In den Schluchten des Balkan - Karl May 4 стр.


»Sehr.«

»Ein böser Mensch ist nicht ein Freund der Blumen. Du sollst die schönste meiner Himmelsrosen haben, halb Knospe und halb aufgeblüht; dann ist der Duft so süß und entzückend, als komme er direkt von Allahs Thron.«

Er schnitt mir nach längerer Wahl zwei der Blüten ab und reichte sie mir über den Zaun herüber.

»Hier, Fremdling!« sagte er. »Einen einzigen Duft nur gibt es, welcher über denjenigen der Rose geht.«

»Welcher ist das?«

»Der Duft der Tütün dschebeli[20].«

»Kennst du denn diesen Duft?«

»Nein; aber ich hörte davon sprechen und ihn rühmen als den herrlichsten der Wohlgerüche. Allah hat uns nicht erlaubt, ihn kennen zu lernen. Wir rauchen hier nur Tütün mysr bughdajy[21].«

»Hascha! Scheni! Gott bewahre! Abscheulich!«

Er nickte mit dem Kopfe und erklärte:

»Ja, wir sind arm, sehr arm. Ich bin ein alter Rosenhüter und muß die Blätter des Maises in den Tabak schneiden.«

»Und doch ist euer Rosenöl so teuer!«

»Sus ol sei still! Wir wären wohl nicht so arm; aber die Babi humajun, die Babi humajun[22]! Die steht stets offen für das, was hineinfließen soll. Die Paschas und Minister können wohl Dschebeli rauchen. Wenn ich ihn doch nur einmal riechen dürfte, nur riechen!«

»Hast du denn eine Tabakspfeife?«

»O Allah! Ich werde doch wohl einen Tschibuk haben!«

»Nun, so komm einmal her!«

Ich nahm mein Bast-Etui aus der Satteltasche und öffnete es. Der Alte war so zutraulich gegen mich; ich mußte ihm eine Freude machen. Seine Augen waren mit Begierde auf das Etui gerichtet.

»Ein Dscheb tütünün[23]!« sagte er. »Nicht wahr, es ist Tabak darin?«

»Ja. Du hast mir zwei deiner köstlichen Rosen geschenkt; ich werde dir dafür von meinem Tabak geben.«

»O Effendi, wie gütig du bist!«

Ich hatte zwei oder drei Briefcouverts bei mir. Ich füllte eins davon mit Tabak und gab es ihm. Er hielt es an die Nase, roch daran, zog die Brauen hoch empor und sagte:

»Das ist kein Maistabak!«

»Nein, sondern es ist Dschebeli.«

»Dschebeli!« rief er aus. »Effendi, sagst du mir auch die Wahrheit?«

»Ja. Ich täusche dich nicht.«

»So bist du nicht ein Effendi, sondern ein Pascha oder gar ein Minister. Nicht?«

»Nein, mein Freund. Der Dschebeli wird nicht nur an der hohen Pforte geraucht. Ich war da, wo er wächst.«

»Du Glücklicher! Aber ein hoher Herr bist du doch!«

»Nein. Ich bin ein armer Schriftsteller; aber die hohe Pforte hat mir doch ein wenig Dschebeli gelassen.«

»Und von dem Wenigen gibst du mir! Allah segne dich! Aus welchem Lande bist du?«

»Aus Nemtsche memleketi.«

»Ist es das, welches wir auch Alemanja nennen?«

»Ja.«

»Ich habe noch keinen Nemtsche gesehen. Sind die eurigen alle so gut wie du?«

»Ich hoffe, daß sie so sind, wie du und ich.«

»Und was tust du hier im Osmanly memleketi? Wo willst du hin?«

»Nach Mastanly.«

»Da bist du doch vom Wege ab. Du mußt nach Geren, um von da zunächst nach Derekiöj zu kommen.«

»Ich bin mit Absicht von diesem Wege abgewichen. Ich will in möglichst gerader Linie nach Mastanly reiten.«

»Das ist für einen Fremden schwer, sehr schwer.«

»Kannst du mir nicht vielleicht den Weg beschreiben?«

»Ich werde es versuchen. Da blicke einmal gegen Südwest hinüber. Wo jetzt die Sonne auf die Höhen fällt, das sind die Berge von Mastanly. Nun weißt du die Richtung. Du kommst durch viele Dörfer, auch durch Koschikawak. Dort mußt du über den Burgasfluß, und dann liegt Mastanly grad im Westen. Deutlicher kann ich es dir nicht sagen. Morgen abend wirst du dort sein.«

Das war spaßhaft. Ich fragte lächelnd:

