»Jawohl! In dieser Beziehung verstehe ich keinen Spaß. Gegen eine Frau, welche diese Gesetze übertritt, muß man sich genau so wie der Padischah gegen seinen Harem verhalten!«
»Wie?«
»Er läßt solche Frauen in einen Sack binden und in das tiefste Wasser werfen.«
»Wirklich?«
»Ja, das tut er, und ich sage, daß dies ganz richtig von ihm ist!«
»Lieber Halef, hast du vielleicht einen Sack mit?
»Ja, mehrere, für die Pferdedatteln.«
»Sind sie groß genug, eine Frau hineinzustecken?«
»Nein.«
»Schade, jammerschade!«
»Warum?«
»Wir hätten deine Hanneh in einen solchen Sack gesteckt und in das erste Wasser geworfen, weiches wir antreffen.«
»Meine Hanneb? Die allernotwendigste Notwendigkeit zum Glücke meines Erdenlebens?« fragte er erstaunt.
»Leider!« nickte ich sehr ernst.
»Sie in einen Sack stecken?«
»Ja.«
»Und in das Wasser werfen?«
»In die tiefste Stelle sogar!«
»Warum? Sag schnell, warum?«
»Weil sie gegen die beiden Gesetze gehandelt hat, welche du vorhin aufstelltest.«
»Du scherzest, Effendi, du scherzest!«
»Nein. Ich bin Zeuge, daß sie es getan hat!«
»Sihdi, mach mich nicht unglücklich! Meine Hanneh wäre mit einem Manne, der nicht ich war, allein gewesen?«
»Ja; sogar in tiefer Dunkelheit, beim Neumonde, ganz hinter den Zeiten eures Lagers.«
»Ich sterbe! Ja, ich sterbe vor Trauer, obgleich ich es für vollständig unmöglich halte, daß sie dieses größte aller Verbrechen begangen haben kann! Aber du sagst es, Effendi, du, der mein erster und bester Freund ist und mir so etwas nicht mitteilen wird, ohne es beweisen zu können!«
»Ich habe dir schon gesagt, daß ich Zeuge bin, und ich teile dir jetzt mit, daß es noch einen zweiten Zeugen gibt.«
»Noch einen? Der es gesehen hat?«
»Ja.«
»Wer ist das? Sag es! Heraus damit! Diesen Halunken bringe ich augenblicklich um, weil er es mir verschwiegen hat!«
»Lieber Halef, das würde Selbstmord sein!«
»Selbst ? »
»Ja, denn du selbst bist dieser zweite Zeuge.«
»Ich ich ich selber!«
»Ja. »
»Effendi, du wirst mir immer unbegreiflicher!«
»Du scheinst es vergessen zu haben; darum will ich deinem Gedächtnisse zu Hilfe kommen. Erinnerst du dich jener Neumondsnacht vor unserem Aufbruche nach dem Tigris, als wir unsere Reise nach Persien antraten?«
»Ja. »
»Da hat, nach Mitternacht sogar, deine Hanneh mit einem Manne, der nicht Hadschi Halef war, eine ziemlich lange Zeit hinter euern Zelten gesteckt.«
Da warf er beide Arme freudig empor und rief, indem er tief und wie von einer großen Last befreit Atem holte, in frohem Tone aus:
»Hamdulillah! Da wird mir ja das Herz gleich wieder leicht! 0 Sihdi, was für eine außerordentliche Bangigkeit hast du in meine Seele gelegt! Es war, als ob mir das ganze Glück meines Lebens zerrissen und zertrümmert werden solle. Hätte ein anderer so zu mir gesprochen wie du, gleich wäre ihm mein Messer in den Leib gefahren, zur Strafe dafür, daß er es wagte, Hanneh, das köstliche Ebenbild der reinen Sonne, mit seinen Verdächtigungen zu beschmutzen. Da du es aber warst, der also sprach, so konnten die Worte, welche mir so tiefen Schmerz bereiteten, doch keine Lüge sein; sie mußten Wahrheit enthalten. Darum fühlte ich mich niedergeschmettert wie ein kleiner Käfer, auf welchen ein großer Berg herabgefallen ist. Nun ich aber höre; daß du jene Nacht vor unserem Aufbruche meinst, ist dieser Berg wieder verschwunden, und der Käfer zappelt lustig weiter, denn ich weiß, daß du selbst der fremde Mann gewesen bist, der damals mit ihr gesprochen hat!«
»Und das macht dich nicht unglücklich?«
»Unglücklich? Fällt mir gar nicht ein! Und wenn ich tausend Hannehs hätte, die alle so schön und so unvergleichlich wären, wie diese eine, einzige, dir könnte ich sie alte, alle anvertrauen!«
»Ich glaube es dir. Aber weißt du, was du mit dieser für mich so ehrenvollen Versicherung getan hast?«
»Ja.«
»Nun, was?«
»Ich habe dir ein ungeheures Lob gespendet, ein geradezu beispielloses Vertrauen erwiesen!«
