Немецкий с улыбкой. Учись смеяться не плача / Lerne lachen ohne zu weinen - Курт Тухольский 2 стр.


– „Mehr nicht?“

– „Mehr nicht. Mehr ist gar nicht zu erzielen. Das wussten Schacht, Nicolai, selbst Seldte längst, ein paar Nazis wussten es auch, brüllten aber um des liebes Krieges willen[24] mit den andern mit. Außenpolitisch: eine Art Friede mit denen da draußen; verklausulierte Weiterzahlung der Schmachtribute, natürlich… wer kann denn auf den Mond fliegen? Platonische Liebe zu Italien, vergessen Südtirol; vage Noten an Frankreich, da geht Briand; Hin und Her; Verhandlungen mit England, mit Genf… und an alle: Versprechen der absoluten Bolschewisten-Feindschaft. Das beruhigt ungemein. Was glauben Sie: Deutschland als Hort gegen Russland! Eine sehr schöne Melodie.“

– „Also… innenpolitisch?“

– „Nicht, was Sie denken. Ein paar Zuchthausstrafen… ein paar Roheiten gegen die Juden… gegen eine Handvoll Republikaner… Beschränkung des Reichsbanners… Verbot der KPD[25]. – weiter nichts. Ja, und die Beamten werden wieder flegelhaft.“

– „Sozialversicherungen?“

– „Zeitweiser Abbau – aber auch der halb so schlimm in seiner Auswirkung. Das ginge ja gar nicht. Man wird einiges plakatieren und vieles stehen lassen. Was wirklich abgebaut wird, das wird die Kampfkraft der Arbeiter sein. Auch die zahmsten Gewerkschaften werden nichts zu lachen haben.“

– „Also… nehmen Sie noch etwas Kaffee, also Jubel im Lande?“

– „Gott, ja. Zunächst die übliche Verwirrung, an der Börse. Ach, diese Nase der Börse! Sie riecht alles, was in der Luft liegt – nachher. Übrigens ist es ihnen gleich. Die Börse wird nicht geschlossen werden, und der Kurfürstendamm, dessen Bewohner sich ein paar Tage ängstlich zu Hause halten oder verreisen, wird nicht gestürmt. Pogrome? Nein… Dann atmen sie wieder auf. Und alles geht weiter. Eigentlich, werden sie sagen, eigentlich ist ja alles gar nicht so schlimm.“

– „Die Zeitungen?“

– „Alle Obrigkeit kommt von Gott. Man muss sich nicht gegen das Gegebene auflehnen – das bekommt dem Inseratengeschäft nicht. Es sind Musterschüler; sie werden eine gute Zensur bekommen. Nach vier Wochen ist Ruhe im Lande… ‚Wenn auch… so doch immerhin…‘ “

– „Schlafen Sie nicht ein!“

– „Verzeihen Sie: ich sah im Geiste[26] Leitartikel. Geben Sie mir bitte noch etwas Kaffee. Auch in den Provinzstädten wird man auf die Dauer nicht zufrieden sein. Gewiss, die Jugend ist verhetzter als je[27], die Studenten hochfahrender, die Umzüge zahlreicher… aber die Jugend hat im Grunde andre Sorgen. Und dann eben… langsam… die Enttäuschung…“

– „Worüber?“

– „Dass Berlin nicht dem Erdboden gleichgemacht[28] ist. Dass die Not andauert. Dass auch jetzt nicht die Arbeitsgelegenheiten aus der Luft geflogen kommen. Dass die Butter nicht billiger wird. Leise, ganz leise kommt die Unzufriedenheit. Davon spricht aber kaum einer.“

