»Ja.«
»So tue es!«
Er lehnte sich, um es mir möglichst bequem zu machen, so fest wie möglich an die Pappel und sah ganz ruhig zu, daß ich erst seine eigenen Riemen und dann auch meinen Lasso dazu benutzte, ihn so an den Stamm zu befestigen, daß es ihm nur mit fremder Hilfe möglich war, wieder loszukommen. Dabei sagte er treuherzig:
»Ich sehe aber ganz und gar nicht ein, warum Du mich hier an diese alte Pappel bindest. Wenn Du die Zeit hier verschwendest, wie lange soll es da dauern, bis wir an das Gefängnis kommen, welches Du mir versprochen hast?«
»Gar nicht mehr dauert es,« antwortete ich. »Wir sind schon da.«
»Schon da? Wieso?« fragte er erstaunt, indem er um sich schaute.
»Diese Pappel ist das Gefängnis.«
Ich hatte ihn jetzt ebenso fest wie sicher und setzte mich nieder.
»Diese Pappel !« fuhr er fort. »Ist das Gefängnis ? Höre, Fremder, ist das Scherz oder ist es Ernst?«
Sein Gesicht nahm jetzt einen Ausdruck an, der bedenklich und immer bedenklicher wurde.
»Es ist mein Ernst,« antwortete ich.
»Und ich habe es so halb und halb für einen Scherz genommen, obwohl der Scheik der Ussul eigentlich kein Mann ist, mit dem man ungestraft Scherze treiben darf. Aber merke Dir, daß ich den Scherz mit Dir getrieben habe, nicht etwa Du mit mir! Also dieser Baum ist das Gefängnis! Und also darum hatte es keine Löcher, in die man gesteckt wird! Und also darum werden die Gefangenen nur außen herum untergebracht, im Freien! Der jetzige Gefangene bin ich?«
»Ja, Du!«
»Wie lange? Wann werde ich wieder frei?«
»Sobald Du willst.«
»Das ist gut! Das freut mich! Ich fordere Dich also auf, mich augenblicklich wieder loszubinden. Ich muß zu meinen Leuten in das Lager, und Du mußt mit!«
»Das eilt nicht so!«
»Du hast mir aber doch gesagt, sobald ich will. Und ich will!«
»Das hast Du zu beweisen.«
»Beweisen? Warum? Wieso?«
»Dadurch, daß Du dafür sorgst, daß meinem Begleiter, der sich höchstwahrscheinlich in Eurem Lager befindet, nichts geschieht, was mir nicht gefällt.«
»Allah l Allah! so würde ich verwundert ausrufen, wenn ich Mohammedaner wäre. Da ich aber keiner bin, so rufe ich es nicht, sondern sage Dir nur, daß ich Amihn heiße und der Scheik der Ussul bin. Du bist mein Eigentum, und darum ist alles mein, was Du besitzest.«
»Mit welchem Rechte?«
»Mit dem Rechte der Gewohnheit, der Sitte, des Gebrauches.«
»So hat also jedermann das zu tun, was Recht und Gepflogenheit seines Stammes ist?«
»Natürlich!«
»Auch ich und Du?«
»Ja, auch ich und Du!«
»Schön! Einverstanden! So sind wir also einig!«
»Gewiß sind wir einig! Bei den Ussul ist es Recht und Sitte, daß die Person und das sämtliche Eigentum jedes Menschen, der ohne besondere Erlaubnis zu uns kommt, uns gehört. Darum bist Du mein und hast mir zu gehorchen. Herrscht diese Sitte bei Euch nicht auch?«
»Gewiß! Doch aber in etwas anderer Weise?«
»In welcher?«
»Bei uns heißt es nicht: Jeder Mensch, der zu uns kommt, sondern: Jeder Mensch, zu dem wir kommen.«
»Ich verstehe Dich nicht ganz.«
»So paß auf: Jeder Mensch, zu dem wir kommen, gehört uns, und zwar mit allem, was er besitzt.«
»Wirklich?« fragte er erstaunt.
»Ja,« antwortete ich mit besonderer Betonung.
»Da seid Ihr schöne Kerle! Pfui Teufel!«
Er machte eine Gebärde des Abscheus und spuckte dabei aus.
»Findest Du das etwa nicht richtig?« erkundigte ich mich.
