»Hier hast du Kuhmilch. Sie ist frisch und wird dir schmecken. Oder ist dir vielleicht Ziegenmilch noch lieber als diese?«
»Ist von der letzteren auch bereits die Milchhaut abgenommen?«
»Ja, ich habe es selbst getan.«
»So gib mir Wasser. Ich trinke nur dann Milch, wenn sie ihre Haut noch hat.«
Sie ging hinaus und brachte mir einen tönernen Becher voll Wasser, welches genau so roch und so aussah, als ob ein alter Tabaksbeutel oder ein schmutziger Pudelhund darin gewaschen worden sei.
»Wo hast du dieses Wasser geschöpft?« fragte ich.
»Ich habe es aus dem Backtrog genommen,« antwortete sie.
»Hast du kein anderes Wasser?«
»Ja, wir haben nicht weit vom Hause ein fließendes Wasser.«
»Kannst du mir nicht von diesem bringen?«
»Ich könnte es; aber du wirst es nicht trinken.«
»Warum nicht?«
»Es sind Frösche und Kröten darin, so groß wie ein Schäferhund oder ein Igel, wenn er recht fett geworden ist.«
»Habt ihr denn keinen Brunnen in der Nähe?«
»Ja; aber es sind Eidechsen darin, so lang und so stark wie ein Aal.«
»O wehe! Da will ich lieber nicht trinken.«
»Herr, einen guten Most könnte ich dir geben.«
»Ist er wirklich gut?«
»Er ist so süß wie Zucker und Honig.«
»So bitte ich dich, mir davon zu geben!«
Sie entfernte sich abermals. Als sie zurückkehrte, brachte sie mir einen ausgehöhlten halben Kürbis, in welchem sich eine Flüssigkeit befand, deren Aussehen ein geradezu lebensgefährliches war. Ich roch daran und wurde dadurch nur in dem Vorsatze bestärkt, mich äußerst reserviert zu verhalten.
»Aus welchen Früchten ist der Most gepreßt?« erkundigte ich mich.
»Aus Maulbeeren, Beeren der Eberesche und Zitronen. Er ist mit gelben Pilzen gewürzt und mit Sirup gesüßt. Er wird dich erquicken und stärken, wie ein Strom des Paradieses.«
Also Maulbeeren, welche an und für sich einen eklen Geschmack besitzen, Ebereschenbeeren, welche ein Futter für Gimpel und andere Vögel bilden, und saure Zitronen! Mit Gelbschwämmen gewürzt und mit Zucker süß gemacht. Der Geschmack ließ sich denken und die Wirkung ahnen. Ein Leibschneiden oder ähnliches mußte die unvermeidliche Folge sein. Aber ich hatte wirklich Durst und setzte darum den Kürbis an die Lippen, machte die Augen zu und tat einige Züge. Da aber hatte mich das Mädchen schnell beim Arme.
»Dur, dur halt, halt!« rief sie. »Salt bir itschimi, salt bir itschimi nur einen Schluck, nur einen Schluck!«
»Warum?« fragte ich.
Und indem ich das Gefäß absetzte, bemerkte ich erst den widerlichen Geschmack des hinterlistigen Getränkes.
»Sandschy, korkulu sandschy Bauchgrimmen, fürchterliches Bauchgrimmen!« antwortete sie.
»Warum aber gibst du mir das Zeug?«
»O, der Most ist sehr gut; aber man darf nur einen einzigen Schluck nehmen. Paß auf! So!«
Und sie nahm mir den Kürbis aus der Hand, um einen langen, langsamen, schlürfenden Zug zu tun. Dabei machte sie ein Gesicht, als ob sie den Extrakt des himmlischen Nektars trinke.
Es kam mir dabei der Gedanke an den entsetzlichen Kumis, den ich in der Kirgisensteppe getrunken hatte. Bei den ersten Versuchen hätte ich in Ohnmacht fallen mögen. Man riet mir, beim Trinken die Nase zuzuhalten, und in der Befolgung dieses guten Rates war es mir wirklich gelungen, diesen mephitischen Trank später ohne Abscheu zu genießen.
Dieser Most hier in Dschnibaschlü war jedenfalls ein weit schlimmeres Kunstprodukt; da ich mich aber stets eines ausgezeichneten Magens erfreut habe, blieb der Mordversuch der schönen Bäckers- und Färberstochter ohne alle Folgen.
Als sie nun den Kürbis zur Erde setzte, kam ein alter, dreifarbiger Kater, welcher bisher in einer Ecke gelegen hatte, herbei, tauchte rekognoszierend den Schnurrbart in den Most, schüttelte bedenklich den Kopf, begann aber doch zu lecken, erst leise und mißtrauisch, dann aber mit sichtbarem Behagen.
