Im Reiche des silbernen Löwen II - Karl May 9 стр.


»Also doch Neugierde, Sihdi, nichts als Neugierde! Ich fürchtete mich vor deinem Punkte«; zwar weiß ich nicht, ob du schon alles gesagt hast, was du sagen wolltest, aber ich bin jetzt horch! Was war das? Wer hat geschossen?«

Es war allerdings ein Schuß gefallen, vor uns, in der Gegend, wo die Feuer brannten. Und gleich darauf hörten wir einen zweiten. Der stinkende Qualm war nicht mehr so dicht wie vorher; es ging nicht mehr über Menschenkraft, den Geruch zu ertragen. Ich mußte wissen, wer geschossen hatte und weshalb geschossen worden war. Darum schlich ich, ohne Halef aufzufordern, mir zu folgen, mich wieder der Stelle zu, von welcher aus wir vorhin die unsagbar widerliche Scene beobachtet hatten. Der kleine, wackere Hadschi folgte mir aber doch gleich auf dem Fuße. Zwar hatte er sich vorhin von keiner Macht der Erde dazu bewegen lassen wollen, aber mich der Gefahr allein entgegengehen zu lassen, das brachte er doch nicht über das Herz. Ich hinderte ihn nicht daran, obgleich ich es lieber gesehen hätte, wenn er zurückgeblieben wäre.

Als wir unsern frühern Beobachtungspunkt erreichten, war kein Mensch mehr zu sehen. Die Feuer brannten noch, beleuchteten aber nur die verlassene, nach Leichen grausig duftende Stätte, auf welcher noch zahlreiche Sarg- und Körperreste lagen, die den Flammen nicht übergeben worden waren, weil, wie die Schüsse vermuten ließen, der Vorgang ein unerwartetes, vorzeitiges Ende gefunden hatte. Aber von wem waren diese Leute gestört und von welcher Seite war geschossen worden?

Mochte das sein, wie es wollte, ich nahm als gewiß an, daß die dreißig Leichenschänder sich nach der Stelle der Ruinen entfernt hatten, wo nach dem Berichte unsers Bagdader Bimbaschi der Eingang nach den verborgenen Räumen zu suchen war, in denen man ihn gefangen gehalten hatte. Ihnen jetzt dorthin zu folgen, wäre nicht nur zwecklos, sondern wohl gar gefährlich gewesen, weil sie, mochten die zwei Schüsse von dieser oder von jener Seite gefallen sein, sich nun jedenfalls außerordentlich vorsichtig verhielten und wir ihnen also sehr leicht in die Hände laufen konnten. Darum hielt ich es für geraten, den Platz, wo wir uns befanden, einer kurzen Besichtigung zu unterwerfen und alles übrige bis zum Tagesanbruch aufzuschieben. Unserer Sicherheit wegen aber umschlich ich den Platz erst einmal in sehr vorsichtiger Weise und überzeugte mich, daß sich außer uns beiden niemand in seiner Nähe befand.

Als das geschehen war, durften wir uns an die Feuer heranwagen. Wir thaten das, obgleich der Gestank noch so stark war, daß er uns eigentlich hätte soweit wie möglich forttreiben sollen. Es war mir auf meinen Reisen gar manche schwere Beleidigung meiner Geruchsnerven vorgekommen, wenn ich Verhältnisse berührte, von denen man weder mündlich noch gar schriftlich etwas erzählen darf, aber so schlimm, so unbeschreiblich schlimm wie heut war es noch nie und keinesorts gewesen.

Die Untersuchung des Platzes hatte nur den einen Zweck, womöglich zu erfahren, was sich in den geheimnisvollen Bündeln befunden hatte. Unser Forschen war nicht ohne Resultat; es mußten zwei von ihnen beschädigt gewesen oder die Verschlüsse aufgegangen sein, denn wir sahen an zwei Stellen Proben des Inhaltes, wenn auch nicht viel, an der Erde liegen. Es war Safran, und zwar in Fäden und auch in Pulverform. Als ich diese Bemerkung machte, mußte ich daran denken, daß unser Bimbaschi, der frühere Oberste der Zollbeamten zu uns gesagt hatte: »Jetzt aber würde bei der Höhe des Zolles, der auf ihm liegt, Safran der einträglichste Gegenstand des Schmuggels sein.« Man weiß, daß der orientalische, besonders aber der persische Safran, wenn unverfälscht, von allen Sorten der beste ist; aber seit ich gesehen habe, daß man ihn sogar in den Särgen persischer Schiiten über die dortige Grenze pascht, mag ich von diesem Gewürz nur dann etwas wissen, wenn ich die Überzeugung habe, daß es von unserm abendländischen Crocus sativus gewonnen wurde. Eben machte Halef eine gleichklingende Bemerkung zu mir, als wir durch das Geräusch von Hufschlägen überrascht wurden, welche sich, wie wir hörten, sehr schnell näherten. Es klang, als ob viele Reiter im Trabe geritten kämen. Waren es etwa die Pascher, welche zu Pferde zurückkehrten, um die noch übrigen Reste der Leichen zu verbrennen?

