Wir hätten den Fluß eigentlich schon längst erreicht haben müssen, aber er bildete gerade hier einen weiten Bogen, auf dessen innerer Seite wir uns befanden, und erst gegen Abend mehrten sich die Anzeichen, daß wir uns dem Wasser näherten. Nun bewegten wir uns noch langsamer vorwärts als bisher, und das war gut, denn bald hörte ich eine rufende Stimme, welcher eine andere antwortete. Wir waren in der Nähe der Comantschen angekommen, und ich huschte zu meinen Gefährten zurück, um sie anhalten zu lassen und für uns ein Versteck zu suchen.
Es war bald ein passender Ort gefunden, wo wir die Pferde und auch Perkins anbanden. Dieser Mann war uns, wie wohl eigentlich gar nicht erwähnt zu werden braucht, außerordentlich hinderlich; er erschwerte uns alles; wie aber hätten wir uns seiner erledigen können, ohne härter zu sein, als unumgänglich nötig war, oder ohne uns durch ihn in Gefahr zu bringen? Er hatte uns zwar seine Hilfe angeboten, und es war auch ganz möglich, daß er es ehrlich meinte; aber das dazu nötige Vertrauen konnten wir ihm doch unmöglich schenken. Als wir ihn und die Pferde gut untergebracht hatten, erkundigte sich Jim Snuffle:
»Was thun wir nun, Sir? Wir haben jetzt unter den Bäumen grad noch den rechten Tagesschein, bei dem es sich vortrefflich spionieren läßt, ohne daß man von weitem gesehen werden kann. Wißt Ihr sicher, daß die Roten in der Nähe sind?«
»Ja. Ich hörte zwei von ihnen, welche einander zuriefen.«
»Sollte mich sehr wundern. Habt Ihr nicht vielleicht falsch gehört?«
»Nein. Es waren menschliche Stimmen.«
»Wahrscheinlich von Weißen!«
»Nein. Gäbe es ja Weiße hier, so würden sie sich bei den gegenwärtigen Verhältnissen sehr hüten, so laut zu sein.«
»Aber die Indianer pflegen doch auch nicht so zu brüllen, daß man es meilenweit hört!«
»Von Brüllen und meilenweit ist auch gar keine Rede. Wenn die zwei einander zuriefen, so ist mir das ein sehr willkommenes Zeichen davon, daß sie sich sicher fühlen und keinen andern Menschen in der Nähe vermuten. Unser Werk wird uns dadurch wahrscheinlich sehr erleichtert.«
»Well, gehen wir also an dieses Werk! Wollen wir sie beschleichen?«
»Das müssen wir allerdings. Das Notwendigste ist ja, zu wissen, wo sie sich befinden; erst dann läßt sich sagen, ob man etwas wagen darf oder nicht.«
»Schön! Machen wir uns also auf den Weg!«
»Wir? Wen meint Ihr mit diesem Worte?«
»Euch und mich natürlich. Mein alter Tim muß hier bei dem Gefangenen bleiben.«
»Hm! Ich würde vorziehen, allein gehen zu können.«
»Allein? Ich nicht mit? Traut Ihr mir vielleicht nichts zu?«
»Davon ist keine Rede; aber es ist meine Angewohnheit, mit dem, was ich selbst und allein thun kann, keinen andern zu belästigen.«
»Belästigen! Was für ein Wort! Glaubt getrost, daß ich im Beschleichen etwas leiste! So von hinten an einen Roten zu kommen, ohne daß er es ahnt, das ist für mich das höchste der Gefühle. Es würde mich ungeheuer kränken, von Euch zurückgewiesen zu werden. Ich gehe mit; mein Bruder bleibt da.«
»No,« antwortete Tim, ganz wider Jims Erwarten.
»Nicht? Was fällt dir ein! Es muß doch einer bei dem Gefangenen bleiben?