– „Die öffentliche Meinung?“

– „Bewusst entpolitisiert, bei einem Höchstmaß von politischen Schlagworten. Bündischer[29] Unfug… Demonstrationen… Fahnen… im übrigen lenkt uns eine hochwohlweise Regierung. Das haben die Deutschen immer so gehalten[30]. Verloren ist allerdings, wer in diesen Jahren der Justiz in die Finger fällt[31]. Mit dem ist es dann aus[32]. Kurz: es ist eine Nachahmung des Fascismus – so, wie sie alles nach-ahmen… wie sie nicht einmal fähig sind, sich eine Bewegung für sich und aus sich heraus zu schaffen. Der Marsch auf Rom! Das war ein faszinierender Filmtitel. Auf Berlin marschieren sie gar nicht. Nach Berlin werden sie nur fahren, wenn sie sich von der Mittelstadt erholen wollen. In Berlin fallen sie nicht auf, wenn sie auf die Weiber gehen. Widerstand —? Verzeihung… ich fühle, dass Sie das fragen wollen… Widerstand? Nein, den finden sie wohl kaum. Von wem denn auch? Von dem bisschen Republik? Die hat in zwölf Jahren nicht verstanden, echte Begeisterung zu wecken, Menschen zur Tat zu erziehen, nicht einmal in ruhigen Lagen, wie denn, wenn es Kopf und Kragen zu riskieren gilt? Widerstand? Lieber Herr, das Land ist so weit entfernt von jeder Revolution! Dies ist ein Volk, das noch nicht einmal liberal ist. Die vielgelästerte Verwestlichung ist gar nicht so tief eingedrungen… sie halten mildübertünchte Korruption für Parlamentarismus, wirres Geschwätz Aller für Selbstbestimmungsrecht, Ressortstank für Politik, Vereinsmeierei für Demokratie… sie sind nie liberal gewesen, auch 48 nicht. Sie spüren nicht, dass die Welt um sie herum anders denkt und anders fühlt… sie spielen ihren politischen Skat ohne Partner. Wirft der andre die Karten hin, dann glauben sie, sie hätten gewonnen. Es ist ein Inselvolk.“

– „Die deutschen Brüder im Ausland?“

– „Werden sich ein paar Unannehmlichkeiten mehr zuziehn. Und das bisschen Kulturfassade, das kleine bisschen deutscher Freiheit – es ist zum Teufel.“

– „Das ist alles?“

– „Das dürfte alles sein. Ob es geschieht, weiß ich nicht. Wenn aber —: dann so. Übrigens… ich bin Hellseher… ich hatte eine Vision: Sie werden mir diese Sitzung honorieren… Ich dachte an hundert Mark?“

– „Hier haben Sie ein Bildnis Hindenburgs. Und lassen Sie sich draußen in der Küche ein paar Butterbrote geben… Gott befohlen[33], junger Mann!“

– „Heißen Dank, gnädiger Herr. Wenn Sie wieder etwas brauchen: Nepomuk Schachtel, Hellseher und Original-Astrologe mit ff.[34] indischen Erkenntnissen. Täglich von 9 bis 8, Sonntags geschlossen. Und empfehlen Sie mich in Ihrem werten Bekanntenkreise —!“

Übungen zur Erzählung

I. Übersätzen Sie ins Deutsch:

1. Мы всегда мысленно с вами.

2. Наш город стал красивее, чем когда либо.

3. Когда я напишу книгу, я сразу опубликую свою работу.

4. Первоначально он жил во Франции, но сейчас переехал в Бельгию.

5. Еще полбеды, что ее уволили, ведь теперь она лишилась вида на жительство (die Aufenthaltserlaubnis).

II. Sagen Sie anders:

1. Das Land ist in Begeisterung.

2. Die Gegenwirkung der Bevölkerung war stark.

3. Jeder hat sein eigenes Enttäuschung.

4. Was für eine Profession treiben Sie?

5. Die Gewalt brauchen Menschen um sein Gemeingut zu bewahren.

III. Welches Wort fehlt?

1. Sein Vater war außer sich vor Zorn und konnte die Wohnung dem Erdboden __________________.

2. Keine Katze will den Kindern in die ____________ fallen.

3. Schlecht und ____________ hatten sie überwintern.

4. _______ dieser Arbeit willen vergisst er seine Familie und Freunde.

5. Es ist so ______________, dass der Bräutigam seine Braut entführen soll.

Schlüssel zur Übungen:

I.

1. Wir sind immer mit euch im Geiste.

2. Unsere Stadt wurde schöner als je.

3. Wenn ich mein Buch fertigschreibe, werde ich meine Arbeit sofort veröffentlichen.

4. Er wohnte von Hause aus in Frankreich, aber nun zog er ins Belgien um.

5. Es ist halb so schlimm, dass sie entlassen wurde, weil jetzt sie auch die Aufenthaltserlaubnis verlor.

II.

