In den Schluchten des Balkan - Karl May 9 стр.


Wir beide setzten uns indessen wieder vor die Türe, wobei der Schmied eine zweite Pfeife rauchte.

»Ein seltenes Abenteuer!« sagte er. »Ich bin noch nie in meinem Keller gefangen gewesen und habe auch keinen anderen Gefangenen unten gehabt. Es war Allahs Wille!«

Die Zeit verfloß während unserer Unterhaltung. Das Essen ging auch vorüber, und ich wartete noch immer vergebens auf Halef und die anderen. Die Frau legte sich wieder nieder; wir beide blieben vor der Türe sitzen; die Mitternacht kam, noch eine Stunde verrann, aber wir warteten vergebens.

»Sie werden unterwegs eine Herberge gefunden haben,« versuchte Schimin das Ausbleiben der Erwarteten zu erklären.

»Nein; sie haben die Weisung, hier vorüber zu kommen. Sie sind durch irgend ein unvorhergesehenes Ereignis abgehalten worden; übernachten aber werden sie nicht, bevor sie nicht hier angekommen sind.«

»Oder sie haben den Weg verfehlt.«

»Das traue ich ihnen, besonders aber meinem Hadschi Halef Omar, doch nicht zu.«

»Nun, so müssen wir warten. Jedenfalls wird uns dies nicht so schwer wie dem Mann da unten im Keller. Wie wird er sich die Zeit vertreiben?«

»Ganz so, wie du sie dir vertrieben hast, als du vorher auch unten stecktest.«

»Du glaubst also nicht, daß es ein Serbe ist?«

»Nein, er lügt.«

»Und daß er Pimosa heißt?«

»Auch das bezweifle ich.«

»Kannst dich aber dennoch irren!«

»Pah! Er zog das Messer er hätte wirklich gestochen. Warum hat er nicht verlangt, zum Kiaja geführt zu werden? Das hätte ein jeder verlangt, der ein gutes Gewissen besitzt. Also, wie ich hörte, kennst du den Färber, von welchem er sprach?«

»Ich kenne ihn.«

»Was für ein Mann ist er?«

»Ein dicker, runder Faulpelz.«

Das war eine eigentümliche Antwort. Der Färber war Boschak genannt worden, und boschak heißt auch träge, faul. Ich erkundigte mich weiter:

»Ist er wohlhabend?«

»Nein, eben weil er faul ist. Er ist übrigens nicht nur Färber, sondern auch Bäcker.«

»Ist er als Bäcker fleißiger?«

»Nein. Sein Haus fällt beinahe um, weil er zu träge ist, etwas auszubessern. Seine Frau hat den Backofen gebaut; sie hat den Backtrog zusammengenagelt, und sie schafft auch das Backwerk zu den Kunden.«

»So bäckt sie wohl auch selbst?«

»Ja, das tut sie.«

»Und färbt auch selber?«

»Allerdings.«

»Was tut denn der Mann?«

»Er ißt, trinkt, raucht und hält seinen Kef.«

»Dann ist es kein Wunder, daß er arm bleibt. Nicht wahr, er wohnt in Dschnibaschlü?«

»Ja, Effendi.«

»Ein Dorf?«

»Ein ziemlich großes Dorf.«

»Wie weit von hier?«

»Man muß zwei Stunden gehen. Sobald man durch unser Koschikawak gegangen ist, geht man auf der Brücke über den Fluß. Von da führt der Weg grad südwärts nach Dschnibaschlü.«

»Steht dieser Bäcker und Färber vielleicht sonst noch in einem schlechten Ruf?«

»Hm! Ich weiß es nicht.«

»Sprich deutlicher!«

»Es sind ihm vor einigen Jahren die Ohren aufgeschnitten worden.«

»Weshalb?«

»Du weißt nicht, wen diese Strafe trifft?«

»Er hat wohl das Backwerk zu klein gefertigt?«

»O nein, sondern zu groß. Ein Bäcker, welcher zu klein bäckt, der wird mit dem Ohre an seine Türe oder an seinen Laden genagelt; aber aufgeschlitzt wird das Ohr nicht.«

»Aber wenn er so arm ist, wundert es mich, daß er zu groß gebacken hat.«

»O, er hat trotzdem nicht zu viel Mehl genommen! Sein Gebäck ging über die Grenze. Da fand man, daß es sehr schwer sei. Man öffnete die Brötchen, und da zeigte es sich, daß sie allerlei enthielten, was an der Grenze versteuert werden muß.«