»Yes.«
»Das bist du.«
»No.«
»Wer denn?«
»Du.«
»Ich? Bist du toll? Jim Snuffle soll sitzen bleiben, wenn es gilt, diesen roten Halunken einen Streich zu spielen!«
»Tim Snuffle bleibt auch nicht sitzen!«
»Du mußt! Ich habe das Vorrecht, denn ich bin der Aeltere.«
»Bist nur fünf Minuten älter als ich, und so eine kurze Zeit gilt nichts. Zwillinge sind stets gleich alt; ich laß mich nicht hofmeistern und gehe auch mit. Will auch einmal der Aeltere sein!«
Das war für den guten Tim eine lange, sehr lange Rede. So viel hatte er wohl seit Jahren nicht zusammenhängend gesprochen; darum holte er nach dem letzten Worte tief und kräftig Atem. Jim war für kurze Zeit still. Die Verwunderung über die plötzliche Redseligkeit seines Bruders raubte ihm die Sprache; dann aber stieß er um so energischer hervor:
»Ich glaube gar, du willst dich gegen mich empören, der ich in aller Wahrheit und Wirklichkeit der Erstgeborene bin! Das fehlte noch! Dieser kleine Nesthocker will mir Vorschriften machen! Ich gehe, und du bleibst!«
»No.«
»Yes, sage ich. Auf dein No wird nicht gehört!«
Die sonderbaren Zwillinge begannen in ihrer Erregung laut zu werden. Ich machte sie darauf aufmerksam und schlug ihnen vor, mich allein gehen zu lassen, dann sei der Streit entschieden, ohne daß einer übervorteilt werde. Aber Jim ging nicht darauf ein; er wollte, das wußte ich wohl, mir seine Geschicklichkeit beweisen; das war mir gar nicht lieb, aber ich durfte ihn nicht beleidigen und gab darum schließlich meine Zustimmung. Tim sagte gar nichts mehr dazu; aber diese Stille kam mir nicht recht geheuer vor; darum fragte ich ihn:
»Ihr habt doch nicht etwa eine Heimlichkeit vor, Mr. Snuffle?«
»No,« antwortete er mürrisch.
»Ihr seid einverstanden, daß Euer Bruder geht?«
»Yes.«
»So bin ich beruhigt. Es wäre höchst fatal und gefährlich, wenn einer etwas unternähme, wovon die andern nichts wissen dürfen. Das könnte nicht nur alles verderben, sondern uns sogar Freiheit und Leben kosten.«
»Macht Euch keine solche Gedanken!« beruhigte mich Jim. »Habt gar keinen Grund dazu. Dieser Tim getraut sich nichts ohne mich; ist auch viel zu jung dazu; volle fünf Minuten jünger; denkt Euch nur! Der bleibt gern ruhig sitzen, bis wir wiederkommen. Nun aber wollen wir ja nicht länger warten, weil es sonst zu dunkel wird.«
»Gut! Also Mr. Snuffle, haltet gut Wache, und verlaßt diesen Ort ja nicht eher, als bis wir zurückgekehrt sind. Ich übergebe Euch hier meine beiden Gewehre, weil sie mich behindern würden.«
Er nahm, ohne ein Wort zu sagen, den Bärentöter und den Stutzen in Empfang, und ich ging mit Jim fort.
Es war während des Wortgefechtes so düster geworden, daß man nicht mehr ganz deutlich sehen konnte. Wir hatten also jetzt noch nicht nötig, uns auf die Erde zu legen und uns kriechend fortzubewegen, sondern wir blieben aufrecht und huschten von Baum zu Baum der Gegend zu, in welcher ich die Stimmen gehört hatte. Wie viel, viel lieber wäre ich allein gewesen! Ich hatte von den beiden Snuffles zwar als von ganz guten Westmännern gehört, doch zwischen Westmann und Westmann ist ein Unterschied. Mochten sie sich in gewöhnlichen und meinetwegen zuweilen auch in ungewöhnlichen Verhältnissen bewährt haben, hier galt es mehr als Ungewöhnliches; jeder Augenblick, die geringste Unvorsichtigkeit konnte über das Leben der gefangenen Bleichgesichter und auch über das unserige entscheiden; darum mahnte ich Jim jetzt nochmals zur äußersten Vorsicht.
»Habt keine Angst um mich,« antwortete er flüsternd. »Habe noch andere Sachen durchgemacht, als solche Leichtigkeit, wie jetzt.«
Das sollte mich beruhigen, aber dadurch, daß er es so leicht nahm, erreichte er das Gegenteil, und ich nahm mir vor, ihn ja nicht etwas vornehmen zu lassen, was wahrscheinlich über seine Kräfte ging.
Zunächst schien seine Ansicht, daß unser Unternehmen ein leichtes sei, sich bewahrheiten zu wollen. Wir kamen weiter und weiter, ohne durch irgend eine Fährlichkeit aufgehalten zu werden; wir erreichten sogar das hohe Ufer des Flusses, ohne eine Spur von den Roten bemerkt zu haben. Ich sage mit Absicht »das hohe Ufer«, denn was wir jetzt nicht sahen, entdeckten wir bald darauf, nämlich daß das jetzt fast ausgetrocknete Flußbette ziemlich tief unter uns lag.
Es war fast ganz dunkel geworden, dennoch erkannte ich, daß das Ufer da, wo wir standen, einen steilen, kahlen Abrutsch hatte, auf welchem man sich ja nicht weit vorwagen durfte, sonst konnte leicht der Boden unter den Füßen weichen und einen mit hinunternehmen. Wir gingen also so lange am Rande hin, bis der Boden sicherer wurde und wieder Bäume trug; die Uferböschung unter uns war mit Büschen bestanden.
