Herrick sah zu Boden, als Vibart sagte:»Darf ich fragen, Sir, ob wir wegen der Unruhe, die wir an Bord hatten, nach Westindien geschickt werden?«Er suchte Bolithos graue Augen, und sein Ton klang herausfordernd.
«Sie durfen fragen. «Bolitho musterte ihn genau. Vibart hatte etwas Beherrschendes, eine innere Kraft, die die anderen zu blo?en Zuschauern zu degradieren schien.»Ich habe die Berichte und Logbucher genau gelesen«, sagte er ruhig.»Und ich bin zu dem Schlu? gekommen, da? die halbe Meuterei«, er betonte das letzte Wort,»mindestens zur Halfte durch
Nachlassigkeit verursacht wurde.»
Vibart erwiderte hitzig:»Kapitan Pomfret vertraute seinen Offizieren, Sir!«Er deutete auf die Bucher auf dem Tisch.»Aus den Logbuchern konnen Sie ersehen, da? das Schiff alles getan hat, was von ihm erwartet werden konnte.»
Bolitho zog eins der zuunterst liegenden Bucher hervor und bemerkte, wie Vibart eine Sekunde lang unsicher wurde.
«Mir ist schon oft aufgefallen, da? e in Strafregister mehr uber die Tuchtigkeit eines Schiffs aussagt als vieles andere. «Er schlug lassig die Seiten um und verbarg gewaltsam den Ekel, den er bei der ersten Durchsicht empfunden hatte.»In den letzten sechs Monaten sind der Mannschaft mehr als tausend Hiebe verabreicht worden. «Seine Stimme klang kalt.»Einige Manner haben vier Dutzend auf einmal bekommen. Ein Mann ist offenbar nach der Bestrafung gestorben.»
Vibart sagte heiser:»Mit Laschheit beherrscht man die Leute nicht, Sir.»
«Auch nicht durch sinnlose Grausamkeit, Mr. Vibart!«Bolithos Stimme glich einer Peitsche.»Ich wunsche, da? auf meinem Schiff kunftig nicht Brutalitat, sondern das gute Vorbild regiert. «Er bemuhte sich, seine Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen.»Au?erdem wunsche ich, da? jeder Mann aus der Kleiderkammer anstandige Sachen bekommen hat, ehe wir Falmouth erreichen. Dies ist ein Schiff des Konigs, keine spanische Sklavengaleere.»
In das schwere Schweigen, das plotzlich in der Kajute herrschte, drangen die Gerausche des Schiffs und der See. Man horte, wie die Decksausrustung klapperte und knarrte, wie die Tide um das Ruder spulte, und vernahm gedampfte Befehle. Das alles vertiefte Bolithos Gefuhl der Einsamkeit.
Er fuhr ruhig fort:»In Falmouth mussen wir alles daransetzen, unsere Besatzung auf die volle Zahl zu bringen. Ich werde Kommandos aus vertrauenswurdigen Leuten an Land schicken, um geeignete Manner fur den Dienst zu rekrutieren. Keine Kruppel und Knaben, sondern Manner. Haben Sie mich verstanden?»
Die meisten nickten. Leutnant Okes sagte vorsichtig:»Ich habe von Ihren Taten in der
Bolitho nickte.»Danke, Mr. Okes. «Er konnte es sich nicht leisten, mehr hinzuzufugen. Okes konnte auf Bevorzugung aus sein oder darauf, zuruckliegende Verfehlungen zu kaschieren. Aber immerhin, es war ein Anfang.
Er setzte hinzu:»Was Kapitan Pomfret tat oder nicht tat, kann ich nicht andern. Ich habe meine eigenen Vorstellungen von der Fuhrung eines Schiffes und erwarte, da? sie stets beachtet werden. «Aus den Augenwinkeln bemerkte er, da? der Steuermann zweifelnd den Kopf schuttelte.»Mochten Sie etwas sagen, Mr. Proby?»
Der alte Mann schaute hastig hoch.»Ah. . Nein, Sir. Mir ging blo? durch den Sinn, da? es eine Abwechslung sein wird, wieder auf hoher See zu navigieren statt zwischen Klippen und Sandbanken. «Er lachelte, wodurch er nur noch kummervoller aussah.»Die jungen Herren werden von der langen Fahrt zweifellos profitieren.»
Es war ernst gemeint, aber Fahnrich Neale stie? seinen Gefahrten Maynard heimlich an, und beide kicherten. Dann bemerkte Neale, wie Vibart die Stirn runzelte, und blickte hastig zu Boden.
