Die Juweleninsel - Karl May 10 стр.


»Ich bin davon überzeugt, gnädige Komtesse. Aber kommen Sie. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es könnte doch jemand erwachen und Argwohn schöpfen, und die Frau Priorin wartet bereits!«

Sie eilten vorwärts. Toska merkte nicht, daß zwei männliche Gestalten ihnen vorsichtig folgten und erst dann wieder umkehrten, als sie hinter dem Pförtchen und der Mauer des Nonnenklosters verschwunden war. Man hatte sie aus der Höhle des Fuchses in diejenige der Hyänen geführt. Sie sollte das Opfer von allen Beiden werden.

Drittes Kapitel: Im Zuchthaus

Die Maschine stieß einige gellende Pfiffe aus, die Räder kreischten unter dem Drucke der angezogenen Bremsen, und der Personenzug fuhr in den Bahnhof ein. Die Wagen kamen zum Halten, und einige Coupees wurden geöffnet.

»Station Hochberg. Fünf Minuten Aufenthalt!« ertönte der Ruf der Schaffner.

»Ihr Aufenthalt wird wohl etwas länger dauern,« meinte ein Passagier, der nebst noch einem andern in einem Einzelcoupee dritter Klasse gesessen hatte, in strengem Tone.

Er trug die Uniform eines Amtswachtmeisters und hielt den linken Arm in einer Binde.

»Geht Niemanden etwas an,« antwortete grob der Andere. »Es hat sich hier schon mancher, der erst gar aufgeblasen that, für längere Zeit vor Anker gelegt. Ich glaube gar, es sind auch schon Wachtmeisters hier geblieben, Wachtmeisters; merken Sie sich das!«

Der Sprecher war eine rohe untersetzte Gestalt, in ein sehr abgetragenes Gewand gekleidet. Er trug unter demselben ein rauhmaschenes Hemde; sein Gesicht war gewaschen und sein Haar gekämmt, aber diese Reinlichkeit wollte zu dem Manne nicht recht passen; es hatte ganz den Anschein, als ob sie ihm ungewohnt oder gar aufgedrungen worden sei. Was aber am meisten auffiel, war, daß er »geschlossen« war. Seine Hände waren in einer eisernen »Bretzel« vereinigt, welche man zu noch größerer Sicherheit an einen starken, um den Leib geschlungenen Riemen befestigt hatte. Der Mann war ganz sicher ein Gefangener.

»Schon gut. jetzt aussteigen!« antwortete der Transporteur.

»Na, na; nur sachte. Ich steige aus, wenn es mir beliebt!« klang es noch zurück.

»Meinetwegen. Aber nur schnell!«

Der Wachtmeister schob ihn aus dem Wagen. Der Gefangene blickte sich schnell um, sah das ihn umwogende Gedränge und glaubte, Rettung in demselben zu finden. Mit einem schnellen Sprunge war er mitten zwischen die ausgestiegenen Passagiere hinein und versuchte, sich durch sie hindurchzudrängen.

»Haltet ihn auf!« rief der Wachtmeister.

Dieser Ruf war eigentlich überflüssig. Man hatte in dem Manne sofort einen flüchtigen Gefangenen erkannt und ihn umringt und festgehalten.

»Hier ist er. Nehmen Sie ihn.«

»Danke, meine Herren! Das war ein geradezu unbegreiflich alberner Versuch mir zu entkommen.«

Ein auf dem Bahnhofe stationirter Gensdarm trat herbei.

»Soll ich Ihnen bei dem Transporte helfen, Herr Amtswachtmeister?« frug er.

»Danke bestens! Er ist mir sicher genug, werde ihn nun aber noch fester nehmen.«

Er zog eine Leine aus der Tasche, band sie dem Gefangenen um den Arm und führte ihn in dieser Weise neben sich fort. Sein Weg ging nach dem äußersten und höchsten Theile der Stadt, wo hinter ungewöhnlich hohen Mauern die Thürme und Gebäude eines schloßähnlichen Baues hervorragten. Das war Schloß Hochberg, welches seit langer Zeit viele Hunderte derjenigen Unglücklichen in seinen Mauern barg, welche sich gegen die Gesetze vergangen hatten und nun gezwungen waren, dies durch die Entziehung ihrer Freiheit zu büßen. Hochberg war das Zuchthaus für Norland.

Die Straße endete vor einem breiten, finsteren, massiv mit Eisen beschlagenem Thore, an welchem ein mächtiger Klopfer befestigt war. Der Transporteur ergriff denselben und ließ ihn erschallen. Wie mußte dieser Klang jeden nicht gefühllosen Menschen berühren, der hier gezwungen war, mit dem bisher zurückgelegten Theile seines Lebens abzuschließen!