»Allerdings; aber zugleich hast du noch etwas anderes getan.«
»Von diesem etwas anderem habe ich keine Ahnung. Was ist es?«
»Du hast deine Anklage gegen das Abendland zurückgezogen und dich mit unseren Eisenbahnen einverstanden erklärt.«
»Ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, Sihdi! Eure Eisenbahnen haben es mit mir verdorben, vollständig verdorben. Es fällt mir gar nicht ein, nicht einmal im Traume, mich mit ihnen auszusöhnen!«
»Du hast es aber doch getan, und zwar nicht im Traume, sondern soeben jetzt, im vollständig wachen Zustande!«
»Wieso?«
»Paß auf! Ich frage dich: Du hältst es für verboten, daß Frauen mit anderen Männern im Wagen der Eisenbahn beisammensitzen?«
»Ja, streng verboten! Davon gehe ich nicht ab!«
»Du hältst es ferner für verboten, daß Frauen mit anderen Männern, zumal in der Nacht und hinter den Zelten, beisammenstehen?«
»Eigentlich ja; aber wenn du es bist, so ist es erlaubt.«
»Warum da?«
»Weit ich weiß, daß ich sie dir anvertrauen kann.«
»Gut! Im Wagen der Eisenbahn sitzen unsere Frauen auch nur in der Nähe von Männern, denen wir sie anvertrauen können! Andere Männer würden von den Beamten sofort hinausgeworfen oder gar arretiert und bestraft werden!«
»Wirklich? Das finde ich allerdings sehr lobenswert!«
»Wenn aber zum Beispiel du dich in einem solchen Wagen befindest, dann würde jeder Mann seiner Frau oder seiner Tochter erlauben, sich in deine Nähe zu setzen.«
»Meinst du?« fragte er geschmeichelt.
»Ja.«
»Wirklich?«
»Ja, denn man sieht dir die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ja gleich beim ersten Blicke an!«
»Hm! Würde ich auch mit ihr sprechen dürfen?«
»Sie würde es dir ganz gern erlauben.«
»Ihr guten Rat geben, wenn sie weichen braucht?
»Natürlich!«
»Ihr sogar helfen, wenn sie meiner Hilfe bedarf?«
»Gewiß! Das ist grad der große Vorteil, den unsere Frauen und Töchter während der Reise genießen, daß sie von jedem Mitreisenden unterstützt und beschützt werden!«
»Du, Sihdi, das finde ich reizend, sehr reizend! Du weißt, wie gern ich meine Nebenmenschen beschütze. Es ist das schon bei Männern schön; wie schön muß es da erst bei Frauen sein! Denke dir, wenn ich als Dank ein freundliches Lächeln dafür bekäme!«
»Das wäre dir gewiß!«
»Wirklich? Sie würde lächeln?«
»Aber ja! Wenn du ihr einen freundlichen Dienst erweisest, lächelt sie dich auch freundlich an.«
»Sihdi, ich bitte dich, von diesem freundlichen Lächeln des Dankes mußt du gegen Hanneh schweigen, sonst bekommt sie einen ganz falschen Begriff von eurer Eisenbahn, und das sollte mir leid tun!«
»Leid? Dir? Ich denke, du magst nichts von der Eisenbahn wissen?«
»Ganz richtig! Eigentlich mag ich sie nicht leiden, ja, aber wenn die Frauen nur bei braven, dienstbereiten Männern sitzen, welche mit einem Lächeln der freundlichen Anerkennung belohnt werden, so sehe ich keinen vernünftigen Grund, warum es grad mir verboten sein soll, auf der Eisenbahn zu fahren. Ich sage dir, wenn so eine Eisenbahn von hier nach Mekka ginge, ich würde wahrscheinlich nicht auf dem Kamele sitzen bleiben.«
»Sondern fahren?«
»Ja. Was kann mir das Lächeln eines Kameles nützen, selbst wenn es nämlich lächeln könnte! Dürfte ich denn einer solchen Frau auch von unseren Reisen, von unseren weiten und gefährlichen Ritten und von den Taten des Mutes und der Tapferkeit erzählen, welche wir vollbracht haben?«
»Ja. Sie würde dir sogar dankbar dafür sein, denn durch diese Erzählungen würdest du die Langeweile von ihr fernhalten.«