Es war fast ganz dunkel geworden, dennoch erkannte ich, daß das Ufer da, wo wir standen, einen steilen, kahlen Abrutsch hatte, auf welchem man sich ja nicht weit vorwagen durfte, sonst konnte leicht der Boden unter den Füßen weichen und einen mit hinunternehmen. Wir gingen also so lange am Rande hin, bis der Boden sicherer wurde und wieder Bäume trug; die Uferböschung unter uns war mit Büschen bestanden.
»Ihr müßt Euch geirrt haben, Sir,« flüsterte Jim mir zu. »Die Roten sind nicht in dieser Gegend.«
»O doch. Ich habe ihre Stimmen deutlich gehört.«
»So waren sie vorhin da, sind aber nun fort.«
»Nein; sie sind noch hier; ich weiß es ganz genau.«
»Man kann sie aber doch weder sehen noch hören!«
»Das ist wahr; aber ich rieche sie.«
»Riechen? Alle Wetter! Was müßt Ihr da für eine Nase haben!«
»Eine ganz gewöhnliche, die aber gerade für Pferdeduft sehr empfindlich ist. Ich rieche die Pferde der Comantschen.«
»Wo?«
»Sie sind tief unter uns am Wasser.«
»Bis da hinunter reicht Eure Nase?«
»Pshaw! Ihr wißt wohl gar nicht, welche Eigenschaft der Pferdeduft besitzt. Notabene, ich rieche ihn sehr gern. Kommt Ihr in einer großen Stadt an einen Droschkenhalteplatz, so braucht kein Pferd da zu sein, aber der Pferdeduft ist da. Ich wette, um was Ihr wollt, daß
halt, seht Ihrs, daß ich recht habe? Schaut hinab!«
Es war unten am Flusse ein kleiner, glühender Funke zu sehen, welcher sich rasch vergrößerte. Da es dunkel geworden war, brannten die Roten ein Feuer an. Daß sie nicht hier oben auf dem hohen Ufer geblieben waren, konnte man leicht begreifen. Unten gab es ja Wasser für sie und ihre Pferde. Aus dem einen Feuer wurden fünf.
»Das ist gut,« sagte Jim Snuffle. »Da können wir alles sehen, wenn wir uns an sie schleichen.«
»Sie uns aber auch, wenn wir uns nicht sehr in acht nehmen. Ich habe diese Feuer darum gern, weil auch sie uns sagen, daß sich die Comantschen sicher und unbeobachtet fühlen.«
»Wir gehen doch hinab, Mr. Shatterhand?«
»Ja.«
»Dann schlage ich vor, daß wir uns trennen. Ihr steigt da links und ich dort rechts hinunter oder auch umgekehrt. Da beschleichen wir sie von zwei Seiten, und es entgeht uns nichts. Unten treffen wir wieder zusammen.«
Weil ich ihm nicht die nötige Geschicklichkeit und Vorsicht zutraute, antwortete ich:
»Es ist besser, wenn wir beisammen bleiben. Wir steigen hier links hinunter, schleichen uns unten um das Lager und kommen dort rechts wieder herauf. Da sehen wir auch alles und können einander schnell beispringen, wenn einem von uns etwas passieren sollte.«
»Das ist auch richtig, Sir. Also hinab!«
Es war gar nicht leicht, da hinunter zu klettern. Das uns vollständig unbekannte Terrain war sehr steil. An den Büschen, die es da gab, durften wir uns nicht anhalten, weil dies Geräusch verursacht hätte, und jeder Stein, den wir von seinem Platze stießen, konnte, hinabrollend, uns verraten. Darum mußten wir uns außerordentlich in acht nehmen, und der Abstieg ging nur sehr langsam von statten. Es verging mehr als eine halbe Stunde, ehe wir hinunterkamen. Gut war es, daß Jim Snuffle sich bewährte; er hatte gelernt, sich unhörbar zu bewegen. ich kletterte voran, und er hielt sich nahe hinter oder über mir; dennoch mußte ich scharf horchen, wenn ich das leise Geräusch, welches er doch verursachte, hören wollte. Er war aber auch stolz darauf und fragte Mich, als wir auf der Sohle des Flußthales angekommen waren:
»Nun, wie habe ich meine Sache gemacht, Sir?«
»Ich bin zufrieden,« erklärte ich.
»Ihr meint also, daß ich das Anschleichen verstehe?«
»Vom Anschleichen habt Ihr mir doch noch keine Probe gegeben.«
»Nicht?« fragte er langgedehnt und verwundert.
