Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander 7 стр.


«Auf Riemen!«Bolitho hob den Arm, um Schweigen zu gebieten.

Wieder war er sich der Weite der See und ihrer Einsamkeit bewu?t, als die Riemen bewegungslos und tropfend auf dem Dollbord lagen. Er horte das Gurgeln des Wassers um das Ruder herum, als das Boot in der Dunung noch langsame Fahrt machte. Dann das Klatschen eines weiteren Fisches, das schwere Atmen der Ruderer.

Schlie?lich flusterte Quinn:»Ich hore den anderen Kutter, Sir!»

Bolitho nickte und wandte das Gesicht nach Steuerbord. Nun horte auch er das gedampfte Quietschen von Riemen in ihren Dollen. Sparke hatte etwa die gleiche Schlagzahl und war auf einer Hohe mit ihnen. Also kommandierte er leise:»Ruder an!»

Couzens neben ihm hustete nervos und fragte:»Wie — wie viele Mann wird der Feind haben, Sir?»

«Das kommt darauf an. Wenn sie schon eine oder gar mehrere Prisen gekapert haben, werden es nicht allzu viele sein. Wenn nicht, haben wir etwa die doppelte Anzahl gegen uns — oder auch mehr.»

«Verstehe, Sir.»

Bolitho wandte sich ab, Couzens verstand es bestimmt nicht, aber er war imstande, wie ein Veteran daruber zu reden.

Er fuhlte den Nebel in seinem Gesicht wie einen kalten Hauch. Bewegte er sich rascher als vorher? Vor ihm erstand eine Vision aufkommenden Windes, der den Nebel wegtreiben und sie hilflos den Kanonen des Schoners ausliefern wurde. Schon eines der kleinen Schwenkgeschutze konnte die Besatzung zerfetzen, noch bevor es zum Handgemenge kam.

Er blickte langsam uber die Reihen der sich abmuhenden Ruderer und uber die anderen im Boot, die auf ihren Einsatz warteten. Wie viele von ihnen wurden die Seite wechseln und uberlaufen, wenn das geschahe? Es war schon oft genug vorgekommen, wenn britische Seeleute auf Kaperschiffen gefangengehalten wurden. Die

Er rieb seine Narbe, die so stark schmerzte, als wolle sie wieder aufplatzen.

Stockdale offnete die Klappe seiner Laterne ein wenig und blickte auf den Kompa?.

«Kurs liegt an, Sir«, sagte er. Es schien ihn zu amusieren.

Weiter und weiter ging es, die Leute an den Riemen wurden ausgewechselt, alles lauschte auf die Gerausche von Sparkes Kutter oder auf irgendein Zeichen von Gefahr.

Bolitho uberlegte, da? der Schonerkapitan mit seiner Kenntnis der ortlichen Verhaltnisse rechtzeitig mehr Segel gesetzt und somit den Nebel ausgesegelt haben konnte, da? er jetzt, schon Meilen entfernt, sich ins Faustchen lachte, wahrend sie langsam und qualvoll pullten, bis sie an irgendeiner Stelle von Neuenglands Kuste landeten.

Er malte sich aus, was danach sehr rasch Wirklichkeit werden konnte: Sie kamen vielleicht unbemerkt an Land und wurden versuchen, ein kleines Schiff zu stehlen und sich unter Segel davonzumachen. Aber was dann?

Baileines heiserer Ruf ertonte:»So etwas wie ein Lichtschimmer voraus, Sir!»

Bolitho stolperte nach vorn, alles andere war vergessen.»Dort, Sir.»

Bolitho strengte seine Augen an und starrte in die Dunkelheit. Ein Schimmer, das war die richtige Beschreibung, wie ein Kneipenfenster im Hafennebel. Keine Form, kein Mittelpunkt.

«Eine Laterne. «Balleine feuchtete seine Lippen an.»Hangt sehr hoch. Es ist also noch so ein Strolch in der Nahe.»

Bunces Berechnung war sehr genau gewesen, sonst hatten sie leicht das Schiff oder das Licht passieren konnen, ohne im Nebel etwas davon zu sehen. Der Abstand betrug eine knappe Meile.

«Auf Riemen!«Als er ins Bootsheck zuruckkehrte, sagte er:

«Dort vorn liegt er, Jungs! Entweder Bug oder Heck uns zugewandt. Wir nehmen, was kommt.»

Quinn rief heiser:»Mr. Sparke holt uns ein, Sir.»

Sie horten Sparke rufen:»Sind Sie bereit, Mr. Bolitho?«Es klang ungeduldig, seine vorherigen Zweifel schienen vergessen.

«Aye, Sir.»

