2 Und er warb nicht ganz vergebens, denn Hans, der übrigens eine gewisse Überlegenheit an ihm achtete (ценил, уважал в нем определенное, некоторое превосходство = видел, что Тонио кое в чем его превосходит), eine Gewandtheit (ловкость, находчивость, изворотливость) des Mundes, die Tonio befähigte (которая позволяла ему; fähig - способный), schwierige Dinge auszusprechen, begriff ganz wohl, dass hier eine ungewöhnlich starke und zarte Empfindung für ihn lebendig sei (что столкнулся с необычно сильным и нежным чувством: «что здесь для него живет: «является живым» необычно сильное нежное чувство»), erwies sich dankbar (выказывал себя благодарным = был благодарен, умел быть благодарным) und bereitete ihm manches Glück durch sein Entgegenkommen (доставлял ему не раз радость: «некоторую радость» своим дружелюбием: «тем, что шел навстречу»; das Entgegenkommen - предупредительность, любезность) - aber auch manche Pein der Eifersucht (подчас муку ревности), der Enttäuschung und der vergeblichen Mühe, eine geistige Gemeinschaft herzustellen (установить духовную общность). Denn es war das Merkwürdige (примечательным было), dass Tonio, der Hans Hansen doch um seine Daseinsart beneidete (который завидовал его душевному складу, тому, как тот идет по жизни; das Dasein - бытие, существование + die Art - вид, лад), beständig trachtete (постоянно пытался, стремился /книжн./), ihn zu seiner eigenen herüberzuziehen (перетянуть), was höchstens auf Augenblicke (что в лучшем случае на мгновения) und auch dann nur scheinbar gelingen konnte (и даже тогда удавалось не по-настоящему; scheinbar -кажущийся) ...
1 Er machte nicht den Versuch, zu werden wie Hans Hansen, und vielleicht war es ihm nicht einmal sehr ernst mit diesem Wunsche. Aber er begehrte schmerzlich, so, wie er war, von ihm geliebt zu werden, und er warb um seine Liebe auf seine Art, eine langsame und innige, hingebungsvolle, leidende und wehmütige Art, aber von einer Wehmut, die tiefer und zehrender brennen kann als alle jähe Leidenschaftlichkeit, die man von seinem fremden Äußern hätte erwarten können.
2 Und er warb nicht ganz vergebens, denn Hans, der übrigens eine gewisse Überlegenheit an ihm achtete, eine Gewandtheit des Mundes, die Tonio befähigte, schwierige Dinge auszusprechen, begriff ganz wohl, dass hier eine ungewöhnlich starke und zarte Empfindung für ihn lebendig sei, erwies sich dankbar und bereitete ihm manches Glück durch sein Entgegenkommen - aber auch manche Pein der Eifersucht, der Enttäuschung und der vergeblichen Mühe, eine geistige Gemeinschaft herzustellen. Denn es war das Merkwürdige, dass Tonio, der Hans Hansen doch um seine Daseinsart beneidete, beständig trachtete, ihn zu seiner eigenen herüberzuziehen, was höchstens auf Augenblicke und auch dann nur scheinbar gelingen konnte ...
1 «Ich habe jetzt etwas Wundervolles gelesen, etwas Prachtvolles ...» sagte er. Sie gingen und aßen gemeinsam aus einer Tüte Fruchtbonbons (леденцы), die sie beim Krämer Iwersen (у бакалейшика) in der Mühlenstraße für zehn Pfennige erstanden hatten (приобрели, купили). «Du musst es lesen, Hans, es ist nämlich ‘Don Carlos’ von Schiller ... Ich leihe es dir, wenn du willst ...»
2 «Ach nein», sagte Hans Hansen, «das lass nur, Tonio, das passt nicht für mich. Ich bleibe bei meinen Pferdebüchern, weißt du. Famose Abbildungen (классные иллюстрации) sind darin, sage ich dir. Wenn du mal bei mir bist, zeige ich sie dir. Es sind Augenblicksphotographien (моментальные снимки), und man sieht die Gäule im Trab (лошадей, идущих рысью; der Trab - рысь /бег лошади/) und im Galopp und im Sprunge, in allen Stellungen, die man in Wirklichkeit gar nicht zu sehen bekommt (которые обычно невозможно увидеть, не видишь), weil es zu schnell geht ...»
