Die Juweleninsel - Karl May 3 стр.


»Dauert es lange?«

»In einer Viertelstunde einen ganzen Sack voll. Diese Sorte von Fleisch ist hier schnell zu haben. Soll ich auch einige Krabben und Meerspinnen mitbringen?«

»So viel Du erwischen kannst.«

»Gut. Ich eile!«

Höchst befriedigt kehrte Kunz in das Haus zurück und sorgte dafür, daß keine Störung eintreten konnte. Der Gärtner brachte eine ganze Menge der bestellten Thiere. Beide schlichen sich nach dem Zimmer, in welchem Hektor gefangen gewesen war, schütteten den Sack in den Reisekorb aus und entfernten sich dann unbemerkt. Wenn es galt, den Schwestern einen Schabernak zu spielen, so schloß sich sicher keiner von den Leuten aus.

Der General hatte unterdessen bei seinem Klausewitz gesessen. Da ertönten draußen eilige Schritte. Die Thür wurde aufgerissen, und die lange Freya trat in höchster Eile und mit einem Gesichte ein, welches Zeugniß von einer sehr großen Aufregung gab.

»Emil Bruder!«

»Was ists?«

»Ah, laß mich erst verschnaufen! Ich bin so sehr gerannt und gesprungen, daß ich mit allen Gliedern Athem hole.«

»Alle Wetter, was ist denn los?«

»Was los ist? Wer denn anders als der Teufel, oder was ganz dasselbe ist, der tolle Prinz!«

»Ach der! Wieder einmal?«

»Wieder! Mein Gott, was für ein Mensch ist das! Wäre ich ein Herr, ein Offizier, ein Kavalier, ich forderte ihn und so wahr ich »

Sie erhob bei diesen Worten die geballte Faust und schlug damit als Zeichen der Betheuerung vor sich auf das Sopha nieder, auf welchem sie Platz genommen hatte, traf aber unglücklicher Weise ihre Katze, welche, einer solchen Behandlung ungewohnt, mit einem lauten schrillen Kreischen auffuhr, über das Zimmer schoß und zum geöffneten Fenster hinausflog. Freya sprang auf und an das Fenster.

»Weg! Bruder Emil General! Herrgott, siehst Du denn nicht, daß die Bibi nun auch todt ist? Todt, zerschmettert, zerschlagen, zerschmissen, zermalmt, zerquetscht und zerschunden, Alles nur wegen diesem schrecklichen Prinzen!«

»Auch todt, sagst Du? Wer ist denn noch todt?«

»Mein Gott, das weißt Du noch nicht? Er stürzte sie in das Wasser, und da »

Wieder wurde die Thüre aufgerissen, und die kleine Wanka erschien.

»Da bist Du ja schon, Freya! ja, Deine Beine sind länger als die meinigen. O, ich vergehe; ich verschwinde; ich zerfalle; ich löse mich auf! Mach Platz!«

Sie sank auf das Sopha und schloß die Augen. Dem General wurde es jetzt wirklich angst.

»So sprecht doch nur! Wer ist denn todt?«

»Todt nicht,« rief Wanka, die also doch noch nicht vollständig aufgelöst war, denn sie hatte noch die Kraft, die Augen wieder zu öffnen. »Sondern in das Wasser »

»O ja, todt, vollständig todt, meine süße Bibi!« rief Freya. »Bei einem solchen Sturze kann sie doch unmöglich lebendig unten ankommen!«

»Zum Donnerwetter,« schalt der General, »wer in das Wasser gestürzt worden ist, das will ich wissen! Heraus damit!«

In diesem Augenblicke stöhnte es draußen, als ob eine Lokomotive angefahren komme, und die Thür wurde zum dritten Male aufgemacht. Die dicke Zilla trat ein. Sie hatte keinen Athem mehr, und ihr Gesicht besaß eine vollständig zinnoberrothe Farbe.

»Ah oh uh uuuh! Oh, oooh!«

Während dieser verzweifelten Interjektionen rannen ihr dicke Tropfen von der Stim und den Wangen herab. Sie wollte sie entfernen, machte sich aber in ihrer Aufregung einer sehr merkwürdigen Verwechslung schuldig; sie drückte nämlich das Taschentuch an ihren nach Luft ringenden Busen und wischte sich mit Mimi, dem Eichhörnchen, den Schweiß vom Gesichte. Das kleine Thierchen wehrte sich nach Kräften gegen diese Realinjurie, und dies gab seiner Herrin den verlorenen Odem wieder.

»Emil Du weißt es bereits?«

»Ich? Kein Wort! Was ist denn eigentlich geschehen?«

»Da da kommt sie selbst!«

Wirklich trat jetzt Magda ein. Sie eilte auf den Vater zu und umarmte ihn.

