»Hier ruhen die Väter Ihres Klosters?« frug Hugo.
»Welche eingingen in die Hütten der Seligen,« antwortete der Prior.
»Und die Mütter dort unten, haben sie einen eigenen Friedhof?«
»Nein. Die beiden Klöster wurden von dem frommen Ritter Theobald von Himmelstein zu gleicher Zeit gestiftet, und er bestimmte, daß die Väter und Mütter von einem und demselben Orden sein und an einem und demselben Orte zur ewigen Ruhe gebettet werden sollten. Friede sei mit seiner und mit ihrer Asche!«
»Liegen die Väter und Mütter getrennt?«
»Nein, obgleich dies anderwärts unter gleichen Verhältnissen nicht Sitte ist. Aber es stehet geschrieben: »Sie werden nicht freien und nicht gefreit werden;« die Engel und die Seligen kennen kein Geschlecht und keine andere Lust, als die Lust am Herrn. Darum dürfen die in Christo Entschlafenen bei einander ruhen ohne Aergerniß. Ihre Seelen schweben um den Thron Gottes und sind rein gewaschen von allem Schmutze dieses Lebens.«
»Darf man das Kloster der frommen Frauen auch besuchen?«
»Nur Auserwählten ist es erlaubt.«
»Darf ich mich zu diesen Auserwählten rechnen?«
»Ich bitte in Unterthänigkeit darum!«
»Ich muß gestehen, daß ich in geistlichen Dingen einigermaßen unerfahren bin. Ihr Kloster steht in keinem amtlichen Zusammenhange mit diesem andern.«
»Doch. Weder die Priorin noch irgend eine der Schwestern hat das Recht, eine kirchliche Handlung vorzunehmen. Das dürfen nur wir.«
»So verkehren Sie in Folge Ihrer priesterlichen Würde wohl oft mit den frommen Schwestern?«
»Sehr oft. Habe ich doch die Oberaufsicht über das Schwesterhaus zu führen. Soll eine Messe celebrirt, eines der heiligen Sakramente ertheilt oder sonst eine kirchliche und priesterliche Handlung vorgenommen werden, so muß entweder ich oder einer der Brüder hinuntergehen.«
In diesem Augenblicke bückte sich der Prinz, griff zwischen die Epheuranken hinein und zog einen Gegenstand hervor, den er sehr aufmerksam betrachtete. Auch der Prior sah ihn und entfärbte sich leicht.
»Sind Sie ein Physiolog, Hochwürden?«
»Nicht sehr.«
»Aber doch so viel, um diesen Gegenstand bestimmen zu können. Bitte, wollen Sie sich denselben einmal betrachten!«
»Hm, die Röhre von einer Gans, wie ich vermuthe.«
»Ja, eine Röhre ist es allerdings, doch das Geschöpf, an dessen Bein sie sich befand, muß noch sehr jung gewesen sein, da die Knochenbildung so wenig vorgeschritten war, daß die beiden Röhrenköpfe noch ganz aus Knorpel bestanden. Vielleicht ein Lamm. Aber dessen Knochen vergräbt man doch nicht in geweihter Erde.«
»Diese Röhre war wohl auch nicht vergraben. Sie lag frei zu Tage.«
»Aber sie hat längere Zeit, wenn auch nicht Jahre lang, in der Erde gelegen.« Er barg die Röhre sorgfältig wieder an dem Orte, an welchem er sie gefunden hatte, und fuhr dann fort: »Es muß etwas Großes sein um das Amt eines geistlichen Hirten. Kein Fürst, kein König hat die Macht, die ihm gegeben ist.«
»Ja; der Herr verleiht seinen Dienern die höchste Gewalt, sie können die Seligkeit verweigern, sie vermögen aber auch den Himmel zu öffnen.«
»Welch ein Bewußtsein muß es sein, an Gottes Statt dazustehen und der Vertreter des höchsten Wesens zu sein, dem jeder in vertrauender Ehrfurcht nahen kann. Wird diese Gewalt nicht vielleicht zuweilen mißbraucht, Hochwürden?«
»Das wäre die Sünde wider den heiligen Geist, die niemals vergeben wird.«
»Niemals?«
»Nie.«
»So dürfte sie auch von der weltlichen Gerechtigkeit nicht vergeben werden.«
»Hoheit irren. Hier hat das weltliche, das bürgerliche Gesetz nicht mitzusprechen, sondern dieser Fall gehört einzig und allein in die Disziplin des priesterlichen Standes.«
»Ich will Ihnen einen Fall erzählen: Ein König, Bekenner der alleinseligmachenden Kirche, hatte, um eine große Gefahr von sich und seinem Lande abzuwenden, einen geheimen Traktat mit dem protestantischen Monarchen des Nachbarlandes abzuschließen. Er wußte bereits vor Abfassung des Vertrags, daß er die Bestimmungen desselben brechen werde, und zog seinen Beichtvater zu Rathe. Dieser absolvirte ihn und hieß sein Vorhaben gut, da der Kontrahent ja ein Ketzer sei. Dieser Beichtvater stand, ich weiß nicht in Folge welcher Umstände, unter der Gewalt einer alten Zigeunerin, die also eine Heidin war. Sie hieß Zarba. Ihr machte er, ich weiß nicht ob freiwillig oder erzwungen, Mittheilung von dem Vorhaben des Königs.«
»Unmöglich! Einer Zigeunerin!« rief der Prior, aber sein vorher von Röthe glänzendes Gesicht war plötzlich leichenblaß geworden.