»Ah so! Also er ist ein Schmuggler?«

»Wie es scheint. Wenigstens war er es.«

»Hm! So möchte ich doch einmal mit ihm sprechen.«

»Warum? Ich denke, du willst sofort weiter reiten, sobald deine Gefährten angekommen sind?«

»Allerdings wollte ich das. Aber unser Gefangener hat sich auf den Bäcker berufen; da scheint es mir möglich, daß ich bei diesem Mann etwas erfahren kann, was mir von Vorteil ist.«

»So müßtest du warten bis morgen früh.«

»Allerdings. Die Meinigen könnten indessen voranreiten; ich würde sie bald wieder einholen.«

»Warum wartest du hier auf sie? Du könntest doch drin im Hause recht gut schlafen!«

»So würden sie hier vorüberreiten, ohne anzuhalten, da sie nicht wissen, daß ich mich hier befinde.«

»Ich wache, Effendi.«

»Das kann ich nicht verlangen.«

»Warum nicht? Hast du nicht mich und mein Weib aus dem Loch geholt. Wir wären ohne dich entweder verschmachtet oder erstickt. Und ich soll nicht einige Stunden für dich wachen können? Du mußt morgen reiten, kannst da also nicht schlafen; ich aber kann die versäumte Ruhe wieder nachholen.«

Ich konnte ihm nicht unrecht geben, und da er in mich drang, so erfüllte ich seinen Wunsch. Seine Frau bereitete mir ein Lager, und nachdem er mir versprochen hatte, daß er draußen das Herdfeuer nicht verlöschen lassen werde, legte ich mich nieder.

Zweites Kapitel: Unter Paschern

Als ich erwachte, war es noch dunkel um mich; dennoch fühlte ich, daß ich vollständig ausgeschlafen hatte. Das Rätsel löste sich indes, als ich aufstand und nun bemerkte, daß sämtliche Fensterluken durch die Läden noch verschlossen waren.

Ich stieß einen derselben auf und sah nun, daß die Sonne bereits ziemlich hoch stand. Es mochte nach westlicher Zeit zwischen acht und neun Uhr sein.

Draußen ließ sich ein fleißiges Hämmern und Feilen vernehmen. Ich ging hinaus. Der Schmied stand bei der Arbeit, und seine Frau zog den Blasebalg.

»Guten Morgen!« rief er mir lachend entgegen. »Du hast sehr gut geschlafen, Effendi.«

»Leider! Du aber auch!«

»Ich? Wieso?«

»Ich sehe meine Gefährten nicht.«

»Ich habe sie auch nicht gesehen.«

»Sie sind vorüber!«

»Wann?«

»Während der Nacht.«

»O, du denkst, daß ich geschlafen habe?«

»Ich ahne es.«

»Nicht ein Auge habe ich zugetan! Frage meine Frau. Als du schliefst, kam sie zu mir ins Freie. Wir haben nebeneinander gesessen und vergebens nach den Erwarteten geschaut.«

»Und das Feuer hat stets gebrannt?«

»Bis jetzt. Effendi, ich sage dir die Wahrheit.«

»Das macht mich um die Gefährten besorgt. Ich werde ihnen entgegenreiten.«

»Ich denke doch, daß du nach Dschnibaschlü reiten willst?«

»Ich wollte; aber «

»Habe keine Sorge, Effendi! Sie werden kommen. Sie sind so klug gewesen, während der Nacht nicht durch eine unbekannte Gegend zu reiten.«

»Nein, das ist es nicht, was ihre Ankunft verzögert. Entweder sind sie auf ein unvorhergesehenes Hindernis getroffen, oder sie haben den Weg verfehlt.«

»Nun, in beiden Fällen ist es besser, daß du nach Dschnibaschlü reitest. Sie werden das Hindernis beseitigen und bald kommen. Und befinden sie sich auf falschem Wege, so werden sie den richtigen finden. Welche Orte sollten sie berühren?«

»Ich habe ihnen befohlen, von Dere-Kiöj nach Mastanly zu reiten.«

»Dann müssen sie auf alle Fälle hier vorüberkommen. Soll ihnen jemand entgegengehen, so will ich es tun. Ich nehme das Pferd unseres Gefangenen.«

»Das läßt sich hören! Aber hast du bereits mit ihm gesprochen?«

»Ich habe nach ihm gesehen.«

»Was sagte er?«

»Er schimpft erbärmlich. Er verlangt, sofort freigelassen zu werden, und als ich sagte, daß ich ihm die Freiheit nicht geben könne, verlangte er, mit dir zu reden.«

»Diesen Wunsch werde ich ihm gern erfüllen.«

»Diesen Wunsch werde ich ihm gern erfüllen.«

»Tue es nicht, Effendi!«

»Warum nicht?«

»Er ist hinterlistig. Er will sich befreien entweder durch Gewalt oder, wenn dies nicht möglich sein sollte, durch List.«