Ein kleiner Schieber öffnete sich, an welchem ein bärtiges Gesicht erschien.

»Wer da!«

»Transporteur mit Zuwachs.«

»Herein.«

Das Thor öffnete sich. Die beiden Ankönimlinge traten in eine finstere tunnelförmige Mauerflur. Der militärische Posten, welcher geöffnet hatte, schloß wieder und öffnete dann eine andere Thür, welche in einen kleinen Hof führte.

»Gerade aus!«

Der Transporteur nickte. Er war nicht zum ersten Male hier und mit den Räumlichkeiten dieses Hauses bereits vertraut, wenigstens so weit es ihm gestattet war sie zu betreten. Er führte seinen Gefangenen über den Hof hinüber in ein kleines Stübchen, dessen einziges Fenster mit starken eisernen Kreuzstäben versehen war. Hier saß der Aufseher von der Thorwache, welcher das Höfchen überblicken und den kleinsten Verkehr ganz genau kontroliren konnte. Er hatte jede einoder ausgehende Person in das Passirbuch zu verzeichnen.

»»Guten Morgen, Herr Aufseher!«

»Guten Morgen, Herr Amtswachtmeister. Wieder Einen?«

»Wie Sie sehen.«

»Bitte, tragen Sie sich hier ein!«

Der Transporteur vermerkte seinen Namen in das Buch und frug dann:

»Der Herr Regierungsrath selbst da?«

»Ja. Werde klingeln.«

Er bewegte einen Glockenzug. Eine Klingel ertönte in der Ferne, worauf ein zweiter Aufseher erschien.

»Zuwachs!« meldete der Thorhabende.

»Kommen Sie!« forderte der Andere den Wachtmeister auf. Er führte ihn aus dem Zimmer durch einen langen Gang in [sic!] einer Thür, hinter welcher er verschwand um ihn anzumelden. Nach einigen Augenblicken kam er wieder zum Vorschein.

»Herein!«

Der Transporteur trat ein, zog die Thür hinter sich zu und stand an derselben in strammer militärischer Haltung ohne zu grüßen. Er wußte, daß er erst auf die Anrede des Direktors zu sprechen hatte. Dieser, welcher, wie bereits bemerkt, den Charakter eines Regierungsrathes hatte, war ein hoch und stark gebauter Mann. Er trug die Uniform höherer Anstaltsbeamten mit Brillons [sic!] und einen langen Stoßdegen. Der dichte Schnurrbart stand ihm à la maggiar zu beiden Seiten weit ab, und sein ganzes Aeußere zeigte, daß mit ihm nicht wohl zu scherzen sei. Er blickte den Eingetretenen gar nicht an, bis er nach einiger Zeit die Feder weglegte und, noch immer mit den vor ihm liegenden Papieren beschäftigt, in kurzem Tone frug.

»Wer?«

»Amtswachtmeister Haller aus Fallum, Herr Regierungsrath.«

»Was bringen Sie?«

»Männlichen Zuwachs, einen.«

»Namen?«

»Heinrich Hartig aus Fallum.«

»Stand?«

»Fischer oder Schiffer.«

»»Einlieferungsakten!«

Der Transporteur überreichte ihm das Aktenheft, welches er bereits parat gehalten hatte.

»Schön, haben Sie persönliche Bemerkungen?«

»Zu Befehl, Herr Regierungsrath.«

»Welche? Aber kurz!«

»Hartig war angeklagt, seine Frau und seinen Stiefsohn lebensgefährlich und kontinuirlich maltraitirt zu haben. Er kam unter meine Bewachung, machte einen Fluchtversuch und versetzte mir dabei drei Messerstiche hier in Hand und Arm. Er ist ein Trinker, ein bösartiger, gefühlloser und auch frecher Gesell, der sich sogar noch während des heutigen Transportes renitent erwiesen hat. Er meinte unter anderem, daß auch bereits schon Amtswachtmeister auf dem Zuchthause gewesen seien, und versuchte noch auf dem Bahnhofe zu entspringen, wurde aber vom Publikum sofort ergriffen.«

»Fertig!«

»Zu Befehl!«

»Werden ihn zu fassen wissen. Erhält dritte Disziplinarklasse und zwanzig Tage Kostentziehung gleich als Anfang und Willkommen. Hier, Ihre Empfangsbescheinigung, Herr Wachtmeister. Adieu.«

Während der Direktor nun Einblick in die Einlieferungsakten des neuen Züchtlings nahm, kehrte der Transporteur in das Stübchen des Thorhabenden zurück, um die dort abgelegte Kopfbedeckung zu holen.