»Ja, einer Zigeunerin. Auch ich kenne sie und habe diese Mittheilung aus ihrem eigenen Munde. jedenfalls verfolgte sie dabei eine Absicht, die ich aber leider nicht zu durchschauen vermag.«
»Der Beichtvater eines Königs? Sollte dies nicht eine höllische Verleumdung sein?«
»Nein. Sie suchte den Priester in seiner Wohnung auf und erhielt das Bekenntniß von ihm sogar in zwei Exemplaren niedergeschrieben. Das eine gab sie jüngst mir, und das andere hebt sie für meinen Vater, den König auf.«
»Ah, sonderbar!«
Dicke Schweißtropfen standen ihm jetzt auf der Stirn. Er blickte wie Hilfe suchend umher und konnte sein Auge nicht zum Prinzen erheben, der ihn lächelnd fixirte.
»Ja, sehr sonderbar! jetzt ist dieser Beichtvater Prior, er erhielt diese Pfründe von dem Könige als Anerkennung seiner treuen Amtsführung.«
»Was werden Hoheit mit dem Exemplare thun, welches sich in Ihren Händen befindet?«
»Darüber habe ich noch keinen Beschluß gefaßt, doch bemerke ich, daß ich nicht rachsüchtig bin und es vielleicht vermag, auch das andere Exemplar unschädlich zu machen.«
»Sie kennen den Namen dieses Priesters?«
»Natürlich. Er hat sich ja unterzeichnet und sogar sein Amtssiegel aufgedrückt. Doch das war eine Episode, welche ich nur nebenbei erzählte, da mich unser Gespräch auf dieses Thema führte. Ist es noch Tageszeit genug, die frommen Schwestern zu besuchen?«
»Hoheit, das Haus steht Ihnen zu jeder Zeit geöffnet!«
»Ich bin in der Lage, einige Erkundigungen einziehen zu müssen.«
»Ich stehe zu Diensten.«
»Sind die beiden Klöster durch verborgene Gänge verbunden?«
»Königliche Hoheit !«
»Die Wahrheit, nichts weiter, Hochwürden!« gebot der Prinz in strengem Tone.
»Bei der Beschaffenheit dieses Felsens wäre es möglich, daß sich ohne unser Wissen »
»Mit einer Möglichkeit ist mir nicht gedient,« unterbrach ihn schnell der Prinz. »Ich habe ein Exempel zu lösen, von welchem ich nur zu Ihnen sprechen kann, und will dabei nicht mit Möglichkeiten, sondern mit Wirklichkeiten rechnen. Also ?«
»Die Verbindung ist da,« gestand jetzt der Prior.
»Und wird benutzt?«
»Zuweilen, jedoch nur zu Zwecken, von denen ich sagen kann, daß sie »
»Schon gut, Hochwürden! Ich bin befriedigt und frage nicht nach diesen Zwecken, obgleich es möglich ist, daß mich ein ganz ähnlicher Zweck zu meiner Erkundigung veranlaßt hat.«
»Ah!« holte der Prior tief Athem.
»Ja. Und dabei habe ich nicht einen geistlichen, sondern einen sehr weltlichen oder vielmehr körperlichen Zweck im Auge.«
»Darf ich um die Mittheilung desselben ersuchen, königliche Hoheit?«
»Ich werde zunächst weiter fragen. Bedarf es zur schleunigen Aufnahme einer Novize der besonderen Befragung derselben?«
»Gewöhnlich, ja. Gibt es aber ernste Rücksichten, welche mit ihrem Seelenheile in Verbindung stehen, so kann oder muß vielmehr die heilige Kirche die ihr verliehene Macht gebrauchen und wird den Eintritt gebieten.«
»Schön; das ist mein Fall! Wird die heilige Kirche nach dem Namen der Novize fragen?«
»Ah!« holte der Prior tief Athem.