»Du bist wohl kein Reiter?«

»Nein.«

»Nun, ich will heute auf alle Fälle bis Koschikawak kommen.«

»Unmöglich! Kannst du hexen?«

»Nein; aber mein Pferd läuft wie der Wind.«

»Ich habe gehört, daß es so schnelle Pferde geben soll. Du willst also diese Nacht in Koschikawak bleiben?«

»Wahrscheinlich.«

»Das freut mich sehr. Du sollst nicht ein Gasthaus aufsuchen, denn am Eingang des Ortes wohnt mein Bruder, Schimin, der Schmied, welcher dich mit Freuden aufnehmen wird.«

Vielleicht konnte dieses Anerbieten von Nutzen sein. Darum antwortete ich:

»Ich danke dir! Ich werde deinen Bruder wenigstens im Vorüberreiten von dir grüßen.«

»Nein, nicht so! Du mußt wirklich bei ihm bleiben. Du hast mir von deinem wAllah! Welch ein Duft! Wie aus der Kaaba der heiligen Stadt Mekka!«

Er hatte nämlich, während wir sprachen, eine kurze Pfeife hervorgezogen und sie gestopft. Jetzt sog er den ersten Rauch durch das Rohr und brach dabei in den Ausruf des Entzückens aus.

»Mundet er dir?« fragte ich.

»Munden? Munden? Er geht durch die Nase wie das Sonnenlicht durch die Röte des Morgens. So schwebt die Seele des Gerechten in die sieben Himmel ein. Effendi, warte, ich werde dir etwas holen!«

Er schien nicht nur ent-, sondern verzückt zu sein. Er rannte, so schnell seine alten Beine es ihm erlaubten, davon, kam aber sehr bald wieder zwischen den Rosensträuchern zum Vorschein.

»Effendi, rate einmal, was ich hier in meiner Hand halte!« sagte er, noch bevor er den Zaun erreicht hatte.

»Ich sehe nichts.«

»O, es ist klein, aber fast auch so viel wert wie dein Dschebeli. Willst du es sehen?«

»Zeige es mir!«

»Hier! Was ist es?«

Er hielt mir ein kleines, wohlverschlossenes Fläschchen entgegen und fragte abermals:

»Was ist in diesem Fläschchen? Sage es, Effendi!«

»Wird es wohl Rosenwasser sein?«

Ich konnte ihm, dem armen Hüter, doch nur dieses zutrauen; er aber antwortete in gekränktem Tone:

»Rosenwasser? O, Effendi, willst du mich beleidigen? Rosenöl ist es, echtes Rosenöl, so wie du in deinem Leben noch keins gesehen hast!«

»Von wem ist es?«

»Von wem? Von mir!«

»Du bist doch nur der Hüter dieses Gartens!«

»Ja, das bin ich, nur der Hüter; du hast recht, aber mein Herr erlaubte mir, die eine Ecke des Gartens zu bepflanzen. Ich suchte mir die beste Sorte aus und habe gespart seit langer, langer Zeit. Zwei solcher Fläschchen habe ich zusammengebracht. Das eine wollte ich heute verkaufen; man hat mich darum betrogen. Das andere ist dein. Ich schenke es dir.«

»Mann, was sagst du?«

»Es ist dein.«

»Höre einmal, wie ist dein Name?«

»Jafiz heiße ich.«

»Nun, Jafiz, du bist toll!«

»Warum?«

»Weil du dieses Oel verschenken willst.«

»Oel? Oel? O, sage nicht dieses Wort! Essenz ists, aber kein gewöhnliches Oel. In diesem kleinen Fläschchen wohnen die Seelen von zehntausend Rosen. Willst du es verschmähen, Effendi ?«

»Ich kann es nicht annehmen.«

»Warum nicht?«

»Du bist arm; ich darf dich nicht berauben.«

»Wie kannst du mich berauben, da ich es dir ja schenke? Dein Dschebeli ist ebenso kostbar wie diese Essenz.«

Um nur eine Unze gutes Oel zu gewinnen, bedarf man sechshundert Pfund der besten Rosenblätter. Ich wußte das. Darum sagte ich:

»Und dennoch darf ich dieses Geschenk nicht annehmen.«

»Willst du mich betrüben, Effendi?«

»Nein.«

»Oder beleidigen?«

»Auch nicht.«

»Nun, ich sage dir: wenn du es nicht annimmst, so schütte ich das Oel jetzt auf die Erde!«

Ich sah, daß es ihm Ernst war.