»Sie kommen wieder; sie kommen!« warnte mein Hadschi, indem er mich bei der Hand ergriff, um mich mit sich fortzuziehen. »Schnell, schnell! Wir müssen uns verstecken! Der beste Platz ist da oben auf dem Mauerstück. Ich klettere voran!«

Er ließ mich wieder los und eilte auf einen Ruinenteil zu, welcher die Höhe eines kleinen Hauses und so viele hervorstehende Zacken und Kanten hatte, daß er allerdings leicht zu ersteigen war. Ich freilich hätte mir einen andern Zufluchtsort gewählt, weil dieser im hellen Schein der Feuer lag; doch konnte man, wenn man sich einmal oben befand, nicht gesehen werden, und da Halef bereits am Emporklimmen war und ich es nicht für geraten hielt, mich von ihm, dem leicht Unvorsichtigen, zu trennen, so blieb mir nichts anderes übrig, als sein Beispiel nachzuahmen. Ihn umkehren zu lassen, dazu gab es keine Zeit.

Der betreffende Mauerrest bestand aus meist verglasten Ziegeln, welche mit Asphalt verbunden waren. Dieser Kitt hatte Tausende von Jahren festgehalten; warum sollte man sich ihm nicht auch heut anvertrauen können? Leider aber war seine Zuverlässigkeit eine weit geringere, als ich dachte; das sollten wir zu unserm Schaden erfahren. Halef befand sich schon einige Meter hoch über der Erde, und ich hob eben den Fuß, um ihm nachzusteigen, als der Mauervorsprung, über den er kletterte, losbrach und auf mich herabstürzte. Es war ein mehrere Zentner schweres Stück, weiches mich zu Boden riß und auf mir liegen blieb. Ich hörte den Schreckensruf des Hadschi, welcher natürlich nachstürzte; ich fühlte einige Augenblicke lang die Last auf meiner Brust; dann hörte und fühlte ich nichts mehr, denn ich hatte das Bewußtsein verloren, obgleich ich noch heut behaupte, daß mein Kopf nicht mitgetroffen wurde.

Als ich wieder zu mir kam, war ich zwar von dem Drucke, aber leider nicht auch in anderer Weise frei, denn ich konnte weder die Arme noch die Beine bewegen; sie waren gebunden. Neben mir lag Halef, ebenso gefesselt wie ich. Um uns saßen wohl zwanzig Asakir[29], deren Anführer ein alter verwetterter Kol Agasi[30], war. Sie gehörten zur Kavallerie; ich sah die Pferde in der Nähe stehen. Bei ihnen befanden sich zwei Zivilisten, bei deren Anblick ich sofort wußte, woran ich war, nämlich der Wirt, bei dem wir in Hilleh eingekehrt waren, und der dritte Beduine, dessen zwei Gefährten von unsern Pferden abgeworfen worden waren. Diese guten Menschen hatten uns eine so liebevolle Anhänglichkeit bewahrt, daß sie uns doch noch gefolgt waren, wenn auch nicht gleich, aber doch später, und zwar in militärischer Begleitung. Daraus war zu schließen, daß sie uns angezeigt hatten, ein Umstand, welcher mich auf die Vermutung leitete, daß der Beduine, den wir für ohnmächtig gehalten hatten, nicht bloß bewußtlos, sondern tot gewesen war. Beide hielten die Augen auf uns gerichtet, und sobald ich die meinigen geöffnet hatte, rief der Wirt dem Kol Agasi zu:

»Er ist wach; er hat die Augen auf. jetzt ist es also Zeit, ihn zu verhören!«

Der alte Subalternoffizier bewegte keine Miene und antwortete keine Silbe; aber als die Aufforderung einmal und dann noch einmal wiederholt worden war, wendete er sein Gesicht dem Wirte zu, musterte ihn mit einem Blicke geringschätzigen Staunens und fragte dann:

»Mit wem sprichst du denn eigentlich?«

»Mit dir!« antwortete der Gefragte.

»Mit mir? Das kann ich nicht glauben, denn wenn du mich wirklich meintest, müßte ich dir die Bastonnade geben lassen, weil du mir nicht die Höflichkeit und Achtung zollst, welche ich zu fordern habe.«

»Mit wem sprichst du denn eigentlich?«

»Mit dir!« antwortete der Gefragte.

