Rasch erklärte sich einer der Ansiedler, ein früherer Bewohner der Marquesas-Inseln, bereit, uns an einen Ort zu führen, wo wir vielleicht eines der Tiere finden könnten. Der Mond schien hell, der Abend war wirklich paradiesisch zu nennen, und so folgten wir ihm auf einem Wege, der durch einen prächtigen Palmenwald nach einer kleinen, einsam gelegenen Bucht führte.
Hier gab es ein Gebüsch von tahitischen Tamanus[19], Catappen und Feigenbäumen, vor welchem ein breiter, weißglänzender Sandstreifen langsam nach der Küste abfiel. Gleich als wir unter den Maulbeeren hervortraten, bemerkten wir zwei der Tiere, welche langsam vom Wasser her herbeigekrochen kamen. Wir hatten uns jeder mit einem Stocke versehen und wendeten sie um, so daß sie auf den Rücken zu liegen kamen und sich also nun vollständig in unserer Gewalt befanden. Dies war allerdings keine sehr leichte Arbeit, denn das größere Tier mochte wohl über dreihundert Pfund und das kleinere nicht viel weniger wiegen.
»Was nun?« fragte Frick Turnerstick.
Der Insulaner, welcher sich ganz leidlich englisch auszudrücken vermochte, meinte:
»Laßt sie liegen bis morgen früh. Sie können nicht fliehen und Ihr werdet sie dann holen lassen.«
»Fällt mir gar nicht ein!« antwortete der Kapitän, der trotz seiner rauhen Außenseite ein sehr weiches Gefühl besaß. »Dann müßten ja diese armen Kreaturen die ganze Nacht hindurch eine Todesangst ausstehen, die ich selbst so einem Tier nicht wünschen mag. Schade, daß Ihr Eure Büchsen nicht mit habt, sonst könntet Ihr ihnen eine Kugel geben!«
»Wäre sehr mutig von mir gehandelt,« meinte ich. »Giebt es kein Messer hier?«
Der Ansiedler zog das seinige hervor, und mit zwei kräftigen Streichen hatte er den Schildkröten die Köpfe abgetrennt.
»Jetzt tragen wir sie nach Hause!« bestimmte der Kapitän.
Er faßte die größere an und brachte sie auch wirklich empor; nach zwei Schritten aber warf er sie wieder in den Sand.
»Bei allen Masten und Stengen, das Ding hat ja ein Gewicht wie unser Stoppanker! Wir müssen sie wahrhaftig liegen lassen!«
Der Insulaner schien nun anderer Meinung zu sein. Er schnitt einige Feigenstangen ab, verband sie mit Schlingranken und bildete auf diese Weise eine Schleife, auf welche wir die schweren Tiere wälzten. Wir spannten uns dann zu dritt vor und brachten sie auf diese Weise ganz gut nach der Ansiedlung.
Hier sollten sie in unsere Jolle geschafft werden. Das Licht einer Fackel fiel dabei auf den Rücken des größeren Tieres.
»Stopp!« kommandierte der Kapitän. »Was ist denn das? Diese Turtle-Suppe hat ja den Suppenteller bereits auf dem Rücken!«
Ich bog mich nieder und ließ mir leuchten. Wirklich war der harten Schale des Tieres eine elliptisch runde Platte aufgeschlagen, welche durch das Wachstum der Schildkröte am Rande emporgerichtet worden war und infolgedessen die Gestalt einer kleinen, ovalen Schüssel angenommen hatte.
»Und hier ist eine Inschrift,« meinte Turnerstick. »Aber wer soll das Zeug lesen! Das ist weder englisch noch sonst etwas. Charley, beißt Ihr Euch einmal die Zähne aus!«
Die Platte war von jener Bronze gefertigt, welche nie vom Wasser angegriffen wird und deren Fabrikation nur die Chinesen und Japanesen verstehen. ich versuchte, die Inschrift zu lesen. Sie bestand aus zwei japanischen Namen, welche untereinander standen.