3 «In allen Stellungen?» fragte Tonio höflich. «Ja, das ist fein (здорово, прекрасно). Was aber ‘Don Carlos’ betrifft, so geht das über alle Begriffe (этого даже словами не скажешь, это превосходит все мыслимое: «это идет через, превышает все понятия, понимания»). Es sind Stellen darin, du sollst stehen, die so schön sind, dass es einem einen Ruck gibt (дает толчок = которые как удар в сердце, которые потрясают), dass es gleichsam knallt (словно /нечто/ щелкает /бичом/) ...»
4 «Knallt es?» fragte Hans Hansen ... «Wieso?»
5 «Da ist zum Beispiel die Stelle, wo der König geweint hat, weil er von dem Marquis betrogen ist ... aber der Marquis hat ihn nur dem Prinzen zuliebe (ради принца) betrogen, verstehst du, für den er sich opfert. Und nun kommt aus dem Kabinett in das Vorzimmer die Nachricht, dass der König geweint hat. 'Geweint?' 'Der König geweint?' Alle Hofmänner sind fürchterlich betreten (ужасно смущены, растеряны, подавлены), und es geht einem durch und durch (а тебя прямо в дрожь бросает, а тебя прямо пронизывает все это; durch und durch - насквозь, совершенно), denn es ist ein schrecklich starrer (напреклонный: «неподвижный, застывший») und strenger König. Aber man begreift es so gut, dass er geweint hat, und mir tut er eigentlich mehr Leid als der Prinz und der Marquis zusammengenommen. Er ist immer so ganz allein und ohne Liebe, und nun glaubt er einen Menschen gefunden zu haben, und der verrät ihn ...»
6 Hans Hansen sah von der Seite in Tonios Gesicht, und irgend etwas in diesem Gesicht musste ihn wohl dem Gegenstande gewinnen (что-то в этом лице, видимо, расположило его в пользу темы: «предмета»), denn er schob plötzlich wieder seinen Arm unter den Tonios und fragte:
7 «Auf welche Weise verrät er ihn denn, Tonio?»
8 Tonio geriet in Bewegung (оживился: «пришел в движение»).
9 «Ja, die Sache ist (дело в том)», fing er an, «dass alle Briefe nach Brabant und Flandern ... »
10 «Da kommt Erwin Jimmerthal», sagte Hans.
1 «Ich habe jetzt etwas Wundervolles gelesen, etwas Prachtvolles ...» sagte er. Sie gingen und aßen gemeinsam aus einer Tüte Fruchtbonbons, die sie beim Krämer Iwersen in der Mühlenstraße für zehn Pfennige erstanden hatten. «Du musst es lesen, Hans, es ist nämlich ‘Don Carlos’ von Schiller ... Ich leihe es dir, wenn du willst ...»
2 «Ach nein», sagte Hans Hansen, «das lass nur, Tonio, das passt nicht für mich. Ich bleibe bei meinen Pferdebüchern, weißt du. Famose Abbildungen sind darin, sage ich dir. Wenn du mal bei mir bist, zeige ich sie dir. Es sind Augenblicksphotographien, und man sieht die Gäule im Trab und im Galopp und im Sprunge, in allen Stellungen, die man in Wirklichkeit gar nicht zu sehen bekommt, weil es zu schnell geht ... »
3 «In allen Stellungen?» fragte Tonio höflich. «Ja, das ist fein. Was aber ‘Don Carlos’ betrifft, so geht das über alle Begriffe. Es sind Stellen darin, du sollst stehen, die so schön sind, dass es einem einen Ruck gibt, dass es gleichsam knallt ... »
4 «Knallt es?» fragte Hans Hansen ... «Wieso?»
5 «Da ist zum Beispiel die Stelle, wo der König geweint hat, weil er von dem Marquis betrogen ist ... aber der Marquis hat ihn nur dem Prinzen zuliebe betrogen, verstehst du, für den er sich opfert. Und nun kommt aus dem Kabinett in das Vorzimmer die Nachricht, dass der König geweint hat. 'Geweint?' 'Der König geweint?' Alle Hofmänner sind fürchterlich betreten, und es geht einem durch und durch, denn es ist ein schrecklich starrer und strenger König. Aber man begreift es so gut, dass er geweint hat, und mir tut er eigentlich mehr Leid als der Prinz und der Marquis zusammengenommen. Er ist immer so ganz allein und ohne Liebe, und nun glaubt er einen Menschen gefunden zu haben, und der verrät ihn ... »
6 Hans Hansen sah von der Seite in Tonios Gesicht, und irgend etwas in diesem Gesicht musste ihn wohl dem Gegenstande gewinnen, denn er schob plötzlich wieder seinen Arm unter den Tonios und fragte:
7 «Auf welche Weise verrät er ihn denn, Tonio?»