»Nicht wahr, Papa, Du bist mir nicht bös?«

»Worüber sollte ich Dir bös sein?«

»Nun, weil mich der tolle Prinz in das Wasser geworfen hat.«

»Dich? Ists möglich! Aber nur aus Versehen!«

»Nein, sondern mit Absicht. Aber Du darfst nicht zanken, denn ich bin noch vor den Tanten nach Hause gelaufen und habe mich gleich umgekleidet. Es hat mir gar nichts geschadet.«

»Welch ein Glück! Erzählt einmal!«

Diesem Gebote wurde von vier Stimmen zu gleicher Zeit Folge geleistet, und die Schwestern entwickelten eine Sprachfertigkeit, welche den General in Verzweiflung bringen konnte. Aber er wußte recht gut, daß er den rauschenden Strom ihrer Rede nicht unterbrechen dürfe, und so wartete er in Geduld, bis der Bericht beendet war.

»Wo ist der Prinz hin?« frug er dann.

»Wir wissen es nicht. Er ruderte weiter.«

»Dern Lande zu?«

»Nein.«

»Also noch nicht zu Hause. Und wie hieß dieser brave und muthige Knabe?«

»Kurt Schubert. Er hat einen Stiefvater,« antwortete Freya.

»Oder vielmehr einen Stiefrabenvater, der ihn täglich schlägt und mißhandelt,« setzte Zilla hinzu. »Wenn er sich nicht so geschickt betragen hätte, wären wir Alle ertrunken.«

»Das ist wahr,« bestätigte Wanka. »Wir müssen ihm eine Dankbarkeit erweisen.«

»Das werde ich sofort besorgen,« entschied der General. »Ihr könnt gehen!«

Sie entfernten sich nach ihren Gemächern. Dort angekommen fiel ihnen zunächst der Reisekorb in die Augen.

»Ah, den Hund haben wir ganz vergessen!« erinnerte sich Freya. »Wollen wir öffnen?«

»Ja. Er ist genug bestraft worden, und Bruder Emil könnte ihn vermissen.«

Sie hoben den Deckel empor, und in demselben Augenblicke erschallte von ihren Lippen ein dreifacher Schrei des Entsetzens. Ihr Auge war auf den Inhalt gefallen. Sie wollten fliehen, aber das blaue Kleid Freyas blieb an dem Korbe bangen; dieser wurde umgerissen und entleerte seine Versammlung. Frösche, Kröten und Molche aus dem nahen Teiche nebst Meerspinnen, Krabben, großen, langbeinigen Käfern und allerhand ungethümlichen Geschöpfen, wie sie von der Fluth täglich zweimal an das Land gespült werden und welche die Kinder fangen, um sie an die Fremden zu verkaufen, zappelten und krappelten, wibbelten und kribbelten, krochen und zerrten, hüpften und sprangen, schnellten und schlüpften in dem Zimmer herum, so daß es nicht einen Fußbreit des Bodens gab, wo man sicher hätte auftreten können. Die Blaue warf sich auf das Sopha; die Grüne sprang auf den nächsten Stuhl, und die Purpurrothe retirirte sich hinauf auf den Tisch, auf welchen sie sogar die Beine zu retten suchte.

Während dieser nicht ganz ästhetischen Sitzung ging draussen der General mit Magda vorüber. Beide wollten zunächst den Schifferknaben aufsuchen. Ihnen folgte, wie bei allen Ausgängen Helbigs, Kurt [sic!], der Diener. Die beiden ersteren nahmen keine Notiz von dem Lärm in den Damengemächern, da sie ihn für eine Fortsetzung des bei dem Generale stattgefundenen Gespräches hielten; der letztere aber öffnete leise und unbemerkt die Thür ein wenig und warf einen schnellen Blick auf die possierliche Situation. Mit einer Miene der innigsten Befriedigung zog er den Eingang leise wieder zu, drehte den Schlüssel um und steckte ihn zu sich. Dann eilte er seinen Herrschaften nach.

Der General begab sich zunächst nach dem Strande. Als er dort ankam, war das Wachtboot soeben um die Landzunge gebogen, hatte den Prinzen mit seinem Begleiter erblickt und beeilte sich ihn an Bord zu nehmen. Es brachte Beide, die natürlich vollständig durchnäßt waren, an das Land. Der Prinz bot jetzt nicht den Anblick eines Helden, welcher eine rühmenswerthe That vollbracht hat, und mit sichtbarer Genugthuung oder auch Schadenfreude ruhten die Augen aller Umstehenden auf ihm. Der Erste, welcher ihm entgegentrat, war der General.