»Ganz und gar nicht richtig! Es müßte denn sein, daß ich Dich falsch verstanden habe. Nach Deinen Worten ist es doch folgendermaßen: Wenn Ihr in ein fremdes Land kommt, so ist dieses Land Euer, samt allen seinen Bewohnern und aller ihrer Habe. Ist es so?«
»Ja.«
»So sage ich noch einmal Pfui Teufel! Ihr Räuber, Ihr Gauner, Ihr Schufte, Ihr Schurken!«
Er spie jetzt wieder aus. Dann fuhr er fort:
»Was seid Ihr denn eigentlich für Menschen? Wie heißt Dein Stamm?«
»Dscherman heißt er.«
»Das wundert mich. Ich habe von diesem Stamm gehört. Die Dschermanen sollen im fernen Westen des Abendlandes wohnen und sehr gute, sehr kluge, sehr tapfere und sehr vernünftige Leute sein.«
»Das sind sie allerdings!«
»Nein, das sind sie nicht, wenn sie so sind, wie Du sagst! Wenn Du als Deutscher hierherkommst, so bin ich also Dein?«
»Ja.«
»Pfui Teufel! Was habt Ihr für eine Religion?«
»Wir sind Christen.«
»Das will ich glauben! Denn wohin die Christen nur kommen, so stehlen sie alles, alles weg, was sie nur finden.«
»Woher weißt Du das?«
»Das weiß doch die ganze Welt! Erst sind die Christen Bettler gewesen, blutarme Leute, haben gar nichts gehabt und ihren Hunger von den Ähren des Getreides gestillt. Isa Ben Marryam, der Stifter ihrer Religion, hat nicht einmal gehabt, wohin er sein Haupt lege. Und heute gehören ihnen die meisten Länder und die meisten Völker der Erde. Das alles haben sie sich zusammengeraubt und zusammengestohlen, teils mit List und teils mit Gewalt. Und sie sind hiermit nicht etwa zufrieden, sondern sie rauben und stehlen weiter, und sie werden mit ihren Listen und Gewalttaten nicht eher aufhören, als bis sie alles besitzen, was es auf Erden gibt! Und zu diesen Räubern, Mördern und Gaunern gehörst auch Du?«
»Ja.«
»Pfui Teufel!«
Er spuckte wieder aus. Dann wollte er mich höchst verächtlich ansehen, brachte es aber nicht fertig, denn er sah das ruhige Lächeln meines Gesichtes, regte sich darüber auf und fuhr also zornig fort:
»Und da bist Du so ruhig dabei, wenn ich Pfui Teufel sage? Und da lächelst Du so freundlich, so gütig und so selbstbewußt, als ob Du einer der vielen Engel seist, von denen das Christentum und der Islam berichten? Hast Du kein Gewissen, keine Scham?«
»Ich habe beides.«
»Unmöglich!«
»Ich bitte Dich, diese Frage nach dem Gewissen und nach der Scham erst Dir selbst vorzulegen, ehe Du sie an mich richtest!«
»Willst Du mich beleidigen?«
»Nein. Ich will nur einmal der Spiegel sein, in dem Du Dich selbst erkennst. Gesetzt, Du hättest recht, daß wir den fremden Leuten, zu denen wir kommen, alles nehmen, was ihnen gehört, so berauben wir eben doch nur fremde Leute. Du aber bestiehlst nicht fremde Leute, sondern die Menschen, die zu Dir kommen und also Deine Gäste sind. Wer ist also der größere Räuber, Gauner, Schuft und Schurke?«
Er machte ein sehr überraschtes Gesicht, gestand aber ehrlich, wenn auch allzu schnell ein:
»Wir, natürlich wir! Denn den Gastfreund berauben, das ist die größte Schlechtigkeit, die es auf Erden gibt. Ich habe nicht gedacht, daß wir so schurkische «
Da hielt er plötzlich im Satz inne, dachte nach und fuhr dann langsamer fort:
»Aber aber da sehe ich plötzlich, daß Du mich mit Deiner Rede überrumpelt hast, deren Wahrheit erst zu prüfen ist, bevor man an sie glaubt! Beraube ich wirklich meine Gäste?«
»Gewiß!«
»Beweise es mir! Bist Du etwa mein Gast? Indem ich nach Deinem Eigentum greife, nehme ich es einem Menschen, der mir vollständig fremd ist. Und sind denn alle die, die Ihr um ihre Länder bringt, Euch fremd, vollständig fremd gewesen? Gibt es keinen einzigen Fall, in dem Ihr ihre Gäste gewesen seid? Ich bitte Dich also, Dich ja nicht etwa zu brüsten. Es ist ein Räuber wie der andere und ein Spitzbube wie der andere! Seien wir ehrlich und lügen wir uns nicht an! Wer in des anderen Hände fällt, der hat unrecht, immer unrecht. So ist es bei Euch und auch bei uns. Und da Du es bist, der in meine Hände fiel, so habe ich recht, Du aber unrecht. Ist das etwa nicht richtig?«
»Nein.«
»Wieso?«
»Zeig mir doch einmal Deine Hände, in die ich gefallen bin!«
»Das kann ich augenblicklich nicht, denn Du hast sie mir ja gebunden.«
»So sieh hier meine Hände! Die sind nicht gebunden, sondern frei.«
Ich stand vom Boden auf, zeigte sie ihm hin, faßte ihn bei beiden Armen und fuhr dann fort:
»Und nun schau und fühle, wer es ist, der mir in diese meine Hände fiel! Sag mir, wen halte ich fest?«
»Mich,« antwortete er, schon wieder erstaunt.
