Die Juweleninsel - Karl May 11 стр.


»Ah!« machte Hartig verwundert.

»Leise! Ist seine Schwester, Prinzeß Asta, verheirathet?«

»Freilich. Mit dem Kronprinzen Max, der früher ein Schmied gewesen sein soll. Ich bin wegen dem tollen Prinzen hier.«

»Nicht möglich! Wie so?«

»Er fuhr auf dem Boote und stürzte die Tochter des Generals Helbig in das Wasser. Mein Junge warf ihn wieder hinein, und ich züchtigte den Buben ein wenig zu derb. Darüber wurde ich angezeigt und eingesteckt. Ich wollte ausreißen und stieß dem Wachtmeister dabei das Messer in den Arm. Dafür habe ich vier Jahre bekommen.«

»Und der Junge?«

»Nichts. Der Prinz hat noch die Kosten bezahlt.«

»Ja, das sind die jetzigen Zustände; früher unter der alten Regierung war es besser!«

»Du meinst, als die Raumburgs noch am Ruder waren? Ja, da wurde nicht so kurzer Prozeß mit einem gemacht; da ging es fein hübsch langsam. Wenn das noch wäre, so säße ich nicht hier. Nun aber ist der alte Herzog todt, elend umgekommen, und sein Sohn, der Prinz von Raumburg, soll gar im Zuchthause stecken!«

Der Sprecher ahnte nicht, daß er gerade diesen Prinzen vor sich habe.

»Waren die drei Schwestern des Generals von Helbig im Seebade?« frug dieser.

»Ja.«

»Dachte es. Die kommen alle Jahre hin. Aber jetzt bin ich fertig. Nun ziehe Dich aus und steige in die Wanne. Deine Kleider habe ich wegzunehmen!«

»Was bist Du hier denn eigentlich?«

»Badewärter.«

»Und was bekommst Du dafür?«

»Sechs Pfennige täglich.«

»Alle Wetter, ist das viel!«

»Ja, das ist auch viel. Du bekommst volle drei Monate nichts, dann aber täglich drei Pfennige, aber auch nur dann, wenn Du Dein Pensum vollständig fertig bringst.«

»Was ist Pensum?«

»Die Zahl, wie viel Du täglich zu arbeiten hast. Bringst Du das nicht, so wirst Du bestraft, mit Arrest, mit Kostentziehung oder gar mit Prügeln. Und weil Du dritte Disziplinarklasse hast, so wird Dir von Deinen drei Pfennigen zur Strafe täglich einer abgezogen. Du bekommst dann also blos zwei.«

»Was ist das mit der Klasse?«

»Wer schlecht eingeliefert oder hier bestraft wird, bekommt dritte, wer gut eingeliefert wird, zweite, und wer sich sehr lange Zeit ausgezeichnet beträgt, erste Klasse. Die erste Klasse trägt blanke, die zweite trägt gelbe und die dritte trägt schwarze Knöpfe.«

»So hast Du also erste Klasse?«

»Ja; aber nicht, weil ich mich lange Zeit gut geführt habe, denn ich bin noch nicht sehr lange hier, sondern der Direktor berücksichtigt mich, weil ich draußen etwas Vornehmes gewesen bin. Das Amt eines Badewärters ist auch ein Vorzug. Es ist ein Vertrauensposten, weil ich da mit jedem Gefangenen zu sprechen komme. Ich kann also den Gefangenen sehr viel nützen. Willst Du mir einen Gefallen thun?«

»Ja. Welchen?«

»Du sollst mir einem andern Gefangenen ein paar Zeilen geben.«

»Die schreibst Du erst?«

»Nein; dazu wäre jetzt keine Zeit. Ich habe sie bereits fertig, für den Fall, daß ich Einen finde, der bereit ist, sie mir zu besorgen.«

»Komme ich denn mit ihm zusammen?«

»Ja. Du kommst gleich von hier weg zum Anstaltsarzte, der Dich zu untersuchen hat. Bei ihm sitzt ein Gefangener, der seinen Schreiber macht. An ihn hast Du das Billet zu geben.«

»Wird es Niemand sehen?«

»Nein. Er kennt mein Zeichen und sieht jeden aufmerksam an. Wenn Du die Jacke ausziehest, so niesest Du und wischest Dir dann mit der linken Hand das rechte und mit der rechten das linke Auge zu. Er wird sofort hinkommen und Dich mit entkleiden helfen. Dabei nimmt er das Papier an sich, welches ich Dir nachher unter das Halstuch binden werde. Es wird Dir nützlich sein. Wer Kaffee oder sonst etwas Außergewöhnliches haben will, muß den Arzt bitten, dieser gibt dem Schreiber seine Entscheidung, und was dieser schreibt, das gilt und wird nicht mehr kontrolirt. Da kann es vorkommen, daß er viel mehr schreibt, als er eigentlich sollte, oder sogar daß er einem etwas notirt, der um gar nichts gebeten hat. Bekommst Du also einmal etwas, so sage nur zum Aufseher, Du hättest den Arzt darum gebeten!«