»Ich fürchte weder seine Körperkraft, noch seine Verschlagenheit. Er steckt unten in der Grube und ist gebunden. Was will er mir tun? Er kann nicht die Hand nach mir ausstrecken.«

»Aber er wird dich überreden!«

»Das wird er nicht. Ich gehöre nicht zu den leichtgläubigen Leuten und bin nicht der Mann, welcher jetzt so denkt und in fünf Minuten ganz anders. Uebrigens wirst du ja dabei sein. Komm!«

Wir standen eben im Begriff, die den Keller verschließende Tür zu öffnen, als die Frau des Schmiedes hinzutrat, mich geheimnisvoll am Arme berührte und dabei leise sagte:

»Ich habe es gefunden, ich habe es gefunden!«

»Was?« fragte ich, indem ich die Hand von der Türe ließ.

»Sein Gesicht, seine Narbe.«

»Du meinst wohl das Gesicht und die Narbe des Gefangenen?«

»Ja, Effendi; ich hatte beides vergessen.«

»So hast du ihn wohl bereits einmal gesehen?«

»Ja. Aber es war mir wieder entfallen. Ich habe während der ganzen Nacht darüber nachgedacht. Ich marterte mein Hirn, ohne mich besinnen zu können. Nun aber ist es mir ganz plötzlich eingefallen.«

»Komm in die andere Stube! Er könnte uns hören,« sagte ich.

Beide folgten mir in die Wohnstube, und dort sagte der Schmied im Tone der Verwunderung zu seinem Weib:

»Du hast ihn gesehen? Du hattest es vergessen, und du hast während der ganzen Nacht neben mir gesessen und darüber nachgedacht? Warum hast du mir nichts davon gesagt?«

»Ich wollte mich nicht irre machen. Hätte ich davon gesprochen, so wäre es mir gar nicht eingefallen; das dachte ich.«

»Du magst recht haben,« sagte ich. »Gut, daß du dich nun besonnen hast. Also, wo hast du ihn gesehen?«

»In Topoklu.«

»Wann?«

»Im letzten Frühjahre; bei meiner Freundin.«

»Als du in Topoklu zum Besuche warst?« fragte ihr Mann erstaunt.

»Ja, damals.«

»Was tat er denn bei deiner Freundin?«

»Er kaufte Schießpulver und Zündhütchen.«

Und zu mir gewendet fuhr sie fort:

»Du mußt nämlich wissen, daß der Mann meiner Freundin einen Kramladen besitzt und allerlei verkauft, was man für den Augenblick nötig hat. Ich war eingeladen worden, weil sie krank war und niemand hatte, der sie pflegen sollte. Ich saß bei ihr, und da trat jemand in den Laden und verlangte Munition. Er wollte sie sogleich probieren. Da bat ihn der Krämer, dies nicht zu tun, da seine Frau krank sei und das Schießen nicht vertragen könne; aber der Mann lud dennoch sein Pistol und schoß mit der Kugel nach dem Pferdekopf des gegenüberliegenden Hauses.«

Der Bulgare liebt es nämlich, über seine Türe oder an den Firstenden, also an den Giebelwinkeln seines Hauses Pferdeköpfe oder auch die Köpfe anderer größerer Tiere, wie Rinder-, Maultier- und Mauleselsköpfe, anzubringen.

Die Frau fuhr fort:

»Meine Freundin schrie bei dem Schuß vor Schreck laut auf. Er lachte und schoß noch mehrere Male. Und als der Krämer es ihm nun streng verbot, drohte er, auf ihn selbst zu schießen. Endlich bezahlte er und ging. Vorher aber sagte er, daß er eigentlich gar nicht zu bezahlen brauche, da er zu den Verschwörern gehöre.«

»Was für Leute sind das?« fragte ich.

»Das weißt du nicht?« meinte der Schmied.

