»Ja, es ist richtig: der Stareschin von Bu-Kiöj, ein harter, rücksichtsloser und ungerechter Beamter. Dazu kommt, daß du Flüchtlinge entkommen lässest, anstatt sie festzuhalten. Man wird dir «
»Hart? Rücksichtslos? Ungerecht?« unterbrach er mich. »Effendi, es ist ganz unmöglich, daß ich gemeint bin!«
»Wer anders denn? Ich habe heut keine Zeit, mich länger mit dir zu befassen; aber du kannst dich darauf verlassen, daß eine jede Ungerechtigkeit ihre sichere Strafe findet. Hast du gehört, was der Prophet von den Ujuhn Allah[9] gesagt hat?«
»Ja, Emir,« antwortete er kleinlaut.
»Sie sind schärfer als das Messer, welches dir in das Herz dringt, um dich zu töten. Sie dringen tiefer; sie dringen in die Seele, und vor ihnen kann kein Leugnen bestehen. Denke immer an diese Augen des Allwissenden, sonst wird es dir schlimmer ergehen, als einem abid elaßnam[10] trotz der Ssalawat[11], welche du pünktlich einzuhalten gewohnt bist! Ich gehe. Allah lenke die Gefühle deines Herzens und die Gedanken deines Kopfes! Allah jusellimak Gott behüte dich!«
Er verneigte sich tief und ehrerbietig und antwortete:
»Nesinin said deine Jahre seien gesegnet!«
Der Nachtwächter verbeugte sich so tief, daß sein Gesicht fast den Boden berührte, und sagte türkisch:
»Akibetiniz chajir ola Sultanum möge Ihr Ende gut sein, mein Herr!«
Er gab mir also den Plural anstatt den Singular, eine große Höflichkeit; doch als ich durch die Türe hinaustrat, hörte ich den Kiaja, welcher mir soeben erst gesegnete Jahre gewünscht hatte, leise und ingrimmig murmeln:
»Ingali min hon.«
Es bedeutet das so ziemlich dasselbe, was in gebräuchlicherem Arabisch ausgedrückt wird: »ruh lildschehennum geh zum Teufel!« Es war also wohl vorauszusehen, daß meine an ihn gerichtete fromme Ermahnung von keinem großen Nutzen sein werde.
Ich stieg wieder auf, und wir ritten zum Dorf hinaus, aber nicht in westlicher, sondern in südlicher Richtung. Erst als wir nicht mehr gesehen werden konnten, bogen wir wieder in den Weg ein, welcher uns nach Geren, einem ungefähr anderthalb Stunden entfernten Dorfe, führen mußte.
Jetzt erst bemerkte ich, daß wir nur noch zwei Kawassen bei uns hatten.
»Wo ist dein Untergebener?« fragte ich den Kawaß-Baschi.
»Er ist zurück nach Edreneh.«
Das antwortete er so ruhig, als ob es sich um etwas ganz und gar Selbstverständliches handle.
»Warum?«
»Er konnte uns nicht länger folgen.«
»Aber weshalb denn?«
»Er hatte den basch dömnessi gölin[12]. Er konnte es nicht länger mehr aushalten.«
»Wie kommt er denn zu diesem Schwindel?«
»Weil sein Pferd gelaufen ist,« antwortete er ernsthaft.
»Du sagtest ja, ihr könntet so fein reiten!«
»Ja; aber man muß das Pferd stehen bleiben lassen. Wenn es läuft, so wankt und wackelt und schaukelt es zum Erbarmen. Das vermag doch nur der Magen eines Kassak russialy[13] auszuhalten. Meine Badschirsak[14] sind verschwunden; sie sind weg; sie sind bis hinunter in diejenigen des Pferdes gerutscht; ich fühle sie nicht mehr; ich fühle nur noch den Schalwar[15], welcher mir da festklebt, wo ich mir meine gute, eigene Haut hinweggeritten habe. Wäre ich derjenige, der den Teufel zu bestrafen hat, so würde ich ihn verurteilen, mit euch nach Menlik zu reiten. Er würde ohne Haut und Knochen dort ankommen und lieber im stärksten Feuer der Hölle sitzen, als auf diesem Pferd.«
Das war eine Klagrede, über welche wir andern zwar lachen mußten, doch tat mir der Mann immerhin leid. Er machte ein gar zu jämmerliches Gesicht. Seine Haut war ihm trotz der kurzen Zeit, während welcher er auf dem Pferde saß, an einigen Stellen abhanden gekommen. Seinem Kameraden erging es jedenfalls nicht besser, denn er murmelte in den Bart hinein:
»Wallahi, öjle dir bei Allah, es ist so!«
Mehr als diesen Stoßseufzer ließ er zwar nicht hören, aber seinem Gesicht war es deutlich anzusehen, daß er ganz denselben körperlichen Empfindungen wie sein Vorgesetzter unterworfen war.
