Er nahm sie in die Arme und küßte ihr die Tränen von den Wangen. Sie umschlang ihn und schluchzte weiter. Ohne mich jetzt zu beachten, sprach er ihr beruhigend zu, bis ihr leiser und leiser werdendes Weinen ganz aufgehört hatte. Dann richtete er sie auf und wendete sich wieder zu mir, da ich unterdessen beschäftigt gewesen war, das Licht mittels neu aufgesteckter Späne zu unterhalten.
»Herr,« sagte er, »du bist unser Befreier, unser Retter. Wie sollen wir dir danken! Wer bist du, und wie ist es dir gelungen, uns zu finden?«
»Das sind mehrere Fragen,« antwortete ich, »die ich euch oben beantworten werde. Kann deine Frau jetzt wieder gehen?«
»Ja, sie wird es können.«
»So laß uns nach oben steigen, ich darf nicht zu lange unten sein.«
»Hast du Gefährten oben?«
»Nein. Aber ich erwarte einen Reiter, den ich nicht hier vorüberlassen darf.«
»So wollen wir hinauf; dann können wir weiter sprechen!«
Ich lehnte die Leiter an und wir stiegen hinauf, die Frau allerdings mit sichtlicher Anstrengung. Ich hatte ein Lager bemerkt, welches sich in der größeren Abteilung befand, und riet ihr, sich von der gehabten Aufregung auszuruhen. Sie war so angegriffen, daß sie, ohne mir zu antworten, sich sogleich niederlegte.
Er beruhigte sie abermals durch einige Worte und streckte mir dann die Hand entgegen.
»Sei willkommen!« sagte er. »Allah hat dich gesandt. Darf ich erfahren, wer du bist?«
»Ich habe jetzt keine Zeit zu vielen Worten. Sage du mir aber, wie du heißest?«
»Man nennt mich Schimin.«
»So bist du der Bruder von Jafiz, dem Gärtner?«
»Ja.«
»Das ist gut! Ich habe dich gesucht. Mache schnell Feuer in deiner Schmiede!«
Er blickte mich überrascht an und fragte:
»Hast du eine dringende Arbeit für mich?«
»Nein; aber dein Herdfeuer soll über die Straße leuchten.«
»Warum?«
»Damit der Reiter, von dem ich sprach, nicht vorüber kann, ohne von uns gesehen zu werden.«
»Wer ist er?«
»Nachher, nachher! Beeile dich!«
Aus der kleinen Abteilung, in der sich die Kellertüre befand, die wir natürlich wieder zugemacht hatten, führte die Haustüre in das Freie. Sie war durch einen einfachen Holzriegel verschlossen. Wir schoben diesen zurück und traten hinaus. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete das an der Türe zur Schmiede hängende Vorlegeschloß. Bald brannte auf dem Herd ein Feuer, das seinen Schein weit in die Nacht hinaus warf. Das war es, was ich zunächst gewollt hatte.
Während er sich mit dem Herd beschäftigt hatte, war ich hinter das Haus gegangen, um nach meinem Pferde zu sehen. Es befand sich noch in nächster Nähe des Hauses, und ich kehrte beruhigt zu dem Schmied zurück.
»Da brennt das Feuer,« sagte er. »Was befiehlst du noch?«
»Komm fort, aus dem Bereiche des Lichtscheines! Wir wollen uns hier neben die Türe setzen, wo es dunkel ist.«
Ich hatte nämlich vorhin beim Rekognoszieren einen Holzklotz bemerkt, der in der Nähe der Türe lag und jedenfalls als Ruhebank diente. Dorthin zog ich den Mann. Wir setzten uns nebeneinander, und dann sagte ich:
»Besprechen wir zunächst das Notwendige! Es wird vielleicht sehr bald ein Reiter hier vorüber kommen, mit dem ich zu reden habe, ohne daß er vorher meine Anwesenheit ahnen darf. Er wird höchst wahrscheinlich hier anhalten, um dir einige Fragen vorzulegen. Ich bitte dich, ihn so weit zu bringen, daß er absteigt und mit dir in das Haus tritt.«
»Du bist mein Retter; ich werde tun, was du verlangst, auch ohne zu wissen, warum du es von mir forderst. Aber weißt du vielleicht, welche Fragen er aussprechen wird?«
»Ja. Er wird fragen, ob hier drei Reiter vorüber gekommen sind.«
»Drei Reiter?« fragte er rasch. »Wann?«
»Wohl heute am Vormittag.«
»Was für Reiter?«
»Er fragt nach zwei weißen und einem dunklen Pferde. Sie haben aber unterwegs das letztere gegen einen Schimmel vertauscht.«
»Also reiten sie drei Schimmel?«
»Ja.«
»Hascha Gott behüte! Du meinst doch nicht etwa gar diesen Manach el Barscha aus Uskub?«
Er war bei diesen Worten in plötzlicher Erregung von seinem Sitze aufgesprungen. Im nächsten Augenblick stand auch ich auf den Beinen, so sehr hatte seine Frage mich frappiert. Sie kam mir ganz unerwartet.