»Sen-to und Tsifourisima.«
»Was ist das, Charley?«
»Tsifourisima ist eine Insel, welche zu dem eigentlichen Japan gehört. Zuweilen wird auch die ganze, siebenundsiebenzig Inseln und Inselchen zählende Oki-Gruppe so genannt.«
»Horribel, wer so viel Zeit hat, sich solche Dinge zu merken!«
»Sen-to ist der hundertundzwanzigste Dairi von Japan; er regierte von 1780 bis 1817, wenn ich mich nicht irre.«
»Und was hat dieser Kerl mit meiner Mock wollte sagen, mit meiner Turtle-Suppe zu thun?«
»Die Schildkröten haben ein sehr langes Leben, dessen Dauer man oft dadurch zu erforschen gesucht hat, daß man einer gefangenen ein gewisses Zeichen giebt und sie dann wieder frei läßt. Sie scheinen ganz merkwürdig genaue und regelmäßige Wanderungen vorzunehmen und stets einen und denselben Ort wieder zu besuchen. Diese Turtle hier ist jedenfalls einmal auf Tsifourisima gefangen und, um eine Zeitangabe zu gewinnen, mit dem Namen des damals regierenden Dairi versehen worden. Wie alt sie ist, könnt Ihr Euch also wenigstens annähernd ausrechnen.«
»Fällt mir gar nicht ein, denn ich könnte dabei zu der unappetitlichen Erkenntnis kommen, daß ich mir eine siebenzigjährige Turtle-Suppe gefangen habe, und Ihr werdet zugeben, Charley, daß dies keine sehr erfreuliche Aussicht eröffnet. Werft sie in das Boot! Sie wird geschlachtet und verzehrt, und wenn ich einmal hier oder da mit diesem sogenannten Dairio oder Domino zusammenkomme, so soll er in den Besitz seiner tschifirigimilikischen Schüssel kommen!«
»Wollt Ihr nicht lieber mir die Platte überlassen, Sir? Ich möchte sie gern als Andenken mit nach Hause nehmen.«
»Als Andenken? Absonderlicher Kauz! An wen denn? An den Diarius oder an die Kröte?«
»An beide zugleich.«
»So nehmt sie immerhin! Ihr könnt meinetwegen die ganze Schildkrötschale mitsamt diesem Diarius bekommen, denn mir ist es nur um die Suppe zu thun.«
Am andern Morgen gab es sehr viel auf unserem braven »The wind« zu schaffen. Das Leck konnte nur von außen vollständig beseitigt werden, und da auf Peel-Island von einem Dock keine Rede war, so waren Taucherarbeiten erforderlich, denen ich mich großenteils unterzog, weil sich von den Mannen keiner lang genug unter Wasser halten konnte. Es ist eine beinahe unglaubliche Thatsache, daß die meisten Seeleute, natürlich diejenigen, welche eine Seemannsschule besucht haben, ausgenommen, sehr schlechte oder wohl auch gar keine Schwimmer sind. Man trifft Hunderte von Matrosen, welche sich auf einem alten, halb wracken Dreimaster vollständig sicher fühlen, von einer flotten Boots oder Kahnfahrt aber nicht das Mindeste wissen wollen.
Am Mittage, als wir uns die Turtlesuppe schmecken ließen, wurde ich für meine Anstrengung von dem Kapitän belohnt, indem er mir einen sehr acceptablen Vorschlag machte:
»Was meint Ihr, Charley; werden diese wilden Ziegen gut zu verdauen sein?«
»Jedenfalls.«
»So nehmt Eure Büchse und macht mit! Wir wollen uns eine holen.«
»Ich bin dabei, schlage aber vor, nicht hier, sondern drüben auf Stapleton-Island zu jagen.«
»Warum?«
»Ich ließ mir gestern abend sagen, daß dort mehr und besseres Wild zu finden ist.«
»Well, so rudern wir uns da hinüber!«
»Nehmen wir noch jemand mit?«
»Ist nicht notwendig. Was verstehen diese Kerls von der Jagd? Sie würden uns nur das Wild vertreiben. Kommt in die Jolle!«
Ich hatte einmal gelesen, daß dieses Stapleton-Island sehr felsig sei, und wußte aus meinen Alpenwanderungen, welche Dienste bei Besteigung steiler Höhen ein Strick und ein Bergstock zu leisten vermögen. Mein Lasso war auf alle Fälle besser als jeder Strick; ich suchte ihn hervor, fand auch eine Bambusstange, die ich mit Hilfe des Schiffsschmiedes schnell in einen Bergstock verwandelte oben ward ein alter Eisenhaken angenagelt und unten ein Stift eingeschlagen. Master Frick sah mich erstaunt an, als ich mit dieser seltsamen Ausrüstung erschien.
»Was sind denn das für Kinderlitzen, Charley, he? Will der Kerl mit einem Bambusstock und einem Lederriemen Ziegen schießen!«
»Pshaw! Ich bin Alpenjäger, Sir!« antwortete ich stolz.
