Merkwurdig, da? ihn die Wachen nicht untersucht hatten.
Aber sie waren so unverhohlen zuversichtlich — und das mit gutem Grund — , da? es eigentlich nicht anders zu erwarten gewesen war. Selbst sein Bruder hatte sich die Zeit genommen, noch einmal mit ihm zu reden, bevor er in den Laderaum hinuntergebracht wurde. Hugh Bolitho hatte den Degen seines Vaters umgeschnallt und ein Paar Pistolen im Gurtel. Der bevorstehende Kampf schien ihm neue Energien zu schenken.
«Nun, Richard, dies ist deine letzte Chance. «Er stand lassig auf dem schwankenden Deck, legte den Kopf schief und betrachtete seinen Bruder leicht belustigt.»Blo? eine Entscheidung, und es ist an dir, sie zu treffen.»
«Ich habe dir nichts zu sagen. Nicht jetzt. Nie. «Bolitho bemuhte sich, den Degen zu ubersehen. Er wirkte wie eine zusatzliche Beleidigung.
«Na gut. Nach diesem Gesprach sehe ich dich wahrscheinlich nur noch selten. Ich werde zuviel zu tun haben. «Er blickte zum drohenden Himmel empor.»Der Wind nimmt zu, aber ich rechne dennoch mit Besuchern. «Und harter:»Dann wirst du mit den franzosischen Befehlshabern zurechtkommen mussen. Ich mu? mich mit der
Bolitho hatte zum Posten gesagt:»Ich mochte unter Deck«, und sein Bruder hatte ihm nachgerufen:»Du bist toricht, Richard. Und, was schlimmer ist, du hast unrecht.»
In dem schwankenden Laderaum fand Bolitho viel Zeit, sich mit der Bitternis und dem Gefuhl der Niederlage herumzuschlagen. Plotzlich wurden die Turriegel mit metallischem Kratzen zuruckgezogen, und Belsey knurrte:»Sie sehen wieder nach uns. Der Teufel soll sie holen. «Doch als der Laternenschein in den Raum fiel und sie blendete, konnte Bolitho nur uberrascht ins Licht starren, denn Stockdale stand im Turrahmen, ein schweres Enterbeil in der Hand.
Bolitho kampfte sich auf die Fu?e. Unter der pendelnden Laterne lag der Posten mit eingeschlagenem Schadel.»Tut mir leid, da? es so lange gedauert hat, Sir, aber ich mu?te erst ihr Vertrauen gewinnen. «Stockdale grinste schuchtern.»Selbst jetzt bin ich mir noch nicht klar, ob ich das Richtige getan habe.»
Bolitho konnte kaum sprechen. Er packte Stockdale beim Arm und stie? hervor:»Du hast goldrichtig gehandelt, Stockdale, nur keine Sorge. «Und zu den anderen:»Stehen Sie zu mir?»
«Sie brauchen mir blo? zu sagen, was ich tun soll«, erwiderte Farquhar noch ganz benommen.
«Schnell, Stockdale!«Bolitho trat auf den Gang hinaus und spahte in das Dunkel hinter dem Laternenschein.»Erzahle, wie steht es?»
«Die da oben machen sich langsam Sorgen, Sir«, sagte Stockdale.»Kein Zeichen eines Angriffs, und das Schiff liegt wegen des Windes schlecht. «Er uberlegte einen Augenblick.»Vielleicht konnten wir an Land schwimmen, Sir?«Er nickte aufgeregt, was nicht oft bei ihm vorkam.»Ja, mit etwas Gluck wurden wir es schaffen.»
Bolitho schuttelte den Kopf.»Nicht jetzt. Sie halten bestimmt Ausschau. Wir durfen nicht an uns denken. Wir mussen versuchen, die
zu retten, ehe es zu spat ist.»
Stockdales Augen wanderten zu dem Leichnam zu seinen Fu?en.»Wachablosung in einer halben Stunde, Sir. Da bleibt nicht viel Zeit.»
«Ach so. «Bolitho bemuhte sich, seine Erregung und den Drang zu handeln zu unterdrucken und klare Gedanken zu fassen.»Mit der ganzen Mannschaft konnen wir nicht fertig werden, aber mit ein bi?chen Gluck konnen wir ihnen doch eine schone Uberraschung bereiten.»
«Ich wurde gern ein paar von den Schuften mitnehmen!«sagte Belsey.
Bolitho zog den Dolch aus der Kniehose, er glanzte im Laternenschein.»Zeig uns den Weg, Stockdale. Wenn es uns gelingt, zur Back zu kommen, haben wir die Moglichkeit, fur ein bi?chen Abwechslung zu sorgen.»