»Werde es merken! Welche Arbeit werde ich bekommen?«

»Das weiß ich noch nicht, denn das bestimmt im Laufe des Tages der Arbeitsinspektor.«

Unterdessen war das Bad beendet, und das Einkleiden begann. Der Badewärter war ihm dabei behilflich und legte ihm auch das Halstuch um.

»Du hast doch den Brief vergessen!« flüsterte Hartig.

»Sorge Dich nicht! Er ist an seiner Stelle; aber ich wäre sehr ungeschickt, wenn Du es bemerkt hättest, denn dann hätte es der Aufseher draußen auch gesehen.«

»Er belauscht uns also wirklich?«

»Ja. Du wirst sehen, daß er hereinkommt, sobald wir fertig sind. Diese Leute halten sich allein für sehr klug und weise und sind noch dreimal dummer als dumm.«

Wirklich hatte Hartig kaum die Arme in die Aermel seiner Jacke gesteckt, so trat der Aufseher herein.

»Fertig?«

»Gleich, Herr Aufseher!«

»Wieder einmal fleißig geschwatzt?«

»Kein Wort! Oder glauben Sie, daß Unsereiner das Bedürfniß hat, sich solchen Leuten mitzutheilen?«

»Hoffe es auch nicht. Also vorwärts wieder!«

Hartig wurde in ein anderes Gebäude geführt, wo ihn der Aufseher in ein Zimmer schob, in welchem ein Herr in Civil an einem Schreibtische saß. An der andern Seite saß ein dicker Mann in der Sträflingskleidung und schrieb, ohne von dem Papiere aufzublicken. Dieser erstere war der Anstaltsoberarzt. Er fixirte den Angekommenen einen Augenblick; dann frug er in dem kurzen Ton dieser Beamten:

»Wer bist Du?«

»Schiffer.«

»Wie alt?«

»Fünfzig.«

»Einmal krank gewesen?«

»Nein.«

»Fehlt Dir jetzt etwas?«

»Nein, aber Hunger habe ich immer.«

»Ach so!« lachte der Arzt. »Die Herren Gefangenen haben während der Untersuchungshaft auf schmaler Kost gesessen und wollen sich nun hier herausfüttern lassen. Bleibt draußen, und macht keine Dummheiten, wenn Ihr nicht leiden wollt! Ziehe Dich aus!«

Er bog sich auf seine Schreiberei zurück. Hartig fuhr langsam aus der Jacke und nieste; dann wischte er sich die Augen in der angegebenen Weise. Sofort erhob sich der dicke Schreiber und trat zu ihm.

»Na, das hat ja noch gar keine Spur von Geschicke! Wie lange soll da der Herr Oberarzt warten, he? Herunter damit!«

Er band ihm das Halstuch ab und warf es zur Erde, half ihm auch beim Ablegen der übrigen Kleidungsstücke. Als dies geschehen war, erhob sich der Arzt und untersuchte Hartig sehr genau. Er hatte heute Zeit dazu, denn es war kein zweiter Gefangener eingeliefert worden. Während dieser Prozedur bemerkte Hartig, daß der Schreiber hinter dem Tische einen kleinen Zettel las und schnell einen zweiten schrieb. Als die ärztliche Untersuchung beendet war, trat er wieder zu Hartig heran und half ihm beim Anlegen der Kleider. Dabei steckte er ihm den zweiten Zettel abermals, aber jetzt hinten und von oben unter das Halstuch und flüsterte:

»Beim Arbeitsinspektor wieder niesen!«

Die Prozedur war beendet, und Hartig wurde entlassen. Draußen vor der Thür empfing ihn der Aufseher wieder, welcher ihn in seine Zelle zurückbrachte und dann verließ. Während dieser Pause wagte der Gefangene es, den Zettel herauszunehmen und zu öffnen, obgleich es möglich war, daß man ihn beobachtete. Er war in einer fremden Sprache geschrieben. Sein Verfasser und derjenige, an den er gerichtet war, konnten keine ganz gewöhnlichen Leute sein.

Jetzt dauerte es einige Stunden, ehe die Riegel wieder zurückgezogen wurden und der Aufseher wieder öffnete. Er brachte Wasser und Brod.

