Bolitho starrte ihn an und fand keine Worte.
Stockdale legte die Papiere zusammen.»Und mehr, denke ich, Kapitan, viel mehr.»
Wahrend Bolitho schweigend zusah, wie sein Bootsfuhrer ihm den Tisch fur sein einsames Mahl deckte, zog die
in der leichten Brise still unter den Sternen dahin.
Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hatte sie viel geleistet. Dank ihres Kapitans lagen noch viele Tage vor ihr.
VI Land in Sicht
Bolitho ging zur Steuerbordseite des Achterdecks und lie? die Hande auf den sonnenwarmen Backskasten ruhen. Er brauchte jetzt weder Karte noch Fernrohr. Es war, als kame er nach Hause.
In der Morgendammerung war die kleine Insel Antigua uber der Kimm heraufgekommen. Nun lag sie in der Vormittagssonne vor ihnen. Bolitho spurte jene Erregung, die ihn bei jedem Landfall durchflutete, wenn das Land an der berechneten Stelle am Horizont auftauchte. Er nahm seinen Gang uber das Achterdeck wieder auf. Auf den Tag vor funf Wochen hatte die
dem Nebel und Regen Cornwalls das Heck gezeigt. Zwei Wochen lag das Gefecht mit dem Kaperschiff zuruck. Stolz wallte fluchtig in ihm auf, als er uber sein Schiff blickte. Die Schaden waren ausgebessert. Und die Verwundeten befanden sich auf dem Weg der Besserung. Gewi?, die Zahl der Toten war auf funfunddrei?ig gestiegen, aber an den anderen hatten die Sonne und der frische Wind, die Nebel und tobende Sturme abgelost hatten, Wunder gewirkt.
Die Fregatte segelte mit Steuerbordhalsen. Das Schiff und sein Spiegelbild im dunkelblauen Wasser boten ein prachtvolles
Bild. Uber den sich verjungenden Masten leuchtete wie zum Gru? ein wolkenloser Himmel, und um die Rahen segelten schreiend und erwartungsvoll die Mowen.
Antigua, Hauptquartier und Basis des WestindienGeschwaders, war ein Glied der zerstreuten Inselkette, die den ostlichen Teil der Antillen schutzte. Bolitho freute sich, wieder hier zu sein. Als er sich uber die Reling beugte, um nach vorn zu spahen, erwartete er halb und halb, die
und ihre Mannschaft zu sehen. Aber die Gegenwart der
uberschattete bereits die alten Erinnerungen.
«An Deck! Linienschiff unter Land vor Anker!»
Okes war Wachfuhrer; er blickte schnell zum Kapitan hinuber.
«Hochstwahrscheinlich das Flaggschiff, Mr. Okes. «Bolitho blickte kurz zur neuen Besanstenge hinauf, von wo aus der scharfaugige Ausguck die hohen Masten erspaht hatte.
Die Fregatte rundete langsam die saftig grunen Berge und felsigen Absturze des Vorgebirges von Cape Shirley. Die Mannschaft drangte sich in Luv und klammerte sich an Wanten und Netze, wahrend sie das Land mit Blicken verschlang. Fast allen war es unbekannt. Hier strahlte die Sonne heller, und die dichte, grune Vegetation hinter dem wei?en Strand glich keiner der Kusten, die sie kannten. Sie wiesen sich gegenseitig auf dieses oder jenes hin und plapperten aufgeregt wie Kinder, als sie an der Landzunge vorbeiglitten und die von Land eingeschlossene Bucht von English Harbour sichtbar wurde.
«Klar zum Halsen, Sir«, rief Proby.
Bolitho nickte. Bis auf Bransegel und Kluver waren alle Segel aufgegeit. Von der Back blickte Herrick, der neben dem Ankerkommando stand, nach achtern.
Bolitho schnippte mit den Fingern.»Mein Glas, bitte.»
