»Ich war noch nicht bei ihm.«
»Warum nicht? Warum zauderst du? Es muß jetzt weit über Mittag sein. Du hast längst Zeit gehabt, nach Dschnibaschlü zu gehen.«
»Du irrst. Es ist noch nicht so weit, wie du denkst. Aber ich werde mich sogleich aufmachen. Also du behauptest, daß er dich kennt?«
»Ja. Frage nur nach dem Agenten Pimosa.«
»Weiß er, daß du jetzt nicht in Edreneh gewesen bist?«
»Ja. Er wird, wenn du ihn fragst, bezeugen, daß ich während der letzten Tage in Mandra und Boldschibak gewesen bin.«
»Wie will er das wissen?«
Er zögerte, zu antworten, und sagte erst nach einer Pause:
»Das wirst du von ihm selbst hören.«
»Ich möchte es aber noch lieber gleich jetzt von dir erfahren.«
»Wozu denn?«
»Es ist das die beste Weise, mein Mißtrauen zu bekämpfen.«
»Das sehe ich nicht ein!«
»Muß ich dir vielleicht vorher eine Erklärung geben? Du schweigst, weil du verhüten willst, daß seine Aussage der deinigen widerspricht. Also sage mir, ob er vielleicht mit dir an jenen beiden Orten gewesen ist.«
»Das habe ich nicht nötig. Gehe hin, und frage ihn selbst!«
»Es scheint, daß du dir deine Lage nicht verbessern willst. Was habe ich denn eigentlich für eine Ursache, zu diesem Boschak zu gehen? Gar keine!«
»Ich verlange es aber, damit du meine Unschuld erkennst.«
»Wärst du schuldlos, so würdest du selbst mir die geforderte Auskunft erteilen.«
»Du sollst ihm sagen, daß ich mich hier befinde.«
»Damit er dich aus diesem Keller holt? Glaubst du, daß meine Dummheit größer als deine Klugheit sei? Um aber alle Vorwürfe zu vermeiden, werde ich zu dem Färber gehen. Vielleicht erfahre ich bei ihm ganz das Gegenteil von dem, was er nach deinem Wunsche mir sagen soll. Hast du Hunger?«
»Nein.«
»Oder willst du trinken?«
»Nein. Noch lieber will ich verschmachten als von solchen Menschen, wie ihr seid, einen Tropfen Wasser annehmen!«
»Ganz nach deinem Belieben!«
Ich machte Anstalt, wieder emporzusteigen; da sagte er in barschem Tone:
»Ich verlange, daß ihr mir die Fesseln abnehmt!«
»Von Menschen, welche nicht wert sind, dir einen Tropfen Wasser anzubieten, kannst du das doch nicht verlangen.«
»Sie tun mir weh!«
»Das schadet nichts! Der Durst tut auch weh, und dennoch willst du ihn ertragen, um nur von uns nichts empfangen zu müssen. Uebrigens weiß ich sehr genau, daß dir die Fesseln keine Schmerzen verursachen. Der Prophet sagt: Wenn du in Leiden fällst, so bedenke, daß es meist nicht Allahs Wille, sondern nur der deinige gewesen ist. Denke an dieses Wort, bis ich zurückkehre!«
Er zog es vor, sich nun in Schweigen zu hüllen.
Der Schmied hatte die Zeit dazu benutzt, mir mein Pferd vorzuführen. Er brachte zugleich dasjenige des Gefangenen mit.
»Willst du wirklich den Meinigen entgegen reiten?« fragte ich.
»Wenn du es erlaubst, Effendi, ja!«
»Meinest du, daß deine Gegenwart hier nicht nötig sein werde?«
»Meine Frau ist da. Sie wird den Gefangenen bewachen.«
»Man weiß nicht, was sich während unserer Abwesenheit ereignen kann!«
»Was soll sich ereignen? Ich halte es für notwendig, daß deine Leute erfahren, wo du dich befindest, und daß du auf sie wartest. Ich reite nur bis Dere-Kiöj: finde ich sie da nicht, so kehre ich zurück!«
»Ihr könnt euch umreiten.«
»Meine Frau wird dafür sorgen, daß sie hier nicht vorüberkommen, ohne einzukehren.«
»Nun, wie du willst! Auch hat sie vor allem dafür zu sorgen, daß kein Mensch erfährt, wir hätten einen Mann im Keller.«
Die Frau hatte bei uns gestanden und alles gehört.