»Hoheit!«

»Excellenz.«

»Sie machten sich das Vergnügen, das Boot meiner Schwestern zu attakiren?«

»Pah! Es wurde von einem Knaben falsch gesteuert.«

»Dieser Knabe versteht besser zu steuern, als mancher Mann. Wollen Sie etwa behaupten, daß der Zusammenstoß nicht von Ihnen beabsichtigt wurde?«

»Ich pflege nie zu lügen.«

»Sie gestehen es also?«

»Ja.«

»Sie sind ein Elender!«

»Wohl! Das ist eine Meinung, für welche Sie sich mit mir schlagen werden.«

»Fällt mir nicht ein! Ein ehrenhafter Offizier befleckt seinen Degen nicht durch die Berührung mit einem Menschen, der keine Spur von Bildung oder Ehre besitzt und bereits als Schurke gekennzeichnet wurde.«

»Mensch!« donnerte der Prinz.

»Pah! Können Sie die Ruthenhiebe verleugnen, die Ihnen einst der Kapitän von Sternburg versetzte, weil Sie eine ehrbare Dame überfielen, und deren unvertilgbare Spuren noch heut in Ihrem Gesichte zu sehen sind? Ein Edelmann, ein Ehrenmann kann sich mit Ihnen, ohne sich selbst zu entehren, niemals schlagen. Und dennoch werde ich von Ihnen Genugthuung fordern, aber nicht mit der Waffe, sondern vor den Schranken des Gerichts. Was Sie thaten, ist keine Unvorsichtigkeit, kein Vergehen, sondern ein Verbrechen, ein Ueberfall friedlicher Menschen, welche leicht das Opfer Ihrer Rohheit werden konnten. Man wird auch einem Prinzen zeigen können, unter welchen strengen Paragraphen des Kriminalgesetzbuches dieses Verbrechen zu stellen ist!«

Der Prinz hatte ihn unterbrechen wollen, war aber nicht dazu gekommen. jetzt aber antwortete er mit drohender Miene:

»Mensch, Sie sprechen entweder aus Altersschwäche oder aus Verrücktheit in dieser Weise mit mir! Ich werde Sie schon zu zwingen wissen, sich mit mir zu schlagen, und was Ihre Paragraphen betrifft, so habe gerade ich das Recht, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Halten Sie Ihre Frauen und deren Bootsführer fest; ich könnte auf den Gedanken kommen, sie einsperren zu lassen!«

Er ging, und nur finstere Blicke folgten ihm. Da trat einer der Schiffer, den Südwester verlegen zwischen den Händen drehend, zu Helbig. Es war Nachbar Klassen.

»Nicht wahr, Sie sind der Herr General, und dieses kleine, schöne Fahrzeug da ist Ihr Fräulein Töchterchen?«

»Ja. Was wünschen Sie?«

»Ich bitte für diesen wackern jungen, den Kurt!«

»Ah, Kurt Schubert?«

»Ja. Er hat dem gnädigen Fräulein aus dem Wasser geholfen, und da könnten Sie ihm ja dann auch einen Gefallen thun!«

»Welchen?«

»Hm! Er hat schon lange einen Pik auf den Prinzen, weil dieser seine Mutter beleidigt hat, und heute ist dann Abrechnung gewesen. Der Prinz wollte nämlich Ihre Fräuleins überfahren, und das ist ihm nicht gelungen, weil Kurt sein Handwerk ganz vortrefflich versteht; dann aber hat der junge auf den Prinzen Jagd gemacht und ihm sein Fahrzeug in den Grund gebohrt, so daß der Prinz da draußen im Wasser stehen und warten mußte, bis er herausgefischt wurde. Nun wird er den jungen zur Anzeige bringen, Sie haben es ja selbst gehört, und da mag es gut sein, wenn der Kurt einen so hohen Herrn fände, der sich seiner ein wenig annähme. Er verdients, das kann jeder versichern.«

»Wirklich? Wo wohnen seine Eltern?«

»Dort in der vorletzten Hütte. Die Frau ist ein Muster, aber der Mann ein Spieler und Trinker, der niemals eine Hand regt im Geschäfte. Der Junge muß Alles verdienen und die ganze Familie ernähren. Prügel genug bekommt er dafür, desto weniger aber zu essen. Die Mutter hat es in schlechten Händen. Sie stammt weit von hier und muß ein schönes Mädchen gewesen sein. Sie war mit einem Steuermann verlobt, der Schubert hieß und in fremden Meeren Schiffbruch gelitten haben muß, denn er kam nicht wieder. Der Junge ist sein Sohn. Die Mutter wollte nicht heirathen, sie wurde aber gezwungen, und kam darauf mit ihrem Manne hierher. Besser als den Kurt gibt es Keinen, darauf können Sie sich verlassen, und er verdient es, daß er gegen den Prinzen in Schutz genommen wird. Auch wir Alle werden das Unserige thun, wenn er angezeigt werden sollte.«

Der General reichte dem Manne die Hand entgegen.