»Kennst du ihn?« erkundigte ich mich.
»Tschokdan, tschokdan schon längst, seit langer Zeit! Und erst heute war er bei mir!«
»Ah! Er war bei dir?«
»Ja. Er und seine beiden Begleiter waren es ja, welche mich überrumpelten und banden und hinunter in den Keller brachten, wo ich mit meinem Weibe hätte ersticken müssen, wenn du nicht gekommen wärest!«
»Die waren es! Also diese! Nun, so will ich dir sagen, daß derjenige, den ich erwarte, ihr Verbündeter ist.«
»Ich erschlage ihn! Ich ermorde ihn!« knirschte er.
»Ich will ihn gefangen nehmen.«
»Herr, Effendi wie soll ich dich nennen? Du hast mir noch nicht gesagt, wer du bist.«
»Nenne mich Effendi!«
»Also, Effendi, ich helfe dir, wenn du dich seiner bemächtigen willst.«
»Gut! Zwar weiß ich nicht ganz genau, ob wir ihn hier noch zu sehen bekommen werden; er kann bereits vorüber sein. Und du wirst ihn auch nicht beachtet ah, seit wann habt ihr im Keller gesteckt?«
»Seit kurz vor dem Mittag.«
»So kannst du ihn nicht gesehen haben, selbst wenn er vorbeigeritten wäre, und «
»Soll ich mich erkundigen?« fiel er schnell ein.
»Wo? Bei wem?«
»Ich eile ins Dorf und frage den alten Jemischdschi, der bis nach Anbruch des Abends bei seinen Körben an der Straße sitzt.«
»Wie lange wird es währen, bis du zurückkommst?«
»Nur zehn Minuten. Der Ort liegt ganz in der Nähe.«
»Aber ich bitte dich, noch zu verschweigen, was dir heute geschehen ist!«
»Ich werde, wenn du es wünschest, nicht davon sprechen.«
»So beeile dich!«
Ich beschrieb ihm in kurzen Worten den Reiter, so wie derselbe mir beschrieben war, und dann eilte er fort. Die angegebene Zeit war noch nicht vergangen, so kehrte er zurück.
»Er ist noch nicht vorüber,« meldete er mir.
Er trat zunächst in die Schmiede, um dem Feuer neue Nahrung zu geben; dann setzte er sich wieder neben mich.
»Jetzt nun sage mir, wie es dir heute ergangen ist!« forderte ich ihn auf.
»Schlecht, sehr schlecht!« antwortete er. »Ich stand bei meiner Arbeit in der Schmiede; da kamen die drei Reiter und blieben bei mir halten. Der eine, den ich nicht kannte, sagte mir, daß sein Pferd ein Nal[28] verloren habe. Ich bin nicht nur Demirdschi[29], sondern auch Nalband[30], Effendi, und war sogleich bereit, ihm ein neues Nal zu schmieden. Ich hatte mir nur ihn angesehen; aber während der Arbeit fiel mein Blick auf die beiden, die bei ihm waren, und da erkannte ich in dem einen den Steuereinnehmer Manach el Barscha aus Uskub.«
»Kannte er auch dich?«
»Ja.«
»Wo habt ihr euch denn kennen gelernt?«
»Vor vier Jahren in Raslug. Du mußt nämlich wissen, daß ich alle und jede Krankheit der Pferde kenne und auch die Arznei dafür. In Raslug und in der Umgegend war ein großes Sterben unter den Pferden ausgebrochen, und weil niemand helfen konnte, wurde ich geholt. Ich wohnte als Gast bei einem reichen Pferdehändler, der über 100 Pferde stehen hatte. Zu diesem kam Manach el Barscha, um ein Roß zu kaufen. Es wurden ihm mehrere vorgeführt. Eines davon hatte sich eine Erkältung zugezogen; es ließ den Speichel fließen. Der Steuereinnehmer sagte, es sei nicht der Schnupfen, sondern die böse Rotzkrankheit, und er werde bei der Gesundheitspolizei Anzeige machen. Er hätte von dem Händler gern ein Pferd als Preis des Schweigens erpreßt. Ich wurde gerufen und sagte, welche Krankheit es sei. Er stritt mit mir und schlug mich schließlich sogar mit seiner Reitpeitsche. Ich gab ihm dafür eine gewaltige Maulschelle, eine Ohrfeige, wie er wohl noch keine bekommen hatte; denn die Hand eines Schmiedes ist wie Horn und Knochen. Er ging wütend fort und zeigte mich an. Er war Steuereinnehmer, ich aber nur ein armer Schmied. Ich bekam zwanzig Hiebe auf die Fußsohlen und mußte auch noch fünfzig Piaster Strafe zahlen. Ich lag mehrere Wochen krank, ehe ich in die Heimat zurückkehren konnte. Du wirst mir glauben, daß ich ihn nicht lieben kann.«