»Kätschük kedi-im itsch; aschyk-üm, tatlylyk-üm, benim, dschanymlyk, itsch, itsch, itsch trink, mein Kätzchen; sauf, sauf, sauf, meine Süße, meine Teure!« sagte die Türkin, indem sie das Tier streichelte.
»Halt, halt!« rief ich, und zwar so laut, daß sie ganz erschrocken emporfuhr.
»Was ists? Warum rufst du so?« fragte sie.
»Laß deinen Liebling doch nicht von diesem Most trinken!«
»Warum nicht?«
»Er wird das Bauchgrimmen bekommen, vor welchem du mich gewarnt hast!«
»O nein! Er ist den Most gewöhnt.«
»Ah, er trinkt den Most öfters?«
»Ja.«
»Aus diesem Kürbis?«
»Ja. Er trinkt ihn sehr gern; er hat erst vorhin daraus getrunken, der Gute, der Liebe.«
Also auch das noch! Erst hatte der »Liebling« getrunken, dann ich, dann sie! Und dazu die unübertreffliche Unbefangenheit, mit welcher sie mir das sagte! O Ikbala, wie wenig bist du doch von den guten Sitten des westlicheren Europa übertüncht!
Ich hätte recht zornig werden mögen, brachte aber im Gegenteile, aller Rachsucht bar, das Gespräch auf den Gegenstand, welcher ihr jedenfalls der allerliebste war:
»Trinkt Ali, der Sahaf, auch zuweilen von dem Most?«
Als ich diese Frage in aller Gleichmütigkeit aussprach, blickte sie mich überrascht an.
»Herr, kennst du den Sahaf?« fragte sie.
»Ja, ich kenne ihn.«
»Wo hast du ihn kennen gelernt?«
»Auf dem Wege von Koschikawak hierher, und zwar heute, vor ungefähr zwei Stunden.«
»Hat er von mir gesprochen?«
»Ja. Ich soll dir einen Gruß von ihm sagen.«
»So hat er dir gesagt, daß er mich liebt?«
»Das hat er gesagt und auch noch etwas.«
»Was denn?«
»Daß du ihn ebenso liebst.«
»Ja, das ist wahr. Wir lieben uns von ganzem Herzen. Er ist um meinetwegen aus Arabien zurückgekehrt.«
»Und soll doch nicht mit dir sprechen!«
»Leider! Der Vater will es nicht.«
»Aber deine Mutter ist der Schutzgeist, welcher euch umschwebt.«
»Ach ja! Hätten wir diese nicht, so wäre unser Herzleid so groß wie das höchste Minaret im ganzen Reiche des Beherrschers aller Gläubigen. Wir würden uns töten, entweder durch Rattengift, oder durch Ersäufen, da wo das Wasser am tiefsten ist.«
»Du meinst draußen im fließenden Wasser?«
»Ja, das meine ich.«
»Aber, sagtest du nicht, daß sich dort Frösche und Kröten befinden, so groß und so dick wie ein Igel?«
»Ja. Und das ist wahr. Aber wir würden uns eine Stelle suchen, wo sich keine Frösche befinden.«
»Und woher würdet ihr das Gift bekommen?«
»Ali würde nach Mastanly reiten. Dort gibt es zwei Apotheker, welche alle Gifte haben.«
»Vielleicht ist es nicht nötig, daß ihr in das Wasser oder in die Apotheke geht. Dein Vater wird wohl noch freundlicher gesinnt gegen Ali werden.«
»O nein! Mosklan gibt das nicht zu.«
»Wer ist dieser Mosklan?«
»Er handelt mit Pferden und tut auch noch allerlei anderes. Doch du kennst ihn nicht. Ich soll zur Ehe mit ihm gezwungen werden.«
»Ich weiß es.«
»Hat Ali es dir erzählt?«
»Ja. Führt dieser Mann nicht noch andere Namen?«
Sie zögerte mit der Antwort.
»Du kannst aufrichtig mit mir sein; ich meine es sehr gut mit dir,« bemerkte ich.
»Nein, er führt keinen anderen Namen,« sagte sie.