»Wer hat ihm denn die Erlaubnis gegeben, umzukehren?« fragte ich den letzteren.
»Ich,« antwortete er, ganz erstaunt, daß ich überhaupt so fragen könne.
»Ich denke aber, daß ich es bin, den er hätte fragen sollen«
»Du? Effendi, bist du Kawaß-Baschi, oder bin ich es?«
»Natürlich bist du es; aber du weißt doch wohl, wessen Befehle du jetzt zu vollbringen hast!«
»Die Befehle des Kadi. Dieser aber hat mir nicht befohlen, in den Rücken dieses Pferdes ein solches Loch zu reiten, daß ich schließlich nur noch mit dem Kopf herauszugucken vermag. Ich will singen und lobpreisen wie ein Engel, wenn ich wieder in Edreneh in meiner Kaserne liege!«
Da meinte der kleine Hadschi:
»Kerl, wie kannst du so unehrerbietig mit meinem Effendi sprechen! Er ist dein Herr, so lange es ihm beliebt. Wenn er dir befiehlt, zu reiten, so hast du zu reiten, und wenn dir deine ganze Uniform an die Haut wachsen sollte. Warum hast du das große Mundwerk gehabt und behauptet, daß ihr so ausgezeichnet reiten könntet!«
»Was sagt dieser kleine Mann?« entgegnete der Unteroffizier zornig. »Wie nennt er mich? Einen Kerl nennt er mich? Und doch bin ich ein Korporal des Beherrschers aller Gläubigen; ich werde das nach meiner Rückkehr dem Kadi sagen!«
Der kleine Hadschi wollte antworten, doch Osco kam ihm zuvor. Er nahm das Pferd des Kawassen beim Zügel und sagte lachend in seiner heimatlichen (serbischen) Sprache:
»Kommen Sie, wacsche prewaszchodsztwo[16]! Halten Sie sich fest am Sattel an, wiszoko blagorodni gospodine[17]! Jetzt geht das Wettrennen an!«
Im nächsten Augenblick sauste er mit dem Kawaß-Baschi im Galopp davon. Zugleich ergriff Omar Ben Sadek dem andern Kawaß in die Zügel und jagte mit ihm den beiden nach.
»Wetter und Donner! Schuft! Schurke! Teufelssohn! Höllenenkel! Hexenvetter! Bosheitsschwager!«
So und noch viel anders hörten wir die beiden Sicherheitsbeamten schreien, indem sie sich mit den Händen an den Sätteln oder Mähnen festklammerten. Wir folgten ihnen schnell nach. Die beiden armen Kerle taten mir leid; aber sie waren doch bereits vollständig außer Atem, als ich sie eingeholt hatte.
Nun ergingen sie sich in Kraftäußerungen, welche der arabischen, türkischen, persischen, rumänischen und serbischen Sprache entnommen waren. In diesem Genre ist der Orientale, zumal der orientalische Soldat, sprachlich sehr vielseitig bewandert. Ich hatte große Mühe, ihren Zorn zu besänftigen, und es verging eine ganze Weile, ehe wir in ruhiger Stimmung weiterreiten konnten.
Nun gab es auch Zeit, unsere Meinungen über das Erlebnis in Bu-Kiöj auszutauschen.
Halef, dem Scharfsinnigen, fiel ganz ebenso, wie es bei mir der Fall gewesen war, der Umstand auf, daß heute nachmittag ein Reiter sich nach den drei Flüchtigen erkundigt hatte.