»Leben Sie wohl, Hartig,« meinte er, sich zum Gehen anschickend. »Haben Sie vielleicht etwas an Ihre Frau und Ihre Kinder auszurichten? Es ist zum letzten Male, daß dies auf solche Weise geschehen kann.«

»Packen Sie sich fort!« lautete die dankbare Antwort.

»Gut! Adieu, Herr Aufseher!«

»Adieu, Herr Wachtmeister!«

Er ging. Der Gefangene war von diesem Augenblicke an von der Außenwelt abgeschlossen, war keine Person, sondern nur ein Gegenstand, auf den sich die physiologischen Bestrebungen seiner Vorgesetzten richteten, und besaß keine Selbstbestimmung, keinen freien Willen mehr. Nach einiger Zeit öffnete sich die Thür wieder, und abermals trat ein Aufseher ein.

»Komm!« meinte dieser, nachdem er ihn mit einem kurzen Blicke überflogen hatte.

»Oho! Hier geht es wohl per Du?«

Der Thorhabende, welcher bisher schweigsam dagesessen hatte, wandte sich jetzt zu seinem Kollegen.

Ein ganz und gar frecher und unverschämter Bengel. Muß scharf gehalten werden.«

»Wird es schon spüren. Vorwärts!«

Er faßte ihn und schob ihn zur Thür hinaus. Es ging denselben Korridor hinunter, welchen vorhin der Transporteur durchschritten hatte, dann rechts ab bis an eine vollständig eiserne Thür. Als zwei große Vorlegeschlösser von derselben entfernt und drei starke Riegel zurückgeschoben waren, zeigte sich hinter dieser Thür ein schmaler kurzer Gang, welcher keine Fenster besaß und deshalb von einer Lampe beleuchtet wurde. Zu beiden Seiten desselben befanden sich je acht ähnlich verschlossene eiserne Thüren, deren jede einen sieben Fuß hohen, vier Fuß breiten und fünf Fuß tiefen Raum verschloß, in welchem nichts zu sehen war, als ein Heizungsrohr für den Winter, ein Wasserkrug, ein niedriger Schemel zum Sitzen und eine eiserne, tief in die Mauer eingefügte Kette. Die nur anderthalb Fuß im Quadrat haltenden Fensterchen waren innen mit einer durchlöcherten Eisenplatte und von außen mit einem starken Doppelgitter versehen. Von hier hätte ein Löwe sich keinen Austritt verschaffen können.

Dies waren die Zu- und Abgangszellen des Zuchthauses von Hochberg, die schlimmsten Zellen der ganzen Anstalt. Es ist nothwendig, dem eingelieferten Verbrecher seine Lage sofort in ihrer häßlichsten Gestalt zu zeigen und denjenigen, welcher seine Strafzeit überstanden hat, noch vor dem Rückfalle abzuschrecken. jeder Züchtling verlebt den ersten und den letzten Tag seiner Detentionszeit in einer dieser fürchterlichen Zellen.

Der Aufseher öffnete eine derselben.

»Hier herein!«

»Was, hier? Gibt es keine bessere?«

»Nein.«

»Da waren sie doch in Fallum hübscher!«

»Im Hotel de Saxe sind sie noch hübscher, kosten aber auch zehn bis zwanzig Mark per Tag. Zeig Deine Taschen!«

»Donnerwetter, ich lasse mich nicht Du heißen!«

»Wirst es schon leiden. Zeige Deine Taschen!« klang es jetzt barscher als vorher.

»Ich habe ja nichts darin!«

»Davon will ich mich ja eben überzeugen. Na, oder soll ich nachhelfen?«

Die Fesseln hatte der Transporteur wieder mit sich genommen. Der Gefangene konnte also die Arme wieder bewegen. Von dem strengen Tone des Aufsehers doch eingeschüchtert, wandte er alle seine Taschen um. Dann durchsuchte ihn der Beamte noch außerdem sehr sorgfältig von Kopf bis zu Fuß.

»Wie hast Du geheißen?«

»Hartig.«

»Was warst Du?«

»Schiffer.«

»Was hast Du begangen?«

»Müssen Sie das wissen?«

»Das lese ich schon später, Du brauchst mir es also nicht zu sagen. Doch will ich Dich im Guten darauf aufmerksam machen, daß es besser für Dich ist, wenn Du hier gegen Deine Vorgesetzten höflich und zuvorkommend bist. Du bist noch keine halbe Stunde da und hast doch bereits schon eine Strafe von zwanzig Tagen Kostentziehung erhalten.«