»Das sagst du aus Angst vor ihm und deinem Vater!«
»O nein! Ich weiß von anderen Namen nichts.«
»Nun, hast du nicht einmal einen Mann gesehen, welcher Pimosa heißt und aus Lopaticza ist?«
Sie wurde verlegen und fragte stockend:
»Wo sollte ich ihn gesehen haben?«
»Hier, bei euch, in diesem Hause.«
»Nein; du irrst.«
Sie wurde verlegen und fragte stockend:
»Wo sollte ich ihn gesehen haben?«
»Hier, bei euch, in diesem Hause.«
»Nein; du irrst.«
»Nun gut, so habe ich mich geirrt, und das ist gar nicht gut für dich.«
»Nicht gut? Warum?«
»Wüßtest du, wer dieser Pimosa ist, und was er tut, so könnte ich deinen Vater bewegen, dich dem Ali zum Weibe zu geben.«
»Wie sollte das möglich sein?«
»Nun, ich will dir sagen, daß ich hierher gekommen bin, um dich zu sehen. Ich hatte mir, falls du mir gefallen würdest, vorgenommen, zu Ali zu reiten, um ihn deinem Vater als Schwiegersohn zuzuführen.«
»Das ist unmöglich!«
»O nein; es ist sogar sehr leicht möglich.«
»Wie wolltest du dies anfangen?«
»Das kann ich dir nicht sagen, weil auch du nicht aufrichtig bist. Ich wollte deinen Vater zwingen, heute seine Einwilligung zu geben; heute, verstehst du wohl?«
»Und du glaubst, daß er sie gegeben hätte?«
»Ja, ganz gewiß. Aber du vertrauest mir nicht, und so bin ich hier bei dir überflüssig. Ich werde also jetzt wieder aufbrechen.«
Ich wollte von meinem Sitz aufstehen; aber schon stand sie bei mir, hielt mich zurück und sagte:
»Herr, bleib sitzen! Wer bist du denn, daß du glaubst, eine solche Macht über meinen Vater zu haben?«
»Ich bin ein Effendi aus dem Abendlande; ich stehe unter dem Schatten des Padischah und kann, wenn ich will, allerdings deinen Vater zwingen, deine Neigung zu Ali zu gestatten. Aber ich habe keine Zeit; ich muß fort!«
»Bleibe noch da! Ich will aufrichtig gegen dich sein.«
»Daran tust du klug. Es ist zu deinem Nutzen. Also sag mir, ob du jenen Pimosa kennst.«
»Ja, ich kenne ihn. Verzeihe mir, daß ich vorhin anders redete!«
»Ich verzeihe dir. Ich weiß ja, daß du in Rücksicht auf deinen Vater so sprechen mußtest.«
»Aber kannst du mir versprechen, daß du meinen Vater nicht in Schaden bringen willst?«
»Ja, ich verspreche es.«
»Gib mir deine Hand darauf!«
»Hier hast du sie. Wenn ich etwas verspreche, so halte ich auch Wort. Nun aber sage mir, wer Pimosa ist!«
»Er heißt nicht Pimosa; er nennt sich zuweilen so. Er ist jener Mosklan, dessen Frau ich werden soll.«
»Ich wußte es bereits. Was ist das, was er außer dem Pferdehandel noch betreibt?«
»Er ist Pascher, und er ist auch der Bote des Schut.«
»Hat der Schut ihn auch bereits zu deinem Vater gesendet?«
»Ja.«
»In welcher Angelegenheit?«
»Das weiß ich nicht.«
»Dein Vater ist Pascher?«
»Nein.«
»Sage die Wahrheit!«
»Er ist kein Pascher; aber die Schmuggler kommen zu ihm und dann «
Sie stockte.
»Nun? Und dann ?«
»Und dann hat er immer sehr viele Waren.«
»Wo? Hier im Hause?«
»Nein, sondern draußen auf dem Felde.«
»An welchem Ort?«
»Das darf ich nicht sagen. Ich und die Mutter haben schwören müssen, nichts zu verraten.«
»Das hast du gar nicht nötig, denn ich kenne den Ort ebenso genau wie du.«
»Das ist ganz unmöglich. Du bist ja fremd!«
»Und dennoch kenne ich ihn. Es ist das Loch da draußen in dem Dorngestrüppe.«
Da schlug sie erstaunt die Hände zusammen und rief:
»O Allah! Du weißt es wirklich!«
»Siehst du! Eben heute befinden sich viele Waren dort.«
»Hast du sie gesehen?«
»Ja. Es sind lauter Teppiche.«
»Wirklich, wirklich, du weißt es! Wer hat dir diesen Ort verraten?«
»Kein Mensch. Wo sind die Teppiche her?«
»Sie sind mit dem Schiffe über das Meer gekommen. In Makri werden sie gelandet, und von da haben sie unsere Träger nach Gümürdschina und zu uns gebracht.«
»Und wohin sind sie bestimmt?«
»Sie sollen nach Sofia gehen und von da aus immer weiter; ich weiß nicht, wohin.«
»Ist der Schut bei dieser Pascherei beteiligt?«
»Nein. Der Hauptanführer ist ein Silahdschi in Ismilan.«
»Ah, so! Dieser Mann hat auch ein Kahwehane?«
»Ja.«
»Er wohnt in der Gasse, welche nach dem Dorfe Tschatak führt?«
»Effendi, du kennst ihn?«
»Ich habe von ihm gehört. Ist dir sein Name bekannt?«
»Er heißt Deselim.«
»War er zuweilen bei euch?«
»Sehr oft. Er wird auch heute oder morgen kommen.«
»Wohl wegen der Teppiche, welche sich da draußen im Felde befinden?«
»Ja. Sie müssen fortgeschafft werden.«
»Bringt er die Träger mit?«
»Einige; die andern wohnen hier in der Nähe.«
»In Dschnibaschlü?«
»Hier und in den nächsten Orten.«
»Wer ruft sie zusammen?«
»Mein Vater.«
»Er selbst doch aber nicht?«
»Nein, sondern er sendet unsern Gesellen, der sie alle kennt.«
»Das ist der Mensch, welcher deiner Mutter vom Maulesel hilft?«
»Ja. Er hat alle Farben im Gesicht. Er ist ein sehr schlauer und auch ein sehr mutiger Mensch. Horch! Es kommt jemand!«
Draußen unter dem Eingange ließ sich ein eigentümliches Schnaufen und Stöhnen vernehmen.
