»Es wird wohl ohne Gewalt nicht geschehen können.«
»Das ist mir lieb. Liebkosend werde ich ihn jedenfalls nicht behandeln. Aber, Effendi, da fällt mir ein, daß du mich fragtest, ob ich der Bruder von Jafiz sei.«
»Allerdings.«
»Kennst du ihn?«
»Ich ritt heute an seinem Garten vorüber, habe mit ihm gesprochen und bei ihm ein Fläschchen Gül jaghy gegen Dschebeli umgetauscht.«
»Allah ia Allah! Mein Bruder hat nun solchen Tabak aller Tabake?«
»O, nicht sehr viel!«
»Er hat ihn von dir?«
»Ja.«
»Du hattest solchen Tabak?«
»Natürlich, da er ihn von mir bekommen hat.«
Er schwieg eine Weile. Ich wußte, welche Frage er jetzt auf den Lippen habe. Endlich platzte sie heraus:
»Nun ist er alle geworden?«
»Noch nicht ganz.« Und um ihm die Sache ein wenig leichter zu machen, fuhr ich fort: »Rauchst du auch?«
»O gern, sehr gern!«
»Dschebeli?«
»Ich habe diesen Tabak noch nie gerochen, also noch viel weniger geraucht.«
»So geh hinein, und hole dir deine Pfeife.«
Ich hatte diese Aufforderung noch nicht ganz ausgesprochen, so war er bereits durch die Türe verschwunden, und ebenso schnell kam er mit der Pfeife zurück.
»Wie geht es deiner Frau?« fragte ich.
Bei diesen einfachen Handwerkern kann man eine Ausnahme machen und nach der Frau fragen, was sonst im Orient streng verboten ist. Gehen doch auf dem platten Lande die Frauen und Mädchen sehr oft unverschleiert.
»Ich weiß nicht,« antwortete er. »Sie wird schlafen.«
Der Tabak hatte ihm also mehr am Herzen gelegen als sein Weib, für das er doch so große Liebe an den Tag gelegt hatte.
»Gieb die Pfeife her! Ich will sie dir stopfen.«
Als er sodann den köstlichen Duft langsam durch die Nase stieß, meinte er entzückt:
»Effendi, das sind Wohlgerüche des Paradieses! So hat selbst der Prophet wohl nicht geraucht!«
»Nein. Zu seiner Zeit gab es keinen Dschebeli.«
»Hätte es solchen gegeben, so hätte er den Samen mit ins Jenseits genommen, um ihn dort in die Felder des siebenten Himmels zu pflanzen. Was tue ich, wenn jetzt der Reiter kommt? Rauche ich fort, oder stehe ich auf?«
»Du wirst wohl aufstehen.«
»Soll ich auf die köstliche Pfeife verzichten?«
»Du kannst ja wieder anbrennen, und ich werde dir noch ein wenig Tabak geben.«
»Effendi, deine Seele ist voll von Freundlichkeit, wie das Meer voll von Wassertropfen! Hat dir mein Bruder keinen Gruß anvertraut?«
»Ja. Ich soll dir sagen, daß es dir wohl gehen möge, wie ihm. Ich soll dir diesen Gruß bringen von dem, der dein Oeje-kardasch und dein Jary-kardasch ist.«
Er horchte auf und sagte:
»Was höre ich? Dies sind seine eigenen Worte?«
»Ja.«
»So habt ihr wichtige Dinge miteinander besprochen!«
»Wir sprachen von den Skipetars und von denen, die in die Berge gegangen sind.«
»Und da hat mein Bruder dir ein Versprechen gemacht?«
»Ein Versprechen, welches du nach seiner Meinung erfüllen wirst.«
»Wie lange hast du mit ihm gesprochen?«
»Den vierten Teil einer Stunde.«
»So ist ein Wunder geschehen, Effendi. Jafiz ist menschenscheu; er spricht nicht gern und nicht viel und hält in allem sehr zurück. Er muß dich sehr schnell liebgewonnen und dir großes Vertrauen geschenkt haben!«
»Ich sagte ihm, daß ich vielleicht bis in die Berge des Schar-Dagh reiten müsse.«
»So hat er von der Gefahr gesprochen, welche dich dort erwartet?«
»Er hat mich gewarnt und zur Vorsicht gemahnt.«
»Und gewiß dabei des Sicherheitspapieres erwähnt?«
»Ja, er hat davon gesprochen.«
»Und gesagt, daß ich dir so ein Kiaghad eminlikün verschaffen könne?«
»Ja.«
»Er hat sich geirrt.«
»Ah! Wirklich?«
»Wirklich.«
»Es steht nicht in deiner Macht, mich in den Besitz eines solchen Schutzes zu setzen?«
»Nein.«
»Aber er versicherte es so ganz bestimmt!«
»Er hat gedacht, es sei noch so, wie in früheren Zeiten.«
»So bist du kein Wissender mehr?«
»Das ist eine Frage, welche ich nur einem geprüften Freund beantworten darf. Doch du hast uns gerettet; du hast das Oel meines Bruders und seine Freundschaft erhalten, so will ich dir die Wahrheit sagen: Ja, ich war ein Wissender und bin es noch.«
»So mußt du also genau wissen, daß es keine Sicherheitspapiere mehr gibt.«
»Es gibt keine mehr; kein Skipetar und kein Flüchtling stellt mehr solche Papiere aus.«
»Warum?«
»Weil sie ihren Zweck nicht erfüllen. Sie gewähren nicht den Schutz, den sie bieten sollen.«
»So respektiert man sie nicht?«