Fahnrich Maynard reichte es dem Kapitan, und Bolitho musterte prufend den in der Mitte der Bucht vor Anker liegenden Zweidecker. Die Stuckpforten standen offen, um den Landwind ins Schiff zu lassen, und uber das machtige Achterdeck spannten sich Sonnensegel. Bolithos Blick haftete auf dem Stander des Konteradmirals im Topp und auf den blauen und roten Uniformen, die am Heck schimmerten, von wo aus man sein Einlaufen beobachtete.
«Mr. Brock, klar zum Salut! Elf Schu?, bitte. «Er schob das
Teleskop mit einem Ruck zusammen. Wenn er sie sehen konnte, sahen sie ihn auch. Er wollte nicht neugierig wirken.
Die nachstliegende Landspitze blieb achteraus, und er befahl:»Ubernehmen Sie, Mr. Proby.»
Proby legte die Hand an den Hut.»Leebrassen fieren! Klar zum Halsen.»
Bolitho beobachtete Okes und wartete geduldig. Schlie?lich sagte er, ohne die Stimme zu heben:»Scheuchen Sie die Mu?igganger von der Reling, Mr. Okes. Das da druben ist ein Flaggschiff. Der Admiral soll nicht den Eindruck gewinnen, ich hatte einen Haufen Bauerntolpel an Bord. «Er lachelte, als Okes den Befehl herausstotterte und die Maate die Leute von der Reling trieben.
Der Salut ertonte und wurde von den Bergen zuruckgeworfen, wahrend die Fregatte langsam auf das Linienschiff zuhielt. Auf der
bi? sich mehr als einer auf die Lippen, als der Kanonendonner andere, schrecklichere Erinnerungen weckte.
«Klar bei Bramsegelschoten!«Proby wischte sich den Schwei? von der Stirn und schatzte, wieviel Fahrt die
machte, wahrend sie sich dem Ankerplatz naherte.»Bramsegel aufgeien!«Er schaute nach achtern.»Klar zum Ankern, Sir.»
Bolitho achtete nur halb auf die Salutschusse und die herausgebellten Befehle. Er nickte.
«Ruder nach Lee!«Bolitho verfolgte, wie das Ruder gelegt wurde, und sah, wie die
in den Wind drehte und Fahrt verlor.
Bis auf das leise Glucksen des Wassers war jetzt kein Laut zu horen.»Fiert weg Anker!»
Der Anker klatschte in das klare Wasser. Die Kette rauschte aus.
«Signal, Sir!«meldete Maynard aufgeregt.
Kapitan zur Meldung an Bord.»
Bolitho nickte. Er hatte die Aufforderung erwartet und war bereits in seiner besten Uniform.»Lassen Sie die Gig zu Wasser, Mr. Okes. Und achten Sie darauf, da? die Giggasten ordentlich aussehen. «Bolitho blickte dem davoneilenden Zweiten nach und fragte sich, warum er so zerqualt und besorgt aussah. Er schien uberanstrengt und mit den Gedanken nur halb bei der Sache.
Vibart kam nach achtern und salutierte.»Irgendwelche
Befehle, Sir?»
Bolitho beobachtete, wie das Boot ausgeschwenkt wurde, wobei der wachhabende Maat den Stock heftiger gebrauchte als sonst, als ware auch er sich der beobachtenden Augen auf dem Flaggschiff bewu?t.
«Machen Sie alles klar zum Ubernehmen von Frischwasser, Mr. Vibart. Wir werden wohl anschlie?end nach English Harbour verholen, und die Manner konnen an Land gehen. Sie haben es verdient.»
Der Erste schien etwas erwidern zu wollen, sagte dann aber blo?:»Aye, aye, Sir. Ich werde mich darum kummern.»
Bolitho schaute zu dem Zweidecker hinuber: die
Hauptmann Rennie salutierte mit dem Degen, und die Wache prasentierte. Bolitho luftete den Hut und setzte ihn wieder auf, als die Gig, mit Stockdale an der Pinne, langsseits kam. Die Pfeifen schrillten, wahrend er ins Boot stieg. Von der Gig aus musterte er den Schiffsrumpf, die frische Farbe und die sauber ausgefuhrten Reparaturen. Die im Gefecht erlittenen Schaden waren kaum noch zu erkennen. Es hatte alles viel schlimmer kommen konnen, uberlegte der Kapitan, wahrend er sich auf der achteren Ducht zurechtsetzte.
