Ardistan und Dschirnistan I - Karl May 9 стр.


»Warum?«

»Er ist unser Gefangener.«

»Du meinst, daß Deine Leute ihn gesehen haben?«

»Gesehen und festgenommen! Unbedingt. Von unserm Lagerplatze aus kann man grad bis an jene Ecke sehen.«

»So lagert Ihr wohl da drüben, links, jenseits des Gebüsches, im Walde?«

»Nicht im Waldes selbst, sondern am Rande desselben. Man hat Deinen Kameraden sofort gesehen, als er um die Ecke gebogen war. Ist er ebenso klein wie Du?«

»Noch kleiner.«

»Noch kleiner?« lächelte er.»So hat man sich wohl überhaupt gar keine Mühe mit ihm gegeben.«

»Und wenn er sich gewehrt hat ?«

Das war meine Hauptfrage. Ich war gespannt, was er hierauf sagen werde.

»So ist er tot,« antwortete er.

»Wirklich?«

»Gewiß! Wir dulden keine Gegenwehr. Wir verlangen Gehorsam. Und so ein Zwerg, der sogar noch kleiner ist als Du, wenn der es wagt, uns widerstehen zu wollen, so machen wir es kurz, sehr kurz mit ihm. Die Erde braucht keine Zwerge. Sie sind unnütz. Alles, was zu klein ist und was krank ist, steht dem Großen, dem Gesunden im Wege. Es hat zu verschwinden. Also, wenn Dein Genosse ungehorsam gewesen ist, so ist er tot. Aber das geht Dich und mich doch gar nichts an! Ich habe nachzusehen, was Du alles besitzest. Wenn das vorüber ist, reiten wir nach dem Lager. Dort wird das, was Du bei Dir hast, geteilt. Ich aber will jetzt schon sehen, was mir gefällt, damit ich es dann bekomme.«

Das war sehr aufrichtig, aber nicht sehr beruhigend! Daß ich allerdings das Lager betreten würde, aber nicht als Gefangener, das verstand sich ganz von selbst. Dazu gehörte zunächst die Überwältigung dieses Riesen. In welcher Weise sie zu bewerkstelligen sei, das war noch nicht bestimmt. Schuß- und Stichwaffen waren ausgeschlossen. Der Scheik war ein guter, lieber und zudem auch hochinteressanter Mensch, den ich weder verletzen noch gar töten durfte. Ich mußte im Gegenteile danach trachten, mir die Zuneigung der Ussul zu gewinnen. Dieser Stamm konnte mir als Stütz-und Ausgangspunkt für alles, was später zu geschehen hatte, dienen, und dazu war zunächst erforderlich, mich jeder nicht schonenden Behandlung ihres Anführers zu enthalten. Übrigens stellte es sich als gar nicht nötig heraus, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, in welcher Weise ich ihn in meine Gewalt bringen könne. Er kam mir nämlich hierin ganz von selbst entgegen, und zwar in so bequemer Weise, daß ich weiter gar nichts zu tun hatte, als nur zuzugreifen.

Indem er mich und meine Sachen untersuchte, fragte er nach jedem einzelnen Gegenstande, um den Gebrauch und den Wert desselben kennen zu lernen. Er wollte für die spätere Verteilung schon jetzt seine Auswahl treffen. Darum fragte er nach allem, was er sah, und ich erteilte die gewünschte Auskunft in so bereitwilliger Weise, als ob ich mich vollständig in das mir bestimmte Schicksal ergeben hätte. So kam er auch an den langen, höchst künstlich zusammengeflochtenen Fangriemen, der am Halse meines Syrr hing.

»Was ist das?« fragte er, indem er ihn betrachtete und betastete.

»Ein Lasso,« antwortete ich.

»Ein Lasso? Noch nie hörte ich dieses Wort! Dieses Flechtwerk ist eine große Kunst. Auch wir flechten Riemen, aber kurz, nicht so lang. Und so fest, so gleichmäßig und so schön bringen wir es nicht fertig. Das heißt also ein Lasso! Wozu wird es gebraucht?«

»Zum Fangen der Menschen.«

Es lag natürlich nicht in meiner Absicht, ihm zu verraten, daß sich dieser Gebrauch weniger auf Menschen als vielmehr auf Tiere bezog.

»Menschen fangen mit diesem Riemen?« fragt er schnell und angelegentlich. »Also doch wohl Feinde?«

»Ja.«

»Während des Kampfes? Wenn sie entfliehen wollen?«

»Überhaupt bei jeder Gelegenheit, wenn man sie fangen will.«

»Bei jeder Gelegenheit? Die Feinde fangen? Das ist ja wichtig, im höchsten Grade wichtig! Und Du weißt, wie man das macht?«

»Ja, natürlich.«

»Kannst Du mir es zeigen?«

»Wenn Du es wünschest, gern.«

»Gleich jetzt, hier? Nicht erst dann, wenn meine Leute dabei sind und es ebenso sehen wie ich?«

»Jetzt gleich,« nickte ich.