»Ja. Und dabei habe ich nicht einen geistlichen, sondern einen sehr weltlichen oder vielmehr körperlichen Zweck im Auge.«
»Darf ich um die Mittheilung desselben ersuchen, königliche Hoheit?«
»Ich werde zunächst weiter fragen. Bedarf es zur schleunigen Aufnahme einer Novize der besonderen Befragung derselben?«
»Gewöhnlich, ja. Gibt es aber ernste Rücksichten, welche mit ihrem Seelenheile in Verbindung stehen, so kann oder muß vielmehr die heilige Kirche die ihr verliehene Macht gebrauchen und wird den Eintritt gebieten.«
»Schön; das ist mein Fall! Wird die heilige Kirche nach dem Namen der Novize fragen?«
»Ihr oberster Diener ist dazu verpflichtet, wird ihn aber verschweigen und auch dafür sorgen, daß er den andern Schwestern niemals genannt werden kann.«
»Pah! Dieser oberste Diener wird vielleicht ebenso verschwiegen sein, wie jener unvorsichtige Beichtvater, von dem ich Ihnen erzählte.«
»Vielleicht ist es ihm möglich, Ihnen Garantie für seine Verschwiegenheit zu geben.«
»Das würde mir lieb sein. Worin würde diese Garantie wohl bestehen?«
»Das kann ich jetzt leider noch nicht bestimmen, ich vermag darüber erst dann zu entscheiden, wenn ich den Fall möglichst kennen gelernt habe.«
»So werde ich ihn mittheilen. Sie wissen ja, daß die höchste Macht der heiligen Kirche in der Liebe besteht, und ihr höchstes Ziel ist die Seligkeit, zu welcher man durch diese Liebe gelangt. Ein Mann lernte ein junges schönes Mädchen kennen. Sie liebten sich, und er vermochte sie, sich in die Verborgenheit zurückzuziehen. Sie verschwand. Aber ihre Liebe war eine zu irdische, eine egoistische; sie strebte nach den Gütern und Würden des Geliebten, die ihr doch niemals gehören konnten. Er versagte sie ihr, und nun verwandelte sich die Liebe in einen grimmigen Haß, welcher seine Erlaubniß zu dem ersehnten bräutlichen Verschmelzen der Seelen verweigerte und sie auf das Vorhaben brachte, in die sündhafte Welt zurückzukehren. Er mußte ihr diesen Weg mit Gewalt verschließen. Da er aber nicht die wirksamen Mittel besitzt, ihr die himmlische Liebe wieder zurückzurufen, will er das sündhafte widerstrebende Kind der heiligen Kirche übergeben, damit diese ihre heilsame Macht gebrauche und das verirrte Schaf an sein Herz zurückführe. Er besitzt der irdischen Güter in Menge, um die heilige Kirche für ihre Sorgen und edlen Bestrebungen zu belohnen. Das ist der Fall. Nun sprechen Sie, Hochwürden!«
»Die heilige Kirche kennt dieses Schäflein bereits, wenn ich mich nicht irre, und ist bereit, es zu dem guten Hirten zurückzubringen.«
»Und die Garantie, von welcher Sie vorhin sprachen?«
»Werde ich vollständig geben. Doch muß ich vorher erwähnen, daß die Kirche in solchen schwierigen Fällen verpflichtet ist, ihre Bedingungen zu machen.«
»Ich werde sie hören.«
»Sind Sie bereit, der Kirche jene Schrift auszuantworten, welche die Zigeunerin Ihnen übergab?«
»Ja.«
»Wenn?«
»Ich trage sie bei mir, trenne mich aber nicht eher von ihr, als bis mir die erwähnte Garantie geboten ist.«
»Die Dame, von der Sie sprechen, gehört einem berühmten adeligen Hause an?«
»Ja.«
»Und befindet sich hier in der Nähe?«
»Möglich.«
»Wie viele Personen kennen ihren jetzigen Aufenthaltsort?«
»Nur zwei.«
»Können Sie es der heiligen Kirche ermöglichene bei dem ersten Schritte Gewalt zu vermeiden?«
»Ich hoffe es.«
»So bin ich bereit, Ew. Hoheit zu den frommen Schwestern zu geleiten.«
»Auf dem gewöhnlichen Wege oder unterirdisch auf dem verborgenen?«
»Auf dem ersteren. Der letztere ist nur den Auserwählten bekannt, und unser Verschwinden würde auffallen. In kurzer Zeit ist es Nacht, und dann ist es mir möglich jene Garantie zu geben, von welcher ich vorhin gesprochen habe.«
»Ich werde natürlich bis dahin nicht weiter mittheilsam sein.«
»Bemerken Hoheit hier das kleine Pförtchen in der Mauer? Es ist für die Gartenarbeiter und Laienbrüder angebracht, welche von der strengen Klausur nicht betroffen werden. Dieser Schlüssel öffnet es von außen und von innen. Sie werden ihn wohl nachher brauchen, wenn es dunkel geworden ist. Bitte, nehmen Sie ihn zu sich!«
Sie kehrten in das Klostergebäude zurück und gelangten nachher durch dasselbe auf die Straße, welche nach der entgegengesetzten Seite des Berges führte, wo das Frauenkloster lag. Auch dort kannte man den Prinzen, welcher mit frommer Ostentation empfangen wurde. Speise erhielt er nicht, aber man kredenzte ihm einen alten, sehr guten Wein in einem goldenen Ehrenhumpen, welcher jedenfalls noch aus der Zeit des Faustrechtes stammte. Vielleicht diente er nicht blos zum Willkomm für Ehrengäste, vielleicht schlürften auch die frommen Klosterfrauen zuweilen aus seiner goldenen Tiefe das Getränk der Wahrheit, der Liebe und Begeisterung. Sie sahen nicht aus, als ob sich das Gegentheil von selbst verstehe.