1. Es ist Jubel im Lande.

2. Der Widerstand war stark.

3. Jeder hat seine eigene Unzufriedenheit.

4. Was sind Sie von Beruf?

5. Die Obrigkeit brauchen Menschen um sein Gemeingut zu bewahren.

III.

1. gleichmachen

2. Finger

3. recht

4. um

5. gehalten

Die brennende Lampe

Wenn ein jüngerer Mann, etwa von dreiundzwanzig Jahren, an einer verlassenen Straßenecke am Boden liegt, stöhnend, weil mit einem tödlichen Gas ringend, das eine Fliegerbombe in der Stadt verbreitet hat; er keucht, die Augen sind aus ihren Höhlen getreten[35], er verspürt einen widerwärtigen Geschmack im Munde, und in seinen Lungen sticht’s, es ist, wie wenn er unter Wasser atmen sollte —: dann wird dieser junge Mensch in einem verzweifelten Blick an den Häusern hinauf, zum Himmel empor, fragen:

Warum —?

Weil, junger Mann, zum Beispiel einmal in einem Buchladen eine sanfte grüne Lampe gebrannt hat. Sie bestrahlte, junger Mann, lauter Kriegsbücher, die man dort ausgestellt hatte; sie waren vom ersten Gehilfen fein um die sanft brennende Lampe herumdrapiert worden, und die Buchhandlung hatte für dieses ebenso geschmackvolle wie patriotische Schaufenster den ersten Preis bekommen[36]. Deswegen.

Weil, junger Mann, deine Eltern und deine Großeltern auch nicht den leisesten Versuch gemacht haben, aus diesem Kriegsdreck und aus dem Nationalwahn herauszukommen. Sie hatten sich damit begnügt – bitte, stirb noch nicht, ich möchte dir das noch schnell erklären, zu helfen ist dir ohnehin nicht mehr – sie hatten sich damit begnügt, bestenfalls einen allgemeinen, gemäßigten Protest gegen den Krieg loszulassen; niemals aber gegen den, den ihr sogenanntes Vaterland geführt hat, grade führt, führen würde. Man hatte sie auf der Schule und in der Kirche, und, was wichtiger war, in den Kinos, auf den Universitäten und durch die Presse national vergiftet. So vergiftet, wie du heute da liegst: hoffnungslos. Sie sahen nichts mehr. Sie glaubten ehrlich an diese stumpfsinnige Religion der Vaterländer, und sie wussten entweder gar nicht, wie ihr eignes Land aufrüstete: geheim oder offen, je nach den Umständen[37]; oder aber sie wussten es, und dann fanden sie es sehr schön. Sehr schön fanden sie das. Deswegen, junger Mann.

Was röchelst du da —? „Mutter?“ – Ah, nicht doch. Deine Mutter war erst Weib und dann Mutter, und weil sie Weib war, liebte sie den Krieger und den Staatsmörder und die Fahnen und die Musik und den schlanken, ranken Leutnant. Schrei nicht so laut; das ist so gewesen. Und weil sie ihn liebte, hasste sie alle die, die ihr die Freude an ihrer Freude verderben wollten. Und weil sie das liebte, und weil es keinen öffentlichen Erfolg ohne Frauen geben kann, so beeilten sich die liberalen Zeitungsleute, brave Familienväter, die viel zu feige waren, auch nur ihren Portier zu ohrfeigen, so beeilten sie sich, den Krieg zu lobpreisen, halb zu verteidigen, jenen den Mund und die Druckerschwärze zu verbieten[38], die den Krieg ein entehrendes Gemetzel nannten; und weil deine Mutter den Krieg liebte, von dem sie nur die Fahnen kann-te, so fand sich eine ganze Industrie, ihr gefällig zu sein, und viele Buchmacher waren auch dabei. Nein, nicht die von der Rennbahn; die von der Literatur. Und Verleger verlegten das. Und Buchhändler verkauften das.

Und einer hatte eben diese sanft brennende Lampe aufgebaut, sein Schaufenster war so hübsch dekoriert; da standen die Bücher, die das Lob des Tötens verkündeten, die Hymne des Mordes, die Psalmen der Gasgranaten. Deshalb, junger Mann.

