Die beiden kamen ihm bis auf zehn oder zwölf Schritte nahe. Da erhob sich der Ungar, sprang auf ihn zu und warf sich mit solcher Gewalt auf ihn, daß er über ihn hinwegstürzte und im Festhalten einen ganz regelrechten Purzelbaum schlug. Der Mann riß sich los, sprang auf, um zu entfliehen, lief aber dem Deutschen in die Hände, der ihn packte und ihm die Ellbogen rückwärts auf den Rücken zog.
»Eine Schnur zum Binden!« rief Schwarz dem Kleinen zu.
»Ich habe keine mehr,« antwortete derselbe, indem er aufstand.
»So zieh mir das Mendil aus der Tasche!«
Dies geschah. Der Mann versuchte zwar, sich zu wehren, aber das hatte bei der Riesenstärke des Deutschen keinen Erfolg. Er wurde an den Armen gebunden; die Beine ließ man ihm frei, da er nach dem Lager zu gehen hatte.
»Wer sendet dich?« fragte ihn Schwarz. Als er keine Antwort erhielt, setzte er ihm den Revolver an das Ohr und drohte: »Rede, oder ich schieße!«
»Abu el Mot,« stieß nun der Mann widerwillig hervor.
»Du solltest unser Lager auskundschaften?«
»Ja.«
»Wo befindet sich der Rest der Gum? Sage die Wahrheit, sonst ist es doch um dich geschehen! Ich werde mich überzeugen.«
»Südwärts von hier.«
»Wie weit?«
»Zehn Flintenschüsse.«
»Gut, vorwärts!«
Man kann sich die Wut der Homr denken, als sie den neuen Gefangenen erblickten. Ihre Hoffnung auf Rettung mußte bis auf ein Minimum verschwinden. Der Mann wurde gleichfalls an den Füßen gebunden und zu den andern gelegt.
Schwarz gab einen Schuß ab, den Abu el Mot gewiß hören mußte. Derselbe sollte denken, daß die Kugel seinem Späher gegolten habe. Dann brach er mit Hadschi Ali und dem Ungar, welche er für die Mutigsten hielt, auf, um nach der Gum zu suchen. Der »Vater des Gelächters« lieh sich dazu das Gewehr eines seiner Genossen.
Als sie, stracks nach Süden gehend, die angegebene Entfernung zurückgelegt und noch nichts gesehen hatten, schlugen sie einen rechten Winkel, und bald zeigte es sich, daß sie das Richtige getroffen hatten, denn während sie ohne Burnus gingen und also nur schwer gesehen werden konnten, sahen sie bald die Haïks der Araber schimmern.
Sie näherten sich denselben so viel wie möglich und schossen dann ihre Gewehre ab, weniger um sie zu treffen, als vielmehr, um sie in die Flucht zu jagen, was ihnen auch vollständig gelang.
»So! Die kommen nun nicht wieder!« lachte der Slowak.
»Und senden auch keinen Späher wieder aus,« stimmte Hadschi Ali bei, »denn wir würden denselben gewiß auch fangen. Allah ist uns gnädig gewesen, und wir haben über einen gefährlichen Feind gesiegt.«
»Du aber nicht, denn du hättest fast unsern besten Freund erschlagen,« antwortete der Ungar. »Auf dich werden keine Heldenlieder gedichtet.«
»Etwa auf dich, du Vater des größten Löwenmaules? Kennst du von all meinen Völkern und Dörfern nur ein einziges beim Namen?«
»Ich mag diese Namen gar nicht wissen, da sie die Augen so sehr trüben, daß man diesen Effendi für einen Räuber hält. Du hast noch niemals einen so großen Beweis deiner Klugheit gegeben wie vorhin, da du ihn fast erschlugst.«
»Haltet Frieden!« gebot der vor ihnen her schreitende Deutsche. »Auch du, Ibn el Dschidri, hast eine große Dummheit begangen.«
»Ich?« fragte der Slowak verwundert.
