»Und was zur Holle«, grollte Adrian und sah voller Verachtung auf Max herab, »tust du hier?«
»Dasselbe konnte ich dich fragen«, sagte Max und versuchte, tapferer zu klingen, als er war.
Adrian Hogsbottom grinste hohnisch.
»Ich erledige eine Aufgabe fur eine hochstehende Personlichkeit – die ganz bestimmt nicht wollen wurde, dass du hier rumschnuffelst. Du bist Hackfleisch, Pendragon. Besser, du fangst schon mal an zu beten.«
Max schluckte.
Adrian war viel gro?er und schwerer als er. Und wenn Grimm sich in Adrians Hosenbeine verbei?en sollte, wurde das seine eigenen Chancen auch nicht wesentlich verbessern. Doch er wurde das Feld nicht kampflos raumen. Er versuchte, sich krampfhaft daran zu erinnern, was ihm sein Vater uber Faustkampfe beigebracht hatte. Hatte er doch beim Boxunterricht besser aufgepasst! Ware er doch nicht so klein! Hatte er doch einen gro?eren Bizeps …
Max schatzte die Entfernung zu Adrians Gesicht ab. Einen einzigen Tipp von Sir Bertram hatte er behalten:
Mit den Beinen druckte Max sich ab, mit vorgestreckten Armen flog er heran, mit der Faust zielte er genau in die Mitte von Adrians uberraschtem Gesicht.
Im Handumdrehen sa?en der Prinz und seine Retter am Feuer, tranken hei?en, gewurzten Apfelsaft und a?en Brot und Kase. Der Prinz war viel freundlicher als am Anfang. Zwar konnte er kein Wort von dem verstehen, was Grimm und Adolphus sagten, doch Max ubersetzte, und der Prinz bedankte sich feierlich bei jedem von ihnen.
»Ihr konnt mich Carl nennen, wenn ihr wollt«, sagte er vornehm. »Ihr habt mich ja schlie?lich gerettet.«
»Also, genau genommen haben wir dich wohl erst gerettet, wenn du wieder in der Burg bist«, sagte Max – und plotzlich uberlief es ihn eiskalt. Olivia! Olivia war immer noch in der Burg, immer noch in Sir Richards Zimmer eingesperrt und womoglich in diesem Augenblick Morgana le Fay ausgeliefert! Wo hatte er nur seinen Kopf gehabt?! Dass er Adrian k.o. geschlagen hatte, hatte ihn derart benebelt, dass er Olivia ganz vergessen hatte! Gar nicht zu reden von Sir Richard und Lady Morgana, die bald zur Hutte kommen wurden! Was war er nur fur ein Idiot!
»Adolphus!«, rief er. »Wir mussen eine Botschaft zur Burg schicken. Jemand muss den Prinzen holen kommen. Am besten Merlin. Und vor allem mussen wir Olivia befreien. Du musst die Botschaft uberbringen. Du bist der Einzige, der schnell genug ist!«
»Oh ja! Okay! Auf zur Burg! Aber, ah, wohin genau da?«, sagte Adolphus verwirrt.
Max stohnte. Vor einer Minute war er sich noch wie ein Held vorgekommen. Jetzt brach die ganze tollkuhne Rettungsaktion in sich zusammen. Wohin sollte er Adolphus schicken, wo der sich doch wahrscheinlich nicht einmal den Weg wurde merken konnen? Und wie sollte sich der junge Drache jemandem verstandlich machen? Und was sollte er, Max, tun, wenn Sir Richard und Lady Morgana in der Zwischenzeit hier auftauchen wurden? Sollte er versuchen, den Prinzen fortzuschaffen?
»Ah, Eure Hoheit? Glaubst du, du kannst laufen?«
»Was? Oh nein. Nein, ausgeschlossen«, sagte Carl sorglos. »Meine Beine fuhlen sich noch ganz taub an.«
»Ah«, sagte Max mit schwerem Herzen. Daraus wurde also nichts. Er musste den Tatsachen ins Auge sehen: Sie wurden noch hier sein, wenn Sir Richard und diese alte Hexe eintrafen. Doch Olivia brauchte ebenso dringend Hilfe wie der Prinz. Plotzlich hatte Max wieder die kleinlaute, angsterfullte Stimme im Ohr, mit der sie gesprochen hatte, als sie aufgebrochen waren. Er traf eine Entscheidung.
»Grimm, du gehst mit Adolphus. Ihr beide zusammen, das macht einen Kopf und ein Paar Flugel. Das sollte reichen, um euch bis in Merlins Zimmer zu bringen. Wenn er nicht da ist, seht zu, dass ihr Papa findet. Merlin wird euch wahrscheinlich verstehen, aber Papa wird eine Nachricht brauchen. Wartet, ich schreibe eine und binde sie an Adolphus’ Bein.«
In einer von Adrians Satteltaschen fand Max ein Stuckchen Pergament. Mithilfe eines verru?ten Zweigs kritzelte er eine Nachricht darauf:
Die schwarze Ratte stupste ihn liebevoll an. »Mach dir keine Sorgen. Wir finden den Weg und wir finden Merlin. Sosehr ich deinen lieben Vater auch schatze, ich glaube kaum, dass er es schaffen wurde, dieser Fay-Hexe langer als zehn Sekunden lang standzuhalten. Du bleibst bei Carl, und wenn sie vor uns hier ankommen, dann, also – spuck sie fur mich an, ja, Max?«
Max lachte nervos und Grimm grinste. »So ist es richtig! Komm, Adolphus! Auf zur Burg, so schnell uns deine Flugel tragen!«
Er hupfte auf Adolphus’ Rucken und krallte sich fest. Wie eine Rakete schoss der Drache in die Luft, ein blaugrunes Brausen in der Abendsonne, das einen verhallenden Schrei hinter sich herzog: »Doch nicht soooo schnelllllll!«
Max lachelte und wandte sich wieder dem Feuer zu. Die Arme um die Knie gelegt, blieb er dort sitzen und fragte sich, wie viele Sekunden lang
Der Gaga-Zauber
Olivia hatte Hunger, Langeweile und blo? ein kleines bisschen Angst. Das war keine gute Mischung. Es kam ihr vor, als sa?e sie seit Stunden in Sir Richards Zimmer fest. Bestimmt war die Mittagszeit vorbei. Wahrscheinlich war es schon lange Zeit fur Kuchen.