»Effendi, reite ohne Sorge nach Dschnibaschlü,« sagte sie. »Es wird alles so sein, als ob du selbst dich hier befändest.«
Auf diese Versicherung hin bestieg ich das Pferd. Es kam mir der Gedanke, die Gewehre zurück zu lassen, um leichter zu sein; doch waren sie mir zu wertvoll, als daß ich sie hätte in Gefahr bringen mögen. Es gab in diesem Hause keinen Ort, der ein sicheres Versteck bieten konnte. Also nahm ich sie mit.
Das Dorf lag nicht weit von der Schmiede. Es war nicht groß, ich kam also schnell hindurch. Dann gings über die Brücke und links um nach Südost, nicht, wie der Schmied gesagt hatte, nach Süden zu.
Ich passierte einige Maisfelder, dann Weideland und kam nun an unbebautes Land. Einen eigentlichen Weg gab es nicht. Jeder läuft, fährt oder reitet hier, wie es ihm beliebt. Darum wunderte ich mich nicht, als ich zu meiner Rechten, in ziemlicher Entfernung von mir, einen Reiter auftauchen sah, welcher dieselbe Richtung zu verfolgen schien. Auch er bemerkte mich und hielt nun nach mir herüber.
Als er näher herangekommen war, beobachtete er mich und schien nicht ins klare kommen zu können; dann faßte er einen schnellen Entschluß und kam im Trabe ganz heran.
»Ssabahhak bilcheer guten Morgen!« grüßte er mich, zu meinem Erstaunen in schönstem arabisch.
»Allah jußabbihak bilcheer Gott gebe dir einen guten Morgen!« antwortete ich in freundlicher Weise.
Der Reiter gefiel mir nämlich. Er gehörte jedenfalls nicht zu den reichen Leuten. Sein Pferd war keine zweihundert und fünfzig Mark wert, und er trug eine fast ärmliche Kleidung; aber diese Kleidung zeugte von einer hier in dieser Gegend ungewöhnlichen Sauberkeit, und das Pferd war, wenn auch nicht üppig genährt, doch sehr gut gehalten. Der Striegel und die Kardätsche mußten wohl den Mangel von Haferüberfluß ersetzen. Dies macht auf den Pferdefreund stets einen guten Eindruck. Uebrigens war der junge Mann sehr schön gewachsen, und sein von einem wohlgepflegten Schnurrbart geziertes Gesicht hatte einen so offenen, ehrlichen Ausdruck, daß ich mich keineswegs darüber ärgerte, den Gang meiner Gedanken durch ihn unterbrochen zu sehen.
»Sie sprechen arabisch?« fuhr er fort, indem er durch ein befriedigtes Nicken zu erkennen gab, daß er sich freue, mich richtig beurteilt zu haben.
»Gewiß, sehr gern sogar.«
»Wollen Sie die Güte haben, mir zu sagen, woher Sie kommen?«
»Von Koschikawak.«
»Ich danke schön!«
»Wollen Sie vielleicht mit mir kommen?«
»Ich werde Ihnen dafür sehr verbunden sein!«
Das war eine recht herzgewinnende Höflichkeit. Ich fragte ihn nun, wie er auf den Gedanken gekommen sei, mich arabisch anzureden. Er deutete, indem seine Augen blitzten, auf mein Pferd und antwortete:
»So einen Nedschi kann nur ein Araber reiten. Das ist ein echter Wüstenhengst! Bei Allah! Rote Nüstern! So ist die Mutter wohl gar eine Kohelistute gewesen?«
»Sie haben ein gutes Auge. Der Stammbaum weist allerdings nach, daß Sie recht haben.«
»Sie glücklicher und Sie reicher Mann! Die Hufe und die Fesseln zeigen, daß dieses Pferd nicht in der Sand-, sondern in der Steinwüste geboren wurde.«
»Auch das ist richtig. Ist die hiesige Gegend Ihre Heimat?«
»Ja.«
»Wie kommen Sie da zu diesem Scharfblick für arabische Pferde?«
»Ich bin Hadschi. Nachdem ich in Mekka meine Gebete absolviert hatte, ging ich nach Taïf, wo ich in die Reiterei des Großscherifs von Mekka trat.«
Ich kannte diese Elite-Kavallerie und wußte, wie gut sie beritten war. Der Großscherif besitzt einen wahrhaft glänzenden Marstall. Kein Wunder also, daß dieser junge Mann seinen Blick hatte üben können.
Es war mir interessant, einen ehemaligen Kavalleristen des Großscherifs von Mekka vor mir zu sehen.
»Warum blieben Sie nicht dort?« fragte ich ihn.