»Ja. Ihr habt nichts voreinander voraus.«
»Welche Dummheit sollte das gewesen sein?«
»Ich wollte Abu el Mot ergreifen; aber dadurch, daß du nicht auf meinen Befehl wartetest, sondern zu zeitig losbrachest, hast du es unmöglich gemacht. Du hättest die Leute noch einige Schritte weitergehen lassen sollen.«
»Mein Mut war zu groß, Effendi. Er ließ sich nicht mehr zügeln!«
»Nur derjenige Mut ist lobenswert, welcher sich mit Klugheit und Überlegung paart. Der Fehler Hadschi Alis hat nur mich getroffen, der deinige aber wird weit mehr Menschen schädigen. Viele Reisende und Hunderte von Sklaven werden deine Übereilung zu büßen haben. Hätte ich diesen Abu el Mot in meine Hände gebracht, so stand mit Gewißheit zu erwarten, daß der Mudir von Faschodah ihn für immer unschädlich machen werde.«
»Das ist freilich wahr, Effendi,« gestand der Kleine. »Meine Seele ist von Wehmut erfüllt und mein Herz von Reue über meine Ungeduld. Doch hoffe ich, daß du sie mir verzeihen werdest!«
»Das werde ich. Dafür erwarte ich aber, daß du nicht andern dann Vorwürfe machst, wenn du selbst welche verdienst.«
»O, diese Vorwürfe haben nicht viel zu bedeuten. Hadschi Ali ist mein bester Freund. Wir lieben uns innig; aber diese Liebe ist gerade dann am größten, wenn wir uns zanken und einander ärgern. Nicht wahr, du guter Vater des Gelächters?«
»Ja,« bestätigte Ali in vollstem Ernste, wobei er jedoch eine höchst lächerliche Grimasse zog. »Allah hat unsre Herzen verbunden, so daß sie wie ein einziges schlagen. Aber unsre Kenntnisse sind zu verschiedener Natur. Es gelingt uns nie, sie zu vereinigen. Bitten wir den Propheten, daß er es bald verbessere!«
Als die drei beim Lagerplatze erschienen, mußte den Gefangenen der letzte Rest ihrer Hoffnung auf Befreiung schwinden. Sie hatten die Schüsse gehört, und da sie den Deutschen mit seinen Begleitern so ruhig und unverletzt zurückkehren sahen, mußten sie dieselben für die Sieger in dem stattgefundenen Gefechte halten.
Schwarz stellte noch eine zweite Wache aus, obgleich er überzeugt war, daß Abu el Mot seinen Versuch nicht wiederholen werde. Die beiden Wachen hatten kein Opfer zu bringen, da nach der großen Aufregung, welche der Angriff erst der Löwen und dann der Gum hervorgerufen hatte, vom Schlafe gar keine Rede sein konnte. Übrigens war der Morgen nicht mehr fern, und man nahm sich vor, ihn unter Gesprächen und Erzählungen zu erwarten.
Da die Gefangenen nicht zu hören brauchten, was von ihnen gesprochen wurde, so schaffte man sie zur Seite, wo sie lautlos lagen wie bisher. Nur der Verwundete ließ zuweilen ein schmerzliches Stöhnen hören und dann sorgte Schwarz stets dafür, daß ihm das Bein mit Wasser gekühlt wurde.
Bei einer solchen Gelegenheit konnte der »Vater der vordern Löwenhälfte« es nicht unterlassen, dem Gelehrten einen neuen Beweis von der Größe seiner Kenntnisse zu geben, indem er in deutscher Sprache erzählte, und zwar auf die Verletzung des Gefangenen anspielend:
»So ein Bruch, beiniger, seinte gar nicht schlimm. Er wernte geheilt in Zeit, sehr kurze. Auch ich hab schon einmal heilte einen solchente.«
»So? Wer war der Patient?« fragte Schwarz.
»Das seinte freilich kein Geschöpf, menschliches, sondern nur ein Kranker, voglicher, gewesente. Herrrr Wagner hatt geschießte ein Abu miah, hatt gelahmte Flügel, und Schroot gingte auch in Bein, linkiges, so daß Bein war vorzwei. Hab ich genommte Storch, verwundeten, gebundelnte fest mit Schnur, damit er sich nicht können bewegente, und ihm dann machte Schiene an Bein, mitleidiges. Dann hatt Storch immer stehente auf Bein andres, bis seinte geheilt Bein, trauriges. Herrrr Wagner hatte mich lobente dafür sehr und mich genannt einen Dramaturg, großartigen.«
»Wohl Chirurg?«
»Nein, Dramaturg!«
»Dann befinde ich mich im Irrtume. Was ist ein Dramaturg?«