»Das läßt sich denken!«
»Heute schlug ich dem Pferde das Eisen auf. Er beobachtete mich mit finstern Blicken und fragte mich dann, als ich fertig war, ob ich ihn noch kenne. Ich sagte ja, denn ich dachte nicht, daß dies mir schaden würde. Er sprach mit den andern einige Worte, und dann traten sie in das Haus herein. Ich war allein, denn mein Weib befand sich auf dem Felde, um Spinat für das Mittagessen zu holen. Was hatten die drei in der Stube zu suchen? Ich schloß die Schmiede zu, obgleich das Feuer noch brannte, und folgte ihnen. Aber kaum war ich eingetreten, so fielen sie über mich her. Es gab einen heißen Kampf, Effendi. Ein Schmied hat harte Muskeln und starke Nerven; aber sie rangen mich doch nieder und banden mich mit den Stricken, welche ich im Hause liegen hatte. Ich schrie vor Wut wie ein Stier. Da banden sie mir ein Tuch um den Kopf und schafften mich in den Keller. Eben als sie mich hinab trugen, kam mein Weib. Ihr ging es ganz ebenso wie mir. Wir wurden mit den Kohlen bedeckt, damit ja oben kein Laut gehört würde, und dann gingen sie. Ich hatte gar nicht an meinen Ajy gedacht, welcher sich hinter dem Hause befand, sonst hätte ich ihn losgebunden, bevor ich in das Haus trat.«
»Wer ist Ajy?«
»Mein Hund. Er heißt so, weil er so groß ist, wie ein Bär. Ich hörte ihn bellen, als ich schreiend mit ihnen rang; aber er konnte nicht los. Wäre er bei mir gewesen, so hätte er alle drei zerrissen.«
»Du hast noch nicht nach ihm gesehen?«
»Nein. Du weißt ja, daß ich noch nicht hinter das Haus gegangen bin.«
»So tut es mir leid, daß ich dich betrüben muß!«
»Betrüben? Ist etwas mit dem Hunde geschehen?«
»Ja.«
»Was? Sage es schnell!«
»Er ist tot.«
Der Schmied sprang auf.
»Tot?« stieß er hervor.
»Ja.«
»Er war doch gesund und munter! Haben etwa diese drei ihn umgebracht?«
»Sie haben ihm den Schädel eingeschlagen.«
Er blieb einige Augenblicke lang wort- und bewegungslos; dann kam es zischend zwischen seinen Lippen hervor:
»Sagst du die Wahrheit?«
»Ja, leider!«
»Tausendfache Todesangst und Verdammnis für die Hunde!«
Mit diesem Ausruf sprang er fort, in die Schmiede, kam mit einem Holzbrand heraus und eilte hinter das Haus, um sich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Dort hörte ich seine mehr als zornige Stimme erschallen. Ich wollte die zu erwartenden Kraftworte nicht hören; darum blieb ich sitzen, bis er zurückkam. Er befand sich in einem solchen Grimm, daß ich noch mehr als genug jener starken Ausdrücke zu hören bekam, an denen die orientalischen Sprachen nichts weniger als arm sind.
Während er sich in solchen Interjektionen erging, hielt ich Augen und Ohren nach der Gegend gerichtet, aus der der Erwartete kommen mußte; doch es war nichts zu sehen und nichts zu hören. Entweder hatte ich infolge der ungemeinen Schnelligkeit meines Pferdes ihm einen zu großen Vorsprung abgewonnen, oder er war durch irgend einen Umstand aufgehalten worden.