Farquhar griff nach dem Entermesser des toten Wachtpostens und murmelte rauh:»Denken Sie an die Ankerkette, Sir?»
Bolitho warf ihm einen anerkennenden Blick zu.»Das Schiff rei?t bereits hart am Anker. Wenn es uns gelingt, die Kette zu kappen, ware es in ernster Gefahr. Unsere Leute sind irgendwo da drau?en, und sie werden sich klarhalten, sobald sie die
«Die
Bolitho lachelte kalt.»Was mich nicht uberrascht. «Er winkte den anderen.»Vorwarts, wir haben wenig Zeit. «Wahrend sie durch den Gang schlichen, sagte er:»Erinnern Sie sich an den Neunpfunder auf der Back, Mr. Farquhar?»
Farquhar nickte, seine Augen funkelten.»Ja, Sir, eins der Buggeschutze.»
Bolitho blieb unter einem schmalen Niedergang stehen und sah zur Luke hinauf. Es konnte glucken. Sie konnten alle dabei draufgehen, aber er wu?te, da? sich jeder daruber klar war.»Die Kanone ist dort hingebracht worden, als man nach den Beschadigungen durch die
die Reling reparierte. Wenn wir sie jetzt bei diesem Sturm losschneiden, rennt sie Amok wie ein verruckt gewordener Bulle.»
Belsey bleckte die Zahne.»Mein Gott, ein Neunpfunder wiegt uber eine Tonne. Ihn wieder unter Kontrolle zu kriegen, erfordert allerlei.»
Bolitho sagte:»Wenn ich die Zurrings durchschneide, Stockdale, kannst du dann. .»
Stockdale griente.»Kein Wort weiter, Kapitan. «Er schwang die Axt.»Ein paar Minuten ist alles, was ich brauche.»
«Mehr als ein paar Minuten hast du auch nicht, mein Junge. «Bolitho schob sich die Leiter hinauf und spahte durch die Luke. Der Decksbereich lag verodet da. Er sah die nachste und letzte Leiter hinauf und sagte dann:»Bleiben Sie zuruck, Belsey. Mit einem Arm konnen Sie nicht kampfen.»
«Aber ich kann ebensowenig hier sitzenbleiben und nichts tun, Sir. «Belsey blickte Bolitho halsstarrig an.»Keine Bange, Sir, irgend etwas kann ich schon tun.»
Das Knarren der Rundholzer und das trommelnde Schlagen der Wanten und Stagen ubertonte jeden ihrer verstohlenen Tritte. Bolitho lie? den Blick kurz uber die ihm zunachst stehenden Kanonen und die schattenhaften Umrisse ihrer Mannschaften gleiten. Die meisten Manner lagen auf dem Deck oder sa?en am Schanzkleid, nur ein paar standen noch herum. Und die blickten au?enbords. Ihre Augen hoben sich gerade uber die Netze. Bolitho erblickte den einsamen Neunpfunder, dessen langer Umri? zum Hauptdeck vorsprang. Er horte, wie die Kanone leise knarrte, als ware sie verargert uber die Zurring, die sie neben dem Gangspill in Fesseln hielt.
Bolitho wischte sich den Schwei? aus den Augen und verfluchte sein qualendes Herzklopfen. Jetzt oder nie! Sie konnten jeden Augenblick erkannt werden, und dann war alles umsonst. Wahrend die Blicke der anderen fasziniert auf ihm hafteten, richtete er sich auf und schlenderte offen auf die Kanone zu. Er lie? sich gerauschvoll neben ihr nieder und kreuzte die Arme uber der Brust, als wolle er versuchen zu schlafen.
Farquhar quetschte zwischen den Zahnen hervor:»Gott, seht euch das an! Merkt denn wirklich keiner, wer er ist?»
Doch da Bolitho sich vollig frei bewegt hatte, wurde keinerlei Mi?trauen wach, und wahrend die Andiron von einem Wellenkamm zum anderen rollte, storte niemand die Ruhe auf der Back.
Belsey drehte sich um und krachzte:»Da kommt ein Offizier.»
Sie beobachteten stumm, wie sich die blauwei?e Gestalt eines Leutnants vom Hauptdeck langsam auf den Niedergang zur Back zubewegte. Mitten auf dem Niedergang mu?te er stehenbleiben, weil eine heftige Bo das Schiff traf und einen Schwall Gischt uber das Deck trieb, so da? der Vormast wie ein junger Baum erzitterte. Da sagte Stockdale plotzlich:»Er hat's geschafft. «Und wahrend sich der Bug der Fregatte hob und an der Ankerkette zerrte, begann der Neunpfunder zu rollen. Anfanglich war es kaum bemerkbar, doch dann donnerte er auf seinen kreischenden kleinen Rollen die ganze Lange des Vorschiffs hinunter und prallte mit aller Kraft gegen den Fu? des Vormastes.