8 Tonio geriet in Bewegung.
9 «Ja, die Sache ist», fing er an, «dass alle Briefe nach Brabant und Flandern ...»
10 «Da kommt Erwin Jimmerthal», sagte Hans.
1 Tonio verstummte. Möchte ihn doch, dachte er, die Erde verschlingen (чтоб ему провалиться: «вот бы его земля проглотила»), diesen Jimmerthal! Warum muss er kommen und uns stören! Wenn er nur nicht mit uns geht (только бы он не пошел с нами) und den ganzen Weg von der Reitstunde spricht ... Denn Erwin Jimmerthal hatte ebenfalls Reitstunde. Er war der Sohn des Bankdirektors und wohnte hier draußen vorm Tore. Mit seinen krummen Beinen und Schlitzaugen (узкими, раскосыми глазами; der Schlitz - /узкая/ щель, прорезь) kam er ihnen, schon ohne Schulmappe, durch die Allee entgegen.
2 «Tag, Jimmerthal», sagte Hans. «Ich gehe ein bisschen mit Kröger ...»
3 «Ich muss zur Stadt», sagte Jimmerthal, «und etwas besorgen. Aber ich gehe noch ein Stück mit euch ... Das sind wohl Fruchtbonbons, die ihr da habt? Ja, danke, ein paar esse ich. Morgen haben wir wieder Stunde, Hans.» - Es war die Reitstunde gemeint.
4 «Famos!» sagte Hans. «Ich bekomme jetzt die ledernen Gamaschen (кожаные гетры), du, weil ich neulich die Eins im Exerzitium hatte (недавно, в последний раз я получил пятерку за езду; das Exerzitium - упражнение /устар./)...»
5 «Du hast wohl keine Reitstunde, Kröger?» fragte Jimmerthal, und seine Augen waren nur ein Paar blanker Ritzen (блестящие щелочки; der Ritz, die Ritze - щель; царапина) ...
6 «Nein ...», antwortete Tonio mit ganz ungewisser Betonung (с совершенно неопределенным выражением; die Betonung - ударение, акцентирование; betonen - подчеркивать, выделять).
7 «Du solltest», bemerkte Hans Hansen, «deinen Vater bitten, dass du auch Stunde bekommst, Kröger.»
8 «Ja ...», sagte Tonio zugleich hastig und gleichgültig. Einen Augenblick schnürte sich ihm die Kehle zusammen (у него сдавило горло), weil Hans ihn mit Nachnamen angeredet hatte; und Hans schien dies zu fühlen, denn er sagte erläuternd (поясняя):
9 «Ich nenne dich Kröger, weil dein Vorname so verrückt ist, du, entschuldige, aber ich mag ihn nicht leiden (оно мне не нравится: «не могу его терпеть»). Tonio ... Das ist doch überhaupt kein Name. Übrigens kannst du ja nichts dafür (ты ведь в этом не виноват, ты-то тут не при чем), bewahre (конечно; /Gott/bewahre - Боже упаси, вот уж нет)!»
10 «Nein, du heißt wohl hauptsächlich so (тебя, видимо: «в основном», так назвали), weil es so ausländisch klingt und etwas Besonderes ist ...», sagte Jimmerthal und tat, als ob er zum Guten reden wollte (который словно бы хотел загладить /впечатление от сказанного/; zum Guten reden - аппелировать к разуму, к добрым чувствам).
11 Tonios Mund zuckte. Er nahm sich zusammen (взял себя в руки) und sagte:
12 «Ja, es ist ein alberner Name (дурацкое имя), ich möchte, weiß Gott, lieber Heinrich oder Wilhelm heißen, das könnt ihr mir glauben. Aber es kommt daher (но так получилось потому, но это происходит от того), dass ein Bruder meiner Mutter, nach dem ich getauft worden bin, Antonio heißt; denn meine Mutter ist doch von drüben (оттуда /издалека/ = нездешняя) ...»