Bolitho nickte.»Also gut, meine Herren. Bereiten Sie alles zum Ankerlichten vor. Ich komme in zehn Minuten an Deck. «Er fing Vibarts Blick auf.»Es wird mich interessieren, die Manner an ihren Stationen zu sehen, Mr. Vibart. Ein bi?chen Segeldrill wird sie eine Weile von ihren unruhigen Gedanken ablenken.»
Die Offiziere gingen einer nach dem anderen hinaus. Stockdale schlo? die Tur. Bolitho setzte sich und starrte auf die Papier- und Bucherstapel. Er hatte versucht, Zugang zu ihnen zu finden, aber es war ihm nicht gelungen. Eine Barriere war da, ein Schild aus Ressentiments. Oder war es Furcht? Das mu?te er selber herausfinden. Er konnte keinem einzigen trauen, sich niemandem anvertrauen, bis er sich des Grundes, auf dem er stand, sicher war.
Er sah Stockdale an und fragte ruhig:»Nun, wie gefallt dir die
Stockdale schluckte heftig.»Ein gutes Schiff, Sir. «Er nickte bedachtig.»Aber von dem Fleisch, das sie zwischen den
Spanten hat, halte ich nicht viel. «Er legte Bolithos Degen neben den Pistolenstander und fugte hinzu:»Ich wurde Degen und Pistole immer griffbereit halten, Captain. Fur alle Falle.»
Richard Bolitho stieg den Niedergang zum Achterdeck hinauf und ging langsam zur Luvreling. Auf der Fregatte herrschte lebhafte Tatigkeit. Manner standen am Gangspill, andere warteten mit ihren Maaten unter den Masten. Bolitho taxierte den Wind und blickte kurz zum Wimpel am Masttopp hinauf. Das Schiff zerrte heftig und wie verdrossen an der Ankerkette, als wollte es ebenfalls von Land fort, und Bolitho zugelte seine Ungeduld, wahrend er wartete und die letzten Vorbereitungen beobachtete.
Die Decks glanzten vor Spruhregen und Spritzwasser, und Bolitho merkte plotzlich, da? er bereits bis auf die Haut durchna?t war. Aber vielleicht war es ganz gut, wenn seine Matrosen ihn so sahen, nicht in den Wachrock gehullt, sondern vor dem Wetter genauso ungeschutzt wie sie.
An der Leereling bemerkte er Fahnrich Maynard. Und wiederum dankte er Gott fur die Fahigkeit, sich Namen merken zu konnen, selbst wenn er sie nur einmal gehort hatte.
«Sie sind Signalfahnrich, Mr. Maynard?«Der Junge, dessen magerer Korper sich wie eine Vogelscheuche gegen das murrische Wasser abzeichnete, nickte.»Sehr gut. Signalisieren Sie dem Flottenkommando, da? wir klar zum Auslaufen sind.»
Er sah die Flaggen hochsteigen, verga? sie jedoch, als Vibart mit gefurchter Stirn nach achtern kam.
«Anker ist kurzstag, Sir!«Er beruhrte seinen Hut.»Und die Ladung gesichert.»
«Sehr gut. «Bolitho hob sein Fernrohr und sah nach den Flaggen, die am Signalturm druben hochstiegen. Vielleicht verfolgte der Admiral von seinem warmen Zimmer im
Toppgasten so geschickt und sicher wie Katzen nach oben kletterten. Wer zu langsam war, wurde von den Maaten durch Schlage mit Faust oder Tampen erbarmungslos angetrieben.
«Anker auf!«Mr. Quintal, dessen Brustkasten einer Trommel glich, schwang seinen Stock uber den arbeitenden Mannern auf dem Vorschiff.»Los, ihr winselnden alten Weiber!«Sein Stock sauste herab, und ein Mann schrie auf.»Hievt! Hievt!«Das Gangspill ruckte an und drehte sich dann gleichma?ig. Die triefende Kette kam herein.
«Vorsegel setzen!«Der Schrei pflanzte sich uber Deck fort wie Gesang. Oben killten und schlugen die befreiten Segel im Wind, und die Manner kletterten wie Ameisen auf die schwingenden Rahen hinaus, rangen und kampften mit jeder sich entfaltenden, widerspenstigen Leinwand.
Bolitho ignorierte das Spritzwasser und beobachtete, wie die Manner von einer Arbeit zur anderen hetzten. Jetzt, da die Toppgasten oben waren, fiel die Knappheit an Leuten noch mehr ins Auge.
Herrick rief vom Bug:»Anker auf, Sir!»
Die Fregatte fiel ab und krangte schwer, als eine Bo sie traf und aufs Wasser zu pressen drohte.
Vibart krachzte:»An die Brassen! Vorwarts!»