Alle brullten und schrien durcheinander. Die Rufe wurden zu
Angstschreien, als die Kanone, wie durch unsichtbare Hande gelenkt, feindselig die Richtung anderte und uber das sich neigende Deck wie verruckt zuruckraste.
«Los, Leute«, schrie der Leutnant.»Holt Handspaken und neue Sorgleinen. Schnell, oder sie schmettert uns durch die Schanze.»
Die Ankerwache rannte von ihren Positionen zu den durcheinanderlaufenden Mannern hinuber. In der Mitte der Wirrnis schwang der lange Neunpfunder frohlockend und todlich seine Mundung herum, als ware er auf neue Verheerungen aus, ehe er quietschend und polternd zur entgegengesetzten Seite hinuberrollte. Er krachte in eine andere Kanone und zerschmetterte ein Gestell von Geschossen. Die rollenden Kugeln steigerten den Hollenlarm. Man horte, wie einige auf das tiefere Deck aufschlugen. Ein couragierter Seemann sprang uber das Verschlu?stuck und warf das Auge eines Tampens uber die Mundung. Doch die Kanone rollte von neuem zuruck, und er schrie gellend auf, als sie ihn mit ihrem ganzen Gewicht am Schanzkleid zerquetschte.
Bolitho packte Farquhar am Arm.»Da, sie haben einen Keil unter die Lafette getrieben. Hochste Zeit fur uns.»
Noch wahrend seiner Worte drehten sich einige Seeleute zu ihnen um und starrten sie an, unglaubig zuerst, dann in kalter Wut. Bolitho zog sich mit seinen zwei Gefahrten langsam zum Bug zuruck, hinter sich die See und vor sich die herandrangende, geschlossene Masse der Manner, die, weil sie stumm vorruckte, nur um so schrecklicher wirkte.
Dann rief einer:»Schlagt sie tot! Stecht die Hunde ab«, und damit brach die Spannung.
Die Hinteren drangten, und die ganze Meute scho? vorwarts, um aber plotzlich unsicher halt zu machen, als etwas wie ein Kanonenschu? uber das Deck hallte. Stockdale stie? einen Triumphschrei aus:»Sie ist durch! Die Kette ist gekappt!»
Die Matrosen der
Vom Achterdeck erscholl, durch das Sprachrohr verstarkt,
Hugh Bolithos Stimme:»Ruder bemannen!«Und wahrend das Schiff vom Bug bis zum Heck wie ein freigelassenes Tier zitterte, rief er:»Mr. Faulkner, treiben Sie die Leute an die Brassen!»
Bolitho lehnte an der Reling, den Dolch in der Hand. Die Fregatte krangte schwer und fiel ab. Manner enterten hastig in die Wanten auf, und vor dem dunklen Himmel blahte sich bereits ein Stuck klatschender Leinwand. Wieder ertonte das Sprachrohr:»La?t die Kerle nicht von der Back runter. Schie?t sie nieder, wenn sie fluchten wollen.»
Belsey wischte sich die Stirn und murmelte:»Selbst wenn unsere Jungs drau?en sind, jetzt werden sie kaum einen Angriff wagen. «Er sah Bolitho an.»Nun kann ich in Frieden sterben, Sir. Schatze, wir haben heute nacht ganze Arbeit geleistet.»
Ein orangefarbener Schein erhellte plotzlich Belseys Gesicht. Bolitho fuhr uberrascht herum. Kanonenkugeln heulten durch die Luft. Stagen und Fallen rissen, und die Decksplanken vor ihm splitterten und barsten, als die Kugeln in das Vorschiff schlugen.
«Die Batterie feuert auf uns!«Farquhar schwenkte den Hut.»Die damlichen Narren feuern auf ihre eigenen Leute.»
Bolitho zog ihn auf die Planken.»Und auf uns. Also gehen Sie mit Ihrem Kopf in Deckung, Mr. Farquhar. Womoglich brauchen Sie ihn noch.»
Die Geschutze schwiegen jetzt. Doch die eine wohlgezielte Salve hatte ausgereicht. Das unverzugliche Handeln der Offiziere der
Die schwarze Silhouette von Dogwood Point schien immer mehr zu wachsen und das Schiff immer kleiner zu werden. Doch noch sah es aus, als ob die
Belsey blickte zum Himmel und bekreuzigte sich.»Der Gro?mast kommt herunter. Mein Gott, der Besan auch!»