Sie hatte aus dem Fenster gebrullt und gegen die Tur gehammert. Aber das Fenster lag zu hoch und drau?en waren der Larm und die Musik zu laut. Zwar hatten sie ein paar Leute am Fenster bemerkt, doch offensichtlich hatten sie geglaubt, Olivia wurde der Menge zuwinken. Also hatten sie frohlich zuruckgewinkt. Und die Tur war dick und aus Eiche. Wenn Olivia mit den Fausten oder sogar einem Stuhlbein auf sie einschlug, war nicht mehr als ein schwaches, dumpfes Pochen zu horen, das keiner bemerkte.
Olivia seufzte und fragte sich zum hundertsten Mal, was wohl gerade da drau?en geschah. Wieso musste ausgerechnet sie hier festsitzen, wenn alle anderen ein Abenteuer erlebten? Wenn doch wenigstens Lady Morgana kame, um sich um sie zu kummern, was immer das auch hei?en mochte! Oh, warum konnte nicht sie der Frosch sein und Max der, der hier warten musste! Wo steckten blo? die anderen? Was taten sie wohl gerade?
Auf einmal horte sie drau?en auf dem Gang Schritte. Statt weiter mit dem Fu? aufzustampfen, wurde sie mucksmauschenstill und lauschte. Wollte da jemand zu ihr? War es Sir Richard oder, schlimmer, Morgana? Es war sinnlos, sich zu verstecken. Sie wussten, dass sie hier war. Dennoch, Olivia wollte nicht einfach mitten im Zimmer herumstehen. Sie verkroch sich in der engen uberwolbten Nische und druckte sich gegen die Wand. Vor der Tur machten die Schritte Halt. Ein Schlussel kratzte im Schloss. Olivia hielt den Atem an. Die Tur ging auf und jemand kam herein.
»Olivia?«, rief eine unsichere Stimme am anderen Ende des Raums. Olivia seufzte erleichtert. Es war Sir Richard. Es gab Menschen, die sie lieber gesehen hatte, aber fur Adrians Vater sprach, dass er nicht Lady Morgana war. Sie trat aus der Nische und Sir Richard machte einen Satz.
»Oh – ah! Da bist du … Ah, ich komme, um dich freizulassen.«
»Mich freilassen?« Olivia war uberrascht. »Aber ich dachte … Lady Morgana …«
»Ah, also, nun ja. Sie hat gewisse Plane – aber, also, sagen wir, dass ich personlich nicht sonderlich scharf auf diese Plane bin. Also dachte ich mir, ich komme auf dem Weg nach drau?en noch einmal hier vorbei und, ah, vergesse, die Tur abzuschlie?en.«
Sir Richard schien ganz zufrieden mit sich zu sein. Es brauchte nur eine kleine Notluge, damit es in seinem Zimmer nicht zu unschonen Szenen kame und er dennoch seine guten Beziehungen zu Lady Morgana nicht gefahrdete.
»Gro?artig!«, rief Olivia. »Danke. Kann ich dann gehen?«
»Oh, also, ah – nicht so schnell, junge Lady«, beeilte sich Sir Richard. »Da ware ja noch das kleine Problem, dass du all unsere Plane kennst … Ich denke, bevor du zu Merlin rennst und ihm alles bruhwarm erzahlst, sollte ich dir einen Gaga-Zauber auferlegen, was meinst du?«
»Einen Gaga-Zauber?«, fragte Olivia. »Was ist das?«
»Ein hubscher kleiner Trick, den ich in der Knappen-Schule gelernt habe«, sagte Sir Richard stolz. »Ehrlich gesagt, war ich in Magie nie besonders gut. Aber
Sir Richard holte ein kleines Sackchen hervor und schuttete ein paar Korner eines violetten Pulvers in seine Hand. Dann murmelte er etwas vor sich hin und streute das Pulver uber Olivia. Einen Augenblick lang kitzelte es in ihren Ohren und auf ihrer Zunge, doch weiter geschah nichts.
»Ist das alles?«, fragte sie unbeeindruckt.
»In der Tat, meine Liebe«, sagte Sir Richard aufgeraumt. »Plappere nur erst los, dann wirst du diesen hubschen kleinen Zauber schon noch kennenlernen.«
Olivia glaubte ihm kein Wort. Aber da er sie freilassen wollte, schien es ihr das Beste, ihn bei Laune zu halten.
»Okay«, sagte sie. »Ich spure, wie er wirkt. Kann ich jetzt gehen?«
»Jaja«, sagte Sir Richard. »Lauf nur, meine Teure. Wie es aussieht, ist dein Drache ja auch schon geturmt. Durchs Fenster, richtig? Flattert vermutlich gerade im Burghof herum. Besser, du gehst ihn suchen. Ich muss jetzt sowieso aufbrechen. Ich habe einen
»Die Mohre?«, fragte Merlin sanft.
»Ja!«, sagte Olivia und schuttelte dazu heftig den Kopf. »Sie mussen wissen, dass die Mohre nicht mit der Pastinake zu verwechseln ist.«