Ehe du die letzte Zuckung tust, junger Mann:

Man hat ja noch niemals versucht, den Krieg ernsthaft zu bekämpfen. Man hat ja noch niemals alle Schulen und alle Kirchen, alle Kinos und alle Zeitungen für die Propaganda des Krieges gesperrt. Man weiß also gar nicht, wie eine Generation aussähe, die in der reinen Luft eines gesunden und kampfesfreudigen, aber kriegablehnenden Pazifismus aufgewachsen ist. Das weiß man nicht. Man kennt nur staatlich verhetzte Jugend. Du bist ihre Frucht; du bist einer von ihnen – so, wie dein fliegender Mörder einer von ihnen gewesen ist.

Darf ich deinen Kopf weicher betten? Oh, du bist schon tot. Ruhe in Frieden. Es ist der einzige, den sie dir gelassen haben.

Kaspar Hauser

Die Bilderausstellung eines Humoristen

Wie es Sonntagsreiter gibt – so gibt es Sonntagsmaler. Deren Bilder hat der französische Schriftsteller Georges Courteline sein Leben lang gesammelt. Und diese Sammlung ist ausgestellt, bei Bernheim-Jeune in Paris in der Rue du Faubourg St. Honoré. Das ist die merkwürdigste Bilderausstellung, die ich seit langem zu sehen bekommen habe.

Courteline, ein Franzose mit Humor, ist Jahr um Jahr[39] friedlich auf dem linken Ufer in die kleinen Antiquitätenläden gegangen, hat hier herumgestochert und hat da Zeit vertrödelt, hat Dilettanten besucht und malende Schutzleute, malende Gasarbeiter, malende Volksschullehrer – ja, sogar malende Zollbeamte. Denn er hat wirklich und wahrhaftig einige Rousseaus besessen, aber er hat sie zu früh verkauft, und weil er Humor sein eigen nannte, wird er wohl nicht geweint haben. Heute sind sie viel Geld wert. That is the humour of it[40]. Jedoch, was ihm geblieben ist, das ist schon heiter genug.

Die ganze Menschengüte dieses seltenen Mannes spricht aus der Bemerkung, mit der er jetzt in den französischen Zeitungen dagegen protestiert, dass man seine Sammlung ein „Schreckenskabinett“ benenne – und das ist sie auch wirklich nicht. Er hat diese Bilder Namenloser lieb gehabt, und tatsächlich ist ja solche Pinselei nur durch einen haardünnen Strich von manchen großen Werken getrennt. Sehr schwer zu sagen, wo die blinde Naivität aufhört und die Kunst beginnt. Perlen hängen da an den Wänden bei Bernheim.

Den malenden Laien reizt vor allem die Anekdote sowie das Gegenständliche. Diese Bilder erzählen entweder eine Geschichte, oder sie bilden die Natur, den Menschen, die Tiere, die Sachen mit einem solchen Respekt ab, dass nur das mangelnde Können zum Lachen reizt, nicht die Auffassung, nicht die Anschauung. Vom Auge bis zum malenden Arm war es einfach zu weit.

Eine Landschaft aus der Auvergne… ach, wenn die Natur so schön wäre! Wenn wir sie noch so sehen könnten! Eine Zwergenfamilie… das heißt: man weiß bei dieser Art Privatperspektive der Herren Sonntagsmaler nie, ob es Zwerge, Kinder oder Verzeichnete sind, die da stehen. Ganz ersten Ranges[41]: die Ermordung der Familie Kink durch Herrn Mörder Troppmann.

Mörder Troppmann steht inmitten einer düstern Nachtlandschaft, in deren Hintergrund ein einsames, hohes, weißes Haus sehr unheimlich leuchtet. Auf dem Boden liegen blutig Vater, Mutter und viele Kinder, sie sind sämtlich sorgfältig rot angemalen, damit man auch weiß, was hier vor sich geht[42]. Mörder Troppmann ist grade im Begriff[43], einen Knaben, den er am Schlafittchen hat, niederzumachen; sogar seine Manschetten hat sich der Kerl besudelt, wie weit geht doch die menschliche Verworfenheit! Der Mond bricht – also darauf legt der Maler das größte Gewicht – der Mond bricht durchs Gewölk, das ist bei Morden so. Es ist ein sehr lehrreiches Bild.