Die Priorin war dem Prior in Beziehung auf ihren Körperumfang vollständig ebenbürtig, und alle Schwestern erfreuten sich eines stattlichen Aeußern, welches allerdings in Folge der strengen Tracht nicht so zur Geltung kommen konnte, als wenn sie dieselbe mit einer andern vertauscht hätten.
»Hat vielleicht eine der frommen Schwestern das Bedürfniß zur heiligen Ohrenbeichte zu kommen?« frug der Prior, als sie sich mit der Oberin im Refektorium befanden.
»Wohl mehrere. Hochwürden haben eine längere Zeit nicht vorgesprochen.«
»So sind vielleicht einige dabei, welche heut der heiligen Pönitenz bedürfen?«
Er betonte die Worte »heilige Pönitenz« so eigenthümlich, und die Priorin warf dabei einen so erschrockenen Blick auf den Prinzen, daß dieser sofort errieth, daß es mit dieser Büßung eine ganz besondere Bewandtniß habe.
»Es ist möglich,« antwortete sie beinahe zögernd. »Soll ich die Schwestern fragen?«
»Fragen Sie,« bat er.
Sie entfernte sich. Um die Lippen des Priors spielte ein schlaues feines Lächeln.
»Errathen Hoheit, was es mit dieser heiligen Pönitenz für eine Bewandtniß hat?«
»Ich ahne es, möchte es aber dennoch nicht errathen.«
»Sie werden Aufklärung finden. Die christliche Kirche hat der herrlichen Gaben so sehr viele, daß sie Vergebung und Gnade mit vollen Händen auszustreuen vermag und jeder gläubigen Seele das bietet, was zu ihrem zeitlichen und ewigen Heile erforderlich ist.«
Die Oberin kehrte zurück und meldete, daß sechs Schwestern um die Erlaubniß bäten, dem frommen hochwürdigen Vater zu beichten.
»Ich werde ihnen den Trost unserer allerheiligsten Religion bringen,« antwortete er. »Beurlauben mich königliche Hoheit für eine Viertelstunde. Die ehrwürdige Schwester wird Sie bis dahin durch die Räume des Hauses begleiten; in der Kirche sehen wir uns wieder.«
Als sie nach einer halben Stunde das Schiff der Kirche betraten, bemerkte der Prinz vier Nonnen, welche am Hochaltare knieten. Es waren lauter junge Schwestern, welche hier ihre stille Andacht verrichteten. Seitwärts saß eine Fünfte auf der Bank; ihrem hübschen Gesichte war ein tiefer Verdruß, welcher beinahe wie ein Schmollen aussah, deutlich anzumerken. Am Beichtstuhle kniete die Sechste und hielt ihr Ohr an die Oeffnung desselben. Der Prior sprach mit sehr ernstem Gesicht in sie hinein. Sie antwortete, und der Prinz sah, daß seine Züge wirklich zornig wurden. Er schien eine Drohung auszusprechen, dann entließ er sie, ohne ihr seinen Segen zu ertheilen. Die Schmollende warf einen höhnischen verächtlichen Blick auf sie.
Diese Sechste war eine Schönheit. Ihre Gestalt zwar wurde von der häßlichen Klostertracht verhüllt, aber ihr Gesicht war von einer wunderbaren Reinheit und ihre Bewegungen ließen errathen, daß sie wohl nicht den niederen Ständen angehört habe. Der Prior verließ den Beichtstuhl und trat zu den Beiden. Die Oberin blickte ihm fragend entgegen.