»So tue es; ja, tue es schnell! Seine Feinde fangen, mit so einem Riemen! Das ist ja herrlich! Schau, hier an meinem Gürtel hängt auch ein ganzer Pack von Riemen. Die sind aber nicht, um die Feinde zu fangen, sondern nur, um sie zu binden; da muß man sie aber vorher erst haben. Also zeig es mir!«

»Aber an wem soll ich es Dir zeigen?« fragte ich, indem ich den Lasso vom Halse des Pferdes schlang. »Es ist ja kein Feind vorhanden, den ich fangen könnte!«

»Das schadet nichts,« meinte er. »Denke einmal, ich sei einer! Dauert es lang?«

»Nur einige Augenblicke.«

»Und tut es weh?«

»Gar nicht.«

»So fang an! Mach los! Was habe ich dabei zu tun?«

»Setz Dich auf Dein Pferd und versuch, mir auszureißen!«

»Schön! Gut! Wohin soll ich fliehen?«

Ich deutete in die Richtung zurück, aus der ich mit Halef gekommen war, denn die kannte ich. Es kam mir darauf an, den Scheik von hier zu entfernen, wo das Lager seiner Leute so verhältnismäßig nahe war. Ein Hilferuf von ihm, den sie hörten, konnte meinen ganzen Plan vereiteln. Und zu seiner Ausführung brauchte ich einen versteckt liegenden Baum, an den ich den Riesen binden konnte, ohne befürchten zu müssen, daß man ihn sobald entdecken werde.

»Flieh dorthin zu,« antwortete ich, »und zwar so schnell Du kannst!«

»Willst Du mich etwa einholen?« erkundigte er sich mit breitem Lachen.

»Ja.«

»Und dann mich fangen? Zu Pferde?«

»Ja.«

»Mit diesen kleinen Hunden, die gar keine Pferde sind? Hörst Du, ich lache Dich aus! Also versuche es! Die Schande, die Du erlebst, ist dann nicht mein, sondern Dein!«

Er hatte keinen Steigbügel, sich bequem aufzuschwingen; so kletterte er mühsam auf den breiten First seines Urgaules. Dort angekommen, setzte er sich in der behaglichen Weise zurecht, wie man es sich nach Feierabend auf den Kissen eines alten lieben Kanapees bequem zu machen pflegt, nickte dann zufrieden von oben herunter und forderte seinen Untertanen, der mit ihm davonjagen sollte, auf:

»Jetzt fort von hier! Aber schnell, sonst setzt es gewaltige Prügel!«

Das liebe Tier schien diese Worte weder zu verstehen noch auf sich zu beziehen. Es tat gar nicht, als ob es irgendwen auf dem Rücken habe, oder als ob außer ihm und mir noch irgend ein anderes Wesen vorhanden sei. Es richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf mich allein. Seine Blicke bewegten sich ausschließlich immer nur auf meiner Person herum, und zwar mit einem so entschiedenen Ausdruck von Wohlwollen, daß seine Zuneigung zu mir, dem Fremden, gar nicht zu verkennen war. Anstatt den Willen seines Herrn zu tun, kam es wieder auf mich zu, rieb seine Schnauze an meinem Arme und streckte dann die lange fette Zunge heraus, um mit ihr einen liebevollen Spaziergang über mein Gesicht zu machen. Da aber riß der Scheik den Kopf des Pferdes mit Hilfe des Zügelstrickes von mir weg und rief drohend aus:

»Was fällt Dir ein? Wenn Du nicht sofort galoppierst, werde ich mir Gehorsam verschaffen! Verstehst Du mich?«

Er bückte sich bei diesen Worten zu dem Kopf des Pferdes nieder, um ihm seine drohende Faust zu zeigen. Das Tier schien ihn dieses Mal verstanden zu haben, denn es versuchte, ihm einen strafenden Blick nach hintenüber zu werfen, stieß ein höchst unwilliges, antediluvianisches Getöse aus, was ich jedenfalls als Wiehern hinzunehmen hatte, trat ganz rasch an mich heran und machte mir mit der Zunge so schnell, daß es nicht zu verhindern war, einen Querstrich über das Gesicht.