»A buh! A buh!« erklang es ächzend.
»Das ist mein Vater,« sagte sie. »Laß ihn ja nicht merken, daß ich mit dir gesprochen habe!«
Im nächsten Augenblick war sie verschwunden, dahin, wohin auch ihre Mutter gegangen war.
Ich befand mich also ganz allein im Zimmer, den Kater abgerechnet, welcher sich wieder in seine Ecke zurückgezogen hatte. Das war mir unlieb, konnte aber nicht geändert werden. Ich hörte einige schwere, schlürfende Schritte, einige wiederholte »A buh«, und dann trat er ein.
Ich erschrak beinahe, als ich den Mann sah. Er war fast so dick wie hoch und mußte sich förmlich zur Türöffnung hereindrängen. Er trug sich vollständig bulgarisch. Seine Hose, seine Tunika, sein kurzer Aermelmantel waren von Wollenstoff, während der Osmane für die Sommerszeit einen faltenreichen, leichten, leinenen oder baumwollenen Stoff anzulegen pflegt. Die Beine des Bäckers waren auch nach bulgarischer Manier mit dicken Bändern umwickelt, die auch den Fuß umhüllten. Der Altbulgare, ein zum Slawentum übergetretener Tatar, liebt andere Fußbekleidungen nicht.
Es versteht sich ganz von selbst, daß diese Tracht den Bäcker noch mehr entstellte. Der kurze Mantel, die umwickelten Beine, der anderthalb Fuß breite Gürtel, welchen er um den Leib trug, machten ihn noch viel dicker und unförmlicher, als er eigentlich war. Dazu kam, daß er den Kopf rasiert hatte. Nur oben auf der Mitte des Schädels befand sich ein langer Haarbüschel, der, in zwei Zöpfe geflochten, hinten hinunterhing. Ein Fez oder irgend eine andere Kopfbedeckung trug er nicht. In der Hand hatte er ein mit den Knoten zusammengebundenes Tuch, in welchem sich einige Düten befanden.
Würde man mich fragen, welche Farbe sein Anzug gehabt habe, so könnte ich das unmöglich sagen. Ursprünglich war jedenfalls eine Farbe dagewesen. Ueber diese hinweg aber gab es Striche von allen möglichen Farben, so daß der eigentliche Grund gar nicht mehr zu erkennen war. Man sah nur, daß der Mann seine Finger, mochten sie nun beim Backen mit Teig oder beim Färben mit Farbe beschmiert gewesen sein, ganz einfach an seiner Kleidung abgewischt hatte.
Seine Hände hatten das Aussehen, als ob er einen Farbenkasten zerstampft, das Pulver in Oel gerieben und sich dann damit die Finger angepinselt hätte. Die Arme konnte ich nicht sehen; jedenfalls aber glichen sie ganz genau denjenigen seiner holden »Erdbeere«, deren Farbüberzug ich ja erst für Handschuhe gehalten hatte.
Und nun gar das Gesicht! Das war grandios zu nennen. Jedenfalls hatte er zwei Angewohnheiten oder auch drei, welche sich bei seinem Geschäfte nicht vertrugen: er schnupfte; er liebte es, sich die Augen zu reiben, und er pflegte sich wohl auch gern hinter den Ohren zu kratzen, denn sowohl die Nase, wie die Umgebung der Augen und Ohren schienen mit schwarzer Tinte, Pflaumenmus, Eigelb, Himbeersaft und geschlemmter Kreide eingerieben worden zu sein.