»Das ist es nicht. Kein Verlorener wird den Schutzbrief, den ein anderer Verlorener ausgestellt hat, mißachten. Aber wer sieht das Papier?«
»Hat man es nicht vorzuzeigen?«
»In vielen Fällen; aber es gibt auch andere Fälle. Du reitest durch den Wald; zwei oder drei Geflohene sehen dich kommen; du bist viel besser bewaffnet als sie; darum beschließen sie, sich in keinen offenen Kampf einzulassen; sie überfallen dich aus dem Hinterhalt; sie wissen nicht, daß du das schützende Papier bei dir trägst; du hast es in der Tasche; du verlässest dich auf seine Kraft und Wirkung und wirst trotzdem von den tödlichen Kugeln derer getroffen, welche ihr Leben für dich eingesetzt hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, daß du ein Beschützter bist.«
»Das läßt sich allerdings begreifen. Die Verlorenen können aber nicht ohne Freunde sein, und haben sie solche, so ist es erforderlich, sie zu schützen. Ich vermute also, daß an die Stelle des Kiaghad eminlikün etwas anderes und zwar besseres getreten ist.«
»Deine Vermutung ist richtig. Du siehst ein, daß ich dir kein Schutzpapier verschaffen kann?«
»Ja. Du kannst mir nicht geben, was doch gar nicht vorhanden ist. Aber darfst du mir vielleicht sagen, welch eines Kennzeichens man sich jetzt bedient?«
»Ich will es wagen. Kannst du schweigen?«
»So gut wie ein jeder andere.«
»So wisse, daß sich jetzt alle Schützer und Beschützte an der Koptscha[31] erkennen.«
Diese Worte riefen sofort eine Ahnung in mir hervor.
»Ist diese Koptscha von Silber?« fragte ich.
»So ist es.«
»Sie bildet einen Ring, in welchem sich ein Czakan[32] befindet?«
»Ja. Woher weißt du es?«
»Ich vermute es, und zwar aus dem Grunde, weil Personen diese Koptscha tragen, von denen ich entweder weiß, oder vermute, daß sie Verlorene sind oder doch mit denselben in Verbindung stehen.«
»Darf ich die Namen dieser Personen erfahren?«
»Ja. Manach el Barscha hatte eine Koptscha an seinem Fez. Einige Männer, welche in Edreneh bei dem Kadi die Verhandlung gegen Barud el Amasat mit anhörten, trugen sie. Und sodann begegnete ich heute, als ich mit dem ehemaligen Derwisch durch die Stadt ritt, einem Mann, der mich ganz eigentümlich betrachtete und sodann vermutlich die Verbündeten der Flüchtlinge benachrichtigte und jene zwei Schüsse veranlaßte, welche gegen mich und Ali Manach Ben Barud el Amasat abgefeuert wurden. Auch er hatte die Koptscha.«
»Daß der einstige Steueraufseher von Uskub sie besitzt, das habe ich heute bemerkt.«
»Vielleicht hätte man dich nicht so mißhandelt, wenn du auf den Gedanken gekommen wärst, ihnen zu sagen, daß du im Besitze der Agraffe bist.«
»Das ist möglich; leider aber habe ich nicht daran gedacht.«
»Es bekommt sie wohl nicht jedermann?«
»Nein.«
»Welche Anforderungen werden gestellt?«
»Der, welcher sie haben will, muß ein Mann sein, von dem man sicher ist, daß er den Freunden Nutzen bringen kann. Und sodann muß er bewiesen haben, daß er diejenigen, welche in die Berge gegangen sind, nicht verurteilt.«
»Muß sie nicht ein jeder verurteilen? Sie sind aus dem Gesellschaftsverband getreten, der unter dem Schutz des Gesetzes steht.«
»Du hast recht. Aber du mußt dieses Gesetz mit dieser Gesellschaft vergleichen. Das Gesetz ist gut, und es meint es auch gut mit den Untertanen; aber die Gesellschaft, von der du sprichst, taugt nichts. Allah hat uns weise Gesetze und wohltätige Satzungen gegeben, aber sie werden von seinen Vertretern falsch gehandhabt. Hast du nicht schon die Klage gehört, daß der Islam seine Anhänger verhindere, in der Kultur Fortschritte zu machen?«
»Sehr oft.«
»Wird dieser Vorwurf dem Islam nicht meist von Andersgläubigen gemacht?«
»Ich gebe das zu.«
»Nun, sie kennen den Islam, den echten Türken nicht. Der Islam verhindert den Kulturfortschritt nicht; aber die Macht, die er dem einen über den andern erteilt, ist in unrechte, treulose Hände gekommen. Auch der Türke ist gut. Er war und ist noch bieder, treu, wahrheitsliebend und ehrlich. Und wenn er anders wäre, wer hätte ihn anders gemacht?«
Ich war ganz erstaunt, von diesem einfachen Mann, von einem Dorfschmied, solche Worte zu hören. Wo hatte er seine Anschauungen hergenommen? Waren sie die Frucht eigenen Nachdenkens, oder hatte er zufälligerweise mit Männern verkehrt, die ihn zu sich emporgezogen hatten?