Ein Badebild mit weißer Hosenromantik; wunderschöne Soldatenbilder – merkwürdig, wie oft das Militär, das bunte, dazu dient, leere Köpfe zu füllen; seltsame Anklänge an James Ensor, Bilder mit zahllosen kleinen visionären Männerchen[44]; am allerschönsten die Blumenstücke und die klaren Landschaften. Wir wollen uns nichts vormachen: so mancher snobistische Salon fiele brav herein, präsentierte man ihm diese Gemälde als letzte Neuheit.

Man kann diese Bilder kaufen; nun gehn sie in alle Welt und werden in Privatgalerien hängen und in Vorhallen, in Arbeitszimmern – sie werden lächeln machen und nachdenken.

Dass Georges Courteline so etwas gesammelt hat, wundert keinen, der diesen Mann kennt und liebt. Er ist übrigens nicht der einzige; so hat zum Beispiel der Maler Maurice Vlaminck etwas Ähnliches – aber Courteline ist kein Maler. Er ist ein Dichter, und was für einer!

Das Schönste, das Allerschönste an dieser Ausstellung steht im Katalog, den Robert Rey, der Kunsthistoriker vom Luxembourg, sehr klug eingeleitet hat. Das ist das Wappen, das sich Courteline selbst entworfen hat. Ein heraldischer Scherz mit Spaßlöwen und Scherzornamenten, nichts Bedeutendes. Aber unten, unter dem Wappen, zieht sich ein gemaltes Band, und auf dem steht ein Spruch.

Auf dem steht, Georges Courteline, der Spruch Ihres Lebens, und – verzeihen Sie – der des meinen auch. Nie wird mir einer glauben, dass dieselben Worte, genau dieselben Worte, seit Jahren in meinem Arbeitsbuch stehn, vorn auf der ersten Seite. Ihr ganzes Wesen ist darin, Courteline, genau das, um dessentwillen wir Sie lieben. Es sind nur zwei Worte und eine ganze Welt. Die Worte heißen:

„Et après —?[45]“

Na und —?

Die Welt verachten – das ist sehr leicht und meist ein Zeichen schlechter Verdauung. Aber die Welt verstehen, sie lieben und dann, aber erst dann, freundlich lächeln, wenn alles vorbei ist —: das ist Humor. Courteline, Sie sind „nur“ in der Académie Goncourt gewesen, und nicht in der „großen“ Akademie, nicht in der richtigen – et après? Ich weiß auch, dass manche meiner Landsleute Sie viel lieber haben als manche Franzosen. Die Franzosen, die so sagen: „Ja, aber immer diese Geschichten von Soldaten und von solchen Häusern und von Rauchtabak und dem kleinen Café – das ist gewiss sehr amüsant, ja, ja…“ und dann sprechen sie von ihrer gebildeten Literatur, von ihrer feinen, so psychologischen Literatur. Viele aber lieben Sie.

Ich weiß nicht, ob Ihre Geschichten auf deutsch wirken, und ob das herauskommt, was in ihnen an Weisheit ist, an Güte, an Skeptizismus, an Schmerz, an optimistischer Hoffnungslosigkeit. Wie im „Train de 8 h 47“[46] die Soldaten, die endlich, endlich eine Dienstreise machen dürfen, sich im Coupé benehmen wie die losgelassenen Jungens, unanständige Lieder braven Damen, die einsteigen wollen, ins Gesicht brüllen: Braaaah! – und durch ihr tölpelhaftes Geschrei überhören, dass sie umsteigen müssen und sich verfahren… und wie das alles vor Echtheit blinkt und knallt… wie das fugenlos stimmt! Oder wie in der einzigen Geschichte von den „Ronds-de-Cuir“[47] (den Bureaukraten) der kleine Roman auf der Erde anhebt, ganz real, o so wirklich! und sich dann langsam in den hellen Wolken des Wahnsinns verliert, um wieder zurückzukehren… Möglich, dass man das überhaupt nicht übersetzen kann, nur nachdichten, vor allem: nur nachfühlen. „Un homme de mon age…!“[48] protestiert ein Beamter während eines Streites. Und der Gegner: „Taisez-vous, homme de votre age!“[49] Das ist ein blitzender Kreisel an Ironie. Wie in den zahllosen Ausgaben der kleinen Szenen („Théâtre“) fast in jedem Dialog, fast in jeder kleinen Szene ein Satz, eine Wendung weit, weit über den Ulk hinausgeht, wie auf einmal ein Herz klopft, wo eben nur noch ein lachender Mund war – das bringt uns Deutschen den Courteline so nahe. Ich habe „Boubouroche“[50] in der „Comédie Française“ gesehen und habe auf die Bühne springen wollen, den Leuten zu sagen, wie man das spielt. Also fühlen wir es anders, also legen wir in diese Vase andre Blumen hinein – und wenn sie tausendmal nicht auf französischem Boden gewachsen sind: Victor Arnold hat den Boubouroche gespielt, und da wollen wir eine kleine Minute Schweigen einlegen.