»Nein. Das soll doch jetzt erst losgehen.«
»Jetzt erst? Wie nennt Ihr denn das, was wir bisher gethan haben? War das nicht geschlichen?«
»Gestiegen war es, vielleicht auch geschlichen, aber nicht angeschlichen. Das Anschleichen beginnt mit dem jetzigen Augenblicke. Ich hoffe aber, daß es Euch ebenso gelingt, wie das Herabsteigen. Haltet Euch stets hinter mir, und geht nicht von mir fort!«
»Das ist eigentlich gar nicht notwendig, denn ich bin gewohnt und verstehe es, selbständig zu handeln.«
»Wenn Ihr allein seid oder nur Euern Bruder bei Euch habt, mögt Ihr das thun; jetzt aber bin ich da und wünsche sehr, daß Ihr Euch nach mir richtet.«
»Well, soll geschehen. Ich sage Euch, daß es für mich das höchste der Gefühle ist, mich nach Old Shatterhand zu richten.«
Diese Versicherung beruhigte mich zwar nicht ganz, aber sie war doch geeignet, meine Befürchtungen so ziemlich zu heben.
Wir befanden uns oberhalb der Stelle, an welcher die Indianer lagerten, und mußten uns also abwärts wenden. Das Flußthal war muldenförmig vertieft, senkte sich also nach der Mitte zu und hatte nur soweit Gesträuch, als es vom Hochwasser nicht erreicht werden konnte. Da der Fluß jetzt sehr wasserarm war, gab es zwischen dem Gebüsch und dem Wasser einen freien Streifen, auf den wir uns nicht hinauswagen durften; das Umschleichen der Roten durfte also nicht nach der Wasserseite zu, sondern es mußte in der Weise geschehen, daß wir den Bogen, welcher um das Lager zu schlagen war, an die gefährliche Ufersteilung legten, gewiß eine Aufgabe, welche sehr schwer auszuführen war.
Zunächst legten wir uns nieder und krochen zwischen den Büschen auf das Lager zu. Wir kamen glücklich so nahe an dasselbe, daß wir es überblicken konnten. Die Comantschen hatten sich eine sehr passende Oertlichkeit ausgewählt. Sie lag nämlich tiefer als die Umgebung, und infolgedessen trat das Hochwasser hier bis ganz an die Thalwand heran. Darum gab es hier kein Gesträuch, sondern einen freien Platz, auf welchem auch ein größerer Trupp sich bequem hätte bewegen können. Uns freilich war dieser Umstand höchst unwillkommen, weil er die Schwierigkeiten erhöhte, welche wir zu überwinden hatten.
Die Indsmen waren beim Essen; sie unterhielten sich dabei in einer Weise, daß sie sich vollständig sicher fühlen mußten. In ziemlich gleichgroßen Abteilungen um die fünf Feuer gelagert, konnten sie von uns leicht gezählt werden. Es waren einundsiebenzig. Von ihnen allen fiel der Häuptling wegen seines weißen Haares am meisten auf. Er saß am zweiten Feuer, ungefähr dreißig Schritte von uns entfernt, und da er uns das Gesicht zukehrte, konnte ich dieses ganz deutlich sehen.
»Uff!« stieß ich überrascht, aber natürlich nur leise hervor. »Wenn wir dem in die Hände gerieten, wären wir verloren, selbst wenn er sich nicht auf dem Kriegspfade befände.«
»Kennt Ihr ihn, Sir?« fragte Jim ebenso leise.
»Nur zu gut. Es ist To-kei-chun, einer der gefürchtetsten Häuptlinge der Comantschen.«
»Ein Feind von Euch?«
»Ja. Ich geriet einst mit Winnetou und einigen andern Männern in seine Gefangenschaft, aus welcher wir nur durch meine edle Dreistigkeit entkamen[4]. Es wurde zwischen ihm und mir vereinbart, daß wir zwar fortreiten durften, er uns aber nach einer kurzen Frist mit seinen Kriegern folgen werde. Natürlich ließen wir uns nicht einholen.«
»Höchst interessant, Sir! Das müßt Ihr mir erzählen.«
»Aber nicht jetzt, Mr. Snuffle!«
»Versteht sich ganz von selbst. Jetzt giebt es anderes zu thun, als von Abenteuern schwatzen.«
»Allerdings. Wir können leicht eines erleben.«
»Das wollen wir ja auch. Oder ist es etwa kein Abenteuer, wenn man fünf Gefangene mitten unter siebzig Comantschen herausholt? Seht Ihr sie liegen, dort beim Feuer, an dem der Häuptling sitzt?«
Natürlich sah ich sie. Sie lagen nebeneinander und waren so gefesselt, daß sie sich nicht zu rühren vermochten. Derjenige, welcher uns am nächsten lag, hatte einen starken, schwarzen, herabhängenden Schnurrbart, war also wohl derjenige, der sich Mr. Dschafar nennen ließ.