Ich zog es vor, mich einer Antwort zu enthalten, und so fuhr er fort:
»Der Türke hat dieses Land erobert. Ist das ein Grund, ihn aus demselben zu vertreiben? Antworte mir, Effendi!«
»Sprich weiter!«
»Haben nicht der Engländer, Deutsche, Russe, der Franzose und alle andern ihr Land ebenso erobert? War nicht noch vor kurzem Prussia so klein wie eine Streusandbüchse, und nun ist es so groß geworden, daß es Millionen von Menschen faßt? Wodurch ist es so groß geworden? Durch Schießpulver, durch das Bajonett und durch das Schwert, wohl auch durch die Feder des Diplomaten. Sie alle haben früher nicht die Länder gehabt, die sie jetzt besitzen. Was würde der Amerikaly sagen, wenn der Türke zu ihm käme und spräche: du mußt fort, denn dieses Land hat dem roten Volke gehört? Er würde den Türken auslachen. Warum also soll dieser vertrieben werden?«
»Der Nemtsche will ihn nicht vertreiben.«
»Ja, das habe ich gehört; aber der Nemtsche ist auch der Einzige, der Gerechtigkeit besitzt. In unserm Lande gab es ein Volk mit dem Katholizismus des Moskows. Dieses Volk war groß in Kenntnissen, aber noch größer in seinen Sünden. Da kam der Türke und züchtigte sie ganz wie Joschuah die Völker des Landes Kanaan züchtigte. Das war Gottes Wille. Aber mit ihm kamen die von ihm Besiegten: er war und blieb an Zahl der Kleine im Lande. Er hatte gesiegt durch seine Tapferkeit, und nun wurde er nach und nach besiegt durch Schlauheit und Hinterlist. Blicke dich um! Zähle die Verbrechen, die man verübt; sammle die Verleumder, Betrüger und alle, die gegen das Gesetz handeln, aber zu schlau sind, um ergriffen zu werden; gehe in die dunklen Häuser, in denen es nach dem Laster stinkt wer sind sie, und woher stammen sie, die du zu zählen hast? Wie viele wirkliche Türken wirst du unter ihnen finden? Geht nicht durch ganz Asia ein ungeheurer Diebstahl, ausgeführt von dem Ingiliz und von dem Moskow? Findest du nicht ein immerwährendes Erdrücken, Ersticken und Abschlachten der Stämme, die zwischen diese beiden Riesen geraten? Das tun diese Christen; der Türke aber ist froh, wenn man ihn in Ruhe läßt!«
Er war von seinem Gegenstande so begeistert, daß er sogar die Pfeife hatte ausgehen lassen. Ich brannte ein Hölzchen an und reichte es ihm hin.
»Zieh!« sagte ich.