Ja, Courteline. Alles, was ich von ihm weiß, entspricht genau seinem Wappenspruch. Er war unneugierig, er schrieb nicht sehr viel, man durfte ihn, wenn man will, getrost faul nennen – aber das, was er gemacht hat, ist voll von Leben. Und bei allem Gefühl für das nötige Pathos, das um eine Geburt, um einen Schicksalsschlag, um Geld und um den Tod ist, er ist so schön pathoslos. Es ist nicht die flaue und billige Überlegenheit des Spießers – es ist die echteste Überlegenheit des großen Künstlers.

Sie malen und malen. Sie dichten, komponieren, schmieren Papier voll und streiten sich um Richtungen, das muss sein. Sie sind expressionistisch und supranaturalistisch; sie sitzen neben dicken Damen auf dem Sofa, kriegen plötzlich lyrische Kalbsaugen und sprechen mit geziertem Mündchen, sie sind feige und lassen sich verleugnen oder lügen telephonisch; sie dirigieren Sinfonien und fangen einen kleinen Weltkrieg an, und sie haben für alles eine Terminologie. Welche Aufregung —! Welcher Eifer —! Welcher Trubel —! Horch sie leben.

Du aber, Georges Courteline, sitzt wie ein Buddha, eine Handbreit über der Erde, die du so genau kennst, träumst Tarock und hörst schläfrig aus dem Nebenraum des kleinen Cafés die Billardkugeln klappern. Zu Hause wartet deine Frau – die gute. Es ist spät, nun wirst du bald heimgehen. Aus einem Augenwinkel aber, man sollte es gar nicht glauben, blitzt es wie ein Blick über die Erde, weit über die Erde, über die Académie Française, die so fein ist, und über die kleinen Damen der Straße, die gar nicht fein sind – du hörst das Leben. Und ein Lächeln rieselte dünn unter deinem Schnurrbart hinweg. Du denkst deinen Wappenspruch. Du denkst:

„Et après? Na und —?“

Übungen zur Erzählung

I. Übersätzen Sie ins Deutsch:

1. Сегодня я буду смотреть конкурс, в котором участвует моя любимая певица. Я надеюсь, она получит первый приз.

2. Мы остановимся в отеле или в хостеле, смотря по обстоятельствам.

3. Что здесь происходит?

4. Твой друг как раз собирался рассказать тебе об этом.

5. Затыкать другому рот очень неприлично.

II. Welches Wort fehlt?

1. Für seine Hochzeit wünschen sie alles erster _____________; der Preis spielt keine Rolle.

2. Es gibt so viel, was Menschen aus verschiedenen Ländern _________ bringt.

3. Jahr ______ Jahr kauft er zum Weihnachten Apfelsinen und Zitronen.

4. Du findest nichts hier, du ______________ bloß die Zeit!

5. Dieser Film ist ein Schreckenskabinett. Mir traten vor Angst die Augen aus ihren __________ .

III. Wählen Sie die richtige Form:

1. Alles, was ich mit-von-über ihn wusste, war dass er aus Frankreich kam.

2.Meine Zwillinge haben aus-auf-an Kindesalter noch nicht herausgekommen. Sie sind erst vier Jahre alt.

3. Begnügst du dich von-nach-mit einem Geringem?

4. Was glaubst du an-zu-bei?

5. Siehst du die schöne Kirche an-am-auf dem rechten Ufer?

Schlüssel zur Übungen:

I.