Kraftiger Riemenschlag trieb die Gig uber das ruhige Wasser. Bolitho schaute zuruck. Seine Leute blickten ihm nach. Ihr Leben lag in seinen Handen, das war ihm immer bewu?t gewesen. Aber vor dem Gefecht hatten einige an seinen Fahigkeiten gezweifelt. Moglicherweise hatten sie ihn sogar fur einen Kapitan vom Kaliber Pomfrets gehalten.
Die Gig naherte sich dem Flaggschiff, und Bolitho drangte alle anderen Gedanken zuruck. Sie brauchten ihn nicht zu lieben, sagte er sich, aber sie mu?ten ihm vertrauen.
Konteradmiral Sir Robert Napier blieb hinter seinem Tisch sitzen und deutete auf einen Stuhl an der breiten Heckgalerie: ein kleiner, leicht reizbarer Mann mit gebeugten Schultern und schutterem grauem Haar. Das Gewicht seines Paraderocks schien ihn niederzudrucken. Sein schmaler Mund verriet kleinliche Mi?gunst.
«Ich habe Ihre Berichte gelesen, Bolitho. «Seine Augen huschten uber das Gesicht des Jungeren und kehrten dann zum Tisch zuruck.»Uber Ihr Treffen mit der
Am Fallreep war er mit dem ublichen Zeremoniell empfangen worden, und der Kapitan der
«Halten Sie das fur ein Verdienst?«Der Admiral musterte den Kapitan kalt.
«Nein, Sir«, entgegnete Bolitho.»Aber ich dachte, da? Fregatten hier noch immer dringend benotigt werden.»
Die welke Hand des Admirals raschelte mit den Papieren.»So ist es. Aber die
hinuber, die wie ein geschnitztes Modell vor Anker schwoite.»An Ihrem Schiff ist kaum ein
«Wir waren mit Ersatzspieren und Leinwand gut versorgt, Sir. Die Werft, die das Schiff ausrustete, hatte solche Eventualitaten vorausgesehen. «Der Ton des Admirals reizte ihn, und er ignorierte die warnenden Zeichen in den Augen des Alteren.
«Verstehe. Kapitan Masterman verlor die
Andiron,
schwer beschadigt war und leichter bestuckt ist, sich davonmachte, ohne ihren Vorteil zu nutzen?«Jetzt lag Arger in der Stimme.»Habe ich Sie richtig verstanden?
«Vollig richtig, Sir. «Bolitho bemuhte sich, so ruhig wie moglich zu antworten.»Meine Leute haben sich wacker gehalten. Ich denke, der Feind hatte genug. Ware ich in der Lage gewesen, ihn zu verfolgen, hatte ich es getan.»
«Das sagen Sie, Bolitho!«Der Admiral legte den Kopf schief wie ein kleiner, tuckischer Vogel.»Ich wei?, was mit Ihrem Schiff los war. Ich habe Admiral Longfords Brief gelesen, alles, was er uber die Vorfalle an Bord der
schreibt, als sie in der Kanalflotte Dienst tat. Ich bin nicht sonderlich beeindruckt, um es gelinde auszudrucken.»
Bolitho wurde rot. Was der Admiral sagen wollte, lag klar auf der Hand. In seinen Augen war die
ein gezeichnetes Schiff, ganz gleich, was sie erreichte.
«Ich habe mich nicht aus dem Staub gemacht, Sir«, sagte Bolitho kalt.»Es ereignete sich alles so, wie ich es berichtet habe. Meines Erachtens wollte das Kaperschiff weitere Schaden vermeiden. «Zwei Bilder standen ihm plotzlich wieder vor Augen: die krachende Breitseite und die Kettengeschosse, welche die Takelage der
«Bitte nicht diesen Ton mir gegenuber, Bolitho!«Der Admiral funkelte Bolitho an.