»Nicht nur das, sondern ich würde sogar ganz bedeutend zu ihrer Bereicherung in den Kenntnissen der Dschigrafia und Tarih (Geographie und Weltgeschichte) beitragen, wofür ich wahrscheinlich auch ein freundliches Lächeln zu sehen bekäme! Du, Effendi, das mit euern Eisenbahnen ist ganz anders, ganz anders, als ich dachte! Warum hast du mir das von dem Lächeln nicht sogleich gesagt? Du pflegst aber immer grad die Hauptsache zu vergessen; das ist es, was ich an dir auszusetzen habe. Und wenn ich dadurch zu einer irrigen Ansicht verleitet werde, so wirfst du die Schuld nicht auf dich, sondern auf mich, der ich doch gar nichts dafür kann! Jetzt sehe ich ein, daß eure Einrichtungen doch nicht so verwerflich sind, wie ich bisher gedacht habe,und Da, schau empor, Sihdi! Siehst du die beiden Nusura (Geier)?«
»Ja«. antwortete ich. »Ich habe sie schon eine ganze Weile beobachtet.«
»Sie schweben jetzt grad über uns; sie scheinen uns also zu beobachten.«
»Ja, das tun sie. Sie wollen sehen, ob sie von uns irgendeine Beute erwarten dürfen. Wenn sie über uns bleiben und uns begleiten, können wir überzeugt sein, daß wir uns ganz allein in dieser Gegend befinden. Übrigens hast du dich in diesen Vögeln geirrt, es sind keine Nusura. Unter Nisr versteht man den weißköpfigen Geier, aber der mit seinem Weibchen da über uns schwebt, ist ein Bartgeier, el Büdsch genannt. Man sieht ihn häufiger in Ägypten und den Maghrebländern; hier aber ist er sehr selten. Ich sah diese beiden vorhin aus Südwesten kommen. Sieh, da entfernen sie sich wieder, und zwar in dieser Richtung. Das ist mir interessant, höchst interessant!«
»Warum, Effendi?«
»Weil sie glauben, dort leichter Fraß zu finden als hier bei uns.«
»Woher weißt du das?«
»Ich schließe es aus ihrem Verhalten. Diese Vögel sehen außerordentlich weit. Sie haben uns aus großer Entfernung gesehen und sind gekommen, uns zu betrachten. Da sie sich jetzt wieder entfernen, dürfen wir annehmen. daß es dort, woher sie kamen und wohin sie nun wieder fliegen, mehr Beute zu erwarten gibt als bei uns. Unsere Tiere sind gesund und kräftig, darum bewegen wir uns rasch und energisch; das wissen diese Vögel wohl zu beurteilen. Ich würde jede Wette darauf eingehen, daß es dort im Südwesten von uns leidende Wesen gibt, Menschen oder Tiere, wohl auch beides zugleich, deren Haltung und Bewegungen den Geiern Ursache zur Hoffnung auf baldigen, reichlichen Fraß geben.«
Wir verfolgten die Vögel mit unseren Augen. Als Halef sie nicht mehr erkennen konnte, sah ich sie noch als kleine Punkte, welche sich nicht mehr weiter entfernten, sondern über einer bestimmten Stelle schwebten, die sicher sehr weit von uns entfernt war, obgleich die Geier nicht mehr als zwei Minuten gebraucht hatten, dorthin zu kommen.
»Siehst du sie noch?« fragte Halef.
»Ja«, antwortete ich. »Sie stehen über einer bestimmten Stelle und gehen nicht von ihr fort. Es muß dort irgend ein gebrechliches Geschöpf oder auch mehrere geben.«
»Vielleicht gar Leichen!«
»Möglich; dann befinden sich aber lebende Personen dabei, vor denen die Geier sich fürchten, denn sonst würden sie schon längst niedergestoßen sein.«
»Du sprichst von einem gebrechlichen Geschöpfe. Wäre es da nicht unsere Pflicht, Hilfe zu bringen?«
»Allerdings.«
»Vielleicht aber handelt es sich bloß um Tiere!
»Das ist möglich; dann aber müßten es große Raubtiere, Löwen oder Panther sein, die ja in den Felsen Innerarabiens auch vorkommen; aber die laufen doch nicht jetzt am hellen Tage auf der Ebene herum! Wären es nicht Raubtiere, so hätten sich die Geier niedergelassen und säßen, ruhig wartend, in der Nähe ihrer Beute. Ich bin daher der Ansicht, daß es Menschen sind, müde, hinfällige Menschen, die aus irgend einem Grunde nicht mehr fort können. Wir sind verpflichtet, ihnen Hilfe zu bringen, werden das aber nicht in unvorsichtiger Weise tun. Erkundigen wir uns also bei dem Ben Harb, ob es hier in dieser Gegend vielleicht einen Weideplatz irgendeines Beduinenstammes gibt!«
Als wir den schon erwähnten Führer fragten, teilte er uns mit, daß wir uns mitten in der Sandwüste befänden, in welcher es keinen einzigen Brunnen, also auch keine Weide gebe; das nächste Wasser liege so weit von hier, daß sich sein Einfluß bis hierher gar nicht geltend machen könne.