»Das Wort ist aus Sprache, lateiniger, in der ich seinte Meister, unbestreitlichbarer, und heißt soviel wie ein Arzt, studiumtierter, welcher kann wieder machte zusammen alle Brüche, knochige.«
»So! Und was ist ein Chirurg?«
»Unter Chirurg verstehente man Leute, künstlerige, welche hatten gespielt und gesungte Preziosa dir, dir folgen wir oder auch Leise, leise, frommte Weise, schwingte auf zum Sterntekreise. Wird geblaste Musik dazu und gegeigte Violin.«
»Und das thun wirklich die Chirurgen?«
»Und das thun wirklich die Chirurgen?«
»Ja. Ich selbst hatt es gesehen im Theater, Olmütziges, auf Wanderschaft, meiniger. Es seinte gewesen die Opern Preziosa, das Mädchen, zigeuneriges, und Freischütz oder Samiel, teuflischer.«
»Dann habe ich abermals eine Verwechselung zu konstatieren. Chirurg ist der Arzt dann, wenn er äußere Schäden, also auch Beinbrüche, durch äußere Mittel heilt. Ein Dramaturg aber ist ein Gelehrter, dessen Arbeiten sich zwar auf das Theater beziehen, der aber niemals selbst auftritt, wenigstens nicht in seiner Eigenschaft als Dramaturg; er ist Schauspiellehrer. Sie verwechseln die Bühne mit dem Krankenbette.«
»Das seinte doch kein Umtausch, irriger! Warum soll Bett, krankes, nicht auch vorkommte einmal auf Bühne, theateriger? Warum soll stets ich es sein geweste, welcher hatt gemacht Verwechstelung? Ich hab tragte im Kopf sehr viel Bildung, kenntnisserige!«
»Ja, wie der Vater des Gelächters seine Länder, Völker, Städte und Dörfer!«
»O nein! Dummheiten, seinige, sind nicht zu vergleichte mit Kenntnis meiniger. Ich habe auf Reisen, vielfältigen, sogar kennen lernte Nautik und Anthropologie.«
»So! Wirklich? Was verstehen Sie denn da unter Anthropologie?«
»Das seinte die Lehre von Meerwasser, salziges, und Schiffahrt, gesegelte und gedampfte.«
»Schön! Und was ist Nautik?«
»Nautik sein gewesente stets die Kenntnis von Mensch, zahmer und wilder, von Eskimo, thrangetrunkener, und Neger, menschengefressener.«
»Das ist schon wieder ein Versehen. Anthropologie ist Menschenkunde, und Nautik heißt Schiffahrtskunde.«
»So hab ich mich beschuldigente nur einer Umgetauschterung, kleiner und verzeihlicher. Das hat konnte leicht geschehente, weil Anthropologie also fährt auf Nautik, in Kajüte oder Zwischendeck, schiffiges. Sind gefahrte Sie schon auch auf Nilschiff, hiesigem?«
»Ja, sowohl auf Dahabiën als auch auf Sandals.«
»Aber wohl noch nicht auf Noqer, hier gebräuchlichter?«
»Nein.«
»So werdente Sie sehen Noqer in Faschodah, sobald wir seinte morgen dort ankommen.«
»Sind Sie dort bekannt?«
»Sehrrer, außerordlichente sehrrer! Ich bin gewesente dort schon oft!«
»Haben Sie den Mudir gesehen, dem ich mich vorstellen muß, und dem wir die Gefangenen übergeben wollen?«
»Ich hab begegente ihm auf Straße, öffentlicher. Sein Name seinte Ali Effendi, wird aber sehr oft auch Abu hamsah miah genennte.«
»Das habe ich gehört. Der frühere Mudir Ali Effendi el Kurdi wurde abgesetzt, weil er sich Unterschlagungen zu schulden kommen ließ. Der neue Mudir, welcher auch Ali Effendi heißt, soll sehr streng sein, besonders in Beziehung des Sklavenhandels. Sein Urteil soll, sobald er einen Schuldigen erwischt, fast stets auf fünfhundert Hiebe lauten, weshalb er gern der Vater der Fünfhundert genannt wird.«
»Ja. Wenn morgen wir übergebten ihm die Gum und die Homr, so erhaltente gewiß jeder von ihnen die Fünfhundert, gepfeffertige und gesalztigente.«
»Kann denn ein Mensch so viele Streiche auf die Fußsohlen aushalten?«
»Das kann ich nicht gewüßte, weil ich noch nicht hatt bekommte fünfhundert. Aber wenn sie werden gegebt auf Rücken, entblößigten, so muß sicher sterben Verbrecher, kriminellter. Aber horch! Was seinte das? Hat es nicht raschelte in Busch?«
Schwarz hatte es auch gehört. Er forderte die Dschelabi, welche auch laut miteinander sprachen, auf, zu horchen. Bei der nun eingetretenen Stille vernahm man ein ziemlich starkes Schnaufen und Schnobern, wie wenn ein Tier sich auf der Fährte nicht zurechtfinden kann.