Die Leute an den Brassen legten sich keuchend ins Zeug, bis die gro?en Rahen knarrend herumschwangen. Der Wind fullte die Segel, und die sich blahende Leinwand donnerte. Die
drehte ab und nahm Fahrt auf.
Als der Anker gekattet und gefischt war, sank das Land an Steuerbord zuruck, die Insel Wight blieb hinter dem Regen- und Gischtvorhang fast verborgen.
Alles knarrte und knallte, wahrend das Schiff weiter auf den befohlenen Kurs eindrehte; die Wanten und Fallen summten und wimmerten wie die Saiten eines verruckten Orchesters.
Bolitho beobachtete die oben nicht mehr benotigten Leute. Sie rutschten die Stagen hinab und unterstutzten die Leute an den Brassen.»Legen Sie sie auf Backbordbug, Mr. Vibart. «Er schaute uber die Heckreling und versuchte sich daran zu erinnern, was an Kapitan Pomfret so furchtbar gewesen war. Er dachte an die kalten Augen des Mannes, an die eingeschuchterten Gesichter der Leute.
Proby stand mit gekrummtem Rucken neben dem Ruderganger. Sein verbeulter alter Hut sa? ihm wie ein Kerzenloscher auf den Ohren.»Lassen Sie sie laufen, Mr. Proby«, sagte Bolitho.»Spater mussen wir vielleicht reffen, aber ich mochte Falmouth so schnell wie moglich erreichen.»
Der Steuermann musterte die schlanke Gestalt des Kapitans und saugte an den Zahnen. Pomfret hatte die Fregatte nie frei laufen lassen. Jetzt flog sie wie verruckt dahin, als sich immer mehr Segel an den Rahen entfalteten und sich knatternd mit Wind fullten. Er blickte zu den Masttopps hinauf und meinte beinahe zu sehen, wie sie sich bogen. Aber er sah nicht mehr allzu gut, daher unterlie? er jede Bemerkung.
Vibart stand an der Achterdeckreling. Einen Fu? auf dem Schlitten einer Karronade, beobachtete er aus zusammengekniffenen Augen die Leute an ihren Stationen. Einmal blickte er nach Portsmouth zuruck, wo Pomfret das Schiff hatte verlassen mussen, wo Bolitho an Bord gekommen war, um ihn zu ersetzen und dadurch seine, Vibarts, Chance auf Beforderung zunichte gemacht hatte.
Er betrachtete Bolithos Profil, und Wut loderte in ihm auf wie Feuer. Zwischen Portsmouth und Hoods Geschwader lagen funftausend Seemeilen. Bis sie dort waren, konnte noch viel passieren.
Er fuhr hoch, als Bolitho brusk sagte:»Entlassen Sie die Wache unter Deck, und verdoppeln Sie die Leute im Ausguck. «Er wies auf den offenen Kanal.»Hier ist jeder ein Feind. «Und mit einem nachdenklichen Blick auf Vibart ging er nach unten.
II Flucht vor den Pre?kommandos
Die Mannschaft der Gig pullte mit gleichma?igem Schlag auf die steinerne Anlegestelle zu. Die Manner waren erleichtert, als Stockdale den Befehl» Riemen ein «knurrte, und der Bugsgast mit dem Bootshaken nach einem Ringbolzen angelte.
Bolithos Blick ging zur Fregatte zuruck. Die
lag in der Falmouth Bay sicher vor Anker. Ihr glatter Umri? hob sich schwarz und scharf gegen die See und die Sonne ab, die schlie?lich doch durch die treibenden Wolkenfetzen gebrochen war. Das Schiff hatte sich der Landspitze nur langsam genahert, und er hegte keinerlei Zweifel, da? seine Anwesenheit langst gemeldet worden war und jeder gesunde Mann der Stadt die rechtzeitige Warnung genutzt hatte, um vor dem gefurchteten Pre?kommando zu fliehen.
Leutnant Thomas Herrick sa? stumm neben ihm. Er hatte sich in seinen Mantel gehullt und spahte zu den regennassen Bergen hinter der Stadt und auf die grauen Mauern der Zitadelle oberhalb Carrick Roads. In der Geborgenheit der Reede lagen mehrere kleine Schiffe vor Anker. Kustenfahrzeuge und dickbauchige Fischerboote erfreuten sich des Schutzes, den dieser Ankerplatz bot.
«Ein Spaziergang wird uns guttun, Mr. Herrick«, sagte Bolitho.»Konnte fur eine Weile die letzte Moglichkeit dazu sein. «Er stieg steif aus dem Boot und wartete, bis Herrick ihm die ausgetretenen Stufen hinauf gefolgt war. Ein alter Seemann mit grauem Bart rief:»Willkommen, Kapitan. Feines Schiff, das Sie da drau?en haben.»