Bolitho verfolgte fasziniert, wie die beiden gro?en Masten erzitterten und sich sehr langsam nach Steuerbord neigten. Dann brachen die Stagen. Der Winkel wurde drohender, bis die Masten schlie?lich, von einem Gewirr aus Rahen und zerfetztem Segeltuch umgeben, krachend umsturzten und in das schaumende Wasser fielen. Noch ein Krachen und Sto?en erschutterte den Rumpf. Wahrend sich das Deck immer starker uberlegte, kampfte Belsey sich hoch und rief:»Sie sitzt auf der Sandbank. In ein paar Minuten bricht sie auseinander.»
Die Kanonen rissen sich los und rasten durch die schreienden Reste ihrer einstigen Herren. Keine Aussicht, ein Boot auszubringen, und das versuchte auch niemand. Einige sprangen bereits uber Bord, nur um von der starken Stromung sofort abgetrieben zu werden. Andere rannten unter Deck, als glaubten sie, im Finstern Sicherheit zu finden. Und uberall gellten flehende drohende und fluchende Schreie, als das Schiff auseinanderbarst. Der Vormast brach vier Fu? uber Deck ab und folgte den anderen. Aus einer gut ausgerusteten Fregatte war ein taumelndes, entmastetes Wrack geworden.
Belsey rief durch das Getose:»Da ist ein Lukendeckel, Sir. Treibt genau vorm Bugspriet. «Er blickte Bolitho wild an.»Wollen wir uber Bord springen?»
Bolitho drehte sich um. Das Deck erbebte von neuem, und noch eine Kanone raste durch eine Gruppe kriechender Seeleute. Dann erblickte er Hugh, der allein an der Achterdeckreling stand. Er gab keine Befehle mehr, sondern stand vollig regungslos da, als wolle er den Todeskampf seines Schiffes bis zum letzten teilen. Bolitho starrte noch einen Augenblick langer zu seinem mehr als eine Deckslange entfernten Bruder hinuber. Er spurte plotzlich Verstandnis, ja Mitleid, weil er nur zu gut wu?te, was er in solchen Minuten empfunden hatte.
«Uber Bord, Jungs!«sagte er dann barsch.»Seht zu, da? ihr beim Sprung gut klarkommt.»
Belsey und Farquhar sprangen zusammen, und er beobachtete, wie sie sich an den treibenden Lukendeckel herankampften. Dann sagte Stockdale heiser:»So, Kapitan, ich springe mit Ihnen.»
Er packte gerade die Reling, als er hinter sich einen Schrei horte und undeutlich einen Offizier wahrnahm, der sich das schrage Deck hinaufzog. Das Gesicht des Mannes war blutverschmiert, aber Bolitho erkannte den Leutnant, der seine einsame Haft auf dem Achterdeck geteilt und der von seiner Farm und seinen Zukunftsplanen gesprochen hatte. Plotzlich sah er die Pistole in der Hand des Leutnants. Gerade, als er sich uber die Reling schwingen wollte, zuckte ein greller Blitz uber das Deck, und etwas wie wei?gluhendes Eisen fuhr ihm quer uber die Brust.
Stockdale wandte sich um und stie? einen kurzen, tierischen Schrei aus, der seine Seele zu sprengen schien. Dann holte er mit voller Kraft aus. Die Wucht des Axthiebes enthauptete den amerikanischen Offizier beinahe, so da? es den Anschein hatte, als verbeuge sich der Mann mit einem gra?lichen Gru?.
Bolitho spurte dumpf, wie Stockdale die Arme um ihn schlang und ihn hochhob, so da? er durch die Luft sauste. Seine Lungen barsten, Salzwasser drang ihm in die Kehle, und als er die Augen aufzuschlagen versuchte, umgab ihn nichts als stechende Finsternis. Dann wurde er auf das kleine Flo? gezogen und horte Belsey keuchen:»O diese verfluchten Schweinehunde! Sie haben den Kapitan umgebracht!»
Dann Farquhars Stimme, bebend, doch bestimmt:»Um Gottes willen, pa?t auf. Da ist ein Boot. Duckt euch und keinen Laut!»
Bolitho versuchte zu sprechen, konnte aber nur zu Stockdales nebelhaftem Gesicht hinaufstarren, das sich gegen die niedrigen, jagenden Wolken abzeichnete. Er horte Riemen und wie ein Boot durchs Wasser schnitt. Aber Gefangenschaft oder Tod waren nicht vergebens, diesmal nicht. Er lauschte den fernen Brechern, die gegen das Wrack der Fregatte schlugen, und den leisen Schreien derjenigen, die sich noch immer auf dem zerschmetterten Rumpf festkrallten.