»Allah beschütze uns!« schrie der Schech. »Das ist wieder ein Löwe! Er wird uns fressen, da wir nicht fliehen können, weil wir gebunden sind.«
»Schweig!« rief ihm der »Vater der elf Haare« zu. »Es ist höchstens ein junger Löwe. Ein alter wäre längst schon zwischen uns. Dieses junge Tier aber hat eine ungeübte Nase und wird, sobald es uns erblickt, es gar nicht wagen, zu uns zu kommen.«
»Ein Junges?« fragte Schwarz. »Das möchte ich fangen!«
»Wenn du es haben willst, so wollen wir versuchen, es in unsre Hände zu bekommen. Aber wir müssen dennoch vorsichtig sein, denn wir wissen nicht, wie alt es ist. Vielleicht ist es nur eine Hyäne, welche den Geruch des frischen Löwenfleisches wittert.«
»Ich werde nachsehen.«
Er nahm sein Gewehr und verließ das Feuer. Noch aber hatte er den Lichtkreis desselben nicht überschritten, so kam das Tier um die Ecke des Gebüsches. Es hatte ungefähr die Größe eines tüchtigen Pudelhundes, war also schon im stande, sich nachdrücklich zu wehren. Es floh nicht etwa, als es den Deutschen erblickte, sondern es legte sich glatt auf die Erde nieder und fauchte ihn wütend an, ohne aber zu wagen, auf ihn einzuspringen.
»Da ist das Tier!« rief Schwarz. »Decken her, schnell mehrere Decken her!«
Hadschi Ali und der Slowak, die beiden Einzigen, welche sich nicht fürchteten, folgten diesem Rufe möglichst schnell. Das Tier war schon zu groß zur feigen Flucht, wagte aber doch den Angriff nicht. Also blieb es liegen, indem es die glühenden Augen auf Schwarz gerichtet hielt. Diesem wäre es leicht gewesen, es durch eine Kugel zu töten, aber er wollte es lebendig haben. Er langte hinter sich, um die beiden Decken in Empfang zu nehmen, welche die Genannten brachten. Sie bestanden aus starkem, kamelhaarenem Stoffe, welcher, doppelt genommen, den Krallen und Zähnen des Tieres für kurze Zeit widerstehen konnte. Schwarz legte, die Augen unausgesetzt auf den Löwen gerichtet, die Decken aneinander, spannte sie aus und warf sie auf den jungen »Herrn mit dem dicken Kopfe«.
Dieser hatte keine Bewegung der Abwehr gemacht. Die plötzliche Verhüllung schien ihn zu erschrecken, denn er zögerte, sich zu befreien. Dadurch gewann Schwarz Zeit, sich auf ihn zu werfen und ihn mit dem Gewichte seines Körpers niederzuhalten.
Leicht wurde ihm das freilich nicht. Der Löwe entwickelte eine Muskelstärke, welche seiner Jugend kaum zugetraut werden konnte. Es gelang ihm wiederholt, sich halb aufzurichten, doch Schwarz drückte ihn wieder nieder, eifrig bemüht, dem Kopfe und den Tatzen auszuweichen.
»Stricke her, Stricke!« rief er den beiden Genossen zu.
Man hatte vieler Schnüren und Riemen bedurft, die Gefangenen zu fesseln; glücklicherweise aber ist jede Karawane stets reichlich mit Stricken und dergleichen versehen. Das Verlangte wurde rasch herbeigebracht, und es gelang den vereinten und natürlich sehr vorsichtigen Bemühungen der drei Männer, das sich aus allen Kräften sträubende Tier vollständig einzuwickeln und so fest mit den Stricken zu umwinden, daß es sich nicht mehr regen konnte.
»Hamdulillah Preis sei Gott!« rief Hadschi Ali. »Wir haben den Würger der Herden nebst seiner Frau erschossen und nun auch seinen Sohn besiegt. Da liegt er in schmachvoller Ohnmacht; er kann nur knurren, aber nicht sich retten. Aaïb aaleïhu Schande über ihn!«
»Allah sei Dank!« seufzte der Schech erleichtert auf. »Wir sind gerettet. Er ist gebunden und kann uns nun nicht fressen!«
»Dir wäre besser, er hätte dich verschlungen,« antwortete ihm der Ungar, »denn morgen überantworten wir dich dem Mudir, der dir fünfhundert geben lassen wird. Dann wirst du einsehen, daß die Zähne des Löwen gnädiger sind als die Peitsche der Gerechtigkeit.«
»Ich bin ein freier Ibn el Arab! Wer darf mich schlagen?« widersprach der Homr.
»Wie nennst du dich? Frei? Siehst und fühlst du denn nicht, daß du gefangen bist? Wer könnte uns hindern, dir so viele Schläge zu geben, wie uns beliebt? Du hättest es verdient; aber wir sind zu stolz, es zu thun. Doch morgen wird die Peitsche sich mit deiner Haut unterreden, bis du wünschen wirst, von dem Löwen zerrissen worden zu sein.«