bolitho griff grinsend nach Rowhursts Arm.»Wieder laden!«Er schritt zuruck zum Turm und sah, da? Quinn ihn von der anderen Brustwehr aus beobachtete.

Paget sagte anerkennend:»Guter Schu?! Gerade nahe genug, damit sie merken, da? wir bereit und gerustet sind.»

Ein paar Augenblicke spater rief Sergeant Shears:»Wei?e Flagge, Sir!»

Ein Reiter galoppierte zum Damm, wo eine Rauchfahne noch die Einschlagstelle anzeigte.

Paget befahl:»Klar zum nachsten Schu?, Mr. Bolitho!»

«Es ist die Parlamentarsflagge, Sir!«Bolitho verga? seine Mudigkeit und begegnete trotzig Pagets Blick.»Ich kann Rowhurst nicht befehlen, darauf zu feuern.»

Erstaunt hob Paget die Brauen.»Was soll das? Eine Anwandlung von Ehre?«Er wandte sich an d'Esterre:»Erklaren Sie's ihm!»

D'Esterre sagte ruhig:»Sie wollen uns auf den Zahn fuhlen, unsere Starke herausfinden. Diese Leute sind keine Narren. Wenn sie auch nur einen Seemann entdecken, wissen sie, wie wir hergekommen sind.»

Fitzherbert rief:»Der Reiter ist ein Offizier, Sir!»

Was es nicht gerade einfacher machte.

Bolitho hielt die Hand uber die Augen, um den fernen Reiter und sein Pferd zu betrachten. Wie konnte er nur in solch einem Augenblick uber Ehre und Skrupel diskutieren? Heute oder morgen wurde man von ihm erwarten, da? er denselben Mann im Kampf niederstach, ohne einen Gedanken an ihn zu verschwenden. Und doch.

Er sagte schroff:»Ich lasse eine Kugel mitten auf den Damm setzen.»

Paget wandte sich vom Studium der kleinen Gruppe ab.»Schon, aber fangen Sie endlich an!»

Der zweite Schu? war genauso gut gezielt wie der erste und schleuderte Gischt und Sand hoch in die Luft, wahrend der Reiter versuchte, sein scheuendes Pferd wieder unter Kontrolle zu bringen.

Dann wendete er und trabte zuruck.

«Jetzt wissen sie Bescheid. «Paget schien befriedigt.»Ich gehe ein Glas Wein trinken. «Dann verschwand er wieder in seiner Stube.

D'Esterre lachelte grimmig.»Ich glaube, Kaiser Nero hatte gewisse Ahnlichkeit mit Paget, Dick.»

Bolitho nickte und ging auf die Seeseite des Turmes. Von Pro-byns Schiff war nichts mehr zu sehen, und er malte sich aus, wie die Distanz bei diesem fur ihn gunstigen Wind rasch zunahm. Wenn der Feind das Schiff beim Auslaufen wirklich gesehen hatte, so nahm er wohl an, da? es beim Anblick der Rotrocke im Fort umgekehrt sei, denn wenn es ihnen gehorte, warum liefen dann die neuen Besetzer nicht mit ihm aus?

Bluff, Patt, Vermutungen, alles gipfelte in einer Frage: Was sollten sie tun, wenn die Korvette aus irgendeinem Grund nicht kam, um sie abzuholen? Wenn der Wasservorrat zu Ende ging? Wurde Paget sich ergeben? Es war nicht sehr wahrscheinlich, da? der feindliche Kommandeur zur Milde neigen wurde, nachdem sie sein Fort und alle Waffen in die Luft gejagt hatten.

Bolitho beugte sich uber die Brustwehr und betrachtete die Seeleute, die im Schatten darauf warteten, da? es fur sie Arbeit gab. Wenn das Wasser ausging, wurden diese Leute dann noch genauso gehorsam sein? Konnte man erwarten, da? sie dann ihre Hande von dem gro?en Rumvorrat lie?en, den sie bei den Stallen ans Tageslicht gebracht hatten?

Bolitho rief sich Pagets Worte ins Gedachtnis. Er wu?te jetzt, woher der Feind einen gro?en Teil seiner Munition und seines Pulvers bekam. Doch diese Information wurde Konteradmiral Coutts wenig nutzen, wenn ihr tapferes Unternehmen hier zu Ende

ging.

Wenn er nur erst wieder auf der

Der Gedanke lie? ihn trotz seiner Unsicherheit lacheln. Er wu?te insgeheim, da? er wieder genauso eifrig nach einem eigenen Kommando streben wurde, wenn er diesmal uberlebte.

Da horte er Leutnant Raye von den Marineinfanteristen der

Bolitho nickte.»Ich lasse sie hinschaffen. «Wie ruhig seine Stimme klang, wie die eines Fremden.