»Er muß sie kennen,« sagte er. »Er muß von ihrer Flucht wissen. Warum aber ist er nicht sogleich mit ihnen geritten, Sihdi?«
»Weil es wohl überhaupt gar nicht in seiner Absicht gelegen hat, mit ihnen zu reiten.«
»Aber warum folgt er ihnen nach?«
»Ich vermute, um sie von dem zu unterrichten, was heute noch geschehen ist.«
»Daß du wieder frei bist?«
»Ja.«
»Daß du diesen Ali Manach, den Tanzenden, gefangen genommen hast?«
»Ja, und wohl auch, daß der Tanzende nun tot ist.«
»Was wird Barud el Amasat dazu sagen?«
»Er muß sie kennen,« sagte er. »Er muß von ihrer Flucht wissen. Warum aber ist er nicht sogleich mit ihnen geritten, Sihdi?«
»Weil es wohl überhaupt gar nicht in seiner Absicht gelegen hat, mit ihnen zu reiten.«
»Aber warum folgt er ihnen nach?«
»Ich vermute, um sie von dem zu unterrichten, was heute noch geschehen ist.«
»Daß du wieder frei bist?«
»Ja.«
»Daß du diesen Ali Manach, den Tanzenden, gefangen genommen hast?«
»Ja, und wohl auch, daß der Tanzende nun tot ist.«
»Was wird Barud el Amasat dazu sagen?«
»Schreck und Wut wird er empfinden, vorausgesetzt, daß es diesem Reiter gelingt, ihn einzuholen und ihm die Nachricht zu bringen.«
»Warum sollte es ihm nicht gelingen? Er ist ja so schnell geritten, daß sein Pferd geschwitzt hat!«
»Es ist alt. Und eben weil es bereits geschwitzt hat, wird es nicht lang aushalten. Außerdem liegt es auch nicht in meiner Absicht, diesen Mann seinen Zweck erreichen zu lassen.«
»Warum nicht?«
»Die Flüchtlinge würden durch ihn erfahren, daß ich frei bin und daß sie verfolgt werden. Das aber kann uns keineswegs lieb sein. Je sicherer sie sich fühlen, desto lässiger werden sie ihre Flucht betreiben, und um so eher und leichter werden wir sie einholen. Darum möchte ich dem Reiter, von welchem die Rede ist, schnell nachsetzen, um seine Absicht zu vereiteln.«
»Er hat einen zu großen Vorsprung.«
»Denkst du etwa, Rih könne nicht mehr laufen?«
»Der Rappe, Sihdi? O, Rih heißt Wind und fliegt wie der Wind. Er hat lange Zeit keine Gelegenheit gehabt, zu zeigen, daß er stählerne Flechsen besitzt. Wie würde er sich freuen, einmal mit dem Sturm wetten zu können! Aber wir andern vermögen ja nicht, Schritt zu halten.«
»Das ist auch gar nicht nötig. Ich werde allein reiten.«
»Allein, Sihdi? Und was tun wir?«
»Ihr kommt so schnell wie möglich nach.«
»Wohin?«
»Ihr bleibt immer auf dem Wege nach Mastanly. Auch ich reite dorthin, schlage aber möglichst eine ganz grade Richtung ein. Da ich nun nicht weiß, wo ich ihn treffe, so kann ich auch nicht sagen, wo ich euch erwarten werde.«
»Weißt du denn, ob auch er die gerade Richtung eingeschlagen hat?«
»Das hat er jedenfalls nicht getan. Dieser Weg ist ganz gewiß viel zu beschwerlich für seinen alten Falben.«
»Aber wie nun, wenn du ihn überholst?«
»So warte ich auf ihn.«
»Wirst du denn erfahren, ob er vor oder hinter dir ist?«
»Ich hoffe es.«
»Aber du kennst diese Gegend nicht. Du kannst also sehr leicht in die Irre reiten; es kann dir ein Unglück widerfahren. Nimm mich mit, Sihdi!«
»Habe keine Sorge, mein lieber Halef! Ich bin ja gut beritten und ebenso gut bewaffnet. Dich kann ich unmöglich mitnehmen, da du doch der Anführer der übrigen sein mußt.«
Das schmeichelte seinem Stolz. Er willigte also in meinen Plan, und so gab ich ihm, Osco und Omar meine Weisungen. Da hierbei alle Möglichkeiten berücksichtigt und besprochen werden mußten, so hatten wir während einiger Zeit keine Acht auf die beiden Kawassen. Als ich mich dann zu diesen umdrehte, sah ich wohl den Reitkünstler-Korporal, nicht aber seinen Kameraden.
»Wo ist dein Gefährte?« fragte ich erstaunt.
Er wendete sich auch um und rief dann bestürzt:
»Effendi! Er ritt hinter mir!«
Seine Bestürzung war keineswegs erheuchelt. Ich sah seinem Gesichte an, daß er sich wirklich in dem Glauben befunden hatte, den Kameraden hinter sich zu haben.
»Aber wo ist er denn?« fuhr ich fort.
»Verschwunden, verdunstet, verloren, vernichtet, verwischt, verdaut!« antwortete er in seiner unbeschreiblichen Verblüffung.
»Aber du mußt doch gemerkt haben, daß er zurückgeblieben ist!«
»Wie soll ich das merken? Hast denn du es gemerkt? Ich werde sofort zurückeilen, um ihn zu holen!«
Er machte Miene, diesen Vorsatz auszuführen. Auf diese Weise hätte auch er sich vorteilhaft nach rückwärts zu konzentrieren vermocht.