13 Dann schwieg er und ließ die beiden von Pferden und Lederzeug (и шорных изделиях) sprechen. Hans hatte Jimmerthal untergefasst (взял под руку) und redete mit einer geläufigen Teilnahme (с привычным сочувствием, с обычно проявляемым им к этому предмету интересом; geläufig - употребительный, привычный, известный; бегло, быстро), die für ‘Don Carlos’ niemals in ihm zu erwecken gewesen wäre ... Von Zeit zu Zeit fühlte Tonio, wie der Drang zu weinen (желание, позыв плакать; der Drang - натиск, напор; порыв) ihm prickelnd (покалывая, пощипывая; prickeln - пениться, пузыриться; покалывать, пощипывать) in die Nase stieg; auch hatte er Mühe, sein Kinn in der Gewalt zu behalten (сохранить во власти), das beständig ins Zittern geriet (который постоянно = то и дело начинал дрожать: «впадал в дрожание») ...
14 Hans mochte seinen Namen nicht leiden, - was war dabei zu tun (что тут поделаешь)? Er selbst hieß Hans, und Jimmerthal hieß Erwin, gut, das waren allgemein anerkannte Namen, die niemand befremdeten. Aber ‘Tonio’ war etwas Ausländisches und Besonderes. Ja, es war in allen Stücken etwas Besonderes mit ihm, ob er wollte oder nicht, und er war allein und ausgeschlossen von den Ordentlichen und Gewöhnlichen (исключен, отделен от добропорядочных и обыкновенных; ordentlich - аккуратный, порядочный, честный), obgleich er doch kein Zigeuner im grünen Wagen war, sondern ein Sohn Konsul Krögers, aus der Familie der Kröger ... Aber warum nannte Hans ihn Tonio, solange sie allein waren, wenn er, kam ein dritter hinzu, anfing, sich seiner zu schämen? Zuweilen war er ihm nahe und gewonnen (благорасположен), ja. Auf welche Weise verrät er ihn denn, Tonio? hatte er gefragt und ihn untergefasst. Aber als dann Jimmerthal gekommen war, hatte er dennoch erleichtert aufgeatmet, hatte ihn verlassen und ihm ohne Not seinen fremden Rufnamen vorgeworfen (без нужды попрекнул его его иностранным именем). Wie weh es tat, dies alles durchschauen zu müssen! ... Hans Hansen hatte ihn im Grunde ein wenig gern (в принципе его немного любит = неплохо к нему относится), wenn sie unter sich waren (когда они были одни, с глазу на глаз), er wusste es. Aber kam ein dritter, so schämte er sich dessen (стыдился, устыдился этого) und opferte ihn auf (жертвовал, пожертвовал им). Und er war wieder allein. Er dachte an König Philipp. Der König hat geweint ...
15 «Gott bewahre», sagte Erwin Jimmerthal, «nun muss ich aber wirklich zur Stadt! Adieu, ihr, und Dank für die Fruchtbonbons!» Darauf sprang er auf eine Bank, die am Wege stand, lief mit seinem krummen Beinen darauf entlang und trabte davon (и рысцой убежал).
1 Tonio verstummte. Möchte ihn doch, dachte er, die Erde verschlingen, diesen Jimmerthal! Warum muss er kommen und uns stören! Wenn er nur nicht mit uns geht und den ganzen Weg von der Reitstunde spricht ... Denn Erwin Jimmerthal hatte ebenfalls Reitstunde. Er war der Sohn des Bankdirektors und wohnte hier draußen vorm Tore. Mit seinen krummen Beinen und Schlitzaugen kam er ihnen, schon ohne Schulmappe, durch die Allee entgegen.
2 «Tag, Jimmerthal», sagte Hans. «Ich gehe ein bisschen mit Kröger ...»
3 «Ich muss zur Stadt», sagte Jimmerthal, «und etwas besorgen. Aber ich gehe noch ein Stück mit euch ... Das sind wohl Fruchtbonbons, die ihr da habt? Ja, danke, ein paar esse ich. Morgen haben wir wieder Stunde, Hans.» - Es war die Reitstunde gemeint.
4 «Famos!» sagte Hans. «Ich bekomme jetzt die ledernen Gamaschen, du, weil ich neulich die Eins im Exerzitium hatte ...»
5 «Du hast wohl keine Reitstunde, Kröger?» fragte Jimmerthal, und seine Augen waren nur ein Paar blanker Ritzen ...
6 «Nein ...», antwortete Tonio mit ganz ungewisser Betonung.