Er setzte den Tabak in Brand und meinte dann:
»Siehst du, daß ich sogar den Dschebeli vergesse; aber habe ich recht oder nicht?«
»Ich könnte dir in manchem widersprechen.«
»So tue es!«
»Wir haben nicht Zeit dazu.«
»So seid ihr Christen. Ihr verurteilt uns, ohne uns belehren zu wollen, und ebenso greift ihr zu, ohne zu fragen. Wer hat die besten Stellen des Landes? Wer besitzt den Einfluß? Wer bereichert sich fort und fort? Der Armenier, der Jude, der schlaue Grieche, der herzlose Engländer und der stolze Russe. Wer zehrt von unserem Fleisch? Wer saugt von dem Safte unseres Lebens, wer nagt an unsern Knochen? Wer schürt immer und immer den Mißmut, das Mißtrauen, die Unzufriedenheit, den Ungehorsam der Untertanen? Wer hetzt ohne Unterlaß einen gegen den andern? Einst waren wir gesund. Wer hat uns angesteckt? Wer hat uns krank gemacht?«
»Schimin, ich gebe dir in manchem recht; aber laß das Kind im Bade, wenn du das Wasser ausschüttest! Woher hast du diese Ansichten genommen?«
»Ich habe sie mir mit meinen Augen und Ohren geholt. Ich habe getan, wie man es in euren Ländern tut, wo der Handwerksgeselle hinausgeht in die Welt, um mehr zu lernen, als er daheim bei seinem Lehrherrn lernen konnte. Ich habe in Wien, in Budapest und in Belgrad gearbeitet. Da habe ich genug gesehen und gehört, um denken zu lernen. Kannst du mich widerlegen?«
»Ja, ich kann es. Du verwechselst Religion mit Politik. Du suchst die Ursachen eurer Krankheit außerhalb des Staatskörpers, in welchem der Krankheitskeim doch bereits von Anfang lag.«
»Kannst du mir das beweisen?«
»Ja.«
»So tue es! Doch halt!«
Es ließ sich von fern her der Schritt eines Pferdes vernehmen.
»Hörst du?« fragte er.
»Ja.«
»Vielleicht ist er es!«
»Sehr wahrscheinlich.«
»Das tut mir leid. Ich wollte dich erst sprechen hören.«
»Ich werde dir meine Beweise bringen, wenn wir mit ihm fertig sind.«
»Was aber tun wir jetzt?«
»Er darf mich zunächst nicht sehen, denn er kennt mich vielleicht. Du mußt versuchen, ihn in das Innere des Hauses zu bringen.«
»Das wird leicht sein, wenn er nur nicht vorüber reitet.«
»Das darf er auf keinen Fall. Es ist dunkel genug. Ich gehe auf der Mitte der Straße. Will er vorüber, so bemächtige ich mich seines Pferdes. Steigt er aber ab, so trete ich sofort hinter euch in das Haus.«
»Und wenn er es nicht ist?«
»So wird ihm nichts getan.«
Das Pferdegetrappel kam näher. Man hörte deutlich, daß es nur von einem einzelnen Tiere stammte. Ich huschte nach der Mitte des Weges, wo ich mich niederduckte.
Jetzt war der Reiter da. Er hielt grad in dem Lichtscheine, den das Herdfeuer der Schmiede herauswarf. Das Gesicht des Mannes konnte ich nicht genau erkennen.
»Bak, sawul he, aufgepaßt!« rief er laut.
Und als sich nicht sofort jemand zeigte, wiederholte er seinen Ruf. Jetzt ließ sich der Schmied an der Türe sehen. Er fragte:
»Wer ist da?«
»Ich bin fremd. Wer wohnt hier?«
»Ich,« antwortete Schimin in nicht gerade geistreicher Weise.
»Wer bist du?«
»Ich bin der Besitzer dieses Hauses.«
»Das kann ich mir denken, Dummkopf! Ich will natürlich deinen Namen wissen.«
»Ich heiße Schimin.«
»Was bist du?«
»Schmied. Hast du keine Augen, dies an dem Feuer zu sehen, dessen Flamme dich beleuchtet?«
»Ich sehe nichts weiter, als daß du nicht nur ein Dummkopf, sondern auch ein Grobsack bist! Komm herbei! Ich habe dich um etwas zu fragen!«
»Bin ich etwa dein Sklave oder dein Diener, daß ich zu dir kommen soll? Wer mit mir sprechen will, der mag sich zu mir bemühen.«
»Ich bin zu Pferde!«
»So steige ab, und komm herein!«
»Das ist nicht nötig!«
»Ich habe den Schnupfen und den Husten. Soll ich mir deinetwegen eine Erkältung holen und dann krank sein, anstatt arbeiten zu können?« sagte Schimin und trat in die Türe zurück. Der Reiter stieß einige nicht höfliche Redensarten aus, trieb aber sein Pferd jetzt näher heran.
Bis jetzt wußte ich nicht, ob er der Erwartete sei. Nun aber, als er nahe an der Schmiede hielt, um abzusteigen, erkannte ich deutlich, daß das Pferd ein Falben war. Der Mann trug ein rotes Fez, einen grauen Mantel und hatte einen kleinen hellen Schnurrbart. Und als er jetzt abstieg, erblickte ich die roten türkischen Schuhe. Er war also der rechte Mann.