«St. Kitts, Sir?«St. Kitts lag kaum hundert Meilen weiter westlich, doch der Admiral sprach von der Insel, als lage sie auf der anderen Seite der Welt.
«Ja. Die Franzosen haben Truppen gelandet und versuchen, unsere Garnison ins Meer zu treiben. Admiral Hoods Geschwader konnte jedoch die Reede zuruckerobern und halt jetzt die wesentlichen Stutzpunkte, die Hauptstadt Basseterre inbegriffen. «Er betrachtete Bolithos nachdenkliches Gesicht.»Doch das soll nicht Ihre Sorge sein. Bis der Oberkommandierende zuruckkehrt oder Admiral Hood es fur richtig halt, mich abzulosen, fuhre ich hier das Kommando. Sie erhalten Ihre Befehle
Die franzosische Flotte in Westindien war gut ausgebildet und kampferfahren. Ihr Admiral, Graf de Grasse, hatte die uberforderten britischen Schiffe mehr als einmal uberlistet und niedergekampft. Er hatte einen Keil zwischen Admiral Graves und das eingeschlossene Cornwallis getrieben, den Rebellengeneral Washington unterstutzt und die amerikanischen Kaperschiffe zu einer brauchbaren und todlichen Macht organisiert.
Jetzt testete de Grasse mit der gleichen kundigen Strategie, die ihn zum wertvollsten Befehlshaber seines Landes gemacht hatte, die Starke der einzelnen britischen Stutzpunkte. Dabei benutzte er Martinique als Basis. Wenn er wollte, konnte er von dort aus jede beliebige Insel angreifen oder — bei dem Gedanken uberlief Bolitho ein Schauder — nach Westen segeln und sich auf Jamaika sturzen. Eroberte er Jamaika, blieb den Briten kein Stutzpunkt mehr in diesen Gewassern. Sie mu?ten auf den Atlantik hinaus, und dort wurde sie nichts vor der volligen Vernichtung schutzen.
«Ich gebe Ihnen Order, nach Westen hin Patrouille zu fahren, Bolitho«, sagte der Admiral, ohne zu stocken.»Ich werde die Befehle sofort ausfertigen. Der Feind wird sicher versuchen, noch andere Truppen vom amerikanischen Festland aus auf die Antillen zu transportieren, ja womoglich sogar noch weiter nach Suden auf die kleinen Antillen. Sie werden mit meinem ubrigen Geschwader Kontakt halten, doch mit Admiral Hood auf St. Kitts nur, wenn absolut notwendig. »
Bolitho hatte das Gefuhl, die Kajutendecke sturze uber ihm zusammen. Der Admiral dachte nicht im Traum daran, der
Vertrauen zu schenken und sie im Geschwader segeln zu lassen. Wieder schien die beargwohnte Fregatte zur Einsamkeit verdammt.
«Die Franzosen durften durch Freibeuter verstarkt werden, Sir«, sagte Bolitho.»Ich hatte gedacht, mein Schiff konnte naher unter Land nutzlicher sein.»
Der Admiral lachelte.»Naturlich, Bolitho, das verga? ich beinahe. Sie sind hier ja kein Fremder. Ich glaube, irgendwo habe ich etwas uber Ihre kleinen Heldentaten gelesen. «Das Lacheln erlosch.»Ich will nichts mehr von Freibeutern horen, es macht mich krank. Freibeuter sind nichts als Aasfresser und Piraten! Kein Kaperschiff kann sich mit einem meiner Schiffe messen. Auch daran erinnern Sie sich bitte, Bolitho. Die Eroberung der Andiron war eine Schmach, der man hatte vorbeugen sollen. Wenn Sie der Andiron nochmals begegnen, fordern Sie bitte Verstarkung an, damit es nicht wieder zu einem so erbarmlichen Fehlschlag kommt und sie endlich zuruckerobert oder versenkt wird!»