Ardistan und Dschirnistan I - Karl May 10 стр.


Die goldig silberne Bahn, der ich folgte, lief nicht gerade, sondern in häufigen Biegungen. Darum verschwand der Scheik bei jeder dieser Krümmungen vor meinen Augen. So oft er dann wieder erschien, konnte ich deutlich ersehen, um wie viel ich ihm näher gekommen war. Das ging unbeschreiblich schnell. Es waren wohl kaum zwei Minuten vergangen, seit ich ihm folgte, so trennten mich nur noch acht oder neun Pferdelängen von ihm.

»Hier bin ich!« rief ich ihm zu. »Paß auf!«

Er drehte sich um. Als er sah, wie nahe ich ihm war, rief er aus:

»Das schadet nichts. Ich fange ja nun erst an zu galoppieren!«

Das war einfach lächerlich. Sein Pferd strengte sich ehrlich an, konnte aber schon fast nicht mehr. Es stöhnte bei jedem Sprung, den es tat; das hörte ich. Es war bereits außer Atem. Und nun trieb er es mit den Füßen, mit den Fäusten und mit dem Spieße derart an, daß ich schon aus Mitleid mit dem Tiere der Sache ein Ende zu machen hatte.

»Halte Dich fest!« warnte ich ihn. »Jetzt fasse ich Dich!«

Er nahm sich gar nicht Zeit, sich wieder umzuschauen. Er rief die Antwort, die er mir gab, so vor sich hin, daß ich sie nicht verstand, schlug aber mit verdoppeltem Eifer auf sein Pferd ein. Da nahm ich die wohlgeordneten Schlingen des Lasso so leicht, daß sie schnell ablaufen konnten, in die offene, linke Hand, hob die Schleife über meinen Kopf empor, gab ihr den nötigen, genau berechneten Schwung und ließ sie fliegen. Der Augenblick hiezu war günstig gewählt, denn der Scheik hatte grad jetzt seine beiden Arme gesenkt. »Andak!« rief ich meinen Pferden zu. Nur noch ein Sprung, da standen sie still. Die unzerreißbare, lederne Schleife schwebte grad über dem Kopfe des Scheiks. Eine kleine Bewegung meiner Hand und dann ein kräftiger Ruck, so fiel sie nieder und legte sich ihm um die Oberarme. Im gleichen Moment bekam Behn Rih den schon erwähnte Ruck, den er aber sehr wohl kannte. Er stellte sich schief, um nicht umgerissen zu werden, und so wurde der Scheik von dem scharf angespannten Lasso vom Pferde geschleudert. Sein Gaul tat noch einige Sprünge und blieb dann mit schlagenden Flanken stehen, um zunächst wieder zu Atem zu kommen. Als dies geschehen war, drehte er sich um, jedenfalls in der Absicht, nachzuschauen, wohin sein Herr so plötzlich verschwunden sei. Dieser aber lag so tief in den duftenden Schmetterlingsblüten, daß er gar nicht zu sehen war. Dafür sah der Gaul mich, der ich soeben aus dem Sattel sprang. Er kam augenblicklich auf mich zu, blieb vor mir stehen, warf den Kopf empor, riß das Maul auf und begann eine derartige welterschütternde Lamentation über die Zumutung, die an ihn gestellt worden war, daß höchst wahrscheinlich Steine erweicht worden wären, wenn sie dagelegen hätten. Leider durfte ich mir nicht die Zeit nehmen, die Triller und Läufer dieser noch etwas ungeschulten Stimme zu genießen, denn der Scheik stand nicht wieder auf. Er lag vollständig bewegungslos an der Stelle, auf die er gefallen war. Ich ging hin und kniete bei ihm nieder. Er lag in tiefer Ohnmacht. Jedenfalls war er mit dem Kopfe auf die Erde geprallt, und zwar so stark, daß er die Besinnung verloren hatte.

Ihm war diese Ohnmacht zu glauben. Bei einem Indianer hätte ich sie zunächst für Verstellung gehalten, in der Absicht, mich zu überlisten. Der Scheik der Ussul aber besaß wohl keine Veranlassung zu einer solchen Komödie. Seine Ohnmacht war jedenfalls echt, obwohl ich seinen Puls ziemlich deutlich schlagen fühlte. Und mir war sie hochwillkommen, denn durch sie wurde es mir möglich, ihn so vollständig und so mühelos unschädlich zu machen, wie es mir nicht möglich gewesen wäre, wenn er die Besinnung behalten hätte. Da kam mir denn der Pack Riemen gelegen, den er, wie bereits erwähnt, an seinem Gürtel hängen hatte. Ich machte ihn von meinem Lasso los, band ihm mit Hilfe dieser Riemen die Beine eng zusammen und die Arme fest an den Leib und schnitt aus dem nächsten Buschwerk einige Stangen, an die ich ihn lang ausgestreckt fesselte, um seinen eigenen Körper als Tragbahre zu benutzen, die ich meinen beiden Pferden aufladen wollte. Eben als ich die letzten Knoten schlang und er mir nun vollständig sicher war, kam er wieder zu sich. Er öffnete die Augen, die er zunächst ganz ausdruckslos auf mich richtete. Bald aber kehrte ihm auch das Gedächtnis zurück. Er erkannte mich, er besann sich.