«Wir greifen an beiden Enden an. «Sparkes Boot wurde durch den Nebel undeutlich sichtbar, sein wei?es Hemd und die Breeches trugen noch zu der geisterhaften Erscheinung bei.»Auf diese Weise konnen wir die Besatzung spalten.»

Bolitho sagte nichts, aber sein Herz wurde schwer. Von beiden Enden — also lief das Boot, das am weitesten pullen mu?te, Gefahr, gesehen zu werden, bevor seine Besatzung aufentern konnte.

Sparke lie? wieder anrudern und rief:»Ich ubernehme das Heck.»

Bolitho wartete ab, bis das andere Boot frei von ihnen war, und lie? dann ebenfalls anrudern.»Wei? jeder, was er zu tun hat?»

Couzens nickte, das Gesicht konzentriert.»Ich bleibe im Boot,

Sir.»

Quinn stie? hervor:»Ich unterstutze Sie, Sir… ah… Dick, und ubernehme das Vordeck.»

Bolitho nickte.»Und Balleine halt seine Leute zuruck, bis sie die Musketen benutzen konnen.»

Cairns hatte richtigerweise hierauf bestanden. Irgendein Narr konnte seine Muskete zu fruh abfeuern, wenn die Gewehre von Anfang an geladen und gespannt gewesen waren.

Bolitho zog seinen Degen aus der Lederscheide und lie? diese auf die Bodenbretter fallen. Dort konnte sie warten, bis er sie wieder brauchte. Wenn er sie beim Angriff trug, konnte er sich daran verfangen und womoglich unter ein Entermesser fallen.

Er fuhr mit dem Daumen uber die Klinge, hielt aber die Augen fest auf das flackernde Licht vor ihnen gerichtet. Je naher sie kamen, desto kleiner wurde es, da sein Hof im Nebel schrumpfte.

Im Augenwinkel meinte Bolitho eine Reihe von Spritzern zu sehen; offensichtlich beschleunigte Sparke den Schlag und setzte zum Angriff an.

Mit uberraschender Plotzlichkeit tauchten die Masten und Gaffeln des Schoners wie schwarze Stangen aus dem Nebel, und der Schein der Laterne verscharfte sich zu einem einzigen klaren Licht.

Stockdale beruhrte Couzens Arm, und der Junge fuhr auf, als sei er gestochen worden.

«Hier, die Pinne, Sir. «Er fuhrte Couzens Hand, als sei dieser erblindet.»Ubernehmen Sie, wenn ich's sage. «Mit der anderen Hand ergriff er sein altmodisches Entermesser, das doppelt so schwer war wie die modernen.

Bolitho hob den Arm, die Riemen hoben sich aus dem Wasser und verharrten wie federlose Schwingen. Er hielt den Atem an und beobachtete die Richtung des Stromes und die Ruderwirkung. Sie trieben genau auf des Schoners uberhangenden Vordersteven zu, unter dem Bugsprit hindurch.

«Riemen ein!«Er sprach in grimmigem Flusterton, obwohl seine Herzschlage sicherlich bis Boston zu horen waren. Seine Lippen waren wie in einem unkontrollierten, wilden Grinsen erstarrt. Verrucktheit, Verzweiflung, Angst, alles lag darin.

«Klar bei Enterhaken!»

Er beobachtete, wie der schlanke Bug uber sie hinwegfegte, als wolle der Schoner sie mit voller Fahrt rammen. Dann sah er Balleine mit dem Enterhaken in der Hand aufstehen, den richtigen Augenblick abwartend, wahrend er sich unter dem Wasserstag duckte, das ihm den Kopf abzurei?en drohte.

Plotzlich ertonte ein Knall, gefolgt von einem langgezogenen Schrei. Bolitho sah und horte alles im selben Augenblick: das Aufblitzen, das von der See selbst herzukommen schien, die Antwortschreie vom Schiff uber ihnen, die plotzliche Bewegung, mehr Explosionen, die die Wasseroberflache aufpflugten.

Wutend sprang er auf.»Los, Jungs!»

Sparke strich er aus seinem Gedachtnis. Der Narr hatte jemandem gestattet, das Gewehr zu laden, es war vorzeitig losgegangen und hatte einen der eigenen Manner getroffen. Es war zu spat. Fur sie alle.

Er ri? den Arm hoch und packte die sich straffende Bootsleine, als der Enterhaken mit einem dumpfen Gerausch im Bugsprit gefa?t hatte und den Kutter langsseit schleuderte.

«Auf sie, Jungs!»

Mit Handen und Fu?en kampfte er sich aufwarts, den Degen am

Handgelenk baumelnd, und sprang auf das von Explosionen blitzartig erleuchtete Deck. Am anderen Ende des Schoners knatterte heftiges Gewehrfeuer, und wahrend Bolithos Leute uber die Back stolperten, geblendet gegen unbekanntes Gerat stie?en und sturzten, hammerten Aufschlage rings um sie her ins Deck oder heulten uber den schwankenden Kutter wie irre Geister.