»Halt!« bat ich. »Du hast das Oel destilliert, um es zu verkaufen?«

»Ja.«

»Nun gut; ich kaufe es dir ab.«

»Ja.«

»Nun gut; ich kaufe es dir ab.«

Er lächelte mich sehr überlegen an und fragte:

»Wie viel würdest du mir bieten?«

Ich zog so viel, wie ich nach meinen Kräften zu geben vermochte, hervor und hielt es ihm hin.

»Das gebe ich dafür.«

Er nahm es in die Hand, zählte und sagte, indem er unter einem bezeichnenden Lächeln den Kopf auf die Seite legte:

»Effendi, deine Güte ist größer als dein Beutel!«

»Darum bitte ich dich, dein Oel zu behalten. Du bist zu arm, um es mir zu schenken, und ich bin nicht reich genug, es zu kaufen.«

Er lachte und antwortete:

»Ich bin reich genug, es zu verschenken, denn ich habe deinen Tabak, und du bist arm genug, es von mir annehmen zu können. Hier hast du das Geld zurück!«

Diese Freigebigkeit war zu groß, als daß ich sie hätte annehmen können. Ich konnte mir denken, daß das Sümmchen, welches ich ihm gegeben hatte, für ihn denn doch nicht ohne Wert war. Ebenso sah ich, daß er das Fläschchen nicht wieder nehmen werde. Darum wies ich das Geld zurück, indem ich in bestimmtem Tone ihm erklärte:

»Wir beide wollen uns beschenken, ohne reich zu sein; darum ist es besser, wir behalten, was wir voneinander bekommen haben. Wenn ich mein Vaterland glücklich erreiche, werde ich den schönen Frauen, die sich an dem Wohlgeruche deines Oeles erfreuen, von dem Rosengärtner Jafiz erzählen, welcher so freundlich gegen mich gewesen ist.«

Dies schien ihn zu erfreuen. Sein Auge begann zu glänzen. Er nickte mir befriedigt zu und fragte:

»Sind die Frauen deines Landes Freundinnen der Wohlgerüche, Effendi?«

»Ja; sie lieben die Blumen, die ihre Schwestern sind.«

»Und hast du noch lange Zeit zu reiten, ehe du zu ihnen kommst?«

»Vielleicht noch wochenlang. Und dann, wenn ich vom Pferde steige, habe ich noch tagelang auf dem Schiff und auf der Eisenbahn zu fahren.«

»Das ist weit, sehr weit. Kommst du da vielleicht in gefährlichen Gegenden zu bösen Leuten?«

»Das ist sehr möglich. Ich muß durch das Land derjenigen, die in die Berge gegangen sind.«

Er blickte erst sinnend vor sich nieder; dann musterte er mich aufmerksam und endlich sagte er:

»Effendi, des Menschen Angesicht ist wie die Oberfläche des Wassers. Das eine Wasser ist rein, hell und klar, und seinem leuchtenden Spiegel vertraut sich der Badende gern an. Das andere Wasser aber ist finster, dick und schmutzig; wer es erblickt, der ahnt Gefahr und geht eiligst vorüber. Das erstere gleicht dem Antlitz des guten und das zweite demjenigen des bösen Menschen, des Bösewichtes. Deine Seele ist freundlich und hell; dein Auge ist klar, und in deinem Herzen lauert weder Gefahr noch Verrat. Ich möchte dir etwas sagen, was ich sehr selten einem Bekannten mitgeteilt habe. Und du bist doch ein Fremder.«

Diese Worte mußten mich erfreuen, obgleich ich keine Ahnung von der Natur seiner Mitteilung haben konnte. Ich antwortete:

»Deine Worte sind warm und sonnig wie Strahlen, welche auf das Wasser fallen. Sprich weiter!«

»In welcher Richtung wirst du von Mastanly aus reiten?«

»Nach Menlik zunächst. Dort aber wird es sich entscheiden, welche Richtung ich einschlage. Vielleicht muß ich nach Uskub und von da hinauf in die Berge von Kostendil.«

»Wullack wehe dir!« entfuhr es ihm.