Er erinnerte sich an die Gefuhle, die ihn beherrscht hatten, als das Flo? sich in der Dunkelheit auf das drohende Fort zu in Bewegung gesetzt hatte. Wenn der Feind die Wachen am Damm uberrannte, dann war es ein langer Weg bis zu den schutzenden Toren fur diejenigen, die sich zuruckzogen.

D'Esterre beobachtete ihn ernst.»Es klingt schlimmer, als es ist. Wir mussen nur vorbereitet sein, unsere Leute zusammenhalten und den Wachen einscharfen, da? wir nach Einbruch der Dunkelheit mit Besuchern rechnen mussen wie diesen. «Er wies auf die beiden kanadischen Spaher.

Als die Schatten langer wurden, begaben sich die Leute auf ihre Stationen und warteten. Der Strand war wieder leer, nur der aufgewuhlte Sand verriet, wo Reiter und Soldaten gestanden hatten.

Paget bemerkte beilaufig:»Eine klare, mondlose Nacht. «Er wischte sich die Augen und fluchte:»Nur dieser verdammte Wind erinnert uns standig an unseren wunden Punkt!»

Gefolgt von Stockdale, verlie? Bolitho das Fort und sah zu, wie die beiden Geschutze zum Damm geschafft wurden. Es war harte Knochenarbeit, man horte dabei keine Witze, wie sonst ublich.

Nach der Hitze des Tages kam es ihnen jetzt kalt vor, und Bolitho fragte sich, wie er und die anderen eine weitere Nacht ohne Schlaf durchhalten sollten. Er kam an den Lochern vorbei, deren Insassen nur an ihren wei?en Brustriemen zu erkennen waren, wahrend sie — das Gewehr im Anschlag — ubers Wasser spahten.

Er fand Quinn mit Rowhurst beim Montieren des zweiten Geschutzes. Sie legten Munition und Pulver so zurecht, da? im Dunkeln alles griffbereit war.

Stockdale keuchte:»Wer wird blo? freiwillig Soldat, Sir?»

Bolitho dachte an die Soldaten, wie er sie in England erlebt hatte, die Garnison in Falmouth, die Dragoner in Bodmin. Sie exerzierten am Sonntagmorgen zur Freude der Kirchganger und der kleinen Jungen.

Dies hier war etwas vollig anderes: rohe Gewalt und die Entschlossenheit, mit allem fertig zu werden, was sich ihnen in den Weg stellte. Ob in der Wuste oder auf schlammigem Feld, das Los der Infanteristen war immer das schwerste.

Quinn kam herubergelaufen und redete schnell und unzusammenhangend auf ihn ein.

«Sie sagen, es geht heute nacht los. Warum konnen wir uns nicht ins Fort zuruckziehen? Als wir angriffen, hie? es, die Geschutze beherrschen Damm und Flo?. Warum gilt dasselbe nicht jetzt auch fur den Feind?»

«Leise, James! Wir mussen sie von der Insel fernhalten. Sie kennen sich hier genau aus, wir selbst meinen nur, das Fort zu kennen. Wenn auch nur ein paar von ihnen bis hierher durchbrechen, wer wei?, was dann geschieht.»

Quinn lie? den Kopf hangen.»Ich habe die Leute gehort, sie wollen nicht sterben fur eine elende kleine Insel, von der noch nie jemand gehort hat.»

«Du wei?t genau, warum wir hier sind. «Er wunderte sich wieder uber den Ton seiner eigenen Stimme, sie klang harter, kalter. Quinn mu?te das verstehen. Wenn er jetzt nicht durchhielt, war es fur ihn kein Ruckschlag mehr, sondern eine vernichtende Niederlage.

Quinn erwiderte:»Das Magazin, das Fort, was sind sie wert, wenn wir tot sind? Es ist ein Nadelstich, eine Bagatelle.»

Bolitho sagte ruhig:»Du wolltest unbedingt Seeoffizier werden, auch wenn dein Vater dich lieber in seinem Geschaft in London gesehen hatte. «Er betrachtete Quinns Gesicht, es schimmerte bla? in der Dunkelheit.»Ich denke, er hatte recht damit, mehr als du selbst wei?t. Er wu?te, da? du niemals das Zeug hattest, ein Offizier des Konigs zu werden. «Damit wandte er sich brusk ab und schuttelte Quinns Hand von seiner Schulter.»Nimm die erste Wache, ich lose dich dann ab.»

Er wu?te, da? Quinn ihm unglucklich und verletzt nachstarrte, und ha?te sich selbst dafur, da? er so zu ihm hatte sprechen mussen.

Stockdale sagte:»Bei allem, was Sie fur den Jungen empfinden — da sind andere, die sich auf ihn verlassen mussen.»

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