»Halt!« sagte ich aber. »Du bleibst! Wir haben keine Zeit, diesen Ausreißer zu suchen oder zu warten, bis du ihn gefunden hast!«
»Aber er soll doch mitreiten!«
»Das mache du später mit ihm ab, wenn du wieder in Edreneh bist! Jetzt folgst du uns! Hadschi Halef Omar, habt, wenn ich fort bin, auf diesen Onbaschi ein wachsames Auge, damit er seine Pflicht erfülle!«
Jetzt ließ ich den Rapphengst laufen und konnte schon nach kurzer Zeit die anderen nicht mehr hinter mir erblicken.
In jener Gegend sind die Flecken nach bulgarischer Weise angelegt. Ein Bulgarendorf oder Celo liegt sehr oft von der Landstraße, oder was man mit diesem Namen zu bezeichnen beliebt, entfernt und folglich unsichtbar für die Mehrzahl der Reisenden. Gewöhnlich dehnt sich der Celo der Länge nach auf einer Prairie am Rande eines Baches aus, der ihm als Graben und natürliches Schutzmittel dient.
Jedes dieser Dörfer, die ziemlich eng aufeinander folgen, zählt nur wenige Höfe, welche durch Grasplätze voneinander getrennt sind. Sechs bis zehn Hütten bilden einen Hof. Diese Hütten werden entweder in die Erde gegraben und mit einem kegelförmigen Dache von Stroh oder Zweigen versehen, oder man errichtet sie aus Weidengeflecht, in welchem Falle sie das Aussehen von großen Körben besitzen. Jeder und jedes hat seine abgesonderte Wohnung in diesen Höfen. Es gibt Hütten für die Menschen, für die Pferde, die Rinder, die Schweine, die Schafe und die Hühner. Die Tiere verlassen beliebig ihre Wohnungen und wandern friedlich zwischen den Höfen umher.
Westeuropäische Chausseen giebt es nicht. Schon das Wort Straße sagt viel zu viel. Will man von einem Celo zum andern, so sucht man sogar meist vergebens nach der Verbindung, welche wir einen Pfad oder Weg zu nennen gewöhnt sind. Wer fremd ist und ein nicht ganz und gar nahes Ziel verfolgt, muß, falls er von dem Ochsenkarrengleis, welches hier als Straße gilt, abweichen will, den Instinkt des Zugvogels besitzen und ist doch schlimmer daran, als dieser, da der Vogel die Luft ungehindert nach jeder Richtung durchstreichen kann, dem Menschen sich hier aber hundert Hindernisse in den Weg legen.
Ich beging wirklich ein Wagnis, als ich von dem nach Ada-tschaly führenden Wege abwich. Ich wußte nur, daß Mastanly ziemlich genau in südwestlicher Richtung lag, und konnte mich auf unüberbrückte Bäche, unbequeme Täler und waldige Strecken gefaßt machen.
Zwischen nicht sehr zahlreichen Feldern und Rosengärten und über sonnverbrannte Grasflächen hin gelangte ich an mehreren Dörfern vorüber, bis ich doch endlich das Bedürfnis fühlte, mich zurecht zu fragen.
Hinter einem urwüchsig aus Weidenruten gezogenen Zaun sah ich einen alten Mann beschäftigt, Rosenblätter einzusammeln. Ich lenkte das Pferd an den Zaun und grüßte. Er hatte mein Kommen nicht bemerkt und erschrak, als er meine Stimme hörte. Ich ersah, daß er mit sich zu Rate ging, ob er näher kommen oder sich hinter die Rosenbüsche zurückziehen solle, und beeilte mich daher, ihm durch einige Worte Vertrauen einzuflößen. Das wirkte wenigstens so weit, daß er langsam herbeigeschritten kam.
»Was willst du?« fragte er.
Er musterte mich mit mißtrauischem Blick.
»Ich bin ein Dilentschi[18],« antworte ich. »Möchtest du mir nicht eine Gul es Semawat[19] schenken? Dein Garten ist voll dieser herrlichsten der Rosen.«
Da lächelte er mich freundlich an und sagte:
»Reitet ein Bettler solch ein Pferd? Ich habe dich noch nie gesehen. Du bist fremd?«
»Ja.«
»Und du liebst die Rosen?«
»Sehr.«
»Ein böser Mensch ist nicht ein Freund der Blumen. Du sollst die schönste meiner Himmelsrosen haben, halb Knospe und halb aufgeblüht; dann ist der Duft so süß und entzückend, als komme er direkt von Allahs Thron.«