»Mit mir? Das kann ich nicht glauben, denn wenn du mich wirklich meintest, müßte ich dir die Bastonnade geben lassen, weil du mir nicht die Höflichkeit und Achtung zollst, welche ich zu fordern habe.«

»Aber wenn ich nicht sprechen darf, wozu bin ich euch da mitgegeben worden?«

»Ich mußte euch mitnehmen, um von euch zu erfahren, ob diejenigen, welche wir ergreifen würden, auch wirklich diejenigen seien, welche ihr gemeint habt. Und wer hat dir gesagt, daß du nicht sprechen darfst? Es ist dir nicht verboten; ja, du sollst reden, aber in höflicher Weise und möglichst nur dann, wenn du gefragt wirst.

Das merke dir! Du gehörst nicht zu uns, denn du bist nicht Soldat; ich aber bin Offizier Seiner gebieterischen Herrlichkeit, des Beherrschers aller Gläubigen, welchem Allah ein tausendfaches Leben schenken möge, und wenn du mir etwas mitteilen willst, so darf dies nur in Form einer unterthänigen Bitte geschehen!«

Da fiel der Beduine schnell ein:

»Wenn dieser mein Freund schweigen soll, so werde ich desto lauter sprechen. Ich bin ein freier Ben Arab und habe keinem Soldaten zu gehorchen. Ich verlange, daß die Mörder meines Gefährten, welcher beim Sturze vom Pferde den Hals gebrochen hat, sofort verhört werden!«

»Wer und was bist du?« fragte der Kol Agasi in verächtlichem Tone. »Ich will es dir sagen: Ihr habt euch zwar für Solaib-Araber ausgegeben, seid aber, wie sich herausgestellt hat, Ghasai-Beduinen, und die Angehörigen dieses deines Stammes sind uns als räuberisches Gesindel und Diebe bekannt. Man sollte euch hängen, ohne eine einzige Ausnahme zu machen! Und da behauptest du, ein solcher Ghasai, daß du keinem Soldaten zu gehorchen habest, und willst mir befehlen, was ich thun soll? Mensch, wenn du noch ein einziges Wort zu mir sprichst, ohne dein Haupt in tiefster Ehrfurcht zu verneigen, so zeige ich dir, wer hier zu gebieten und wer zu gehorchen hat!«

»Allah! Du nennst uns Diebe und Gesindel? Ich werde mich augenblicklich entfernen!«

Er machte eine Bewegung, als ob er aufstehen wolle; aber der Kol Agasi befahl ihm:

»Du bleibst! Ihr seid mir mitgegeben worden; ich bin also für euch verantwortlich, denn ich habe euch wiederzubringen. Nötigenfalls werden unsere Kugeln euch verhindern, uns zu entlaufen. jetzt kein Wort mehr, bis ich euch auffordere, zu sprechen! Wir sind tapfere Soldaten des Padischah, dessen Kismet im hellsten Glanze strahlen möge, aber keine Wächter des Zolles, welche Allah verdammt hat, sich von den Abfällen des Schmuggels zu ernähren. Wenn wir heut gezwungen worden sind, einmal in die Fußstapfen der Zöllner zu treten, so haben wir zwar gehorchen müssen, bleiben aber trotzdem, was wir waren.«

»Wir haben euch nicht zugemutet, in diese Fußstapfen zu treten!«

»Das würde euch auch wohl schlecht bekommen sein! Aber es hat sich doch gefügt, daß diejenigen, welche wir fangen sollten, Schmuggler sind, und da wir sie einzuliefern haben, ist es ganz genau dasselbe, als ob wir mit den Obliegenheiten der Zollaufpasser beleidigt worden seien. Nun aber schweig; ich bin fertig mit dir!«

Das Verhalten des Kol Agasi war mir in seinen Gründen nicht ganz klar. Hielt er wirklich so ausschließlich auf seine militärische Ehre, daß ihm der heutige Dienst als eine Beleidigung erschien? Im Grunde genommen konnte mir diese seine Ansicht gleichgültig sein. Interessanter war für mich der Beweis, daß die drei Beduinen, ganz wie ich gedacht hatte, nicht Solaib, sondern Ghasai-Beduinen waren. Das ließ auf die Berechtigung auch meiner andern Vermutungen schließen.

Der Unfall mit den auf mich gestürzten Ziegeln schien nicht ohne Folgen zu bleiben. Meine Brust schmerzte, und das Atmen fiel mir schwer. Wie stand es mit Halef? Er lag so still und bewegungslos an meiner Seite, daß ich ihn für schlafend oder gar tot hätte halten können, wenn seine Augen nicht offen und in steter Bewegung gewesen wären. Ich drehte den Kopf nach ihm und flüsterte ihm zu:

»Bist du verletzt?«

»Nein,« antwortete er ebenso leise.