1. Heute werde ich den Wettbewerb zuschauen, an den meine Lieblingssängerin teilnimmt. Ich hoffe, dass sie den ersten Preis bekommt.

2. Wir werden uns im Hotel oder in einer Herberge aufhalten, je nach den Umständen.

3. Was geht hier vor?

4. Dein Freund war grade im Begriffe, dir darüber zu erzählen.

5. Es ist unanständig, einem anderen den Mund zu verbieten.

II.

1. Range

2. nahe

3. um

4. vertrödelst

5. Höhlen

III.

1. von

2. aus

3. mit

4. an

5. auf

Gesunde und kranke Nerven

Versuchen wir die drei großen Systeme: Freud – Adler – Jung möglichst kurz in ihrem innern Wesen (nicht in ihren ausgesprochenen Lehren) zu fassen, so könnte man vielleicht sagen:

In Freuds Forschungsarbeit spürt man überall den heißen Atem der Großstadt. Die Überhelle, die blendende Dialektik gehört dazu. Ein die andern nicht ruhenlassender, selbst nie ruhender Großstadt-Faust.

In der Adlerschen Schule ist überall Kleinstadt; jeder sieht dem Nachbar in die Fenster und kontrolliert eifersüchtig dessen Lebensstandard – wobei die Geltung bei dem andern das Entscheidende ist. Anheimelnde Düfte der Mittelstandsküche in allen Gassen.

Mit Jung ist man weder in der Großstadt noch in der Kleinstadt, da ist man in frischer freier Alpenluft. Der Mensch als Bergwanderer nimmt zwar zeitweilig einen Führer, im übrigen aber ist er auf sich selbst und die eigne Kraft gestellt[51] – neben ihm Fels und Erde, über ihm strahlender Himmel und kraftspendende Sonne.“

Diese brillante Charakteristik findet sich in einer kleinen Schrift: „Gesunde und kranke Nerven“ von Doktor L. Paneth (erschienen in Max Hesses Verlag, Berlin-Schöneberg). Solcher populärer Bücher über diesen Gegenstand gibt es viele – so eines wie dieses habe ich noch nie gesehn.

***

Man muss den abscheulichen Missbrauch des psychiatrischen Vokabulariums wie übrigens den Missbrauch jeder Fachterminologie in Betracht ziehen, um die Reife und Klarheit, die Sauberkeit und gelassene Überlegenheit zu würdigen, die in diesem Bändchen zu finden ist. Es ist ein A-B-C-Buch, aber nichts ist schwerer zu schreiben als ein Lehrbuch. Lehren heißt: vom innern Reichtum abgeben; man muss am Ende stehen, wenn man andern den Anfang zeigen will.

Paneth, ein berliner Nervenarzt, erklärt zunächst die zeitgegebenen[52] Vorbedingungen der Nervosität und deren, Jahrgänge 1910–1930. Da ist nichts außer Acht gelassen[53], und alles ist gesagt: die wirtschaftlichen Umstände, die große Stadt, die Unrast und die Maschine. Es ergibt sich daraus[54], dass die landesüblichen Neurosen viel mehr schematisiert sind als ihre Besitzer glauben, die sich alle so einmalig vorkommen. Sicherlich sind ihre falschen seelischen Schaltungen untereinander ein wenig verschieden, aber sie lassen sich doch fast alle auf einen Generalnenner bringen[55]. Paneth tut das, ohne zu schematisieren. Man kann, sagt er, die gegebenen Zeitumstände zwar nicht ausradieren – man kann sie aber, soweit es sich nicht um unmittelbare Not[56] handelt, teilweise überwinden. Herein…? Ein Unentwegter.