»Befinde ich mich also in Deiner Gewalt? Oder Du Dich in der meinen?«
Das ging ihm über alle Begriffe. Er warf den Kopf hoch und öffnete den Mund, fast ebenso weit, wie sein >Dicker< zu tun pflegte, doch nicht in derselben Absicht, um zu wiehern. Er machte ihn im Gegenteile sehr bald wieder zu, ließ den Kopf wieder sinken und sagte:
»Höre, Fremder, Du sprichst Gedanken aus, denen man unmöglich folgen kann. Ich werde besorgt um Dich. Du bist kein guter, sondern ein gefährlicher Mensch, ein sehr gefährlicher!«
»Und da wirst Du nicht besorgt um Dich, sondern um mich?« lächelte ich.
»Lächle mich nicht in dieser Weise an,« zürnte er mir. »Ich kann es nicht leiden! Weißt Du, man sieht bei diesem Deinem Lächeln ein, daß man unrecht hat. Und das will ich nicht! Und man gewinnt Dich bei diesem Deinen Lächeln lieb. Und das will ich auch nicht! Ich beginne zu ahnen, daß Du mir nicht gehorchen willst. Sei aufrichtig und sag mir: Was hast Du für Gedanken?«
»Das sollst Du gleich erfahren. Zunächst sage ich Dir, daß ich ein freier Mann bin und nicht etwa Dir gehöre. Ich stehe im Begriff, Dir das zu beweisen. Ferner sind auch die Gegenstände, die ich bei mir habe, nicht Dein Eigentum. Darum hole ich mir zurück, was Du mir vorhin genommen hast.«
Ich griff ihm in die Tasche und steckte meine Uhr wieder zu mir.
»So ist sie also nicht mehr mein?« fragte er naiv.
»Nein.«
»Schadet nichts! Ich nehme sie mir wieder!«
»Versuche, es zu tun! Jetzt reite ich nach Eurem Lager, um mit «
»So mach mich los!« unterbrach er mich.
»Geduld, Geduld! Ich reite zunächst allein.«
»So nimmt man Dich gefangen, wie man Deinen Gefährten jedenfalls auch gefangen genommen hat!«
»Pah! Du nahmst mich ja auch gefangen und wer ist nun jetzt der Gefangene?«
»Ich war nur eine Person und traute Deiner Rede; sie aber sind ihrer viele und trauen Dir nicht!«
»Ob sie mir trauen oder nicht, das ist mir gleich; ich will nur, daß sie mir gehorchen.«
»Gehorchen? Das werden sie nicht.«
»Sie müssen!«
»Wie wolltest Du sie zwingen?«
»Durch Dich.«
»Durch mich? Ich gebe mich nicht dazu her, sie zum Gehorsam gegen Dich zu verführen!«
»Du sprichst, ohne dabei zu denken! Du hast Dich ja schon dazu hergegeben, nämlich mir! Nun reite ich auf Deinem dicken Smihk nach Eurem Lager und «
»Auf meinem Smihk?« unterbrach mich der Scheik. »Das wirst Du mit dem Leben zu bezahlen haben. Meine Krieger machen Dich tot, sofort tot!«
»Warum?«
»Weil sie glauben, daß Du Dich an mir vergriffen hast!«
»Das ist es ja grad, was ich will! Sie sollen es nicht nur glauben, sondern ich werde es ihnen selbst sagen, selbst mitteilen.«
»So bist Du verloren!«
»Im Gegenteile: Es wird meinen Gefährten retten, falls sie etwas Böses mit ihm vorhaben.«
»Du kennst sie nicht!«
»Das ist auch gar nicht nötig. Ich brauche nur mich zu kennen. Ich sage ihnen, daß ich Dich gefangen genommen und festgebunden habe, und daß Du sterben mußt, wenn man gegen mich oder meinen Gefährten auch nur die geringste Feindseligkeit unternimmt.«
»Sterben?« fragte er erschrocken.
»Ja.«
»Ich?«
»Ja, Du!«
»Welch ein Schreck für Taldscha, meine Frau!«
Taldscha heißt Schneeglöckchen. Sollte dieser Mann eine Frau besitzen, die an Schönheit, Reinheit, Lieblichkeit und Zierlichkeit mit einem Schneeglöckchen zu vergleichen war? Ich wurde neugierig, dieses niedliche Glöckchen zu sehen.