»Ich habe es noch nie gehört.«

»Ein Verschwörer ist ein Mann, der dem Großherrn nicht gehorchen, sondern ein bulgarisches Reich mit einem eigenen, unabhängigen König haben will.«

»Darf es denn jemand wagen, sich öffentlich zu diesen Verschwörern zu bekennen?«

»Warum nicht? Der Großherr wohnt in Istambul, und je weiter du dich von dieser Stadt entfernst, desto geringer wird seine Macht. Und sieht so ein Mann sich in Gefahr, so geht er in die Berge. Erzähle weiter, Frau!«

»Ich hatte durch die Ritzen der Rutenwand geblickt,« fuhr sie fort, »und den Menschen gesehen. Er trug ein großes Wundpflaster über der rechten Wange, und als wir dann den Krämer fragten, wer der Fremde sei, sagte er uns, daß dieser in den Bund der Unzufriedenheit gehöre und in dem Dorfe Palatza wohne. Er heiße Mosklan und sei eigentlich Roßkamm, habe aber dieses Geschäft aufgegeben, um seine ganze Zeit dem Geheimbunde widmen zu können. Doch bat uns der Krämer, keinem Menschen etwas davon zu sagen. Wir hörten noch, daß dieser Roßtäuscher selten zu Hause sei und sich stets unterwegs befinde.«

»Und du glaubst, ihn in unserem Gefangenen wiedererkannt zu haben?«

»Ja. Er trägt das Pflaster nicht mehr; das machte mich irre. Ich fühlte, daß ich ihn irgendwo gesehen habe, doch konnte ich mich nicht besinnen. Aber da fiel mir jetzt doch die Narbe ein, welche er über der rechten Wange hat, und nun weiß ich es genau, daß er es ist.«

»Wirst du dich nicht irren?«

»O nein. Ich kann es beschwören, daß er es ist.«

»Und er hat sich Pimosa genannt und gesagt, er sei ein Serbe, ein Agent aus Lopaticza am Ibar.«

»Das ist eine Lüge.«

»Ich habe es ihm ja auch gar nicht geglaubt. Er sprach walachisch, und zwar spricht er diese Sprache, wie mir scheint, genau so, wie ich sie in der Gegend von Slatina gehört habe.«

»Slatina? Ja, ja!« nickte die Frau mit Eifer. »Der Krämer schien ihn besser zu kennen, als er uns merken lassen wollte. Er war zornig auf ihn und nannte ihn einen Walachen, einen Giaur, einen russialy Katolik, einen Ketzer aus Slatina.«

»Daraus ist allerdings zu schließen, daß er ihn sehr genau kennt und daß er auch weiß, daß der Mann aus Slatina ist.«

»Und jetzt fällt mir auch ein, daß er ihn in seinem Zorne einen Fußboten der Aufwiegler und einen Reitboten der Revolutionärs schimpfte.«

»Das ist höchst interessant! Vielleicht ist bei dem dicken Bäcker in Dschnibaschlü noch mehr zu erfahren.«

»Willst du wirklich hin, Effendi?«

»Ja; jetzt ganz gewiß.«

»Und soll der Gefangene es erfahren?«

»Allerdings; er selbst hat mich ja dazu aufgefordert.«

»Wirst du ihm auch sagen, daß du erfahren hast, wer er eigentlich ist?«

»Nein. Das wäre eine Unvorsichtigkeit, deren ich mich nicht schuldig machen will. Habt ihr für jetzt vielleicht noch etwas zu bemerken?«

»Nein,« sagte die Frau. »Ich habe alles gesagt, was ich weiß. Aber erlaube, daß ich dich um etwas frage, was mir Sorge macht!«

»Frage nur immer zu! Vielleicht ist deine Sorge grundlos.«

»O nein! Wenn dieser Mann zu den Unzufriedenen gehört, so befinden wir uns in Gefahr. Wir haben ihn gefangen genommen, und er wird sich rächen oder von seinen Mitverschworenen gerächt werden.«

»Das ist allerdings ein Gedanke, den ihr nicht von euch weisen könnt; aber vielleicht läßt sich dieser Angelegenheit ein solcher Ausgang geben, daß ihr nichts zu befürchten braucht. Seine Verbündeten haben euch mißhandelt, und ihr habt also alle Veranlassung gehabt, euer Verhalten danach einzurichten. Vor allen Dingen will ich jetzt noch einmal mit ihm reden, da er dies verlangt hat.«

Wir brannten einen Span an, öffneten den Keller, legten die Leiter an, und dann stieg ich hinab. Der Gefangene lag auf dem Kohlenhaufen und empfing mich mit Schimpfworten.

»Glaubst du, in dieser Weise deine Lage zu verbessern?« fragte ich ihn.

»Laß mich los!« antwortete er. »Gib mich frei! Du hast kein Recht, mich hier festzuhalten.«

»Bis jetzt aber bin ich überzeugt, dieses Recht zu haben!«

»Hat dich der Färber Boschak nicht eines Besseren belehrt?«

»Ich war noch nicht bei ihm.«

»Warum nicht? Warum zauderst du? Es muß jetzt weit über Mittag sein. Du hast längst Zeit gehabt, nach Dschnibaschlü zu gehen.«

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