Er errötete, blickte vor sich nieder, richtete dann die Augen voll und aufrichtig auf mich und sagte das eine Wort:
»Mahabbe die Liebe!«
»welak oh wehe!«
»Mahabbe die Liebe!«
»welak oh wehe!«
»Nam; hakassa ja, ja, so ist es!«
Ich hatte mein Wehe in scherzhaftem Tone gesprochen; er aber machte ein sehr ernsthaftes Gesicht und blickte so nachdenklich vor sich hin, daß ich sehr leicht erraten konnte, wie es stand. Natürlich aber fiel es mir nicht ein, ihn über diese äußerst zarte Angelegenheit mit Fragen zu behelligen. Ich lenkte vielmehr um und sagte:
»In Beziehung auf das Pferd haben Sie ganz richtig geurteilt; aber Ihre Ansicht über den Reiter ist eine irrige.«
»Wie? Sie sind doch jedenfalls Beduine?«
»Sitze ich wie ein Bedawi zu Pferde?«
»Allerdings nicht. Das fiel mir sogleich auf, als ich Sie bemerkte.«
»Und Sie wunderten sich?«
»Ja.«
»Sie sind aufrichtig!«
»Soll ich es nicht sein?«
»In Allahs Namen! Sprechen Sie nur freimütig!«
»Ich konnte nicht begreifen, daß der Besitzer eines seltenen Pferdes so schlecht reitet.«
»Das geht so in der Welt!«
Er warf einen besorgten Blick zu mir herüber und fragte: »Sie haben mir das übel genommen?«
»O nein!«
»O doch!«
»Machen Sie sich keine Sorge! Was Sie sagten, das hat mir schon mancher andere auch gesagt, ohne daß ich es übel nahm.«
»Warum geben Sie sich nicht Mühe, das Reiten zu lernen?«
»O ich habe mir viel Mühe gegeben, sehr viel!«
»Jumkin wahrscheinlich!« lächelte er ungläubig.
»Sie zweifeln daran?«
»Ja.«
»Nun, ich will Ihnen sagen, daß ich jahrelang den Sattel nur verlassen habe, um zu schlafen.«
»Allah akbar Gott ist groß! Er schafft die Menschen und beschenkt einen jeden mit einer besonderen Gabe, aber auch mit einem besonderen Mangel. Ich habe einen kennen gelernt, dem es unmöglich war, zu pfeifen. Er gab sich alle Mühe, brachte es aber nicht fertig. Andere pfeifen schon, wenn sie noch in der Wiege hängen. Ihnen geht es mit dem Reiten grad so, wie jenem mit dem Pfeifen. Dafür aber wird Allah Ihnen ein anderes Talent verliehen haben.«
»Das ist richtig.«
»Darf ich erfahren, welches Talent es ist?«
»Ja gewiß: das Trinken.«
»Das Trinken?« fragte er verblüfft.
»Ja. Ich habe bereits getrunken, als ich noch in der Wiege hing.«
»Spaßvogel!«
»Wollen Sie auch das nicht glauben?«
»O, sehr gern. Dieses Talent haben wir alle wohl so früh schon besessen. Nur ist das kein Grund, um stolz darauf zu sein. Das Reiten fällt schon ein wenig schwerer.«
»Das merke ich!«
Es war fast der Ausdruck des Mitleides, mit welchem er mich anblickte. Dann meinte er:
»Ist denn Ihr Rückgrat gesund?«
»Ja.«
»Und Ihre Brust auch?«
»Sehr.«
»Warum machen Sie das erstere so krumm, und warum drücken Sie letztere so hinein?«
»Ich habe es von tausend anderen so gesehen.«
»Das sind sehr schlechte Reiter gewesen.«
»Sogar sehr gute! Ein Reiter, welcher sein Pferd lieb hat, der schont es; er sucht es also so viel wie möglich zu entlasten. Wie das zu machen ist, davon hat weder der Türke, noch der Araber eine Ahnung.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich glaube Ihnen.«
»Aber sind Sie kein Araber?«
»Nein.«
»Was sonst?«
»Ein Nemtsche.«
Da nickte er bedächtig vor sich hin und sagte:
»Ich habe in Stambul Leute aus Alemanja gesehen. Sie verkaufen Leinwand, Sacktuch und Messerklingen. Sie trinken Bier und singen Lieder dazu. Aber zu Pferde habe ich keinen einzigen von ihnen gesehen. Gibt es in Alemanja viele Soldaten?«
»Mehr als im Oszmanly memleketi.«
»Aber um die Kavallerie muß es schlecht bestellt sein!«
»Sie reiten grad wie ich.«
»Fürwahr?«
»Gewiß!«
»Traurig, geradezu traurig!«
Er meinte es ehrlich. Es fiel mir gar nicht ein, ihm bös zu sein. Er mochte aber doch meinen, zu weit gegangen zu sein; darum fragte er:
»Sie sind fremd hier. Darf ich fragen, wohin Sie wollen? Vielleicht kann ich Ihnen nützlich sein.«
Es war vielleicht nicht geraten, ihm mit voller Aufrichtigkeit zu antworten; darum sagte ich:
»Zunächst nach Dschnibaschlü.«
»Da reiten wir noch eine Viertelstunde miteinander, dann geht mein Weg rechts ab nach Kabatsch.«
»Wohnen Sie dort?«
»Ja. Erraten Sie, was ich bin?«
»Nein. Ich wundere mich aber, daß Sie so jung dazu kamen, in den Dienst des Großscherifs zu treten, und daß Sie ihn bereits wieder aufgaben.«
»Weshalb es geschehen ist, wissen Sie bereits. Ich war früher Uhrmacher und bin jetzt Buchhändler.«
»Haben Sie einen Laden?«
»Nein. Mein Vorrat befindet sich hier in der Tasche. Ich verkaufe hier diese Sachen.«
Er griff in die Tasche und zog einen Zettel hervor. Dieser enthielt die Fatha, die erste Sure des Koran, mit gespaltenem Rohre in Neskhi-Schrift mittels aufgelöstem Gummi geschrieben und dann mit Gold bronziert. Er war also Kolporteur und hatte, wie ich bemerkte, einen großen Vorrat dieser Zettel.