Des Scheiks erste Frage war: »Wo ist Smihk? Ich sehe ihn nicht!«

»Wer ist Smihk?« erkundigte ich mich.

»Mein Pferd,« antwortete er. »Das weißt Du noch nicht?«

»Nein, ich konnte es mir aber denken.«

Smihk heißt nämlich soviel wie >Der Dicke<.

»Du hast mich also dennoch eingeholt!« fuhr er fort. »Unglaublich!«

»Und Dich sogar gefangen genommen!« fügte ich hinzu.

Erst durch diese meine Worte wurde er darauf aufmerksam, daß er sich nicht bewegen konnte. Er versuchte zwar, die Glieder zu rühren, doch ohne Erfolg. Da rief er aus:

»Richtig! Ich bin sogar auch gefangen!«

»Wer hat also die Schande? Etwa ich?«

»Nein, Du nicht, sondern ich!« antwortete er, indem er einen grimmigen Blick an sich herniedergleiten ließ. »Das werde ich bestrafen!«

»An wem?« erkundigte ich mich.

»An Smihk! Das kannst Du Dir doch denken! Oder meinst Du etwa, ich sei schuld daran? Er ist eine faule Bestie! Ich schlage ihn tot! Wo ist er denn? Ich sehe ihn noch immer nicht!«

»Da steht er, gleich hinter Dir. Wenn er Deine Worte verstehen könnte, würde er Dich auslachen.«

»Auslachen? Warum?«

»Weil Du, der berühmte, tapfere Scheik der Ussul, nicht Mut genug besitzest, einen kleinen Fehler, den Du gemacht hast, einzugestehen, sondern ihn auf ein unschuldiges Wesen wirfst, welches sich nicht dagegen wehren kann. Das ist eine Feigheit. Ja, das ist noch mehr als Feigheit; das ist Lüge, und Du hast doch behauptet, daß die Ussul die Lüge hassen und verachten!«

»Ja, das tun wir; ja, die hassen wir! Der Lügner ist ein Feigling! Aber ich kann doch nicht einsehen, daß ich unwahr gesprochen habe. Wäre Smihk schneller gelaufen, so hättest Du mich nicht einholen und vom Pferde werfen können. Sogar gebunden und gefesselt hast Du mich! Wer ist also schuld daran? Nicht ich, sondern er!«

»Nein! Nicht er, sondern Du! Du kanntest meine Pferde nicht, die mit dem Winde um die Wette laufen. Und Du kanntest auch mich nicht, der ich weder Lust noch Veranlassung habe, mich wegen Deiner Körpergröße vor Dir zu fürchten! Es war eine unbegreifliche Unvorsichtigkeit von Dir, mich und meine Pferde gegen Dich und Deinen dicken Gaul herauszufordern. Wenn Du Verstand hast, so siehst Du das ein!«

»Hm!« brummte er nachdenklich. »Da hätte ich also diesen Smihk um Verzeihung zu bitten? Gut, ich tue es! Ich lüge nicht! Und ich habe Verstand! Ich bin der Scheik der Ussul, die nur die Wahrheit reden! Also, es war eine Dummheit von mir! Das ändert aber daran nichts, daß Du ohne meine Erlaubnis in mein Reich getreten bist, und daß ich folglich Dein Gebieter bin, dem Du zu gehorchen hast. Ich befehle Dir also, mich loszubinden!«

»Sehr gern, aber jetzt noch nicht!« antwortete ich in meinem freundlichsten Tone.

»Warum nicht?« fragte er.