Er horte Quinn neben sich keuchen und stolpern; Stockdales breite Gestalt war schon etwas weiter vorn, er hielt das Entermesser vor sich, als solle es den Feind wittern wie ein Hund.

Etwas flog aus dem Dunkel heran, und ein Mann sturzte schreiend zu Boden, eine Lanze in der Brust.

Weiteres Krachen, und noch zwei von Bolithos Leuten sturzten.

Aber sie waren jetzt naher dran. Bolitho ergriff seinen Degen und schrie:»Im Namen des Konigs, ergebt euch!»

Wie erwartet antwortete ein Chor von Fluchen und hohnischen Rufen. Aber es gab ihnen die paar Sekunden, die sie benotigten, um mit den Rufern ins Handgemenge zu kommen. Er schlug jemandem den Sabel aus der Hand. Als der Mann hinlief, um ihn aufzuheben, drang ihm Stockdales Entermesser krachend in den Kopf.

Dann kampften sie alle Brust an Brust, Klinge an Klinge. Hinter sich horte er Balleine fluchen, und dann das sporadische Knallen von Musketen, als er es schaffte, ein paar Schusse in die Wanten abzufeuern, von wo aus Scharfschutzen ihr Ziel suchten.

Ein bartiges Gesicht tauchte vor ihm auf, und Bolitho spurte, wie seine Klinge mit metallischem Klang gegen des Mannes Schwert schlug, als sie jeweils parierten und sich freischoben von der Menge, um Platz zum Kampfen zu gewinnen. Um sie herum taumelten und torkelten Gestalten wie Trunkenbolde, ihre Entermesser spruhten Funken, die Stimmen klangen wild und verzerrt von Ha? oder Angst. Bolitho duckte sich, traf den Mann am Brustkorb, und als dieser zurucktaumelte, schlug er ihm den Degen mit solcher Wucht ins Genick, da? sein Handgelenk wie betaubt war.

Aber sie wurden trotzdem gegen die Back zuruckgedrangt. Irgendwo, scheinbar hundert Meilen entfernt, horte er einen Kanonenschu?, und in seinem benommenen Gehirn zuckte der Gedanke auf, dies sei ein weiteres Schiff, das dem Schoner zu Hilfe eile.

Er rutschte in einer Blutlache aus, und ein sterbender Seemann, getreten und zerstampft von den Kampfenden uber ihm, versuchte, seinen Knochel zu packen.

Ein anderer Mann schrie und fiel aus den Wanten, von einer Kugel getotet, bevor er an Deck aufschlug.

Bolitho sah jetzt ein Paar wei?er Hosenbeine vor der dunklen Verschanzung und wu?te, da? es Quinn war. Dieser wurde von zwei Mannern zugleich angegriffen, und obgleich Bolitho einen von ihnen auf die Schulter schlug und den schreienden Mann beiseite ri?, keuchte Quinn und brach in die Knie, beide Hande auf die Brust gepre?t.

Sein Angreifer war so blind vor Kampfeseifer, da? er Bolitho nicht bemerkte. Er stand uber Quinn und holte zum Todesstreich aus. Bolitho konnte ihn am Armel packen und herumrei?en, und durch die Wucht seines eigenen Schwertstreiches sturzte der Mann zu Boden. Bolitho schlug ihm den Handschutz seines Degens mit voller Wucht ins Gesicht, des Schmerzes im Handgelenk nicht achtend.

Sein Gegner taumelte wieder hoch, spuckte Zahne aus und griff von neuem an.

Plotzlich stand er stocksteif, seine Augen leuchteten im Dammerlicht so wei? wie Kieselsteine, dann drehte er sich um seine eigene Achse und sackte zusammen. Balleine zog so ruhig sein Enterbeil aus des Mannes Rucken, als zoge er es aus einem Holzklotz.

Da ging Bewegung durch die Reihen der Angreifer, und einen Augenblick spater horten sie Sparkes durchdringende Stimme:»Hierher,

Nicht einmal Fluche wurden gegen die britischen Seeleute laut. Die Manner der

Sparke, in jeder Hand eine Pistole, stand inmitten der Toten und wimmernden Verwundeten, und als er Bolitho sah, knurrte er kurz:

«Hatte schlimmer sein konnen. «Er konnte seinen Stolz nicht verbergen.»Hubsches kleines Fahrzeug! Sehr hubsch!«Er sah Quinn und beugte sich uber ihn.»Steht es schlimm?»

Balleine, der des Leutnants Hemd aufgerissen hatte und das Blut zu stillen versuchte, sagte:»Seine Brust ist ganz aufgeschlitzt, Sir, aber wenn wir ihn zu.»