»Hältst du diesen Weg für schlimm?«

»Für sehr schlimm. Bist du in Kostendil und willst an das Meer, so mußt du über den Schar-Dagh nach Perserin, und da haben sich die Skipetars und Flüchtlinge versteckt. Sie sind arm; sie haben nur ihre Waffen; sie müssen vom Raube leben. Sie werden dir alles, alles nehmen, was du hast, vielleicht sogar das Leben!«

»Ich werde mich zu verteidigen wissen!«

Er schüttelte leise den Kopf und sagte:

»Bir gendsch kan war on bin küstachlück ein junges Blut hat zehntausend Mut! Und du bist noch jung. Du hast zwar viele Waffen bei dir, aber was helfen sie gegen zehn oder zwanzig und gar fünfzig Feinde?«

»Mein Pferd ist schnell!«

»Ich bin kein Kenner, doch sehe ich, daß dein Rappe schön ist; aber diejenigen, welche in die Berge gehen, besitzen auch nur schnelle Tiere. Sie werden dich leicht einholen.«

»Mein Hengst ist von reinem Blute; er heißt Wind und läuft wie der Wind.«

»So werden dich doch ihre Kugeln treffen, denn die Kugel fliegt schneller als das flinkeste Pferd. Die Skipetars sind Pferdekenner; sie werden sofort sehen, daß dein Pferd den ihrigen überlegen ist, und dich also nicht offen erwarten, sondern aus dem Hinterhalt auf dich schießen. Wie willst du dich vor ihnen verwahren?«

»Durch Vorsicht.«

»Auch diese wird dich nicht retten, denn das Sprichwort sagt: Sakinma dir kawl kabahatun[24]. Du bist ein ehrlicher Mann; sie werden zehnmal vorsichtiger sein als du! Erlaube mir, daß ich dich warne!«

»Steht diese Warnung vielleicht in Beziehung zu dem, was du mir sagen wolltest?«

»Ja.«

»So bin ich sehr wißbegierig, es zu erfahren.«

»Nun, ich will dir anvertrauen, daß es ein Sicherheitspapier gibt, welches die Freunde, Bekannten und Verbündeten der Unheimlichen besitzen.«

»Woher weißt du das?«

»Das weiß hier jedermann. Aber nur wenige kennen die Art und Weise, wie es zu erlangen ist.«

»Und du aber weißt es?«

»Nein. Ich bleibe in meinem Garten und mache niemals eine Reise. Aber Schimin, mein Bruder, ist ein Wissender. Ich darf dir das sagen, weil ich dir vertraue, und weil du dieses Land ja bald verlassen wirst.«

»So wäre es mir lieb, wenn er dasselbe Vertrauen zu mir hätte!«

»Er wird es haben, wenn ich dich schicke.«

»Könntest du mir nicht einige Zeilen an ihn geben?«

»Ich kann nicht schreiben. Aber zeige ihm dein Rosenöl. Er kennt das Fläschchen ganz genau; er weiß, daß ich es an keinen Unwürdigen verkaufe oder verschenke. Und dann, wenn du es ihm zeigest, so sage ihm, daß dich sein Oeje-kardasch[25] oder sein Jary-kardasch[26] sendet. Kein Mensch weiß, daß wir verschiedene Mütter hatten. Sende ich ihm eine vertrauliche Botschaft, so dient das Oeje oder Jary stets als Zeichen, daß er dem Boten trauen kann.«

»Ich danke dir! Du glaubst also, daß er mir Näheres über das Sicherheitspapier mitteilen werde?«

»Ich hoffe es. Es sind in dieser Gegend «

Er hielt inne und lauschte. Von weit hinten im Garten hatte sich ein lauter Pfiff hören lassen, welcher jetzt wiederholt wurde.

»Mein Herr ruft,« fuhr er fort. »Ich muß zu ihm. Hast du dir alles gemerkt, was ich dir gesagt habe?«

»Alles.«

»Nun, so vergiß es nicht unterwegs. Allah sei bei dir und gebe dir die Erlaubnis, den schönen Frauen deines Vaterlandes die Düfte meines Gartens zu bringen!«

Noch ehe ich antworten konnte, hatte er sich von dem Zaune entfernt, und im nächsten Augenblick war das Geräusch seiner Schritte nicht mehr zu hören.

Konnte ich das Begegnen mit dem Gartenaufseher ein für mich glückliches nennen? Ein unglückliches jedenfalls nicht. Beruhte das, was er mir von dem Papiere der Sicherheit gesagt hatte, auf Wahrheit? Wie ein Lügner hatte er nicht ausgesehen. Auf alle Fälle war es gut, seinen Bruder aufzusuchen, dessen Schmiede höchst wahrscheinlich an dem Wege lag, den nicht nur meine Begleiter, sondern auch der Reiter, welchem ich die Richtung verlegen wollte, einschlagen mußten.

Ich ritt weiter. Mein Pferd hatte sich während des Gespräches verschnauft und konnte nun desto besser ausgreifen.

Wollte ich mich in gerader Linie halten, so mußte ich über Höhen hinweg, welche jedenfalls große Schwierigkeiten boten. Darum beschloß ich, mich lieber möglichst am Fuße derselben zu halten.

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