»Alpenjä macht Euch nicht lächerlich und werft die Geschichte über Bord!«
»Abwarten!«
Ich stieg voran in die Jolle, und er folgte mir. Dann ergriffen wir die Ruder. Wir hatten allerdings eine Strecke von vier Stunden zurückzulegen, doch war die See ruhig und der Wind günstig. Wir passierten mehrere pittoresk geformte Felsen westlich von Peel und Buckland-Island, hielten immer gerade nach Nord und erreichten Stapleton-Island bei einer Bucht, welche sich tief in steil emporstrebende Felsen hineinzog. Der Kapitän lachte mit dem ganzen Gesicht, deutete nach oben und meinte:
»Abwarten!«
Ich stieg voran in die Jolle, und er folgte mir. Dann ergriffen wir die Ruder. Wir hatten allerdings eine Strecke von vier Stunden zurückzulegen, doch war die See ruhig und der Wind günstig. Wir passierten mehrere pittoresk geformte Felsen westlich von Peel und Buckland-Island, hielten immer gerade nach Nord und erreichten Stapleton-Island bei einer Bucht, welche sich tief in steil emporstrebende Felsen hineinzog. Der Kapitän lachte mit dem ganzen Gesicht, deutete nach oben und meinte:
»Schaut, Charley, auf jeden Schuß wenigstens zwei!«
Wirklich sah ich die Spitzen und Vorsprünge der Berge förmlich mit wilden Ziegen bedeckt. Das mußte eine höchst ergiebige Jagd geben. Wir stiegen aus und zogen die Jolle so weit an den Strand herauf, daß sie von der Flut, welche übrigens dort nur drei Fuß hoch zu steigen pflegt, nicht erreicht werden konnte. Dann ging es vorwärts, immer die steilen Höhen hinan.
Es war wirklich eine vollständige Alpenlandschaft mit spitzen Zinnen, schroffen Zacken und scharfen Graten. Der Bambus leistete mir treffliche Dienste, während der hinter mir keuchende Kapitän oft auf allen vieren kroch um die Schwierigkeiten des Bodens zu überwinden. Endlich blieb er hustend und pustend stehen.
»Charley, haltet an! Wollt Ihr etwa bis zum Mond hinauf? Seht dieses Thal da drüben, es wimmelt von Ziegen. Wenn wir hinübergehen, so schießen wir mit vier Schüssen wenigstens zwanzig nieder.«
»Eben da hinüber will ich ja!«
Er sah mich mit offenem Munde und unsäglich erstaunter Miene an.
»Da hi nüber ? Hört, Charley, einer von uns beiden ist verrückt, entweder Ihr oder ich; doch will ich Euch offen gestehen, daß ich meine Sinne vollständig im Kurse habe. Will der Mensch da nach Backbord hinab und segelt gradewegs nach Steuerbord hinauf!«
Ich mußte lachen.
»Sagt einmal, Kaptn, was Ihr da unten im Backbord wollt?«
»Ziegen schießen, was denn anderes?«
»Well! So versucht es einmal. Ich zahle Euch zehn Dollars für jede, die sich von Euch schießen läßt!«
»Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß ich nicht zu schießen verstehe!«
»Nein, aber ich will sagen, daß sie Euch direkt im Winde haben.«
»Im Winde? Charley, nehmt mirs nicht übel, aber hier hört Eure Natur und Suppenforscherei vollständig auf! Was soll eine Ziege vom Winde verstehen? Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich diese Mauer hier nicht mit emporklettere. Macht, was Ihr wollt; ich aber werde nicht mit zerbrochenem Halse an Bord zurückkehren!«
Er wandte sich wirklich nach Backbord und stampfte und dampfte hustend und pustend davon. Ich mußte mich sputen, wenn ich mir die Jagd nicht verderben lassen wollte. Uebrigens hätte ich ihn gar nicht von mir gelassen, wenn ich nicht gemeint hätte, aus seinem Verhalten Nutzen zu ziehen.
Ich klimmte schnell empor und erreichte den Grat, hinter welchem die Höhe schroff in ein Seitenthal abfiel. Den Stock als Stütze und Balancier gebrauchend, rutschte und fuhr ich Mehr, als ich ging, hinab und eilte dann links weiter, bis wo die Schlucht in das Thal mündete, nach welchem sich mein guter Frick Turnerstick gewandt hatte. Hier lehnte ich mich hinter einen Felsen und wartete, den Henrystutzen in der Hand, welchen ich statt der Büchse mitgenommen hatte.
Ich brauchte nicht lange zu warten, denn kaum stand ich zwei Minuten hier, so kamen sie angaloppiert in eiliger Flucht, alle die Ziegen, von denen der tapfere Kapitän auf jeden Schuß zwei hatte treffen wollen. Das Hauptthal machte kurz vor mir eine Biegung: die Tiere konnten mich nicht sehen und liefen mir gerade in das Feuer. Zwei, drei, fünf, sechs Schüsse, dann waren sie vorüber, und sechs Tiere lagen am Boden. Eben wollte ich vortreten, als ich etwas heftig ächzen und schnauben hörte. Es kam förmlich wie eine Lokomotive angepufft und blieb erstaunt vor den getroffenen Ziegen halten. Es war der Kapitän.