Bolitho nickte. Er stammte selbst aus Cornwall, war in Falmouth geboren. Daher wu?te er nur zu gut, da? kein jungerer Mann es wagen wurde, sich hier aufzubauen und einem Offizier des Konigs mit mu?igen Bemerkungen zu kommen. Fregatten waren zu beschaftigt, um einen Hafen anzulaufen, es sei denn, sie wollten Leute ausheben. Genau das hatte Vibart geltend gemacht, wahrend die
mit im Wind donnernden Segeln durch die Nacht scho?. Doch als Bolitho seinen Plan darlegte, schwieg sogar er.
In seiner Jugend hatte Bolitho haufig Kriegsschiffe in die Bucht einlaufen sehen. Und er hatte gehort, wie die Nachricht durch die engen Stra?en gerufen wurde. Wie ein Alarmsignal ging der Ruf von einem Haus zum anderen. Die jungen Manner warfen dann ihre Arbeit hin, verabschiedeten sich hastig von ihren Familien und Freunden und zogen sich in die Sicherheit der Berge zuruck. Von dort konnten sie alles beobachten und warten, bis das Schiff wieder Segel setzte und unter dem Horizont verschwand.
Uber die Hugel lief eine schlechte Kustenstra?e von Falmouth in nordostlicher Richtung nach Gerrans Bay und St. Austell. Kein Pre?kommando wurde sich die Muhe machen, die Leute bis dort zu verfolgen. Die Manner der Pre?kommandos wu?ten nur zu gut, da? sie durch ihre Waffen so behindert waren, da? alle Anstrengungen vergeblich bleiben mu?ten. So konzentrierten sie sich auf die wenigen Leute, die langsam oder dumm genug waren, den Mannern des Konigs einen leichten Fang zu erlauben.
In pechschwarzer Nacht hatte Bolitho das Schiff unter Land gebracht und beigedreht, wobei es durch den steifen Wind und die schnelle ablandige Stromung gefahrlich krangte. Old Proby hatte zuerst gezweifelt, dann aber seine Bewunderung offen gezeigt. Hier gab es keine Leuchtfeuer, und bis auf einen nebelhaften Schatten bewies nichts, da? Bolitho genau den Punkt unterhalb Gerrans Bay getroffen hatte, an dem die Karte einen winzigen, halbmondformigen Streifen Strand auswies.
Bald nachdem Portsmouth hinter ihnen lag, war ein Landungskommando zusammengestellt worden. Die ausgewahlten Leute, deren Gesichter im Licht einer Blendlaterne bleich schimmerten, hatten unterhalb des Achterdecks Bolithos Instruktionen entgegengenommen.
«Ich setze euch in zwei Kuttern an Land. Es werden zwei Gruppen gebildet. Mr. Vibart und Mr. Maynard fuhren die eine, und Mr. Farquhar fuhrt die andere. «Bolitho suchte das ernste Gesicht von Brock, dem ersten Stuckmeister.»Mr. Brock gehort ebenfalls zur zweiten Gruppe. «Sich selbst uberlassen, ware Farquhar womoglich zu draufgangerisch. Brocks Erfahrung wurde ein guter Ausgleich sein.
«Wie ich Falmouth kenne, werden sich die Manner, hinter denen wir her sind, so schnell wie moglich uber die Kustenstra?e davongemacht haben. Wenn die beiden Kommandos auf der Stra?e von Pendower Beach herauf ein gutes Marschtempo vorlegen, werden ihnen die Leute direkt in die Arme laufen. Das macht uns die Auswahl leichter, denke ich. «Bolitho bemerkte, da? Brock anerkennend nickte.»Die Boote kehren zum Schiff zuruck, und die Kommandos marschieren mit den Leuten direkt nach Falmouth. «Einige Manner seufzten, und Bolitho fugte ruhig hinzu:»Es sind nur funf Meilen. Immer noch besser, als fur nichts und wieder nichts die ganze Stadt zu durchkammen.»
So hatten seine Befehle gelautet. Und jetzt ging er mit Herrick die ansteigende Stra?e zu den sauberen Hausern hinauf, wobei er auf dem Kopfsteinpflaster, an das er sich so gut erinnerte, ab und zu ausglitt. Zu diesem Zeitpunkt mu?te Vibart bereits einige Leute aufgebracht haben. Wenn das nicht der Fall war, wenn ihm, Bolitho, eine Fehlkalkulation unterlaufen war, wurde das die Spannungen auf der
nur noch steigern.