Nach und nach beruhigte sich mein zorniger Schimin wieder. Er wollte nun auch von mir etwas hören und leitete seine Erkundigung durch die Frage ein:
»Wirst du nun Zeit haben, mir deinen Namen zu sagen, Effendi?«
»Man nennt mich Kara Ben Nemsi.«
»So bist du ein Nemtsche, ein Germanly?«
»Ja.«
»Wohl ein Austrialy oder Prussialy?«
»Nein.«
»Oder ein Bawarialy?«
»Auch nicht. Ich bin ein Saxaly.«
»Ich habe noch niemals einen Saxaly gesehen; aber erst gestern war ein Mann aus der Stadt Triest in Austria hier, mit dem ich viel gesprochen habe.«
»Ein Oesterreicher? Das höre ich mit Ueberraschung. Was war er denn?«
»Ein Handelsmann. Er will Tabak, Seide und seidene Zeuge einkaufen. Es war ihm ein Sporen zerbrochen, den ich ihm reparieren mußte.«
»Sprach er türkisch?«
»Nur so viel, daß ich verstand, was er von mir wollte.«
»Und doch sagst du, daß du sehr viel mit ihm gesprochen habest?«
»Wir haben meist durch die Pantomime gesprochen.«
»Hat er dir gesagt, wie er heißt?«
»Sein Name ist Madi Arnaud gewesen. Er war ein sehr großer Sänger, denn er hat mir viele Lieder gesungen, welche mein Herz und die Seele meiner Frau erquickten.«
»Wo kam er her?«
»Von Tschirmen, wo er große Einkäufe gemacht hat.«
»Und wo geht er hin?«
»Zum großen Jahrmarkt nach Menlik. Dort gibt es sehr berühmte Waffenschmiede. Er will von ihnen kaufen.«
»So werde ich ihn vielleicht unterwegs treffen.«
»Auch du willst nach Menlik, Effendi?«
»Ja.«
»Bist du vielleicht auch ein Handelsmann?«
»Nein. Ich reite nach Menlik, weil ich denke, die drei Schurken dort zu treffen, welche dir heute so Uebles taten.«
»Was wirst du tun, wenn du sie findest?«
»Ich halte sie fest und übergebe sie der Polizei, damit sie ihre Strafe finden.«
»Allah sei Dank! Ich wollte morgen früh Anzeige erstatten.«
»Das kannst du tun. Doch ehe du Erfolg hast, befinden sich die Schurken wohl bereits in meinen Händen. Dann werde ich vor dem Richterstuhl auch ihr heutiges Verbrechen mit erwähnen.«
»Daran tust du recht, Effendi. Sie dürfen der verdienten Strafe nicht entgehen. Wer aber sind die beiden andern gewesen, welche bei dem Steuereinnehmer waren?«
»Das ist eine lange Geschichte, welche ich dir kurz erzählen will.«
Ich machte ihn, so weit es nötig war, mit dem Geschehenen bekannt. Er hörte mir aufmerksam zu und sagte sodann:
»Hätte ich das gewußt! Ich hätte sie in den Keller gelockt, und von meinem Hunde bewachen lassen, bis du gekommen wärest.«
»Haben sie nicht vielleicht einige Worte fallen lassen, aus denen du entnehmen konntest, welchen Weg sie von hier aus einzuschlagen gedenken?«
»Kein einziges Wort. Nur als sie mich banden, hörte ich von dem, welchen du Barud el Amasat nennst, daß sie mich unschädlich machen wollten, damit ich, wenn ihre Verfolger vielleicht kämen, sie nicht verraten könnte.«
»Das dachte ich mir. Manach el Barscha hat sich nicht nur aus Rachsucht, sondern auch aus Vorsicht an euch vergriffen. Man wollte euch nicht töten, sondern nur für einige Zeit verschwinden lassen, weil du den Steuereinnehmer erkannt hattest.«
»Und doch wären wir erstickt!«
»Das ist Gott sei Dank nun doch nicht geschehen. Der Reiter, den ich hier erwarte, ist ihnen nachgefolgt oder nachgesandt worden, um ihnen zu sagen, daß ich wieder frei bin und daß sie jedenfalls verfolgt werden. Sie würden dadurch gewarnt, und das will ich verhindern.«
»Ich helfe dir, Effendi! Was werden wir mit ihm tun?«
»Wir stecken ihn in deinen Keller und übergeben ihn dann der Polizei.«
»Wie willst du ihn in den Keller bringen?«
»Sind wir nicht zwei, und er ist allein!«
»Meine nicht, daß ich mich vor ihm fürchte. Ich wollte nur wissen, ob wir List oder Gewalt anwenden werden.«
»Es wird wohl ohne Gewalt nicht geschehen können.«
»Das ist mir lieb. Liebkosend werde ich ihn jedenfalls nicht behandeln. Aber, Effendi, da fällt mir ein, daß du mich fragtest, ob ich der Bruder von Jafiz sei.«
»Allerdings.«
»Kennst du ihn?«
»Ich ritt heute an seinem Garten vorüber, habe mit ihm gesprochen und bei ihm ein Fläschchen Gül jaghy gegen Dschebeli umgetauscht.«
»Allah ia Allah! Mein Bruder hat nun solchen Tabak aller Tabake?«
»O, nicht sehr viel!«
»Er hat ihn von dir?«
»Ja.«
»Du hattest solchen Tabak?«
»Natürlich, da er ihn von mir bekommen hat.«
Er schwieg eine Weile. Ich wußte, welche Frage er jetzt auf den Lippen habe. Endlich platzte sie heraus:
»Nun ist er alle geworden?«