»Weil ich noch nicht ganz damit fertig bin, Dich gefangen zu nehmen.«

»Wieso?«

»Weißt Du denn nicht, daß die Gefangennahme eines Menschen erst dann vollendet ist, wenn er im Gefängnisse steckt?«

»Hältst Du mich etwa für so dumm, daß ich das nicht weiß?«

»Oder Du mich für so dumm, daß ich es nicht ausführe? Du hast über mich gelacht. Du hast es für unmöglich gehalten, daß ich Dich in meine Gewalt bringe. Ich muß Dir also beweisen, daß ich es kann. Daraus folgt, daß ich Dich in das Gefängnis zu schaffen habe.«

»Wo gibt es denn eins?«

»Hier ganz in der Nähe.«

»Wo gibt es denn eins?«

»Hier ganz in der Nähe.«

»Du irrst. Das einzige Gefängnis, welches in dieser Gegend vorhanden ist, das gibt es in meinem Schlosse?«

»Wie?« fragte ich. »Du hast ein Schloß?«

»Ja. Ein großes, herrliches Schloß. Und rund um wohnt die Menge meiner Leute. Dieses Schloß kannst Du doch wohl nicht meinen?«

»Nein.«

»Ein anderes Gefängnis aber gibt es doch nicht!«

»Du irrst.«

»So sag nur, wo?«

»Ganz in der Nähe hier.«

Er lachte und rief aus:

»Du kennst als Fremder Orte, die ich als der Besitzer dieses Landes niemals sah! Und nach diesem Gefängnisse, welches ich nicht kenne, willst Du mich bringen, um Deinen Sieg zu vollenden?«

»Ja.«

»Wie willst Du das anfangen? Ich bin ja gefesselt!«

»Ich lasse Dich als Sänfte von meinen Pferden tragen. Oder ich binde Dich an den Schwanz Deines Smihk und lasse Dich durch ihn an Ort und Stelle schleppen.«

»Das muß ich mir verbitten! Ich bin weder eine Sänfte, die getragen, noch ein Holzbündel, welches geschleppt werden muß. Ich werde reiten!«

»Und mir entfliehen? Nein! Darauf gehe ich nicht ein!«

»So werde ich gehen!«

»Auch das nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich Dich da losbinden müßte.«

Das leuchtete ihm ein. Er war fast ebenso ein Urgeschöpf wie sein famoser >Dicker<. Er sann einige Zeit sehr beträchtlich nach und sagte dann:

»Du hast recht! In das Gefängnis muß ich, falls Du Wort halten willst. Wenn Du mich aber ganz losbindest, werde ich Dir unbedingt entfliehen. Da gibt es nur ein Mittelding, auf welches wir uns einigen können. Du gibst mir nämlich nur die Füße frei, die Arme aber nicht.«

»Gut! Einverstanden!« stimmte ich bei. »Dafür aber darfst Du Dich nicht dagegen wehren, daß ich Dich, sobald wir das Gefängnis erreichen, in festen Gewahrsam nehme!«

»Das verspreche ich Dir sehr gern,« lachte er. »Dieses Gefängnis existiert ja nur in Deiner Einbildung. Wieviel hat es Löcher?«

»Keins. Es ist so gebaut, daß die Gefangenen nicht hineingeschafft, sondern nur außerhalb, also im Freien, untergebracht werden können.«

»Im Freien? Bist Du verrückt? Und das nennst Du ein Gefängnis? Höre, daß ich Dich getroffen habe, das beginnt, mir großen Spaß zu machen. Es wollte mir erst so gar nicht passen, daß ich gefesselt und gefangen bin; in der Weise aber, wie Du es treibst, fängt es an, mir zu gefallen. Gib mir die Füße frei! Dann gehen wir.«

»Das heißt: Du gehst, ich aber reite!«

»Ich habe nichts dagegen!«

Er nahm an, daß ich mich auf eines meiner Pferde setzen werde. Ich führte sie aber zur Seite, pflockte sie an und gebot ihnen, sich zu legen. Sie gehorchten sofort, und ich wußte, daß sie hier bleiben und erst bei meiner Wiederkehr aufstehen würden. Als der Scheik das sah, fragte er verwundert:

»Du lässest sie hier? Ich denke, Du willst reiten?«

»Allerdings, aber nicht auf einem von diesen beiden Pferden.«

»So wohl gar auf meinem Smihk?«

»Allerdings.«

Da schlug er ein schmetterndes Gelächter auf und rief dabei:

»Auf meinem Smihk will er reiten! Er, der Knirps! Auf meinem Smihk, der nicht einmal mir gehorcht! Eine solche Verrücktheit ist ganz unerhört! Das Pferd schmeißt ihn doch gleich beim ersten Schritt, den es tut, herunter!«

»Wollen sehen!«

Bei diesen Worten trat ich nahe zum Gaul heran. Ich warf ihm die beiden herabhängenden Enden des Zügelstrickes nach oben, griff in den Kamm und schwang mich hinauf. Es ging vor Überraschung mit den beiden Vorderbeinen in die Höhe, stand dann aber ganz still und legte die Ohren derart nach hinten, als ob es mich mit ihnen besichtigen wolle. Auf diese kurze, schnelle und wenig umständliche Art war ihm noch niemand auf den Rücken gekommen.

»Paß auf! Jetzt fliegt Du wieder herab!« warnte mich der Scheik.