Doch Sparke war schon gegangen und rief in bellendem Ton nach Frowd, dem Steuermannsmaaten, der das Schiff gleich bei der geringsten Brise unter Segel bringen sollte.

Bolitho lag auf den Knien und hielt Quinns Hande von der Wunde fern, wahrend Balleine sein Moglichstes tat, um einen Behelfsverband anzulegen.

«Ruhig, James. «Er sah Quinns Kopf nach hinten fallen, seine Anstrengung, dem Schmerz nicht nachzugeben. Quinns Hande waren wie Eis, Blut glanzte uberall.»Du wirst wieder gesund, ich verspreche es dir!»

Sparke kehrte zuruck.»Kommen Sie, Mr. Bolitho, es gibt eine Menge zu tun. Ich wette, da? wir fruher als uns lieb ist Gesellschaft bekommen.»

Plotzlich dampfte er seine Stimme, und Bolitho sah sich einem Sparke gegenuber, wie er ihn noch nicht erlebt hatte.

«Ich wei?, wie Ihnen Quinns wegen zumute ist. Aber Sie durfen es nicht zeigen. Vor allem nicht vor den Leuten. Jetzt, da der Kampf voruber ist, fuhlen sie den Schock. Sie blicken auf uns. Deshalb mussen wir unser Mitgefuhl fur spater aufbewahren.»

Er wandte sich wieder ab.»Los, Jungs, die Kutter nach achtern und die Fangleinen festmachen. Uberpruft die Geschutze und seht zu, da? sie geladen sind, um einen Angriff abzuschlagen: mit Kartatschen, Kugeln, allem, was ihr finden konnt. «Er suchte in der nebligen Dunkelheit nach jemandem.»Sie, Archer! Richten Sie ein Schwenkgeschutz auf die Gefangenen. Beim geringsten Anzeichen, da? sie das Schiff zuruckerobern wollen, wissen Sie, was Sie zu tun haben!»

Stockdale wischte sein Messer am Hemdfetzen eines Unglucklichen sauber.

«Ich werde auf Mr. Quinn achten, Sir. «Er rieb das Messer noch einmal ab und steckte es dann in den Gurtel.»Ein kraftiger Schluck wurde ihm jetzt guttun, denke ich.»

Bolitho nickte.»Ja, sehen Sie zu, was Sie machen konnen. «Damit ging er. Das Schluchzen und Stohnen im Dunkel gab ein anschaulicheres Bild der Szene, als die klare Sonne es vermocht hatte.

Bolitho sah Dunwoody, den Mullerssohn, eine bewegungslose Gestalt abtasten. Der Seemann sagte mit gebrochener Stimme:»Das ist mein Freund, Sir, Bill Tyler.»

Bolitho antwortete:»Ich wei?, ich sah ihn fallen. «Dann rief er sich Sparkes Rat ins Gedachtnis und fugte hinzu:»Hol' die Laterne runter, sofort! Wir wollen keine Motten anlocken, oder?»

Dunwoody stand auf und wischte sich das Gesicht.»Nein, Sir, sicher nicht. «Er eilte von dannen, blickte sich aber noch einmal unglaubig nach seinem toten Freund um.

Sparke war uberall, und als er beim Ruder wieder auf Bolitho stie?, sagte er lebhaft:»Es ist die

Bolitho wartete, seine Hande zitterten vor Anstrengung.

Sparke fuhr fort:»Ich habe die Kajute durchsucht, da fand sich ein ganzer Stapel von Informationen!«Er sprudelte uber vor Begeisterung.»Kapitan Tracy ist tot. «Er deutete auf die blicklosen wei?en Augen des Mannes, der von Baileines Enterbeil gefallt worden war.»Das ist er. Der andere Tracy, sein Bruder, befehligt eine Brigg, die Revenge, die sie letztes Jahr von uns gekapert haben. Sie hie? damals Mischchief.»

«Aye, Sir, ich erinnere mich. Sie wurde vor Cape May gekapert. «Es war erstaunlich, da? er so ruhig sprechen konnte, als waren sie beide auf einem Spaziergang und nicht inmitten eines Blutbades.

Sparke betrachtete ihn neugierig.»Sind Sie jetzt ruhiger?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Gut. Das ist der einzige Weg.»

Bolitho fragte ihn:»Ist Ladung an Bord, Sir?»

«Nein. Die wollten sie sich offenbar von unserem Konvoi holen. «Er blickte zu den kahlen Masten hinauf.»Lassen Sie ein paar Mann das Deck aufklaren. Es sieht hier ja aus wie in einem Schlachthaus. Die Leichen mussen uber Bord und die Verwundeten nach unten. Dort herrscht zwar auch nicht viel Komfort, aber es ist etwas warmer als an Deck.»

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