»Habe ich lange bewußtlos gelegen?«

»Zehn Minuten ungefähr.«

»Konntest du nicht fliehen?«

»Fliehen? Ohne dich, Sihdi? Bin ich nicht dein Freund, der alles mit dir zu teilen, zu leiden und zu ertragen hat?«

»Wenn du frei wärst, könntest du mir mehr nützen als jetzt!«

»Sie fielen über mich ebenso schnell her wie über dich. Ich hätte mich verteidigen, also schießen und stechen müssen, und das wollte ich nicht, weil sie kein Gesindel, sondern Soldaten des Sultans sind.«

»Das war allerdings recht! Hat dich der Kol Agasi ausgefragt?«

»Er sprach bis jetzt kein Wort zu mir. Er hat nach uns gesucht und, als er die Feuer sah, zwei Kundschafter ausgeschickt. Auf diese ist von den Safranschmugglern geschossen worden, und er denkt, daß wir es gewesen sind. Das habe ich aus seinen Reden gehört.«

»Wir können ihm beweisen, daß wir es nicht gethan haben.«

»Wie denkst du über unsere Lage? Die Kerls waren wirklich Ghasais, wie du ganz richtig vermutetest. Der eine hat das Bein gebrochen, und der andere scheint gar tot zu sein.«

»Es ist mir trotzdem gar nicht bange; also brauchst auch du keine Angst zu haben.«

»Angst? Das würde mir nicht einfallen, selbst wenn der ganze Ghasai-Stamm sämtliche Beine und Hälse gebrochen hätte. Wie aber steht es mit dir, Effendi? Die Last, welche mich herabriß und auf dich fiel, war sehr schwer.«

»Die Brust schmerzt mich ein wenig; weiter ist es nichts. Die Rippen sind nicht beschädigt; so viel fühle ich.«

»Allah sei Dank! Wenn die Steine auf mich gefallen wären, so hätten meine Rippen gewiß nicht widerstanden, denn die Zusammensetzung meiner harmonischen Körperteile zeichnet sich durch größere Zartheit aus als die Erschaffung deiner festen Knochen.«

Er hatte das lauter gesagt, als er beabsichtigte; darum hörte der Kol Agasi, daß wir miteinander sprachen, und rief uns zu:

»Ihr habt zu schweigen! Wißt ihr nicht, daß Gefangene nicht miteinander sprechen dürfen?«

Ich nahm sogleich die Gelegenheit wahr, ihm im höflichsten Tone zu antworten:

»Habe die Güte, o tapferer Jüzbaschi[31], mir zu erlauben, dich um die Erfüllung eines Wunsches zu ersuchen!«

Daß ich ihn als Hauptmann, also einen Rang höher, bezeichnete, brachte ein beifälliges Lächeln auf seinem Gesicht hervor, und seine Stimme klang freundlich, als er mich aufforderte:

»Laß mich hören, was du willst!«

»Ich sehe dir an, daß du nicht nur ein braver, wohlverdienter Offizier bist, sondern auch die hohen Vorzüge der Gerechtigkeit und Herzensmilde besitzest. Wir wissen nicht, weshalb ihr uns gefangen genommen und gebunden habt, und bitten dich, uns als Kommandant dieser vorzüglichen Truppen mitzuteilen, aus welchem Grunde du die Überwältigung unserer Personen anbefohlen hast.«

Er war vielleicht ein Menschenalter lang gewöhnlicher Soldat gewesen; ihm fehlte der Scharfsinn, die Absicht meiner höflichen Ausdrucksweise zu begreifen, darum fühlte er sich geschmeichelt und erwiderte in anerkennender Weise:

»Allah hat dir die Sprache der Gebildeten verliehen. Deine Worte klingen darum ganz anders als diejenigen, welche ich vorhin aus dem Munde deiner Ankläger vernommen habe. Wie schade, daß grad ein Mörder und Schmuggler diese Gabe der schönen Rede besitzt!«

»Erlaube mir, o Jüzbaschi, daß ich dich nicht verstehe! Du hältst uns also für Schmuggler?«

»Allerdings. Es ist ja klar erwiesen, daß ihr welche seid. Wir haben die Stege, an welcher wir euch ergriffen, ganz genau untersucht; dann brachten wir euch hierher, wo es nicht so nach Leichen stinkt wie dort. Was es mit diesen Leichen und ihrer verbrecherischen Verbrennung für Bewandtnis hat, das wissen wir nicht; aber wir sahen den Zafarahn[32] den ihr verschüttet habt, an der Erde liegen; der hat uns verraten, daß ihr Schmuggler seid.«

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