»Der Knabe hat meiner Tochter hier das Leben gerettet, und es versteht sich ganz von selbst, daß ich ihm dafür dankbar bin. Auch Ihnen danke ich. Sie handeln, wie ein braver Nachbar handeln muß. Also dieser Kurt hat sofort an dem Prinzen Vergeltung geübt?«

»Ja, und zwar so schlau und regelrecht, daß es keiner von uns befahrenen Schiffern besser fertig gebracht hätte.«

»Das freut mich von ihm!«

»Aber sagen darf man es nicht. Vor Gericht ist natürlich der Prinz selbst an dem Zusammenstoße schuld. Der junge hat so geschickt manövrirt, daß dies jedem Sachverständigen leicht wird zu beweisen.«

»Also der Knabe besitzt nicht nur Muth und Geistesgeger,wart, sondern auch Ueberlegung und Klugheit?«

»So viel, als er nur brauchen kann! Er hat das Rettungsboot nicht nur erst einmal geführt und liegt in jeder freien Stunde über den Büchern, die er sich zusammenborgt. Er ist ein Prachtkerl! Unter uns sind viele weitgereiste Seemänner, welche die Schifffahrt aus dem Fundamente verstehen und fremde Sprachen oder anderes dazu. Bei ihnen lernt er, aber heimlich, um keine Strafe zu bekommen, denn sein Stiefvater leidet das nicht.«

»Schön; werde mich darnach richten! Ist der Mann hier, der meine Schwestern an das Land gebracht hat?«

»Der bin ich selbst.«

»Es ist vergessen worden Sie zu bezahlen. Hier haben Sie!«

Nachbar Klassen bedankte sich für das reiche Geschenk, welches ihm wurde, und dann ging der General mit Magda auf die Wohnung Kurts zu.

Bei derselben angekommen konnte er keines Menschen ansichtig werden; aber aus dem Innern drang ein unterdrücktes Weinen. Er trat ein und wäre beinahe zurückgefahren bei dem Anblicke, welcher sich ihm bot.

An der Wand stand oder vielmehr hing Kurt. Seine beiden Hände waren mit einem Riemen zusammengebunden und mittelst einer Schlinge an einen starken Nagel in der Weise befestigt, daß der Knabe den Fußboden kaum mehr mit den Fußspitzen erreichen konnte. Darauf war ihm der Oberkörper entblößt und auf eine so unbarmherzige Art behandelt worden, daß man das rohe blutige Fleisch erblickte und die Diele roth gefärbt worden war. In dieser torturähnlichen Stellung hing er noch jetzt, ohne einen Laut von sich zu geben. Seine Augen waren roth geschwollen, und vor seinen zusammengepreßten Lippen stand großblasiger Schaum. Daneben lagen die Stöcke, mit denen die Züchtigung vorgenommen worden war.

In der hintersten Ecke saß seine Mutter mit verbundenem Kopfe. Sie hatte mehrere Hiebe über denselben erhalten und schien nicht ungefährlich verwundet worden zu sein. In ihrer Nähe lagen vier kleinere Kinder am Boden, welche leise weinten, und auf einer alten Pritsche saß der Mann, welcher diese Grausamkeiten verübt hatte. Seine knochige Gestalt und seine rohen Züge machten einen höchst ungünstigen Eindruck, und man sah es ihm auf den ersten Blick an, daß er sich im Zustande der Betrunkenheit befand. Er achtete gar nicht auf die Eintretenden.

Als Magda den Knaben erblickte, welcher ihr so schnell lieb geworden war, stieß sie einen Ruf des Schmerzes aus und eilte auf ihn zu.

»Ach Gott, Papa, das ist er! Hilf ihm, Papa, schnell, schnell!«

Der General trat näher und streckte die Hand nach dem Knaben aus. Da aber erhob sich der Betrunkene und faßte ihn am Arme.

»Halt! Was wollt Ihr hier?«

»Zunächst diesen Knaben befreien, Mensch.«

»Dies Haus ist mein, und der Knabe auch. Packt Euch fort!«

»Nur langsam! Wir werden gehen, aber nicht ohne vorher unsere Pflicht zu thun.«

Hinaus mit Euch. Ihr habt hier nichts zu befehlen; ich leide es nicht!«

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