„Guten Tag. Nervenkrankheiten? Bürgerliche Krankheiten. Kleinbürgerliche Vorurteile. Ihr Arzt ist ein Kleinbürger. Sie sind auch einer. Wenn der Fünfjahresplan durchgeführt wird, hört diese Schweinerei von selbst[57] auf. Paneth läßt die gesamtwirtschaftliche Situation schon rein dialektisch außer Acht; seine Folgerungen sind grobe, durch die Beschränktheit des bürgerlichen Gesichtskreises bedingte Fehler. Nur die materialistisch-dialektische Methode… die soziale Psychologie… die kapitalistische Produktion…“

Legen Sie es bitte solange auf den Stuhl. Denn so sehr wir gegen jene üble Anschauung Front machen[58], die die Wirtschaft ignoriert und so tut oder so tun möchte, als gebe es nur die „reine Seele“, eine Anschauung, die nichts von der materiellen Not, nichts vom Leid der Proletarier, nichts von den Ursachen dieser Not weiß: so sehr ist es an der Zeit, den Unentwegten mitzuteilen, dass man den Marxismus nicht wie eine Käseglocke über die Welt stülpen kann. Er deckt sie nicht. Ihr habt aus ihm eine dogmatische Religion gemacht. Wir machen das nicht mit.

Denn die Frage, die einmal durch einen Diskussionsredner aufgeworfen wurde: „Psychoanalyse oder Marxismus?“ ist etwa so intelligent gestellt wie die Antithese: Universität oder Krankenhaus? Kranke gehören in ein Krankenhaus, Studenten auf eine Universität. Die Kreise schneiden sich gar nicht.

Und hier steckt der ungeheure Fehler[59], der unsereinen veranlasst, dauernd nach zwei Seiten sehen zu müssen.

Nach rechts, wo die Bürger stehen, die alles, was auf der Welt geschieht, nur an ihren wirtschaftlichen Interessen messen, Leute, die diese ungeheure Hetze gegen Russland inszenieren, Menschen, denen noch die dümmste Nachricht über Russland willkommen ist, weil der Bolschewismus ihr geronnenes schlechtes Gewissen darstellt, und die jedes von den unsäglichen deutschen Provinzzeitungen abgedruckte Schauertelegramm über Stalin mit einem Aufatmen lesen: „Gottseidank. Also brauchen wir die Löhne nicht zu erhöhen. Also ist unser Bankkonto richtig. Lasset uns beten.“ Sie werden auch diese Vorbehalte so auffassen. Sie haben die Philosophie ihres Geldes.

Und nach links müssen wir sehen, wo unentwegte Marxisten mit einer sicherlich großen Theorie alles heilen wollen: die Krankheiten und die echten Seelennöte, an denen jeder von uns zu tragen hat, die Neurosen, die aus dem Wirtschaftlichen herrühren, und jene geistigen Betriebsstörungen, die ewig sind wie die Welt. Die fanatische Wut, womit jede Andeutung abgelehnt wird, dass es vielleicht auch noch außerhalb der marxistischen Gedankengänge etwas gebe, was für den Menschen von Wichtigkeit ist[60], läßt an die verzweifelten Versuche der katholischen Kirche denken, eine stets Neues gebärende Welt zu meistern. Es ist ihr, trotz allem, nicht gelungen. Die unentwegten Marxisten haben die Philosophie ihrer Gesinnung.

Ja, also Paneth. Die Heilmittel, die er für den Neurotiker dieser Epoche gibt, sind klein; er sagt das auch, denn es gibt nicht allzuviele solcher Medizinen. Es sind ganz einfache Dinge dabei, über die nur jemand spötteln kann, der nicht weiß, was Turnen und Atmen, was Meditation und was der Körper ist. Das hat die Arbeitersportbewegung längst erkannt; es gibt da bereits außerordentlich vernünftige Anweisungen und Belehrungen, wie man wenigstens der kleinern Übel[61] Herr werden kann. In dem Augenblick, wo ein Unternehmer oder eine Gewerkschaft versuchen, solche Winke dazu zu missbrauchen, sie unter der Marke „Dienst an der Gemeinschaft“ an Stelle des Klassenkampfes zu setzen, ist die schärfste Abwehr am Platz. Lediglich als Hilfsmittel aber ist dergleichen erlaubt.

Paneth spricht dann über die Neurosen des Geschlechtslebens in musterhafter und vorbildlich ruhiger Weise; wie denn überhaupt dieses Buch eine Geisteshaltung aufweist, die in Deutschland so ungeheuer selten ist: es ist gelassen. Paneth sagt, wie es ist; er versucht, Anweisungen zu geben, aus seelischen Schwierigkeiten herauszukommen, und eine gute Diagnose ist ja oft eine halbe Heilung, besonders im Sexuellen. Herein…? Ein Hitler-Mann.

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