»Er hat Dich lieb; wahrhaftig, er hat Dich lieb!« wunderte sich der Scheik. »Wie es nur kommen mag, daß grad Du ihm so gefällst?«

Ich nahm diese Worte hin, ohne mich lange zu fragen, ob ich mich über sie freuen oder ärgern sollte. Doch schien das mit der Zunge auch mir eine Art von Liebeserklärung zu sein. Es fiel mir dabei ein kleines Ereignis aus meiner Jugendzeit ein, welches mir damals psychologisch hochinteressant gewesen war. Das geschah während meiner Schülerzeit. Ich ging während einer Ferienwanderung an einer langgestreckten Gebirgswiese hin, auf der das Gesinde des Besitzers >Heu machte<, wie man das da oben auszudrücken pflegt. Die Leute verrichteten ihre Arbeit sehr ernst und fleißig, einen einzigen Knecht ausgenommen, der mit der vor ihm postierten Großmagd in einem fort schäckerte. Sie war ein großes, starkes, ungeschlachtes Frauenzimmer. Eben als ich vorübergehen wollte, umfaßte er ihre riesenhafte Taille, hielt sie fest und gab der Magd einen Kuß. Dann warf er mir, dem Zeugen seiner Heldentat, einen triumphierenden Blick zu, der aber nicht von langer Dauer war, denn die Magd holte aus und gab ihm eine so gut gesalzene Ohrfeige, daß er das Gleichgewicht verlor und, so lang er war, in das Heu zu liegen kam. Ein allgemeines Gelächter erscholl, und nun war es die Magd, die mir, dem Zeugen ihrer Heldentat, einen triumphierenden Blick zuwarf. Ich kleines, gern auch einmal lustiges Männchen blieb stehen und lachte mit. Als er das sah, sprang er zornig auf und rief mir zu: »Was hast denn Du zu lachen, Du Knirps, Du nichtsnutziger, Du? Daß sie mir die Maulschelle geben hat, is doch der Beweis, daß sie mich gern hat! Wannst es net glaubst, so geh her und frag sie doch gleich selber!« Sie aber wartete es gar nicht ab, ob ich das tun werde, sondern sie stemmte die Arme in die Hüften, nickte mir sehr überlegen zu und belehrte mich: »Is richtig, alles richtig! Er is der Meinige. Einen andern hau ich net!« Meine damalige Menschenkenntnis reichte noch lange nicht an das Verständnis dieser eigenartigen Logik heran. Darum machte ich mich schleunigst auf den Weg, um im stillen darüber nachzudenken, welche Gründe man haben kann, nur immer >den Meinigen< zu hauen, aber keinen anderen. Daß dieses scheinbare psychologische Rätsel etwas psychologisch sehr leicht Begreifbares ist, das sah ich erst nach Jahren ein. Und jetzt, wo der Scheik sich über die Zuneigung seines Urpferdes wunderte, kehrte mir die Erinnerung an jenen Ferientag zurück. Sollte das Urpferd den Ohrfeigen, die ich ihm gegeben hatte, dieselbe Bedeutung beigelegt haben? Sollte es mich für >den Seinigen< halten? Der Scheik trieb es von neuem an, zu laufen. Es blieb stehen und äugelte mit mir. Er stieß ihm die Fersen in die Weichen. Es blieb stehen und äugelte mit mir. Er schlug es mit der Faust auf den Schädel, daß ich glaubte, es müsse ein tiefes Loch entstehen. Es rührte sich nicht von der Stelle und äugelte mit mir. Da begann er, es mit dem schweren Spieß zu bearbeiten. Als auch das nichts half, rief er mir zornig zu:

»Siehst Du denn nicht, daß es nicht will? Treib es doch an! Gib ihm eins hintendrauf!«

»Ich soll es antreiben, ich?« fragte ich. »Bin denn ich der Reiter?«

»Nein. Aber es scheint seinen Narren an Dir gefressen zu haben. Es will nicht von Dir fort. Da bist Du doch verpflichtet, es von Dir fortzujagen. Es ist doch nicht Dein, sondern mein!«

Ich hatte Mühe, das Lachen zu unterdrücken, und antwortete:

»Ist das vielleicht die Schande, die Du mir vorausgesagt hast? Was soll das für ein Wettrennen werden, wenn Dein Pferd überhaupt nicht von der Stelle will! Hast Du es denn nicht in der Gewalt?«

»Natürlich habe ich es! Und wie! Wenn es vorwärts soll, drücke ich ihm meine Schenkel an den Leib «

»Da geht es vorwärts?« fragte ich.