Da es nicht geraten war, unsere ganze Karawane ihre Richtung verändern zu lassen, ritten wir langsam weiter und beauftragten Omar Ben Sadek und einen Haddedihn, nach der Stelle zu reiten, über weicher die Geier standen. Um, wenn nötig, gleich Hilfe bringen zu können, nahmen sie einen vollen Wasserschlauch mit. Die Wüstenebene war nur scheinbar glatt, in Wirklichkeit aber so gewellt, daß wir die beiden Reiter schon nach kurzer Zeit nicht mehr sehen konnten. Es dauerte weit über eine Stunde, bis sie zurückkehrten. Es mußte sich um etwas doch nicht Gewöhnliches handeln, denn Omar Ben Sadek wartete mit seinem Berichte nicht, bis er uns erreicht hatte, sondern rief uns schon von weitem zu:
»Effendi, ihr müßt abschwenken und mit uns kommen! Es gilt, fünf Menschen zu retten.«
»Wer sind sie? » fragte ich.
»Wahrscheinlich Leute aus Mekka.«
»Wahrscheinlich? Haben sie nichts Bestimmtes gesagt?«
»Nein. Du weißt ja auch, daß hier in der Wüste jedermann vorsichtig ist. Wir könnten ja zu einem ihnen feindlichen Stamm gehören.«
»Hast du ihnen nicht gesagt, daß wir Haddedihn sind, die so weit von hier wohnen, daß sie hier unmöglich eine Thar (Blutrache) haben können?«
»Das habe ich wohl gesagt; aber sie glaubten es nicht. Du würdest ja auch nicht sofort alles glauben, sondern vorher die Personen und das, was sie sagen, einer Prüfung unterwerfen.«
»Es sind also fünf Personen?«
»Fünf Lebende und ein Toter.«
»Erzähle doch lieber zusammenhängend!«
»Ich tue es. Wir ritten nach Südost und sahen bald die Geier wieder, die ganz unbeweglich in der Luft zu stehen schienen; aber je näher wir kamen, desto deutlicher bemerkten wir, daß sie nicht standen, sondern langsam Kreise zogen. Später sahen wir dann den Gegenstand oder vielmehr die Gegenstände ihrer Aufmerksamkeit. Es waren sechs Hudschun, welche am Boden lagen, neben ihnen ihre Reiter, Tiere und Menschen still und unbeweglich wie Leichen. Als wir ganz nahe herankamen, hoben die Kamele die Köpfe, ließen sie aber gleich wieder sinken. Sie sahen abgetrieben aus, wie nach einem langen, angestrengten Eilritte, und waren halb verdurstet. Drei von den Männern standen in den mittleren Jahren; einer war jung und einer war alt. Der Alte schien am wenigsten erschöpft zu sein; er bat sogleich um Wasser, das wir ihnen auch sofort gaben. Sie tranken die Dschirbe (Schlauch) fast ganz leer.
»Und die Leiche?«
»Wir konnten nicht sehen, was für eine Person es war, denn sie war mit dem Haik zugedeckt.«
»Was gab es für Fragen und Antworten?«
»Der Alte erkundigte sich, wer wir seien, und wir sagten es ihm; er aber ließ die zweifelnden Worte Allah weiß es! dazu hören. Als ich ihn nach seinem Namen fragte, sagte er, sie alle seien aus Mekka, wozu ich ihm nun auch ein ,Allah weiß es zu hören gab. Er bat um Wasser für Menschen und Tiere, auch um etwas Futter für die Kamele; Mehl und Datteln für sich hätten sie noch.«
»Woher kommen sie?«
»Das sagte er nicht. Er meinte, er habe uns auch keine Frage vorgelegt; der Gläubige müsse seinem Bruder helfen, ohne nach seinem Namen und nach seinem Ausgange und Eingange zu fragen..«
»Entweder hat dieser Mann kein gutes Gewissen, oder er ist ein stolzer, eingebildeter Moslem in hoher Stellung in Mekka. Vielleicht ist auch beides zu gleicher Zeit der Fall; aber recht hat er doch gehabt: Er bedarf unserer Hilfe, und wir müssen sie ihm bringen, ohne ihn vorher nach allem ausgefragt zu haben. Glücklicherweise sind wir mit Wasser so reichlich versehen, daß diese Wohltätigkeit uns nicht selbst in Gefahr bringen wird. Reiten wir also hin!