»Hast Du beim Arzte um doppelte Ration Brod gebeten?«

»Ja.«

»Bist Du denn ein so starker Esser?«

»Hast Du beim Arzte um doppelte Ration Brod gebeten?«

»Ja.«

»Bist Du denn ein so starker Esser?«

»Ein Seemann hat stets Hunger.«

»Hier aber hört die See auf. Ein Zugänger erhält gewöhnlich täglich ein halbes Pfund Brod und erst später, wenn er wiederholt darum bittet, ein ganzes und auch anderthalb Pfund. Dir aber sind gleich zwei Pfund zugeschrieben worden. Da heißt es nun auch fleißig sein, damit Du diese Vergünstigung nicht etwa wieder verlierst. Der Herr Oberarzt muß heut bei sehr guter Laune gewesen sein. jetzt komm!«

Das Versprechen des Badewärters war also doch bereits in Erfüllung gegangen. Der dicke Krankenschreiber hatte aus eigener Machtvollkommenheit zwei Pfund Brod notirt. Und diese Anstaltsbeamten sagen, daß der Gefangene keinen Willen habe, sie wollen ihn als Gegenstand irgend einer Besserungsmethode behandeln!

Wieder ging es über mehrere Höfe bis vor eine Thür.

»Den Herrn da drinnen hast Du »Herr Arbeitsinspektor« zu tituliren!« bedeutete der Aufseher und schob dann den Gefangenen in das Zimmer.

Der Beamte war noch jung und hatte ein wohlwollendes Gesicht. Die stramme Uniform stand ihm recht gut, und es sah ganz so aus, als ob er sich dessen auch bewußt sei. Auch hier blieb der Aufseher vor der Thür, um seinen Pflegling draußen zu erwarten.

»Was bist Du?« frug der Inspektor gerade so wie vorher der Arzt.

»Schiffer.«

»Schiffer, also kräftig.« Er blätterte dabei in einigen Papieren herum. »Hier finde ich, daß Du vom Arzte zwei Pfund Brod erhalten hast; da mußt Du auch arbeiten können. Gesund bist Du?«

»Ja.«

»Hast Du vielleicht außer Deinem Berufe nebenbei ein Handwerk betrieben?«

»Nein,« antwortete er niesend und sich dann die Augen wischend.

»Aber im Winter, wo der Fischfang und die Schifffahrt feiert, was hast Du da gethan?«

»Hm,« räusperte sich der Gefangene verlegen, während der Schreiber, welcher an einem Seitentische beschäftigt war, der Scene mit Spannung folgte.

»Ach so, ich verstehe! Nichts hast Du gemacht. Gespielt, was?«

»Blos Abends,« entschuldigte sich Hartig.

»Und am Tage?«

»Geschlafen.«

»Schön! Das heißt also, Du hast vom Abend bis an den Morgen gespielt und dann den Tag verschlafen. Hast Du Weib und Kinder?«

»Ja.«

»Also Familie, und ein so lüderliches Leben! Scheinst mir ein sauberer Kerl zu sein! Ich werde Dir eine Arbeit geben, bei der Du mir nicht so leicht einschlafen sollst. Das sage ich Dir: das Pensum ist sehr schwer, bringst Du es aber nicht, so hilft Dir Deine doppelte Brodration nichts; ich gebe Dir Kostentziehung, und zwar genug!«

Der gute Inspektor war wirklich in Rage gekommen, auch mit dem Schreiber schien dies der Fall zu sein. Er erhob sich und trat näher.

»Und auch unordentlich ist er,« meinte er, der seinen Vorgesetzten sehr gut kennen mußte, um diese Theilnahme am Gespräche zu wagen. »Dieser Knopf ist auf, und das Halstuch guckt hinten über den Kragen in die Höhe. Die Herren Aufseher sehen nicht darauf. Ich habe nur immer nachzubessern, damit die Leute anständig vor dem Herrn Inspektor erscheinen!«

Dabei knöpfte er ihm die aufgesprungene Jacke zu und nestelte emsig an dem Halstuche herum. Dann trat er wieder zurück und setzte sich mit zufriedener Miene nieder.

»Richtig ist es,« meinte der Inspektor. »Wenn ein Zuwachs kommt, muß ihn mein Schreiber immer in das Geschicke richten. Ich werde mich beschweren. Also, was geben wir Dir für Arbeit?« Er sann eine Weile nach und meinte dann zu seinem Schreiber:

»Notiren Sie ihn unter die Schmiede, und besorgen Sie das Uebrige. Ich habe mich zu beeilen, daß ich den Zug nicht versäume. Du aber kannst jetzt gehen!«

Hartig verließ das Gemach und wurde von seinem Aufseher in seine Zelle zurückgeführt. Er blieb dort nicht lange allein, denn bald wurde wieder geöffnet und der Aufseher trat in Begleitung des Anstaltskoches herein.