Es fiel aber dem >Dicken< gar nicht ein, sich gegen mich zu sträuben. Als er fühlte, daß ich die beiden Strickenden in die Hände nahm, warf er den Kopf in die Höhe und ließ ein so außerordentliches Triumphgeheul hören, als ob er im Begriffe stehe, vor Wonne zu platzen. Ich gab ihm beiderseitigen Schenkeldruck; er ging. Ich zog rechts, und ich zog links; er gehorchte augenblicklich. Er trabte und galoppierte, je nachdem ich den Schenkeldruck verstärkte. Und er blieb sofort stehen, als ich beide Zügel zugleich spannte. Dann stieg ich wieder ab. Da drehte er den Kopf zu mir herum und ließ ein behaglich brummendes Schnauben hören, welches sehr deutlich sagte: »Das war mir eine Freude! Ich danke Dir! Steig nur bald wieder auf!« Der Scheik gestand aufrichtig ein:

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll! So etwas hat er noch nie getan, noch nie! Wie mag das wohl kommen?«

»Davon später. Jetzt haben wir keine Zeit, uns mit den Gedanken und Gefühlen der Tiere zu beschäftigen.«

»Gedanken und Gefühle?« fragte er. »Meinst Du, die haben sie auch?«

»Natürlich!«

»Aber die gehen uns doch nichts an! So ein Vieh hat zu gehorchen, weiter nichts!«

»Du irrst. Doch wiederhole ich, hiervon später! Jetzt habe ich Dich nach dem Gefängnisse zubringen.«

»Ja nach dem Gefängnisse, welches keine Gefängnisse hat!« lachte er. »Da hast Du mich aber von den Stangen loszubinden!«

»Das nicht,« erwiderte ich.

»Warum nicht? Da kann ich doch den Körper nicht bewegen!«

»Das sollst Du auch nicht. Zum Gehen brauchst Du nur die Beine. Es genügt also, wenn ich nur sie freigebe. Halt still!«

Ich entfernte den Riemen von den Füßen an bis herauf zu den Hüften, schob ihm die Stangen höher an den Leib hinauf, daß sie unten nicht zu lang waren, und stand ihm dann bei, sich von der Erde aufzurichten. Er nahm diese seine Hilflosigkeit mit außerordentlich guter Miene hin. Die Situation machte ihm sichtlichen Spaß. Das war eine Naivität, die nur im Lande der Ussul möglich sein konnte. Er hatte in seiner Einfalt eben nicht den allergeringsten Zweifel daran, daß er mein Herr und Gebieter sei und daß ich es nicht wagen werde, ihm in irgend einer Weise zu widerstehen. Seine Harmlosigkeit ging sogar so weit, seine Fesseln als etwas ganz Selbstverständliches und zum heiteren Spiel Gehöriges hinzunehmen. Ich band ihn an das eine Ende seines Spießes, nahm das andere fest in die Hand, um ihn dirigieren zu können, und schwang mich wieder auf den breiten Rücken seines Urgaules. Dann traten wir den Weg nach dem >Gefängnisse< an. Meine Pferde konnte ich unbesorgt hier zurücklassen, denn erstens hatte ich gar nicht die Absicht, mich sehr weit von ihnen zu entfernen, zweitens wußte ich, wie bereits gesagt, daß sie liegen bleiben würden, und drittens war mit Gewißheit anzunehmen, daß es ringsum keinen Menschen gab, der hier zu erwarten war.

Ich habe schon angedeutet, daß ich unter dem mehrfach erwähnten Gefängnis einen Baum verstand, an den ich den Scheik binden wollte. Ich sah einen hierzu passenden in der Nähe. Aus einem Gebüsch von Tamarix gallica erhob sich eine hohe Pappel von der Art Populus euphratica. Die war fest, und das Gebüsch bildete einen dichten Schirm, hinter den ich meinen Gefangenen verschwinden lassen konnte, ohne daß er zu sehen war.

Als wir die Stelle erreichten, hielt ich an, stieg vom Pferde und führte den Scheik durch das Gesträuch hindurch bis zur Pappel.

»Lehne Dich an den Stamm, aber recht fest!« forderte ich ihn auf.

»Warum?« fragte er.

»Ich muß Dich anbinden.«

»Gehört das auch noch mit dazu?«

»Ja.«

»So tue es!«

Er lehnte sich, um es mir möglichst bequem zu machen, so fest wie möglich an die Pappel und sah ganz ruhig zu, daß ich erst seine eigenen Riemen und dann auch meinen Lasso dazu benutzte, ihn so an den Stamm zu befestigen, daß es ihm nur mit fremder Hilfe möglich war, wieder loszukommen. Dabei sagte er treuherzig:

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