»Ich? Möchte wissen wofür!«

»Weil Du gegen den Amtswachtmeister grob gewesen bist und hast entfliehen wollen. Hier in der Anstalt wird der allergeringste Fehler sehr streng bestraft. Ihr seid hier, zur Strafe und zur Besserung. Wer willig und arbeitsam ist, kann nicht klagen, wer aber widerstrebt, dem geht es nicht gut. Merke Dir das! Also wie lange Strafzeit hast Du?«

»Vier Jahre.«

»Weshalb?«

Weil ich meine Frau und meinen Stiefjungen geschlagen und den Wachtmeister gestochen haben soll.«

»Haben soll? Sage doch gleich: geschlagen und gestochen habe, denn Du hast es doch gethan! Kannst Du lesen?«

»Ein Bischen, wenn es groß gedruckt ist.«

»Hier an der Thür klebt ein Zettel, darauf steht wie Ihr Euch im Allgemeinen zu verhalten habt. Licht kommt wohl genug zum Fenster herein. Lies ihn genau durch bis ich wieder komme, und beherzige es!«

Er verließ die Zelle. Die Schlösser klirrten, und die Riegel rasselten, dann war es still. Die fürchterliche Umgebung verfehlte doch ihren Eindruck nicht auf den Gefangenen. Es war ihm, als hätte ihn jemand vor den Kopf geschlagen. Er ließ sich auf dem alten hölzernen Schemel nieder und legte das Gesicht in die beiden hohlen Hände. Aber sein Auge blieb trocken, und keine Thräne der Erleichterung oder der Reue drang zwischen seinen Fingern hervor. So saß er lange, lange Zeit bis die Schlösser wieder klirrten und die Riegel abermals rasselten. Der Aufseher öffnete zum zweiten Male.

»Komm!«

Er folgte willig aus der Zelle hinaus und durch mehrere Gänge bis in einen größeren von Wasserdunst erfüllten Raum, welcher durch niedrige bretterne Scheidewände in mehrere Abtheilungen geschieden war. In jeder derselben stand eine Badewanne und ein Schemel dabei. Auf einem dieser Schemel lagen einige Kleidungsstücke, und dabei stand ein Mann, der Scheere und Kamm in der Hand hielt. Er trug eine Jacke und Hose von starkem, grobem, braunem Tuche und harte rindslederne Schuhe an den Füßen. Die Haare waren ihm kurz verschoren, dennoch aber sah man es ihm an, daß er früher wohl gute Tage gesehen und feinere Kleider getragen habe.

»Nummer Zwei, ein Zuwachs!« meinte der Aufseher. »Kleide ihn ein. Ich habe jetzt Weiteres zu thun. Aber macht mir ja keine Dummheiten! In einer halben Stunde bin ich wieder hier.«

Er ging und schloß hinter sich ab. Die Beiden befanden sich ganz allein in dem Raume.

»Vierundsiebenzig, setze Dich!« gebot der Mann.

»Wer?«

»Du! Du hast jetzt keinen Namen mehr, sondern die Nummer Vierundsiebenzig; nur bei dieser wirst Du genannt.«

»Donnerwetter, das ist hübsch!«

»Fluche nicht!« flüsterte der Mann. Dann fügte er lauter hinzu: »Setzen sollst Du Dich, habe ich gesagt. Oder hörst Du schwer?«

Hartig ließ sich auf den Schemel nieder. Der Andere griff zu Kamm und Scheere.

»Was soll denn das werden, he?« frug der erstere.

»Die Haare müssen herunter. Dann badest Du Dich und ziehst die Anstaltskleidung an. Die Deinige kommt in diesen Sack, der Deine Nummer hat, und wird aufgehoben, bis Du wieder entlassen wirst.«

»Na, dann zu, wenn es nicht anders möglich ist!«

Das Schneiden des Haares begann. Dabei flüsterte der Nummer zwei Genannte:

»Bewege die Lippen nicht wenn Du sprichst. Wir werden scharf beobachtet!«

»Wo?«

»Durch die kleinen Löcher über den Badewannen. Was bist Du?«

»Schiffer.«

»Woher?«

»Aus Fallum.«

»Ah, das Seebad Fallum?«

»Ja. Kennst Du es?«

»War öfters dort. Weißt Du nicht, ob Prinz Hugo von Süderland in der gegenwärtigen Saison das Bad besucht?«

»Vor sechs Wochen war er noch da. Seit dieser Zeit bin ich gefangen. Kennst Du ihn?«

»Sehr gut.«

»Wer bist Du denn?«

»Das ist Nebensache!« Dennoch aber siegte die den meisten Menschen innewohnende und sogar sich in der tiefsten Erniedrigung regende Eitelkeit so, daß er hinzusetzte: »Ich war nichts Gewöhnliches; der Prinz war mein Freund.«

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