»Wurde dies in Mekka geschrieben?« fragte ich ihn.
»Ja.«
»Von den Hütern der Kaaba?«
Er machte ein pfiffiges Gesicht und zuckte die Achsel.
»Ich verstehe. Ihre Käufer glauben das letztere.«
»Ja. Sie sind ein Nemtsche, also ein Christ. Ihnen will ich es sagen, daß ich es selbst geschrieben habe, allerdings in Mekka. Ich habe einen großen, großen Vorrat mitgebracht und mache ganz gute Geschäfte.«
»Wie viel kostet ein Exemplar?«
»Je nach dem Vermögen des Käufers. Der Arme gibt einen Piaster, bekommt es vielleicht auch umsonst, während ich von reichen Leuten auch schon zehn und noch mehr Piaster bekommen habe. Von dem Erlös lebe ich mit meinem alten Vater, der gelähmt ist, und kaufe mir das Material zu meiner Uhr.«
»Sie arbeiten also noch in Ihrem früheren Fache?«
»Ja. Ich arbeite an einer Uhr, welche ich dem Großherrn zum Kauf anbieten will. Es wird im ganzen Lande keine zweite ihresgleichen sein. Kauft er sie, so bin ich ein gemachter Mann.«
»Also ein Kunstwerk?«
»Ja.«
»Werden Sie es fertig bringen?«
»Ganz gewiß. Erst hatte ich selbst Sorge; aber jetzt bin ich überzeugt, daß es gelingen wird. Und dann dann, dann werde ich mit diesem Boschak reden!«
Er hatte die letzten Worte in beinahe drohendem Tone ausgesprochen. Der genannte Name frappierte mich. So hieß ja der Bäcker, zu dem ich wollte!
»Boschak? Wer ist das?« fragte ich.
»Ihr Vater.«
»Warum sprechen Sie nicht eher mit ihm?«
»Er wirft mich hinaus, wenn ich jetzt komme. Ich bin ihm zu arm, viel zu arm.«
»Ist er denn reich?«
»Nein. Aber sie ist das schönste Mädchen von Rumili.«
Ich machte eine Armbewegung gegen die Sonne und sagte:
»Heut ist es heiß!«
»Hier ist es heiß!« antwortete er, mit der geballten Faust nach der Gegend drohend, in welcher ich das Dorf Dschnibaschlü vermutete. »Ich war bei ihrem Vater, aber er zeigte mir die Türe!«
»Würde diese Schönste in Rumili Ihnen die Türe ebenso zeigen?«
»Nein. Wir sehen uns ja des Abends und sprechen miteinander.«
»Heimlich?«
»Ja, denn anders geht es nicht.«
»Was ist ihr Vater?«
»Bäcker und Färber. Sie heißt Ikbala[33].«
»Welch ein schöner Name! Ich wünsche, daß er an Ihnen in Erfüllung gehen möge.«
»Das wird geschehen, denn es ist Allahs Wille und auch der meinige. Die Mutter ist unsere Verbündete.«
»Gott sei Dank!«
»Ja. Sie wacht über uns, wenn wir zusammenkommen, während der Bäcker schläft. Allah möge ihr dafür ein langes Leben geben und Enkel die Hülle und die Fülle! Der Alte aber möge Knoblauch kauen und Tinte schlucken müssen, bis er sich entschlossen hat, mein Schwiegervater zu werden!«