»Du willst also meinen Leuten mit meinem Tode drohen?« fuhr er fort.
»Ja,« antwortete ich.
»Sie können einem solchen Knirps, wie Du bist, ganz unmöglich glauben, daß Du mich überwältigt hast!«
»Darum reite ich auf Deinem >Dicken<. Wenn sie sehen, daß ich Dir den abgenommen habe, werden sie überzeugt sein, daß Du Dich in meiner Gewalt befindest.«
»Fremder, Du bist ein ganz verteufelter, ein ganz pfiffiger Kerl! Wenn man nur nicht so gezwungen wäre, Dich lieb zu haben! Wann wirst Du wiederkommen?«
»Das kann kurze Zeit, das kann auch Stunden dauern, je nachdem Deine Krieger mit sich reden lassen oder nicht.«
»Und während dieser Zeit soll ich hier hängen bleiben?«
»Ja.«
»So rufe ich um Hilfe! Ich brülle! Meine Leute werden mich suchen und es hören, wenn sie in die Nähe kommen! Dann binden sie mich los, und Du bist verloren!«
»Du wirst nicht um Hilfe rufen können, denn ich werde Dir einen Knebel in den Mund stecken.«
»Einen Knebel? Könntest Du wirklich so schlecht sein?«
»Ja. Sogar noch viel schlechter!«
»Dann werde ich wenigstens so laut brummen, daß man es hören muß. Das kann man selbst bei verschlossenem Munde!«
»So binde ich Dir auch die Nase zu!«
»Wirklich? Dann müßte ich doch unbedingt ersticken!«
»Das weiß ich ebenso gut wie Du; aber Du willst es ja nicht anders. Du drohst mir mit Schreien und Brummen und weißt doch, daß ich das verhüten muß. Jammerschade!«
Ich sprach dieses letztere Wort im Tone des Bedauerns aus. Er sah mich prüfend an und fragte dann:
»Schade? Was ist jammerschade?«
»Daß Du mich zwingst, so streng gegen Dich zu sein. Ich quäle Dich nur ungern damit, daß ich Dir Mund und Nase verschließe.«
»Ungern? Wirklich? Ja! Du bist nicht nur ein kluger Mensch, sondern auch ein sehr lieber, guter Kerl. Der Knebel, den Du mir in den Mund stecken willst, tut Deinem Herzen wehe. Aber, warte einmal! Ich will nachdenken. Vielleicht finde ich ein Mittel, den Knebel zu umgehen.«
Er zog seine Stirne in ihre tiefsten Denkerfalten und blinzelte mit den Augen, um mir anzudeuten, daß die angeborene Intelligenz in ihm zu arbeiten beginne; dann rief er plötzlich aus:
»Ich habs! Was wirst Du tun, wenn ich Dir verspreche, weder um Hilfe zu rufen noch zu brummen?«
»Dann werde ich Dir weder Mund noch Nase verschließen, denn ich weiß, daß Du Dein Versprechen unbedingt halten wirst.«
»Unbedingt!« stimmte er bei. »Habe ich Dir noch nie gesagt, daß die Ussul die Lüge hassen? Ich bliebe still, selbst wenn meine Leute kämen.«
»Aber losbinden ließest Du Dich von ihnen?«
»Auch das nicht, falls Du mir versprichst, ganz sicher zurückzukehren, um mich wieder los zu machen.«
»Und glaubst Du diesem meinem Versprechen?«
Da sah er mich verwundert an und antwortete:
»Warum soll ich Dir nicht glauben? Du glaubst ja doch auch mir! Hältst Du mich etwa für schlechter, als Du bist?«
Welch ein Mensch! Ich fühlte mich innerlich verpflichtet, diese beispiellose Rechtschaffenheit sofort zu belohnen. Darum sagte ich:
»Wie sehr ich Deinem Worte traue, das will ich Dir beweisen. Wenn Du mir versprichst, hier an diesem Baumstamme sitzen zu bleiben und ihn als Dein Gefängnis zu betrachten, bis ich zu Dir zurückkehre, so binde ich Dich los.«
»Ich verspreche es. Genügt Dir das?«
»Ja.«
Ich knüpfte erst den Lasso und dann auch alle Riemen auf. Während ich dies tat, gestand ich ihm aufrichtig:
»Ich bin sogar bereit, Dich vollständig freizugeben und nach Eurem Lager mitzunehmen, wenn Du mir Dein Wort gibst, mich und meinen Begleiter nicht als Feinde zu behandeln.«