»Ja. Wenn es nach rechts soll, ziehe ich an der rechten Leine «

»Da geht es nach rechts?«

»Ja. Wenn es nach links soll, ziehe ich an der linken Leine «

»Da geht es nach links?«

»Ja. Wenn es stehenbleiben soll, ziehe ich an der rechten und an der linken Leine zugleich «

»Da bleibt es stehen?«

»Ja.«

»Das glaube ich nicht. Beweise es mir! Du treibst es ja an; es geht aber nicht!«

»Weil ich die Einleitung vergessen habe. Ich wollte nicht wieder herabsteigen, um es nachzuholen. Darum bat ich Dich um Deine Hilfe. Aber, um Dir zu beweisen, daß es gehorcht, muß ich dennoch wieder hinunter. Paß auf!«

Er arbeitete sich schwerfällig vom Pferde zur Erde nieder, drehte seinen Spieß um, hob ihn hoch empor und schrie dem Gaule zu:

»Ich weiß, was Du willst! Du willst erst Prügel haben! Ich muß Dir jedesmal, ehe ich aufsteige, zeigen, daß ich der Herr bin, nicht aber Du; sonst glaubst Du es nicht. Da hast Du die Hiebe, da da da da und da!«

Er schlug mit aller Gewalt auf das Tier ein, daß es nur so klatschte und puffte. Das Tier senkte den Kopf, steckte ihn, damit er nicht getroffen werde, so weit wie möglich zwischen die Vorderbeine und nahm im übrigen die Hiebe wie etwas Alltägliches und Vertrautes hin, das einem gewohnt und lieb geworden ist. Als es sein Deputat aufgezählt bekommen hatte, turnte sich der Scheik wieder auf seinen Sitz hinauf und sagte:

»Nun paß auf, wie es laufen wird! Wenn es durchbrennen soll, muß ich vorher Feuer machen. Dann läuft es, und wie! Keine Möglichkeit, mich einzuholen! Komm!«

Sobald er oben war, zog der Gaul seinen Kopf zwischen den Vorderbeinen hervor, warf ihn hoch empor, ließ herausfordernd seine unbeschreibliche Stimme erschallen und schoß dann vorwärts, aus Leibeskräften und in einer Art und Weise, als ob er sich vorgenommen habe, mit dem Kopfe durch alle Mauern von Ardistan zu rennen. »Komm! Hol mich ein!« rief der Scheik nochmals zurück. Dann war es aus mit dem Reden, denn er hatte sich alle Mühe zu geben, nicht aus dem Sattel geschleudert zu werden. Das ebenso plötzliche wie eilige Vorwärtsschießen des unbeholfenen, massigen Pferdekörpers machte einen so unwiderstehlich heitern Eindruck, daß ich laut auflachen mußte. Mit der Verfolgung brauchte ich mich nicht zu übereilen. Halefs Ben Rih war mehr auf Lasso eingeübt als mein Syrr. Den ersteren hatte ich jahrelang geritten, den letzteren aber nur erst kurze Zeit, und den starken, die Knochen sehr angreifenden Ruck, den der Lasso kurz nach dem Wurfe gibt, wollte ich dem hochedeln Syrr ersparen. Ich sorgte also dafür, daß die Gewehre und alles, was an Riemen hing, nicht schleudern und schlagen konnte, band Syrrs Zügel am Sattelknopfe fest, warf den Lasso in Schlingen und schwang mich auf Ben Rih. Der Lasso wurde im Sattelringe eingehakt; dann ging es vorwärts. Rih folgte ganz von selbst, ohne alle Aufforderung. Die klugen Tiere begriffen, daß es sich darum handelte, den vor uns hinstürmenden Reiter einzuholen.

Der Urgaul leistete, was er leisten konnte. Als ich in den Sattel stieg, hatte er gewiß schon vierhundert Pferdelängen zurückgelegt; aber ihn einzuholen, erforderte für uns, selbst ohne daß ich meine Pferde anzustrengen brauchte, nur eine so kurze Zeit, daß es gar nicht nötig war, sie zu berechnen. >Kleine Hunde< hatte der Scheik meine Pferde genannt, und wie Hunde, die ein Wild zu erjagen haben, flogen sie nun hinter ihm her, ohne daß es nötig gewesen war, sie vorher erst durch eine >Einleitung< mit dem Spieße zu begeistern.

Das Terrain war gar nicht ungeeignet zu einer solchen Jagd, rechts und links entweder Wald oder hoch aufstrebendes Gebüsch. Und nun schossen wir über ein Meer von Wohlgerüchen, dahin, welches niedrigen Papilionaten entströmte, die einen schmalen, sich lang hinschlängelnden, baumlosen Strich ausfüllten. Es waren zwei Arten der orientalischen Genista, die eine hochgelb, die andere metallisch weiß blühend. Diese letztere wird auch in der Heiligen Schrift erwähnt. Die gelbe glänzt genau wie Gold, die weiße wie reines, schmelzendes Silber. Ob beiden oder nur einer von ihnen der herrliche Duft entströmte, das war bei der Eile, die ich hatte, nicht festzustellen.

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