»Tausend Geißen! Was ist das? Wer hat diese Gemsen geschossen?« rief er.
Ich trat, herzlich lachend, hervor.
»Ich, wenn Ihr nichts dagegen habt, Sir!«
»Ihr? Charley, Ihr? Wie kommt Ihr hierher?«
Der gute Frick riß vor Erstaunen den Mund auf, als wenn er alle seine »tausend Geißen« auf einmal verschlingen wolle.
»Da oben von der Mauer herunter. Ich versprach Euch für jede Ziege, die sich von Euch schießen lassen würde, zehn Dollars. Wie viel habe ich zu bezahlen?«
Er machte ein höchst verlegenes und verdrießliches Gesicht.
»Ja, Charley, dieses Viehzeug ist mir wahrhaftig durchgebrannt, ehe ich nur dazu kommen konnte, die Piratenflagge aufzuhissen. Da habe ich alle Leinwand aufgezogen und bin ihnen nachgesegelt, daß meine Lunge bläst, wie der Teifun gestern. Wie will ich da vor Anker gehen, Atem holen, das Gewehr vom Rücken bringen, zielen, losdrücken, schießen und treffen können! Ihr dürft von einem wackeren Seemanne nicht sechsmal mehr verlangen, als ein anderer zu leisten vermag!«
»Habe ich verlangt, daß Ihr sechsunddreißig Ziegen schießen sollt?«
»Sechsunddreißig? Wie kommt Ihr auf diese Nummer?«
»Hier liegen meine sechs; sechsmal mehr habt Ihr gesagt, und sechsmal sechs ist sechsunddreißig.«
»Hm, die Rechnung stimmt,« antwortete er, erst sein Gewehr und dann meine Ziegen ansehend. »Hört, Charley, sollten diese Kreaturen wirklich etwas vom Winde verstehen?«
»Natürlich. Sie haben einen ausgezeichneten Geruchssinn, und außerdem werden sie Euch wohl gehört und gesehen haben, denn groß und breit genug seid Ihr ja, und Eure Lunge hörte ich schon achtzig Schritte weit.«
»Hört, Charley, soll ich etwa wegen einer Ziege ersticken? Fällt mir gar nicht ein! Wer meine Lunge nicht vertragen kann, der der «
Er war so ärgerlich, daß er einen Nebensatz angefangen hatte, ohne den Hauptsatz finden zu können. Ich lachte herzlich und reichte ihm die Hand hinüber.
»Grämt Euch nicht, Sir! Wir haben hier sechs feiste Tiere, und mehr brauchen wir nicht für heute.«
»So? Meint Ihr?« funkelte er mich an. »Und was werden sie auf dem Schiffe dazu sagen? Master Charley hat alles geschossen, und der Kaptn nichts, gar nichts. Ich will auf der Stelle gekielholt sein, wenn ich eher gehe, als bis ich auch meine sechs geschossen habe, hört Ihrs? Sechs, wenigstens sechs! Ich weiß nun, daß diese Tiere den Wind verstehen, und werde mich danach verhalten. Geht Ihr mit, oder bleibt Ihr da?«
»Natürlich gehe ich mit, doch werde ich Euch bitten, vorher noch ein wenig zu warten.«
»Warum? Ich habe keine Zeit, sonst läuft das Viehzeug immer weiter fort, und ich komme ihm all mein Lebtage nicht nach!«
Ich konnte nicht umhin, ich mußte wieder laut auflachen.
»Glaubt Ihr denn wirklich, daß Ihr diese Ziegen einholen könnet? Helft mir, diese sechs unter die Zweige zu bringen und mit einigen Steinen zu beschweren, und dann werden wir ja einen Ort finden, wo Ihr zum Schusse kommen könnet!«
Wir brachten auf diese Weise die Beute einstweilen in Sicherheit und wandten uns dann einer andern Höhe zu, von welcher aus wir das unter uns liegende Terrain beobachten konnten. Dieser Weg wurde dem Kapitän wieder außerordentlich schwer. Er stöhnte mich an:
»Halt, Charley! Ich laviere in die Kreuz und Quere und komme doch nicht weiter. Gebt mit Euern Bambus!«
»Sollte ich ihn nicht über Bord werfen?«
»Habe ich mich etwa, so wie Ihr, auf allen Breiten herumgedrückt, um Land und Leute kennen zu lernen, he? Kann ich also wissen, wie alles gemacht werden muß? Wie man einen Dreimaster in einen Hafen bugsiert, das kenne ich ganz genau; auf welche Weise aber ein Kapitän zur See diesen unkultivierten Felsen in die Zähne zu beißen hat, das habe ich noch nicht gesehen. Also, alle Mann an Deck und weiter mit der Fahrt!«