»Also dies ist der Mann?« frug der letztere, den Gefangenen musternd.

»Ja, er hat ungeheures Glück,« antwortete der Aufseher. »Wird mit zwanzig Tagen Kostentziehung eingeliefert und bekommt doppeltes Brod und Beschäftigung in der Küche, während andere sich Jahre lang zu einem solchen Posten melden und immer wieder abgewiesen werden. Ich bin neugierig, wie der Herr Direktor die Kostentziehung mit der Küchenarbeit und der Brodration zusammenreimen wird.«

»Das ist nicht unsere Sache,« meinte der Koch. »Es liegt hier jedenfalls ein Versehen vor, ich aber habe mich nach der Notiz des Herrn Arbeitsinspektors zu richten und diesem hier zu sagen, daß er morgen früh in der Küche antreten wird. Besorgen Sie ihm eine weiße Schürze und eine Küchenmütze.«

Unterdessen stand der Schreiber des Arbeitsinspektors an seinem Fenster und blickte hinaus auf den Hof. Er war allein, denn sein Vorgesetzter hatte die Anstalt verlassen, um seiner vorhin gethanen Aeußerung nach eine Reise zu unternehmen. Der Schreiber schien von einer peinigenden Unruhe erfüllt zu sein, und immer wieder zog er den Zettel hervor, welchen er unter dem Halstuche des Zuganges herausgenommen hatte. Dieser war in französischer Sprache verfaßt und lautete zu deutsch:

»Endlich ist es Zeit, wie mich Raumburg benachrichtigt. Warte in Deiner Expedition auf uns.«

Da kam ein einzelner Züchtling ohne Begleitung eines Aufsehers über den Hof. Es war der Schreiber des Oberarztes. Er trat ein. Beide kannten einander sehr gut. Der eine war Direktor und der andere Oberarzt einer Irrenanstalt gewesen und hatten sich derartiger Vergehen schuldig gemacht, daß sie sich jetzt für lebenslang im Zuchthause befanden.

»Der Inspektor fort?« frug der dicke frühere Irrenhausdirektor.

»Ja,« antwortete sein früherer Untergebener. »Woher weißt Du, daß er verreisen will?«

»Er war am Vormittage beim Doktor und sagte es diesem. Bist Du bereit?«

»Natürlich. Ich wage das Leben, wenn es sein muß. Aber wie?«

»Weiß es selbst noch nicht. Raumburg schrieb mir heute, daß ich um die jetzige Zeit bei Dir sein solle.«

»Er kommt also auch?«

»Jedenfalls.«

»Wie gut, daß die zur ersten Disziplinarklasse Gehörigen die Erlaubniß haben, ohne Beaufsichtigung ihrer Arbeit nachgehen zu können. Wenn man mich hier bei Dir sieht, können wir sagen, daß wir uns über irgend eine Schreiberei zu besprechen haben. Hast Du den Ueberbringer der Zeilen belohnt?«

»Ja. Ich habe ihm doppeltes Brod geschrieben.«

»Dachte mir, daß dies nur von Dir käme.«

»Und Du?«

»Ich habe mir den Spaß gemacht, ihn unter die Küchenarbeiter zu schreiben. Wir gehen fort, und ich habe keine Unannehmlichkeit davon. Doch schau, da kommt Raumburg!«

Der Züchtling Nummer Zwei kam über den Hof herüber und in das Zimmer.

»Gut, daß Sie schon beisammen sind! Sie haben meine Bemerkung erhalten?«

»Ja.«

»Sie gehen mit?«

»Versteht sich! Aber welche Vorbereitungen haben Sie getroffen?«

»Ich noch gar keine, aber wir werden draußen erwartet.«

»Von wem?«

»Das möchte ich jetzt noch verschweigen. Im Gasthofe des nächsten Dorfes hat sich ein Kutscher einquartirt, der seine Pferde stets angeschirrt bereit hält. Eine Minute nach unserem Eintreffen dort kann es fortgehen.«

»Das wäre ganz gut. Aber wie kommen wir aus der Anstalt?«

»Sehr einfach: als Aufseher verkleidet. Da hält uns der Posten nicht an.«

»Alle Teufel, das ist verwegen! Am hellen lichten Tage ganz gemüthlich hinauszuspazieren! Aber die Kleider?«

»Bekommen wir bei dem Thorhabenden.«

»Wird sich hüten!«

»Freiwillig gibt er sie natürlich nicht her. Wir nehmen sie ihm.«

»Dann gibt es einen Kampf, welcher Lärmen verursachen wird.«

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